Entfernung von Druckerzeugnissen von Gewerkschaften vor einem Personalratsbüro (Beschluss des BVerwG 5. Senat)

BVerwG 5. Senat, Beschluss vom 08.08.2024, AZ 5 PB 3/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:080824B5PB3.24.0

§ 71 Abs 1 PersVG BE 2004, § 71 Abs 2 S 1 Halbs 2 PersVG BE 2004, § 2 Abs 1 PersVG BE 2004

Leitsatz

Sowohl der Personalrat als auch seine Mitglieder sind verpflichtet, alles zu unterlassen, was bei den Beschäftigten begründete Zweifel an der Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung hervorrufen kann.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 15. Februar 2024, Az: OVG 60 PV 11/22, Beschluss
vorgehend VG Berlin, 14. Juli 2022, Az: 61 K 15/20 PVL

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg – Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes – vom 15. Februar 2024 wird zurückgewiesen.

Gründe

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1. Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 91 Abs. 2 PersVG BE i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kommt einer Rechtsfrage nur zu, wenn mit ihr eine für die erstrebte Rechtsbeschwerdeentscheidung erhebliche Frage aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf. Die Rechtsfrage muss zudem klärungsfähig sein, was der Fall ist, wenn sie in der Rechtsbeschwerdeinstanz beantwortet werden kann. Nach § 91 Abs. 2 PersVG BE i. V. m. § 92a Satz 2 i. V. m. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG muss die Begründung der auf den Zulassungsgrund des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gestützten Nichtzulassungsbeschwerde die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Dieses Darlegungserfordernis setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerdeentscheidung erheblichen Rechtsfrage sowie die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss substantiiert erläutern, dass und inwiefern die Rechtsbeschwerdeentscheidung zur Klärung einer bisher vom Bundesverwaltungsgericht nicht beantworteten, fallübergreifenden und entscheidungserheblichen Rechtsfrage führen kann. Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Beschlusses, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt. Es bedarf auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts. Soweit sich die Vorinstanz mit der von der Beschwerde als grundsätzlich angesehenen Frage beschäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des Prozessstoffes die Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für die erstrebte Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtlich Bedeutung haben können. In der Begründung ist auch substantiiert aufzuzeigen, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegt, zu folgen ist (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 2019 – 5 PB 7.18 – juris Rn. 15 m. w. N.). Eine Rechtsfrage ist in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn sie in der Rechtsprechung des Rechtsbeschwerdegerichts bereits geklärt ist oder wenn sie sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation eindeutig beantworten lässt (BVerwG, Beschluss vom 10. September 2018 – 5 PB 2.18 – juris Rn. 4 m. w. N.). Den vorgenannten Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde, die für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Fragen größtenteils nicht ausdrücklich formuliert, auch dann nicht gerecht, wenn der Senat zu ihren Gunsten davon ausgeht, dass sich der Beschwerdebegründung solche Fragen zumindest sinngemäß entnehmen lassen.

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a) Die Beschwerde nimmt an, dass zwar die einzelnen Personalratsmitglieder zu Neutralität und Objektivität verpflichtet seien (§ 71 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 PersVG BE), diese Verpflichtung mangels entsprechender gesetzlicher Regelung aber nicht für den Personalrat als Gremium bestehe. Hierzu lassen sich der Beschwerdebegründung (S. 7) unter Ziffer 1.1 und 1.2 die sinngemäß aufgeworfenen Fragen entnehmen:

Gilt die Pflicht zur Objektivität und Neutralität der Amtsführung auch für den Personalrat als Gremium?

Muss sich ein Personalrat als ein Gremium des öffentlichen Dienstes jeglicher Mitgliederwerbung für Gewerkschaften in der Dienststelle enthalten?

4

Die so verstandenen Fragen sind allerdings nicht klärungsbedürftig. Denn die zuerst genannte Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wie auch des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt und die zweite Frage lässt sich jedenfalls auf der Grundlage dieser Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens zweifelsfrei beantworten. Danach sind sowohl der Personalrat als auch seine Mitglieder verpflichtet, alles zu unterlassen, was bei den Beschäftigten begründete Zweifel an der Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung hervorrufen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Januar 1960 – 7 P 2.59 – Buchholz 238.3 § 26 PersVG Nr. 1 S. 1, vom 23. Oktober 1970 – 7 P 7.70 – BVerwGE 36, 177 <178>, vom 10. Oktober 1990 – 6 P 22.88 – NVwZ 1991, 172 <172 f.> m. w. N., vom 22. August 1991 – 6 P 10.90 – Buchholz 250 § 67 BPersVG Nr. 7 S. 4 und Urteil vom 19. September 2012 – 6 A 7.11 – Buchholz 250 § 24 BPersVG Nr. 4 Rn. 39 zur Wahl der Gleichstellungsbeauftragten). Die Verpflichtung des Personalrats zur objektiven und neutralen Amtsführung hat das Bundesverfassungsgericht damit begründet, dass dessen Beteiligung an den personellen, sozialen und organisatorischen Angelegenheiten der Dienststelle nur dann sinnvoll zur Gestaltung des Arbeitslebens beitragen kann, wenn der Personalrat gleichmäßig die Interessen aller Beschäftigten vertritt und wenn das Vertrauen der Bediensteten in die Objektivität und Neutralität der Mitglieder des Personalrats nicht erschüttert wird. Das Gewicht seiner Beteiligungsrechte und seiner allgemeinen Aufgaben macht es notwendig, dass der Personalrat alles vermeidet, was geeignet ist, seine Stellung als Repräsentant der Gesamtheit der Bediensteten und als neutraler Sachwalter ihrer Interessen zweifelhaft erscheinen zu lassen (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1970 – 2 BvR 664/65 – BVerfGE 28, 295 <308>; ebenso etwa BVerwG, Beschluss vom 22. August 1991 – 6 P 10.90 – Buchholz 250 § 67 BPersVG Nr. 7 S. 4).

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Die Rechtsprechung leitet die Verpflichtung zur objektiven und neutralen Amtsführung zum einen aus der in den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder kodifizierten Verpflichtung des Personalrats her, darüber zu wachen, dass alle Beschäftigten nach Recht und Billigkeit behandelt werden und insbesondere eine unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts unterbleibt. Zum anderen sieht sie die Objektivitäts- und Neutralitätspflicht des Personalrats und seiner Mitglieder in dem gesetzlichen Gebot verankert, mit der Dienststelle vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden in der Dienststelle zu beeinträchtigen (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 23. Oktober 1970 – 7 P 7.70 – BVerwGE 36, 177 <178> und vom 10. Oktober 1990 – 6 P 22.88 – NVwZ 1991, 172 <172 f.>, jeweils m. w. N.). Entsprechende Bestimmungen enthalten auch § 71 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 PersVG BE, weshalb es hier nicht darauf ankommt, ob und inwiefern sich diese Verpflichtung (auch bzw. zusätzlich) aus der vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Regelung des § 71 Abs. 2 Satz 1 PersVG BE ergibt, wonach Dienstkräfte, die Aufgaben nach diesem Gesetz wahrnehmen, dadurch in der Betätigung für ihre Gewerkschaft auch in der Dienststelle nicht beschränkt werden, sich dabei aber so verhalten müssen, dass das Vertrauen der (übrigen) Dienstkräfte in die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung nicht beeinträchtigt wird. Die allgemeine Verpflichtung der Personalvertretung wie auch der Dienststelle, sich so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung nicht beeinträchtigt wird, die sich als eine der Grundregeln des Personalvertretungsrechts darstellt (Ilbertz, in: Ilbertz/​Widmaier, Bundespersonalvertretungsgesetz, 15. Aufl. 2022, § 2 Rn. 47), hängt demnach nicht von einer ausdrücklichen gesetzlichen Verankerung ab, wie sie heute beispielsweise in der Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 3 BPersVG enthalten ist, der wiederum nur deklaratorische Bedeutung beigemessen wird (vgl. Hebeler, in: Lorenzen/​Gerhold/​Schlatmann/​Rehak/​Hebeler/​Ramm/​Sachadae, Bundespersonalvertretungsgesetz, Stand März 2024, § 2 Rn. 121; Berg, in: Altvater/​Baden/​Baunack/​Berg/​Dierßen/​Herget/​Kröll/​Lenders/​Noll, Bundespersonalvertretungsgesetz, 11. Aufl. 2023, § 2 Rn. 70; Lechtermann, in: Fischer/​Goeres/​Gronimus/​Lechtermann, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, Stand April 2024, § 2 BPersVG Rn. 133; vgl. auch Gräfl, in: Richardi/​Dörner/​Weber/​Annuß, Personalvertretungsrecht, 6. Aufl. 2024, § 2 BPersVG Rn. 145).

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Aus der somit (jedenfalls) aus § 71 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 PersVG BE zu entnehmenden Verpflichtung des Personalrats zur Objektivität und Neutralität, die in dem in § 71 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 PersVG BE gesondert normierten Verbot parteipolitischer Betätigung lediglich eine spezialgesetzliche Regelung erfährt, folgt zugleich, dass der Personalrat selbst keine Mitgliederwerbung für Gewerkschaften betreiben darf (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Januar 1960 – 7 P 2.59 – Buchholz 238.3 § 26 PersVG Nr. 1 S. 1: „gewerkschaftlich neutrale Amtsführung des Personalrats“ und vom 23. Oktober 1970 – 7 P 7.70 – BVerwGE 36, 177 <178>). Diese Verpflichtung ist – wie das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen hat – strenger als für die einzelnen Personalratsmitglieder. Für diese stellt eine gewerkschaftliche Werbung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (erst) dann eine Pflichtverletzung dar, wenn sie nachhaltig war und im Zusammenhang mit ihr Druck auf den Umworbenen ausgeübt wurde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. August 1991 – 6 P 10.90 – Buchholz 250 § 67 BPersVG Nr. 7 S. 5 m. w. N.).

7

Einen weitergehenden oder erneuten grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 7 bis 10 unter Ziffer 2. sowie S. 10/11 unter Ziffer 3.) nicht auf.

8

b) Der Beschwerdebegründung (S. 7) lässt sich unter Ziffer 1.3 ferner die sinngemäß aufgeworfene Frage entnehmen:

Darf der Personalrat als Gremium es generell nicht dulden, dass in seinen Geschäftsräumen Presseerzeugnisse und Werbematerial von Gewerkschaften ausgelegt werden/​ausliegen?

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Damit korrespondiert die in der Beschwerdebegründung (S. 12) formulierte Frage:

Darf gewerkschaftliches Informationsmaterial in Geschäftsräumen eines Personalrats ausliegen oder nicht?

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Die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 11 bis 13 unter Ziffer 4.) zeigt die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage nicht auf. Dies gilt namentlich für ihre Entscheidungserheblichkeit. Ausführungen hierzu wären erforderlich gewesen, weil sich die Druckerzeugnisse nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier nicht in den „Geschäftsräumen“ des Beteiligten zu 1, sondern im angrenzenden Flurbereich in einem dort aufgestellten Regal befanden. Insoweit räumt die Beschwerde die mangelnde Entscheidungserheblichkeit der Sache nach selbst ein, wenn sie ausführt: „Selbst wenn also – was hier nicht gegeben ist!, s. unten – die genannten Druckerzeugnisse ‚in‘ den Geschäftsräumen des Personalrats auslägen, wäre dies unschädlich und zulässig“.

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c) Der Beschwerdebegründung (S. 7) lässt sich unter Ziffer 1.4 schließlich die sinngemäß aufgeworfene Frage entnehmen:

Sind Druckerzeugnisse von Gewerkschaften, die nicht in den eigentlichen Geschäftsräumen eines Personalrats ausliegen, sondern in einem öffentlich zugänglichen und für ein weiteres Personalratsgremium und eine Schwerbehindertenvertretung sowie insbesondere auch von deren Beschäftigten zu durchschreitenden Flur, geeignet, das Vertrauen in die Objektivität und Neutralität der Amtsführung eines Personalrats, dessen Eingang zu seinen Geschäftsräumen sich ebenfalls auf dem Flur befindet, zu beeinträchtigen?

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Die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 13/14 unter Ziffer 5.) zeigt die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage nicht auf. Sie erläutert bereits nicht, weshalb der Frage eine fallübergreifende Bedeutung zukommen soll. Ausführungen hierzu wären deshalb erforderlich gewesen, weil die Frage, was die Beschwerde selbst einräumt („Besonderheiten“ des Falles), in besonderem Maße auf die Umstände des konkreten Einzelfalles abstellt, zu denen insbesondere die speziellen örtlichen Gegebenheiten zählen. Vor diesem Hintergrund zeigt die Beschwerde die Möglichkeit einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht auf, zumal auch einiges dafür spricht, dass die Frage, ob das Vertrauen in die Objektivität und Neutralität der Amtsführung eines Personalrats durch außerhalb, aber in unmittelbarer Nähe des Personalratsbüros ausliegende gewerkschaftliche Druckerzeugnisse beeinträchtigt wird, regelmäßig von einer Bewertung der Einzelfallumstände abhängen dürfte.

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Soweit die Beschwerde die Fragestellung dahin erweitert, alle Personalvertretungen müssten wissen, in welchem „Umfeld“ sie für Werbematerial von Gewerkschaften „zuständig“ seien, ob nur für die eigenen Geschäftsräume oder auch darüber hinaus für „in der Nähe liegende Räumlichkeiten“, und wie weit bejahendenfalls diese Pflicht gehen solle, zeigt sie nicht auf, inwiefern diese Fragestellung entscheidungserheblich sein soll.

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2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 91 Abs. 2 PersVG BE i. V. m. § 92a Satz 2 i. V. m. § 72a Abs. 5 Satz 5 Alt. 1 ArbGG abgesehen.

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