BVerwG 1. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 20.06.2024, AZ 1 WB 12/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:200624B1WB12.24.0
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Beteiligungsrechte des Antragstellers durch die vorläufige Inkraftsetzung der AR A1-831/0-4007 Verwendungsfähigkeit „Individuelle Grundfertigkeiten“ nach dem 31. Dezember 2022 verletzt wurden.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
Tatbestand
1
Der Rechtsstreit betrifft die Beteiligungsrechte des Antragstellers bei der vorläufigen Weiterführung der AR A1-831/0-4007 Verwendungsfähigkeit „Individuelle Grundfertigkeiten“ nach dem 31. Dezember 2022.
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Die streitgegenständliche Allgemeine Regelung enthält Vorgaben für die regelmäßige Untersuchung der Soldatinnen und Soldaten auf Verwendungsfähigkeit und körperliche Leistungsfähigkeit. Durch diese Untersuchungen sollen gesundheitliche Gefährdungen und Krankheiten von Soldatinnen und Soldaten im Frühstadium erkannt, Folgeschäden vermieden und so die personelle Einsatzfähigkeit als Teilbeitrag zur Einsatzfähigkeit der Streitkräfte gesichert werden (vgl. Nr. 101, 102 AR A1-831/0-4007). Am 8. November 2018 war diese Regelung mit Zustimmung des Antragstellers für eine dreijährige Erprobungsphase in Kraft gesetzt worden, die einvernehmlich bis zum 31. Dezember 2022 verlängert worden war. In der Erprobungsphase sollte die Umsetzung der Bestimmungen jährlich evaluiert und dem Antragsteller vorgelegt werden (Nr. 601 AR A1-831/0-4007). Die Evaluierung sollte durch das Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung unter wissenschaftlicher Begleitung des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr erfolgen (Nr. 602, 603 AR A1-831/0-4007). Ab dem 1. Februar 2023 sollte die Durchführung von der Billigung durch den Antragsteller abhängen (Fußnote zur Überschrift Kapitel 5 AR A1-831/0-4007).
3
Nach dem Ende der Erprobungsphase informierte der Antragsteller die Bundesministerin der Verteidigung unter dem 24. November 2022 über seinen Beschluss, einer Verstetigung des Verfahrens nicht zuzustimmen. Er verwies auf eine mangelhafte Umsetzung der Regelungen über die Erprobungsphase und die unzureichende Bereinigung der von ihm benannten Mängel des Verfahrens.
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Zur Überbrückung der Übergangszeit bis zu einer Bekanntgabe der geänderten Regelung wies das Kommando Sanitätsdienst unter dem 16. Dezember 2022 vorläufig zur einstweiligen Fortführung der AR A1-831/0-4007 ab dem 1. Januar 2023 an. Diese Weisung leitete der Generalinspekteur der Bundeswehr dem Antragsteller mit E-Mail vom 23. Dezember 2022 zur Stellungnahme zu.
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Gegen diese Weisung legte der Sprecher des Antragstellers unter Bezugnahme auf dessen Geschäftsordnung am 19. Januar 2023 fristwahrend Rechtsbehelf ein. Mit Schreiben vom 14. Februar 2023 legte er namens des Gremiums unter Verweis auf den entsprechenden Beschluss „Beschwerde“ ein, welche in der Folge ergänzend begründet wurde.
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Unter dem 17. August 2023 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Nach Erörterungsgesprächen stimmte er schließlich im November 2023 der Verstetigung der angepassten Regelung zu. Nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen hat der Senat das Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (1 W-VR 22.23) mit Beschluss vom 18. Januar 2024 eingestellt.
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Zugleich mit der Erledigungserklärung für das Eilverfahren hat der Antragsteller den Antrag auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Inkraftsetzung der streitgegenständlichen Bestimmungen gerichtet und darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen einer vorläufigen Regelung zwischen den Beteiligten immer wieder streitig seien. Den Antrag in der Hauptsache hat das Bundesministerium der Verteidigung mit einer Stellungnahme vom 1. März 2024 vorgelegt.
8
Der Antragsteller macht in der Hauptsache geltend, die Voraussetzungen einer vorläufigen Inkraftsetzung nach § 43 Abs. 2 SBG lägen nicht vor. Eine vorläufige Regelung müsse hinter der geplanten Regelung zurückbleiben. Hier sei aber die endgültig geplante Maßnahme nur vorläufig in Kraft gesetzt worden. Zudem handele es sich nicht um eine unaufschiebbare Maßnahme. Der Wunsch nach Handlungssicherheit genüge hierfür nicht. Es sei nicht begründet worden, dass die Durchführung des Beteiligungsverfahrens vor der Inkraftsetzung die Erfüllung der Aufgaben der Streitkräfte konkret gefährde. Zudem sei nach der endgültigen Regelung innerhalb einer Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2025 eine gültige Begutachtung nicht Voraussetzung für das Ablegen der individuellen Grundfertigkeiten, so dass die unabhängig vom Stand des Beteiligungsverfahrens gesichert sei. Zwar räume das Bundesministerium der Verteidigung zutreffend ein, dass die Eilbedürftigkeit nicht begründet worden wäre. Jedoch würden auch die darüber hinaus gerügten Einwände zwischen den Beteiligten immer wieder in Streit stehen.
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Das Bundesministerium der Verteidigung hält den Antrag für zulässig und begründet. Die Weisung des Kommandos Sanitätsdienst vom 16. Dezember 2022 sei zwar gemäß § 43 Abs. 2 Satz 4 SBG als vorläufige Regelung gekennzeichnet und dem Antragsteller auch nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SBG mitgeteilt worden. Eine Begründung der Unaufschiebbarkeit der Maßnahme sei aber zumindest nicht dokumentiert und wohl unterblieben, so dass die Maßnahme den Anforderungen des § 43 Abs. 2 SBG nicht genüge.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
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1. Der Antragsteller hat lediglich den prozessualen Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gestellt, ohne einen konkreten Sachantrag zu formulieren. Sein Rechtsschutzbegehren ist daher im Lichte seines Sachvortrages auszulegen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 86 Abs. 3 VwGO). Hiernach begehrt der Antragsteller, die Verletzung seiner Beteiligungsrechte beim Erlass der Weisung vom 16. Dezember 2022 festzustellen.
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2. Der Antrag ist zulässig.
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a) Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten ist eröffnet (BVerwG, Beschluss vom 30. April 2020 – 1 WB 23.19 – PersV 2020, 423 Rn. 14 f. m. w. N.). Der Antragsteller kann im Verfahren vor den Wehrdienstgerichten die Verletzung seines Beteiligungsrechts aus § 38 Abs. 3 i. V. m. § 25 Abs. 3 SBG rügen.
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b) Das Bundesverwaltungsgericht ist sachlich zuständig. Der Antragsteller kann gemäß § 21 Abs. 1 WBO unmittelbar die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragen, denn in Rede steht die vorläufige Inkraftsetzung einer Verwaltungsvorschrift des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr, gegen die die Beschwerde beim Bundesministerium der Verteidigung einzulegen ist.
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c) Der Antragsteller ist antragsbefugt. Er kann geltend machen, dass die vorläufige Inkraftsetzung der streitgegenständlichen Regelung sein Beteiligungsrecht aus § 38 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 25 Abs. 3 Nr. 10 SBG verletzt habe, weil in Betracht kommt, dass die Regelung vor dem Abschluss des Beteiligungsverfahrens in Kraft gesetzt wurde, ohne dass die Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 SBG erfüllt waren.
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d) Der Feststellungsantrag ist statthaft (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30. August 2019 – 1 WB 27.18 – PersV 2020, 153 Rn. 22 und vom 30. April 2020 – 1 WB 23.19 – PersV 2020, 423 Rn. 18). Zwar ist mit dem Inkrafttreten der mit dem Antragsteller abgestimmten Fassung der streitgegenständlichen AR die Übergangszeit, für die die vorläufige Regelung Geltung beanspruchte, abgelaufen und damit auch insofern Erledigung eingetreten. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist deshalb sachgerecht als Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO) mit dem oben angeführten Inhalt auszulegen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 86 Abs. 3 VwGO) und als solcher zulässig.
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e) Das dafür notwendige Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass Zweck des Beschwerdeverfahrens nach § 17 SBG gerade auch die Klärung von vertretungsrechtlichen Zuständigkeiten, Befugnissen und Pflichten ist. Daher ist ein auf die Voraussetzungen einer Vorschrift, ihre Auslegung und Anwendung gerichteter Feststellungsantrag in einem gerichtlichen Antragsverfahren über Soldatenbeteiligungsrechte regelmäßig die vorrangig gegebene Antragsart. Allerdings ist eine vom Einzelfall losgelöste allgemeine Nachprüfung oder die Klärung akademischer Rechtsfragen der Wehrbeschwerdeordnung fremd. Soldatenbeteiligungsrechtliche Antragsverfahren sind deshalb nur zulässig, wenn entweder ein konkretes, bereits anhängiges Beteiligungsverfahren den Anlass setzt bzw. im Falle eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gesetzt hat oder wenn ein allgemeiner Feststellungsantrag prozessökonomisch eine Vorabklärung von Streitfragen einer Vielzahl bereits im Verwaltungs- oder Beschwerdeverfahren befindlicher, konkreter gleichgelagerter Beteiligungsverfahren ermöglicht (BVerwG, Beschluss vom 30. August 2019 – 1 WB 27.18 – NVwZ-RR 2020, 169 Rn. 22 m. w. N.).
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Das hier gegebene konkrete Anlassverfahren ist – über den Einzelfall hinaus – geeignet, die rechtlichen Anforderungen an vorläufige Regelungen im Sinne von § 43 Abs. 2 SBG weiter zu klären (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 2019 – 1 WB 27.18 – NVwZ-RR 2020, 169 Rn. 23).
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f) Die Einlegung des Rechtsmittels durch den Sprecher des Antragstellers am 19. Januar 2023 wahrt die hier mit der Bekanntgabe der vorläufigen Inkraftsetzung durch das am 23. Dezember 2022 per E-Mail übermittelte Schreiben des Generalinspekteurs laufende Monatsfrist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. März 2012 – 1 WB 29.11 – juris Rn. 17 und vom 30. April 2020 – 1 WB 55.19 – BVerwGE 168, 97 Rn. 17 f.).
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g) Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vertretung durch den Sprecher des Antragstellers entgegen. Dieser hat den – nicht als laufendes Geschäft im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 SBG zu betrachtenden – Antrag auf gerichtliche Entscheidung zwar vor Ergehen des notwendigen legitimierenden Gremienbeschlusses gestellt. Der Antragsteller macht zum einen geltend, dass ihm die fristwahrende Einlegung von Rechtsmitteln in der Geschäftsordnung des Gremiums übertragen worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2022 – 1 WB 33.21 – juris Rn. 35 ff.), was das Bundesministerium der Verteidigung nicht bestreitet. Die Prozesshandlung wurde zudem jedenfalls mit dem in der 224. Sitzung erfolgten Beschluss des Antragstellers, den Rechtsbehelf einzulegen, nachträglich genehmigt und der Mangel der vollmachtlosen Vertretung damit rückwirkend geheilt (siehe dazu BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2022 – 1 WB 33.21 – PersV 2022, 376 Rn. 40).
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3. Der Antrag ist auch begründet.
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Das Kommando Sanitätsdienst war nicht berechtigt, die streitgegenständliche Regelung vor der Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens vorläufig in Kraft zu setzen.
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a) Der Anwendungsbereich des § 38 Abs. 3 Satz 1, 3 und 4 SBG ist eröffnet.
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aa) Unter Grundsatzregelungen im Sinne des § 38 Abs. 3 SBG sind Regelungen mit allgemeingültigem Charakter zu verstehen, die das Bundesministerium der Verteidigung in Wahrnehmung seiner Aufgaben als Dienstherr oder Arbeitgeber gegenüber allen oder einer unbestimmten Anzahl von Beschäftigten erlässt und die für eine Vielzahl von Fällen gelten. Sie müssen Gestaltungswirkung haben, mithin auf eine Veränderung eines Rechtszustandes hinwirken. Die Gestaltungswirkung bzw. der Regelungscharakter fehlen, wenn die Anordnung lediglich Verwaltungsregeln erläutert, Hinweise auf die Rechtslage gibt, nur allgemeine Weisungen zur Erledigung der Dienstgeschäfte enthält oder bloße Rechtsansichten äußert bzw. bestehende dienstliche Verpflichtungen konkretisiert (BVerwG, Beschlüsse vom 30. April 2020 – 1 WB 55.19 – BVerwGE 168, 97 Rn. 28 und vom 20. März 2024 – 1 WB 4.23 – PersV 2024, 325 Rn. 24 f.). Gleiches gilt für bloß norminterpretierende Verwaltungsvorschriften (BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2022 – 1 WB 33.21 – PersV 2022, 376 Rn. 44 m. w. N.).
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Nach diesen Maßstäben steht hier unstreitig eine Grundsatzregelung im personellen Bereich in Rede, da die fragliche Bestimmung nicht lediglich gesetzliche Verpflichtungen von Soldatinnen und Soldaten wiederholt, sondern die Anforderungen an die regelmäßige Überprüfung und Feststellung ihrer physischen und psychischen Eignung für den Soldatenberuf und die jeweiligen Dienstposten regelt, indem sie die materiellen Anforderungen konkretisiert und das Verfahren einschließlich der Zuständigkeiten ausgestaltet.
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bb) Die streitgegenständlichen Erlasse betreffen inhaltlich einen Sachbereich, für den das Soldatenbeteiligungsgesetz dem Gesamtvertrauenspersonenausschuss nach § 38 Abs. 3 Satz 3 SBG ein Mitbestimmungsrecht zubilligt. Dies ist bei Grundsatzregelungen im personellen, sozialen oder organisatorischem Bereich vorgesehen, sofern das Gesetz in diesen Bereichen der Vertrauensperson ein Mitbestimmungsrecht einräumt.
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Vorliegend handelt es sich unstreitig um eine Regelung des Gesundheitsschutzes im Sinne von § 25 Abs. 3 Nr. 10 SBG, da die Überprüfung der Eignung der Vermeidung von gesundheitlichen Gefährdungen und der Verringerung von Folgeschäden dient (vgl. Nr. 102 AR A1-831/0-4007).
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cc) Der Gesamtvertrauenspersonenausschuss war nach § 38 Abs. 3 Satz 4 SBG auch zuständig, obwohl keine Maßnahme des Bundesministeriums der Verteidigung, sondern des ihm nachgeordneten Kommandos Sanitätsdienst in Rede steht. Denn Regelungsgegenstand ist die Überprüfung der gesundheitlichen Eignung aller Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
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b) Die Umsetzung der in Rede stehenden Maßnahmen war nicht deshalb vor Abschluss des Beteiligungsverfahrens zulässig, weil es sich um vorläufige Maßnahmen nach § 43 Abs. 2 SBG handelte.
31
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SBG können Dienststellen bei Maßnahmen, die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden, bis zur endgültigen Entscheidung vorläufige Regelungen treffen. Damit sind in Mitbestimmungsverfahren die durch § 43 Abs. 1 SBG vorgegebenen Verfahrensabläufe für besonders eilbedürftige Fälle modifiziert. Eine der Natur der Sache nach unaufschiebbare Maßnahme liegt vor, wenn sie trotz des noch laufenden Mitbestimmungsverfahrens und der fehlenden Zustimmung des zu beteiligenden Gremiums eine – allerdings nur vorläufige – Regelung erfordert, um die Erfüllung von Pflichten und Aufgaben der Dienststelle im öffentlichen Interesse sicherzustellen (BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1992 – 6 P 6.91 – PersV 1993, 355 <356> m. w. N.).
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Die Weisung des Kommandos Sanitätsdienst vom 16. Dezember 2022 ist zwar gemäß § 43 Abs. 2 Satz 4 SBG als vorläufige Regelung bezeichnet. Es fehlt aber unstreitig bereits an der, neben der hier erfolgten Mitteilung, erforderlichen Begründung im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SBG.
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Darüber hinaus fehlt es an der erforderlichen Eilbedürftigkeit. Vorläufige Maßnahmen sind nur aus Gründen zulässig, die eine Unaufschiebbarkeit der Maßnahme im öffentlichen Interesse rechtfertigen können. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die vorherige Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens die Erfüllung der Pflichten und Aufgaben der Streitkräfte zumindest konkret gefährdet hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2022 – 1 WB 33.21 – PersV 2022, 376 Rn. 62).
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Entsprechende Gründe sind hier weder geltend gemacht noch ersichtlich. Eine vorübergehende Aussetzung der regelmäßigen und formalisierten Überprüfungen der gesundheitlichen Eignung aller Soldaten hätte weder die Gesundheit einzelner Soldatinnen und Soldaten noch die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte gefährden können, weil Soldatinnen und Soldaten ohnehin regelmäßig truppenärztlich versorgt werden, so dass im Bedarfsfall auch unabhängig von der in Rede stehenden Prüfung präventive und kurative Maßnahmen ergriffen werden können.
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Zulässig sind ferner allein „vorläufige Regelungen“. Dies schließt jedenfalls grundsätzlich einen vorweggenommenen Vollzug der Maßnahme aus (Gronimus, Soldatenbeteiligungsrecht, Kommentierung SBG, 10. Auflage 2023, § 43 Rn. 12a). Vorläufige Regelungen sind grundsätzlich auf das zeitlich und sachlich unbedingt Notwendige zu beschränken. Auch unter den Bedingungen einer mitbestimmungsfreien vorläufigen Regelung ist bei größtmöglicher Beschleunigung ein Höchstmaß an Mitbestimmung zu ermöglichen. Beides zugleich lässt sich nur über die zeitliche Befristung vorläufiger Regelungen gewährleisten. Eine Ausnahme ist nur gerechtfertigt, wenn die beabsichtigte Maßnahme der Natur der Sache nach zeitliche Einschränkungen nicht zulässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Februar 2012 – 6 P 2.11 – juris Rn. 46 m. w. N.).
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Vorliegend ist weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass überhaupt geprüft worden wäre, ob eine vorläufige Regelung in zeitlicher Befristung und sachlicher Beschränkung das dienstliche Interesse an einer Vermeidung konkreter Gefährdungen der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte wahren könnte.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.