BVerwG 6. Senat, Beschluss vom 03.09.2024, AZ 6 AV 2/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:030924B6AV2.24.0
Leitsatz
Führt die Rechtsfolge des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO nicht weiter, da der Kläger im Zuständigkeitsbereich einer sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckenden Behörde über mehrere Wohnsitze in unterschiedlichen Gerichtsbezirken verfügt, bestimmt sich die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 52 Nr. 3 Satz 3 i. V. m. Nr. 5 VwGO.
Verfahrensgang
vorgehend VG Lüneburg, 10. Juli 2024, Az: 3 A 200/23
Tenor
Das Ersuchen auf Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts wird abgelehnt.
Gründe
I
1
Der Kläger möchte von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung im Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 28. Februar 2023 befreit werden.
2
Er hat seinen Hauptwohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Schwerin und einen Nebenwohnsitz im Sprengel des Verwaltungsgerichts Lüneburg. Für die Nebenwohnung hat ihn der Beklagte von der Rundfunkbeitragspflicht mit Wirkung vom 1. März 2023 befreit. Seinen Widerspruch, mit dem er die Erstreckung der Befreiung auf den Zeitraum ab 1. Januar 2020 begehrt, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2023 zurück. Mit seiner beim Verwaltungsgericht Lüneburg erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel weiter.
3
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat das Bundesverwaltungsgericht angerufen, um das örtlich zuständige Verwaltungsgericht zu bestimmen. Der Senat hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
II
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Eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO kommt vorliegend nicht in Betracht, denn das Prozessrecht enthält in § 52 VwGO für die hier vorliegende Fallkonstellation eine widerspruchsfreie Zuweisung der örtlichen Zuständigkeit. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hält der beschließende Senat nicht für erforderlich (§ 53 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
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Für eine konstitutive Zuständigkeitsbestimmung ist nur Raum, wenn die in § 53 VwGO geregelten Anforderungen erfüllt sind, d. h. in der hier maßgeblichen Variante des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO nach den in § 52 VwGO enthaltenen Regelungen verschiedene Gerichte in Betracht kommen. Das ist hier nicht der Fall. Denn für die Entscheidung über die von dem Kläger gegen den Norddeutschen Rundfunk erhobene Verpflichtungsklage auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung ist ausschließlich das Verwaltungsgericht Hamburg nach § 52 Nr. 3 Satz 1 bis 3 und 5 i. V. m. Nr. 5 VwGO zuständig.
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Zutreffend ist zwar der Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass der Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nicht als ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne des vorrangig anzuwendenden § 52 Nr. 1 VwGO anzusehen ist (BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2020 – 6 AV 1.20 – NVwZ-RR 2020, 553 Rn. 5). Aber die Regelungen des § 52 Nr. 3 i. V. m. Nr. 5 VwGO ermöglichen entgegen der Auffassung des anrufenden Gerichts eine eindeutige Zuständigkeitsbestimmung.
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Nach § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO ist – vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 – das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Satz 2 knüpft daran an und ordnet u. a. für die Fälle, in denen sich die Zuständigkeit der erlassenden Behörde auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts an, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat. Diese Ausnahme hat der Gesetzgeber vorgesehen, um eine Überlastung des für den Sitz einer Landeszentralbehörde zuständigen Gerichts zu vermeiden und eine gewisse Ortsnähe der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu gewährleisten (BT-Drs. 3/55 S. 35 f.; vgl. auch BT-Drs. 7/1058 Anlage 2; BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1972 – 7 C 22.71 – BVerwGE 40, 205 <208>). Schließlich bestimmt Satz 3, dass sich die Zuständigkeit nach § 52 Nr. 5 VwGO (= Sitz der Behörde) bestimmt, wenn ein (Wohn-)Sitz des Beschwerten innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde fehlt. Dann tritt der Gedanke der Ortsnähe zurück um zu gewährleisten, dass ein Verwaltungsgericht in landesrechtlichen Streitigkeiten nur das in seinem Gerichtsbezirk geltende Landesrecht anzuwenden hat (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1972 – 7 C 22.71 – a. a. O. <209>). Zwar nimmt der für Verpflichtungsklagen geltende § 52 Nr. 3 Satz 5 VwGO im Wortlaut nicht explizit auf Satz 3 Bezug; dieser ist aber trotzdem auch auf Verpflichtungsklagen anzuwenden (BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2020 – 6 AV 3.20 – NVwZ-RR 2020, 854 Rn. 6 ff.).
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Der Norddeutsche Rundfunk als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts zur Herstellung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen und Telemedien in der Freien und Hansestadt Hamburg und den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (§ 1 des Staatsvertrags über den Norddeutschen Rundfunk – NDR-Staatsvertrag – vom 4. bis 9. März 2021, Nds. GVBl. S. 487) ist eine Behörde im Sinne des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt.
9
Da § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO allein auf den Wohnsitz des Beschwerten – hier: des Klägers – abstellt, macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Haupt- oder Nebenwohnsitz handelt (BVerwG, Beschlüsse vom 18. April 2019 – 2 AV 1.19 – juris Rn. 14 f. zu § 52 Nr. 4 VwGO und vom 20. Februar 2020 – 6 AV 1.20 – NVwZ-RR 2020, 553 Rn. 6). Im vorliegenden Fall liegen beide Wohnsitze des Klägers im Sendegebiet des Beklagten in unterschiedlichen Gerichtsbezirken, so dass § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO für die Zuständigkeitsbestimmung nicht weiterführt.
10
Gemäß Satz 3 der Vorschrift bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit für den Fall, dass der Beschwerte keinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich einer sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckenden Behörde nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO hat, gemäß § 52 Nr. 5 VwGO und damit nach dem Sitz des Beklagten. Die hier vorliegende Fallkonstellation, dass der Betroffene über zwei Wohnsitze im Zuständigkeitsbereich der Behörde in unterschiedlichen Gerichtsbezirken verfügt, hat der Gesetzgeber nicht vorhergesehen. Aus Sinn und Zweck der Auffangregelung des Satzes 3 ergibt sich jedoch, dass auch in anderen Fällen einer gerichtssprengelübergreifenden Behördenzuständigkeit, in denen die Rechtsfolge des Satzes 2 zu keinem eindeutigen Gerichtsstand führt, die subsidiäre Regelung des § 52 Nr. 5 VwGO für die Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit heranzuziehen ist (Fall der teleologischen Extension des § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO).
11
Da der Beklagte gemäß § 2 Abs. 1 NDR-Staatsvertrag seinen Sitz in Hamburg hat, ist das Verwaltungsgericht Hamburg gemäß § 52 Nr. 5 VwGO zur Entscheidung des Falles örtlich zuständig.
12
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, denn die Kosten des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Gerichts sind Teil der Kosten des zugrundeliegenden Hauptsacheverfahrens (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2022 – 20 F 9.22 – NVwZ-RR 2022, 933 Rn. 2).