BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 25.09.2024, AZ VIa ZR 1691/22, ECLI:DE:BGH:2024:250924UVIAZR1691.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Nürnberg, 8. Dezember 2022, Az: 1 U 1348/22
vorgehend LG Regensburg, 13. April 2022, Az: 35 O 1997/21
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 8. Dezember 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 zurückgewiesen worden sind.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für die Revision wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb am 11. Juli 2020 ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW X3 xDrive20d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe B47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
2
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine Klageanträge unter geringfügiger Reduzierung des Schadensersatzbetrages weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der in vom Senat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge abgesehen von dem Deliktszinsen betreffenden Berufungsantrag zu 2 weiter.
Entscheidungsgründe
3
Die Revision hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
5
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB komme nicht in Betracht. Insofern fehle es an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten. Insbesondere hinsichtlich des verwendeten Thermofensters bedürfe es besonderer Umstände, weil dieses unter Prüfstandsbedingungen und im gewöhnlichen Fahrbetrieb grundsätzlich gleichermaßen arbeite. Solche Umstände habe der Kläger aber nicht dargetan. Im Übrigen fehlten greifbare Anhaltspunkte für die aufgestellten Behauptungen zu Abschalteinrichtungen mit Prüfstandsbezug. Schließlich habe der Kläger eine Kenntnis der Verantwortlichen der Beklagten nicht hinreichend dargetan.
6
Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil es sich bei den genannten Bestimmungen der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
8
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die seitens der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
9
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11
Die angefochtene Entscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
12
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Götz
Liepin Vogt-Beheim