BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 02.10.2024, AZ VIa ZR 327/22, ECLI:DE:BGH:2024:021024UVIAZR327.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Dresden, 27. Januar 2022, Az: 11a U 343/21
vorgehend LG Chemnitz, 25. Januar 2021, Az: 4 O 1102/20
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird
das Urteil des 11a. Zivilsenatsdes Oberlandesgerichts Dresden vom 27. Januar 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 50.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb
im März 2015 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Transporter VW T5, der mit einem Dieselmotor derBaureihe EA 189 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Die Abgasrückführung erfolgt temperaturgesteuert unter Einsatz eines sogenannten Thermofensters und wird bei geringeren Außentemperaturen reduziert. In der Motorsteuerung ist der Softwarecode für die sogenannte „Umschaltlogik“ hinterlegt. Ob dieSoftware im Fahrzeug des Klägers aktiviert ist, steht zwischen den Parteien im Streit.
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Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und Übertragung des an ihm bestehenden Anwartschaftsrechts (Berufungsantrag zu 1), hilfsweise Zahlung eines Teilbetrags davon sowie Freistellung von offenen Verbindlichkeiten aus der Finanzierung des Fahrzeugs Zug um Zug gegen dessen Herausgabe und Übertragung des an ihm bestehenden Anwartschaftsrechts (Berufungsantrag zu 2), weiter hilfsweise Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten (Berufungsantrag zu 3), ferner Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs
(Berufungsantrag zu 4) sowie Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten
(Berufungsantrag zu 5)begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
4
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Der Kläger habe keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Er habe keine greifbaren Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in sittenwidriger Weise zum Einsatz gekommensei. Die Beklagte habe unwidersprochen dargelegt, dass für das Fahrzeug einhöherer Stickoxid-Grenzwert als für Personenkraftwagen gegolten habe, welcherauch ohne die Aktivierung der „Umschaltlogik“ habe eingehalten werden können, und dadurch aufgezeigt, warum sie sich hier anders habe verhalten können als bei Motoren der Baureihe EA 189, für die strengere Grenzwerte gegolten hätten.Die vom Kläger angeführten Messungen der Deutschen Umwelthilfe im Straßenverkehr, nach denen der Stickoxid-Grenzwert um das 3,5-fache überschrittenworden sei, stellten keinen greifbaren Anhaltspunkt für die Aktivierung der Prüfstandserkennungssoftware dar. Die Verwendung des Thermofensters gebe demVerhalten der Beklagten ebenfalls kein sittenwidriges Gepräge, wobei zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Qualifikation als unzulässigeAbschalteinrichtung unterstellt werden könne.
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Der Kläger habe auch keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Bei den Bestimmungen der EG-FGVhandele es sich nicht um auf den Schutz der Fahrzeugkäufer ausgerichtete Vorschriften im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
9
1.
Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass dasBerufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat,weil es tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagtennicht hat feststellen können. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet.
Soweit die Revision anführt, es sei angesichts derdeutlichen Überschreitung des zulässigen Stickoxid-Grenzwerts bei den Messungen der Deutschen Umwelthilfe eher fernliegend, dass die verbaute Prüfstandserkennungssoftware nicht genutzt werde, ersetzt sie lediglich die Würdigung desBerufungsgerichts durch ihre eigene Bewertung, ohne einen Rechtsfehler aufzuzeigen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2022 – VI ZR 435/20, VersR 2022, 1122Rn. 15; zum revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 257/20, WM 2022, 87 Rn. 32 mwN). Von einer Begründung im Übrigen wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
10
2.
Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindungmit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nichtdurch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245
Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die
erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtungsowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einerHaftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer
Götz
Rensen
Liepin
Katzenstein