Beschluss des BVerwG 6. Senat vom 25.06.2024, AZ 6 B 7/24

BVerwG 6. Senat, Beschluss vom 25.06.2024, AZ 6 B 7/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:250624B6B7.24.0

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 4. Dezember 2023, Az: 7 B 23.1263, Urteil
vorgehend VG Würzburg, 25. Mai 2022, Az: W 2 K 20.1805, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Dezember 2023 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des endgültigen Nichtbestehens des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung und begehrt die Gewährung eines weiteren Wiederholungsversuchs.

2

Seit 2012 unternahm der Kläger zahlreiche Versuche, den schriftlichen Teil dieser Prüfung abzulegen, konnte aber nach einem ersten Fehlversuch zu den Wiederholungsterminen krankheitsbedingt nicht antreten oder musste die Prüfung unterbrechen. Das Prüfungsamt genehmigte jeweils den Rücktritt vom Prüfungsversuch, wies den Kläger jedoch mehrfach auf die Problematik eines Dauerleidens und die Notwendigkeit hin, einen wichtigen Grund für einen krankheitsbedingten Rücktritt von der Prüfung unverzüglich mitzuteilen und mit aussagekräftigen ärztlichen Berichten zu belegen.

3

Im Prüfungstermin Frühjahr 2020 nahm der Kläger nur am ersten Tag der schriftlichen Prüfung teil. Am zweiten Prüfungstag, dem 11. März 2020, teilte er dem Prüfungsamt mit, er befinde sich im Krankenhaus und sei daher an der Teilnahme verhindert. Er fügte eine Bescheinigung des Universitätsklinikums Würzburg über einen stationären Aufenthalt vom 10. bis 11. März 2020 bei (sog. Liegebescheinigung). Das Prüfungsamt teilte dem Kläger unter dem 24. März 2020 mit, die Liegebescheinigung sei insbesondere bei seiner Prüfungshistorie unzureichend und forderte ihn auf, bis zum 3. April 2020 entsprechende ärztliche Nachweise vorzulegen. Der Kläger teilte unter dem 2. April 2020 mit, der Zugang zum Krankenhaus sei aufgrund der Coronamaßnahmen beschränkt und Bescheinigungen könnten nur auf dem Postweg erlangt werden. Bei ihm sei bis heute noch keine Bescheinigung oder ein Entlassungsbrief angekommen. Er bat um Fristverlängerung bis zum 20. April 2020. Dies lehnte das Prüfungsamt unter Verweis auf die dem Kläger bereits erläuterten Mitwirkungspflichten ab. Am 20. April 2020 ging beim Prüfungsamt ein von der behandelnden Ärztin unterschriebener, ausführlicher Entlassungsbericht des Universitätsklinikums Würzburg ein, der auf den 11. März 2020 datiert und dem Kläger schon am gleichen Tag ausgehändigt worden war. Mit Bescheid vom 5. Mai 2020 teilte das Prüfungsamt dem Kläger mit, die schriftliche Prüfung sei mit „nicht ausreichend“ bewertet worden, unter anderem weil der Kläger dem Prüfungsamt nicht unverzüglich hinreichende Belege für die Prüfungsunfähigkeit vorgelegt habe. Es erklärte den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung für endgültig nicht bestanden. Der dagegen erhobene Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.

4

Im gerichtlichen Verfahren machte der Kläger – unter anderem – geltend, für einen wirksamen Rücktritt von der Prüfung genüge die unverzügliche Mitteilung des Verhinderungsgrundes, vorliegend die Mitteilung des Krankenhausaufenthalts am zweiten Prüfungstag. Der vom Prüfungsamt geforderte Nachweis der medizinischen Ursachen der Prüfungsunfähigkeit habe ihm nicht vorgelegen und sei ihm auch infolge der coronabedingten Beschränkungen innerhalb der gesetzten Frist nicht möglich gewesen. Einen den Anforderungen des Prüfungsamtes genügenden endgültigen Arztbericht habe er nicht erhalten. Infolge einer früheren Zurückweisung eines vorläufigen Entlassungsberichts durch das Prüfungsamt habe er davon ausgehen müssen, dass der nur vorläufige Entlassungsbericht vom 11. März 2020 nicht anerkannt werde. Die Überschreitung der vom Prüfungsamt für die unverzügliche Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung gesetzten Frist dürfe nicht mit einem Nichtbestehen sanktioniert werden.

5

Dieser Argumentation ist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nicht gefolgt und hat mit Urteil vom 4. Dezember 2023 die Berufung gegen das klageabweisende Urteil der Vorinstanz zurückgewiesen. Der Kläger habe dem Prüfungsamt die Unterbrechungsgründe nicht unverzüglich im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 ÄApprO mitgeteilt. Die Mitwirkungspflichten verlangten nicht nur, dass ein Prüfling überhaupt Gründe für den Rücktritt, die Unterbrechung oder die Säumnis unverzüglich mitteile. Vielmehr müsse er die Gründe auch unverzüglich so konkret benennen, dass das Prüfungsamt das Vorliegen eines wichtigen Grundes beurteilen könne. In Ansehung des das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatzes der Chancengleichheit gelte ein strenger Maßstab, dem das Verhalten des Klägers nicht gerecht werde. Bei der Zumutbarkeitsbeurteilung der ihm obliegenden Mitwirkungshandlungen seien auch dessen Prüfungshistorie sowie die im Raum stehende Frage eines Dauerleidens zu berücksichtigen. Deshalb habe von ihm erwartet werden können, den ihm bereits am 11. März 2020 ausgehändigten Entlassungsbericht des Universitätsklinikums unmittelbar der Prüfungsbehörde zuzuleiten. Spätestens mit der Aufforderung des Prüfungsamtes, ärztliche Nachweise im Original vorzulegen, hätte sich der Kläger dieser im eigenen Interesse obliegenden Pflicht bewusst werden müssen. Vorliegend sei ein besonders strenger Maßstab an die Unverzüglichkeit anzulegen, weil der Kläger zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs nach dem ersten Prüfungstag mit einem Misserfolg gerechnet haben dürfte. So habe er ein schematisches Ankreuzverhalten an den Tag gelegt und es bestünden auch erhebliche Zweifel daran, dass er nicht doch die Richtigkeit seiner Antworten anhand der Plattform Medi-Learn überprüft habe. Zudem liege es nahe, dass er sich mit fachlich vorgebildeten Bekannten über die Richtigkeit seiner Ergebnisse ausgetauscht habe.

6

Darüber hinaus habe der Kläger gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen, weil er die vom Prüfungsamt zur Vorlage von ärztlichen Nachweisen gesetzte Frist bis zum 3. April 2020 habe verstreichen lassen. Diese Frist sei auch unter den erschwerten Bedingungen der Coronabeschränkungen angemessen gewesen; der beantragten Verlängerung habe es nicht bedurft. Innerhalb der Frist hätte er sich mit der Prüfungsbehörde über die Eignung des ihm bereits ausgehändigten Entlassungsberichts austauschen können. Die Vorlage des Entlassungsberichts erst am 20. April 2020 und die wahrheitswidrigen Angaben über dessen Aushändigungszeitpunkt belegten vielmehr, dass der Kläger innerhalb der Frist nicht alles Zumutbare unternommen habe, den Grund für seinen Rücktritt unverzüglich mitzuteilen. Dies rechtfertige die Entscheidung, den schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung als nicht bestanden zu bewerten und ziehe ein endgültiges Nichtbestehen nach sich.

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Im Nachgang zu seinem Urteil hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. Mai 2024 einen Antrag des Klägers auf Berichtigung des Tatbestandes und mit Beschluss vom 21. Mai 2024 einen Antrag des Klägers auf Berichtigung und Ergänzung des Protokolls abgelehnt.

8

Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beschwerde des Klägers, der der Beklagte entgegentritt.

II

9

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Aus den Darlegungen in der Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung hat (1.) oder das Berufungsurteil von der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht (2.). Es liegt auch keiner der geltend gemachten Verfahrensmängel vor (3.).

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1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Juli 2016 – 6 B 35.16 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 425 Rn. 3 und vom 21. Dezember 2017 – 6 B 43.17 – Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 6 m. w. N.). Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage bundesgerichtlicher Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 2019 – 6 B 2.18 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 31 Rn. 7).

11

a. Die Beschwerde wirft zunächst folgende Fragen auf:

„Kann und darf ein Rücktritt allein wegen Unverzüglichkeit/eines ‚Verschuldens gegen sich selbst‘ zum endgültigen Nichtbestehen führen, auch wenn vom Sinn und Zweck her keine Auswirkungen auf die Chancengleichheit bestehen?

Kann und darf eine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit des Prüflings zur unverzüglichen Mitteilung zum endgültigen Nichtbestehen der Prüfung führen, auch wenn sie keine Auswirkung auf die Chancengleichheit hat?

Kann eine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit des Prüflings zur unverzüglichen Mitteilung im Sinne eines ‚Verschuldens gegen sich selbst‘ überhaupt vorliegen/vorgeworfen werden und zum endgültigen Nichtbestehen führen, wenn sie keine negativen Auswirkungen auf die Chancengleichheit haben kann?“

12

Die in drei sprachlichen Varianten gestellte Frage befasst sich im Kern damit, ob der Rücktritt von einer Prüfung auch genehmigt werden muss, wenn der Prüfungsteilnehmer bei der Mitteilung der wichtigen Gründe nach § 18 Abs. 1 ÄApprO zwar Mitwirkungsobliegenheiten verletzt, der später tatsächlich nachgewiesene wichtige Grund aber keine negativen Auswirkungen auf die Chancengleichheit aller Prüfungsteilnehmer haben kann.

13

Diese Fragestellung baut auf Voraussetzungen („[…] keine Auswirkungen auf die Chancengleichheit […]“) und damit Tatsachen auf, die der Verwaltungsgerichtshof so nicht festgestellt hat. Sind jedoch Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden, so kann die Revision im Hinblick auf diese Frage nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden (BVerwG, Beschlüsse vom 2. Februar 2011 – 6 B 37.10 – NVwZ 2011, 507, vom 24. Oktober 2022 – 6 B 15.22 – NVwZ 2023, 1344 Rn. 15 und vom 23. Mai 2023 – 6 B 33.22 – NVwZ 2023, 1427 Rn. 20).

14

Zudem ist die Frage in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, so dass ihr keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt. Der erkennende Senat hat bereits ausgeführt, dass das prüfungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG durch den Rücktritt, die Säumnis oder den Abbruch eines Prüfungsversuchs in unterschiedlicher Intensität betroffen ist. Demnach ist die Chancengleichheit der Mitprüflinge im Fall der vollständigen oder teilweisen Säumnis vor Prüfungsbeginn dann nicht berührt, wenn ein wichtiger Grund zweifelsfrei vorliegt und somit keine Gefahr besteht, dass der säumige Prüfling, der dies geltend macht, sich gleichheitswidrig gegenüber Mitprüflingen eine zusätzliche Prüfungschance zu verschaffen sucht. Dagegen liegt die Gefahr einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit im Falle des nachträglichen Rücktritts wesentlich näher, weil es auf der Hand liegt, dass ein Prüfling in Ansehung der in der konkreten Prüfung abgeforderten Leistung versucht sein kann, Unklarheiten auszunutzen und sich gleichheitswidrig durch die missbräuchliche Geltendmachung einer in Wirklichkeit nicht vorliegenden Prüfungsunfähigkeit eine zusätzliche Prüfungschance zu verschaffen. Diese Gefährdung der Chancengleichheit lässt sich dadurch verringern, dass dem Prüfungsamt eine eigene, möglichst zeitnahe Gelegenheit zur Überprüfung der Gründe gegeben wird. Voraussetzung hierfür ist, dass geltend zu machende Rücktrittsgründe dem Prüfungsamt frühzeitig bekannt werden. Die nicht unverzügliche Geltendmachung der Rücktrittsgründe könnte in einem solchen Fall kausal dafür sein, dass Beweismittel verlorengegangen oder in ihrer Bedeutung unsicher geworden sind (BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1998 – 6 C 12.98 – BVerwGE 106, 369 <374 f.>; vgl. zu dieser Differenzierung bereits BVerwG, Beschluss vom 3. Januar 1994 – 6 B 57.93 – juris Rn. 5).

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Die für die Chancengleichheit bestehende Gefahr ist daher nach der Rechtsprechung des Senats nicht konkret für den jeweils geltend gemachten wichtigen Grund, sondern abstrakt und typisierend für die jeweilige Prüfungskonstellation zu beurteilen. In der Konstellation des nachträglichen Rücktritts oder des Abbruchs einer bereits begonnenen Prüfung hat der Senat dem prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit besonders hohes Gewicht beigemessen und angesichts des verfassungsrechtlichen Gewichts einer den Zugang zum Beruf eröffnenden Prüfung für sämtliche Prüfungsteilnehmer eine strenge Auslegung der Verfahrensregeln gefordert (BVerwG, Urteile vom 7. Oktober 1988 – 7 C 8.88 – BVerwGE 80, 282 <285> und vom 13. Mai 1998 – 6 C 12.98 – BVerwGE 106, 369 <375>). Erst wenn der Rücktrittsgrund nach den am Maßstab der Zumutbarkeit ausgelegten Verfahrensregeln im Rechtssinne unverzüglich mitgeteilt und belegt ist, kann sich die zuständige Prüfungsbehörde der Frage zuwenden, ob ein wichtiger Grund tatsächlich vorliegt und ein neuer Versuch zu gewähren ist. Eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung hat regelmäßig zur Folge, dass es für den Prüfungsabschnitt oder Prüfungsteil auch dann bei der Note „ungenügend“ bleibt, wenn objektiv ein wichtiger Grund für die Säumnis vorgelegen hat (BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1998 – 6 C 12.98 – BVerwGE 106, 369 <372>).

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b. Die Beschwerde wirft zudem die folgenden Fragen auf:

„Muss die unverzügliche Mitteilung, dass man während einer Klausur im Krankenhaus war, als Mitteilung des Grundes im Sinne der ÄAppO gesehen werden?

Ist die stationäre Aufnahme in einem Krankenhaus per se ein wichtiger Grund, der die Genehmigung eines Rücktritts erfordert?

Ist eine ‚Liegebescheinigung‘ über einen Krankenhausaufenthalt ein ausreichender Nachweis/eine Bescheinigung im Sinne des § 18 ÄAppO?

Liegt ein erster Nachweis wie eine Liegebescheinigung eines Krankenhauses vor, wirken erweiterte Unterlagen oder Atteste, die den Grund verifizieren und ergänzen, auf den Vorlagezeitpunkt des ersten Nachweises zurück?“

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Auch diese Fragen lassen sich auf der Grundlage der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Senats ohne Weiteres dahingehend beantworten, dass die bloße Mitteilung der faktischen Verhinderung (hier der Krankenhausaufenthalt im Zeitpunkt der Prüfung) ohne Beifügung der für die Beurteilung des wichtigen Grundes erforderlichen Nachweise im Falle des Abbruchs einer bereits begonnenen Prüfung nicht genügt und durch einen späteren, nicht mehr unverzüglichen Nachweis eines wichtigen Grundes nicht geheilt werden kann.

18

c. Schließlich wirft die Beschwerde nachfolgende Frage auf:

„Darf die Prüfungsbehörde bei der Bewertung des wichtigen Grundes eines Rücktritts und der Unverzüglichkeit, die Anzahl der vergangenen Rücktritte in den Sachverhalt und dessen Würdigung einbeziehen?“

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Sie erläutert dazu, augenscheinlich sei die Anzahl der vom Kläger bereits absolvierten Prüfungsversuche und Rücktritte in die Entscheidung der Prüfungsbehörde und der Vorgerichte mit eingeflossen, obwohl dies im Lichte des Art. 12 GG keine Rolle spielen dürfe.

20

Diese Frage ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung dahingehend geklärt, dass – entgegen der Annahme der Beschwerde – die Berücksichtigung der Prüfungshistorie eines Kandidaten bei der behördlichen und gerichtlichen Sachverhaltswürdigung nicht von vornherein als illegitim ausscheidet. Denn sowohl im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines wichtigen Grundes als auch mit einer Unverzüglichkeit der Mitteilung sind Sachverhaltsgestaltungen denkbar, für die die Prüfungshistorie des Prüfungsteilnehmers von Bedeutung sein kann. Insbesondere sind die einem Prüfungsteilnehmer auferlegten Obliegenheiten nicht abstrakt, sondern anhand der Besonderheiten des konkreten Falls zu beurteilen. So kann die Prüfungshistorie im Einzelfall Grundlage für besondere Sorgfaltsanforderungen an den Prüfling sein (vgl. die Fallgestaltung in BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1993 – 6 C 28.92 – juris), es können sich aus dem Prüfungsrechtsverhältnis unter dem Gesichtspunkt des gebotenen Grundrechtsschutzes durch Verfahren für die Prüfungsbehörde dem Prüfling gegenüber Hinweispflichten ergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2004 – 6 B 2.04 – juris) oder die Prüfungshistorie bietet Anhalte dafür, der Frage näher nachzugehen, ob der Rücktritt die Folge von Prüfungsstress, einer Examenspsychose oder eines Dauerleidens sein könnte (vgl. Beschluss vom 27. September 2022 – 6 B 20.22 – juris).

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2. Zur geltend gemachten Divergenz trägt die Beschwerde vor, das Berufungsurteil verstoße gegen die in der Entscheidung zitierten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 1998 – 6 C 12.98 – und vom 7. Oktober 1988 – 7 C 8.88 -. Es gebe die in diesen Entscheidungen gebildeten Obersätze zur Verletzung einer Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung der Rücktrittsgründe, dem Konnex zur Chancengleichheit und die im Lichte des Art. 12 GG zu betrachtende Zumutbarkeit einer im Prüfungsverfahren obliegenden Mitwirkung zwar zutreffend wieder. Die Anwendung dieser Obersätze im Falle des Klägers belege aber, dass das Berufungsgericht trotzdem einen anderen Rechtssatz oder Maßstab im Sinne einer sogenannten versteckten Divergenz zugrunde gelegt habe. Insbesondere fordere das Berufungsurteil nicht nur eine unverzügliche Mitteilung der Gründe des Rücktritts, sondern auch einen unverzüglichen oder jedenfalls fristgerechten Nachweis durch Vorlage sämtlicher für die Überprüfung der Gründe in Betracht kommender Unterlagen, ohne zu prüfen, ob sich die spätere Vorlage noch auf die Chancengleichheit auswirken könne oder die Prüfungsbehörde die Dokumente ohnehin als unzureichend zurückgewiesen hätte. Damit unterlasse es die im Urteil vom 7. Oktober 1988 – 7 C 8.88 – geforderte Prüfung, ob die Verletzung einer prüfungsrechtlichen Nebenpflicht Auswirkung auf die Chancengleichheit gehabt habe oder die Sanktion des Nichtbestehens die im Urteil vom 13. Mai 1998 – 6 C 12.98 – aufgezeigten Schranken aus Art. 12 Abs. 1 GG überschreite. Das Berufungsurteil stelle daher den abweichenden Rechtssatz auf, die verspätete Vorlage eines Nachweises rechtfertige stets das endgültige Nichtbestehen, unabhängig von einem Verstoß gegen die Chancengleichheit oder der Zumutbarkeit der geforderten Mitwirkungshandlung. Zudem rügt die Beschwerde, das Berufungsurteil verkenne die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 27. September 2022 – 6 B 20.22 – unter der Randnummer 17 aus dem Gedanken des Grundrechtsschutzes durch Verfahren entwickelten bzw. bestätigten Hinweispflichten der Prüfungsbehörde gegenüber dem Prüfling. Auch diese Rechtsprechung greife das Urteil bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der dem Kläger auferlegten Mitwirkungsobliegenheit nicht auf und berücksichtige insbesondere nicht, dass der Kläger infolge der früher erteilten Hinweise der Prüfungsbehörde davon ausgehen musste, dass ein nicht gestempeltes und vorläufiges Schriftstück, bei dem es sich nicht um ein Original handle, deren Anforderungen nicht erfüllen werde. Auch diese Würdigung lasse eine versteckte Divergenz zu den nach der genannten Entscheidung zu berücksichtigenden Hinweis- und Fürsorgepflichten erkennen.

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a. Dem Berufungsurteil lässt sich weder ausdrücklich noch sinngemäß ein abweichender abstrakter Rechtssatz zu den von der Beschwerde genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 1998 – 6 C 12.98 – und vom 7. Oktober 1988 – 7 C 8.88 – entnehmen. Die vom Kläger unter Verweis auf diese, bereits unter (1.) dargestellten Urteile eingeforderte Betrachtung, ob der nachgewiesene Grund in der Konstellation des Abbruchs eines bereits angetretenen Prüfungsversuchs konkret und im Einzelfall die Chancengleichheit der anderen Prüfungsteilnehmer verletzt hat, ergibt sich aus dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht, auch nicht impliziert.

23

b. Soweit die Beschwerde die im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG zu betrachtende Zumutbarkeit der dem Kläger auferlegten Mitwirkungspflicht und die dazu im Berufungsurteil für den konkreten Fall angestellten Erwägungen in Frage stellt, lässt sich damit eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründen. Der Zulassungsgrund der Divergenz erfordert die Darlegung eines prinzipiellen Auffassungsunterschieds über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712 <713>). Dies lässt sich mit der Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder ein anderes divergenzfähiges Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 – 6 B 39.94 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).

24

c. Gleichfalls auf der Rechtsanwendungsebene verbleibt die Rüge, das Berufungsurteil verkenne die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 27. September 2022 – 6 B 20.22 – aus dem Gedanken des Grundrechtsschutzes durch Verfahren entwickelten bzw. bestätigten Hinweispflichten der Prüfungsbehörde gegenüber dem Prüfling. Wie die von der Behörde erteilten Hinweise aus Sicht des Klägers zu verstehen waren oder welche hinreichend klaren und bestimmten Hinweise die Prüfungsbehörde dem Kläger hinsichtlich der Nachweise konkret hätte erteilen müssen, ist durch die angeführte Rechtsprechung nicht vorgezeichnet, sondern Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall.

25

3. Die Beschwerde macht Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend, weil das Berufungsgericht seiner Entscheidung unter Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) einen falschen oder nicht belegten Sachverhalt zugrunde gelegt habe und unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) ohne vertiefte Erörterung in der mündlichen Verhandlung und hinreichende Befassung mit dem Vortrag des Klägers im Urteil eine Überraschungsentscheidung getroffen habe.

26

a. Die Beschwerde trägt vor, das Gericht lege seinem Urteil auf Seite 12 f. zugrunde, dass der Kläger ursprünglich vorgetragen habe, er habe den Entlassungsbericht vom 11. März 2020 erst nach dem 13. April 2020 erhalten, und unterstelle ihm daher auf Seite 17 f. eine vorsätzlich wahrheitswidrige Angabe über den Zeitpunkt des Erhalts. Dafür könne sich das Gericht weder auf den Vortrag des Klägers noch auf die Aktenlage stützen. Sofern der Kläger oder seine Bevollmächtigten von einem Entlassungsbrief gesprochen hätten, sei der endgültige Bericht gemeint gewesen und nicht das „vorläufig ungestempelte Dokument, das nicht von allen Ärzten abgezeichnet wurde und im Umlauf als offizielles ärztliches Dokument am Ende freigegeben wird“. Der Kläger habe stets vorgetragen, dass ihm ein finalisierter Arztbrief, der auch vom Direktor der Klinik und einem Oberarzt zu unterschreiben gewesen wäre, bis heute nicht vorliege, er aber den vorläufigen Entlassungsbrief vom 11. März 2020 bereits am 11. März 2020 ausgehändigt bekommen habe.

27

Mit diesem Vorbringen wird eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nicht aufgezeigt. Zwar kann die Rüge, das Gericht habe den Sachverhalt objektiv willkürlich oder aktenwidrig festgestellt, einen Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ansprechen, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein offensichtlicher, keiner weiteren Beweiserhebung bedürftiger zweifelsfreier Widerspruch vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 6 B 148.18 – juris Rn. 10 m. w. N.). An einer solchen Aktenwidrigkeit fehlt es vorliegend aber. Das Berufungsgericht kann sich für seine Feststellung, der Kläger habe ursprünglich angegeben, den Entlassungsbericht vom 11. März 2020 an diesem Tag noch nicht erhalten zu haben, auf die in der Behördenakte befindliche E-Mail des Klägers vom 2. April 2020 und den klägerischen Vortrag im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 1. April 2021 stützen. Denn der Kläger hatte gegenüber der Prüfungsbehörde und im gerichtlichen Verfahren zunächst vorgetragen, außer der Liegebescheinigung hätten ihm am 11. März 2020 keine weiteren Unterlagen vorgelegen. Die Würdigung des Tatsachengerichts, darin liege ein Widerspruch zur späteren Einlassung, dem Kläger sei der Entlassungsbericht bereits am 11. März 2020 ausgehändigt worden, ist auch in Ansehung der von der Beschwerde reklamierten Unterscheidung zwischen vorläufigem und endgültigem Entlassungsbericht nachvollziehbar und verletzt nicht ansatzweise den Grundsatz der freien Beweiswürdigung.

28

b. Die Beschwerde macht zudem geltend, das Berufungsgericht habe entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers außer Acht gelassen und daher den Sachverhalt unter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht hinreichend aufgeklärt. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dem Kläger habe es auf der Grundlage der von der Prüfungsbehörde erteilten Hinweise oblegen, den vorläufigen Entlassungsbericht vom 11. März 2020 unverzüglich oder innerhalb der gesetzten Frist beim Prüfungsamt vorzulegen, sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Auch hier trage der Akteninhalt die Annahmen des Gerichts nicht. Zudem verkenne das Berufungsgericht, dass der Kläger infolge eines früheren Schreibens des Prüfungsamtes vom 18. April 2019 und einer E-Mail vom 11. September 2018 davon habe ausgehen dürfen, dass die Behörde dieses vorläufige Dokument nicht akzeptieren werde. Die Prüfungsbehörde habe damals nicht lediglich dem konkreten, sondern grundsätzlich jedem vorläufigen Entlassungsbericht die Eignung zum Nachweis eines Rücktrittgrundes abgesprochen und ungestempelte Unterlagen, die nicht im Original vorgelegt würden, als nicht akzeptabel bezeichnet. Diese Einschätzung habe der zuständige Mitarbeiter in einem Telefonat innerhalb der dem Kläger gesetzten Frist bis zum 3. April 2020 wiederholt. Der Kläger habe in der Berufungsverhandlung jene E-Mail des Prüfungsamtes vom 11. September 2018 vorgelegt. Für das Telefonat und seinen Inhalt könne er zwei Zeugen benennen. Diese Ausführungen habe das Berufungsgericht aber nicht zu den Akten genommen mit der Behauptung, es sei nicht relevant. Jedenfalls habe der Verwaltungsgerichtshof gänzlich außer Acht gelassen, dass sich aus dem Prüfungsrechtsverhältnis unter dem Gesichtspunkt des gebotenen Grundrechtsschutzes durch Verfahren für die Prüfungsbehörde dem Prüfling gegenüber Hinweispflichten ergäben.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es in der prozessrechtlich vorgesehenen Kompetenzverteilung zwischen Tatrichter und Revisionsinstanz Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung die Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Dazu hat es den Akteninhalt und andere Beweismittel auszuwerten, die Glaubwürdigkeit gegebenenfalls einvernommener Personen zu würdigen und die Aussagekraft von Indizien zu gewichten. Der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO niedergelegte Grundsatz der freien Beweiswürdigung eröffnet dem Tatrichter dafür einen Wertungsrahmen und beschränkt zugleich die revisionsgerichtliche Kontrolle der Tatsachenfeststellung, denn die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 – 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271 <272>; Beschlüsse vom 14. Juli 2010 – 10 B 7.10 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4 und vom 31. März 2021 – 6 B 55.20 – juris Rn. 4 jeweils m. w. N.). Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts ist deshalb vom Revisionsgericht nicht daraufhin zu überprüfen, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung zu tragen (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Juni 2015 – 6 B 59.14 – Buchholz 442.066 § 55 TKG Nr. 11 Rn. 53 und vom 7. Februar 2017 – 6 B 30.16 – juris Rn. 10). Die Einhaltung der sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Verpflichtungen des Tatrichters ist daher nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will als das Tatsachengericht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 2024 – 6 B 63.23 – juris Rn. 8 m. w. N.).

30

Die Frage, welche Mitwirkungspflichten dem Kläger konkret von der Prüfungsbehörde auferlegt worden sind und ob eine unverzügliche oder fristgerechte Übermittlung des vorläufigen Entlassungsberichts vom 11. März 2020 geeignet gewesen wäre, diese zu erfüllen, war auf der Grundlage dieser Rechtsprechung durch das Tatsachengericht zu prüfen. Mit seiner – von der Auffassung des Klägers abweichenden – Würdigung des Akteninhalts und der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten E-Mail vom 11. September 2018 hat das Berufungsgericht den ihm zustehenden Wertungsrahmen verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft, insbesondere keine objektiv willkürlichen oder aktenwidrigen Feststellungen zu den Aussagen der Prüfungsbehörde getroffen. Aus dem Verfahrensrecht ergibt sich auch nicht, dass das Berufungsgericht auf der Grundlage der jetzt berichteten Beweisanregung des Klägers in der mündlichen Verhandlung der Frage nach dem Inhalt des Telefonats hätte weiter nachgehen müssen. Denn der Vortrag des Klägers zu einem Telefongespräch mit einem den vorliegenden E-Mails vergleichbaren Inhalt zielte lediglich darauf, die von ihm angestrebte Interpretation der Aussagen des Prüfungsamtes zu den Anforderungen an Authentizität und Aussagekraft von vorgelegten Nachweisen plausibel zu machen. Dagegen trägt auch die Beschwerde nicht vor, dass der Kläger dem Prüfungsamt in dem angeblichen Telefonat – wie vom Berufungsgericht gefordert – den ganz konkret in Rede stehenden Entlassungsbericht vom 11. März 2020 angeboten hätte und gerade dieser vom Prüfungsamt wegen einer vermeintlichen Vorläufigkeit, mangelnder Stempelung oder fehlender Aussagekraft zur Ursache des Krankenhausaufenthalts zurückgewiesen worden wäre.

31

Dagegen ist die Frage, ob dem Kläger auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts die Vorlage des Entlassungsberichts vom 11. März 2020 in der ihm vorliegenden vorläufigen Form unverzüglich oder innerhalb der gesetzten Frist oblegen hat, eine Frage des sachlichen Rechts. Dies gilt auch für die Frage, ob die Prüfungsbehörde eine aus dem Grundrechtsschutz durch Verfahren ableitbare Hinweispflicht verletzt haben könnte. Dazu hat sich das Berufungsgericht die Rechtsauffassung gebildet, dass es dem Kläger bei Berücksichtigung seiner Prüfungshistorie und der ihm über die Jahre und konkret im Zeitraum nach der Prüfung erteilten Hinweise zumutbar gewesen wäre, den Entlassungsbericht vom 11. März 2020 unverzüglich oder jedenfalls innerhalb der ihm gesetzten Frist der Prüfungsbehörde vorzulegen und deren Eignung zum Nachweis des wichtigen Grundes zu erfragen (UA S. 12 Rn. 27). Die Überprüfung der Richtigkeit dieser Rechtsauffassung kann im Wege der Verfahrensrüge nicht erreicht werden.

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c. Die Beschwerde rügt zudem das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung. Der Verwaltungsgerichtshof habe zum Thema vorläufiger Entlassungsbericht oder zur Frage, welche Dokumente wann und wie vorgelegen hätten, keine Fragen gestellt. Vielmehr habe er bereits im Verfahren über die Zulassung der Berufung in einem Schreiben vom 10. Mai 2023 ganz andere Fragen diskutiert und nach der Zulassung im Berufungsverfahren eine umfangreiche Beweisaufnahme zu den Geschehnissen am Nachmittag und Abend des 10. März 2020 durchgeführt. Dass sich das Berufungsurteil dann tragend auf die – in den Augen des Klägers unzumutbare – verspätete Übermittlung des vorläufigen Entlassungsberichts stütze, verletze den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Angesichts der Wirkungen, die die Feststellung des endgültigen Nichtbestehens für die Berufswahl des Klägers habe, seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vorliegenden Streitfall besonders hohe Anforderungen an das Maß der Erörterungspflicht des Gerichts und die Befassung mit dem klägerischen Vortrag im Urteil zu stellen. Das Urteil gehe aber auf den Kernvortrag des Klägers, er habe nach den Aussagen des Prüfungsamtes nicht damit rechnen müssen, dass er den Entlassungsbericht vom 11. März 2020 unverzüglich vorzulegen habe, nicht ein. Für eine wirkungsvolle gerichtliche Kontrolle im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG wäre es aber geboten, dass sich das Gericht mit dem konkreten Vorbringen des Klägers auch tatsächlich umfassend auseinandersetze.

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Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gewährleistet jedem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, zu dem gesamten Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Das Gericht darf bei seiner Entscheidung nur solche Teile des Prozessstoffes berücksichtigen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Dies setzt deren Kenntnis vom Prozessstoff voraus (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Februar 1994 – 1 BvR 765, 766/89 – BVerfGE 89, 381 <392> und vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – BVerfGE 101, 106 <129>). Das Gericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Beteiligten mitzuteilen, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte es für entscheidungserheblich hält und welche Rechtsauffassungen es seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenkt (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 <144 f.>; Urteil vom 14. Juli 1998 – 1 BvR 1640/97 – BVerfGE 98, 218 <263>). Allerdings darf das Gericht seine Entscheidung nicht auf einen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein sorgfältiger Verfahrensbeteiligter nicht zu rechnen brauchte. Im Anwaltsprozess ist Maßstab der gewissenhafte und kundige Prozessbevollmächtigte, der die vertretbaren Auffassungen in den Blick nimmt (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188 <190> und vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 <144 f.>; Urteil vom 14. Juli 1998 – 1 BvR 1640/97 – BVerfGE 98, 218 <263>).

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Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung liegen die Voraussetzungen einer unzulässigen Überraschungsentscheidung oder eines Gehörsverstoßes in Form des Übergehens wesentlichen Sachvortrags nicht vor. Wie die Beschwerde selbst berichtet, hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ungeachtet der Entwicklung des Prozessgeschehens zur Frage der Geeignetheit des Entlassungsberichts vom 11. März 2020 und der Zumutbarkeit einer Vorlage bei der Prüfungsbehörde vorgetragen und Beweisanregungen unterbreitet. Ein solcher Vortrag war von einem kundigen Prozessbevollmächtigten auch zu erwarten, nachdem diese Fragen bereits im behördlichen Verfahren und im erstinstanzlichen Urteil in Rede standen. Die Beschwerde schildert zugleich, dass sich das Berufungsgericht auf eine Erörterung der Relevanz dieses Vortrages in der mündlichen Verhandlung eingelassen hat. Dies ist auch auf Seite 10 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2023 dokumentiert. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, an welchem zusätzlichen Vortrag oder an welchem prozessualen Vorgehen sich der Kläger durch die Verfahrensgestaltung des Verwaltungsgerichtshofs gehindert gesehen haben könnte. Allein der Umstand, dass das Berufungsurteil dem Vorbringen des Klägers zur Unzumutbarkeit der Vorlage des Entlassungsberichts vom 11. März 2020 nicht gefolgt ist, vermag weder einen Gehörsverstoß noch eine Verletzung der gerichtlichen Erörterungspflicht zu begründen. Nicht zuletzt hat dieser Vortrag in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils auch seinen Niederschlag gefunden (UA S. 12 Rn. 27).

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d. Schließlich macht die Beschwerde geltend, das Urteil stütze sich hinsichtlich weiterer Sachverhaltselemente auf bloße Mutmaßungen, für die es an einer verfahrensfehlerfrei festgestellten ausreichenden Tatsachengrundlage fehle. So nehme es eine vermeintliche Abfrage der Prüfungsergebnisse auf der Plattform Medi-Learn am 10. März 2020 an, die sich weder aus den Akten noch aus Zeugenaussagen ergebe und der Gegenstand eines Tatbestands- und Protokollberichtigungsantrags sei. Auf Seite 13 f. seines Urteils äußere das Gericht Zweifel an der Einlassung des Klägers, er habe am Nachmittag des ersten Prüfungstages nicht die Richtigkeit seiner auf dem Prüfungsbogen gekennzeichneten Antworten mit den auf der Plattform auffindbaren Ergebnissen überprüft. Vielmehr stelle das Gericht die nicht belegte Mutmaßung auf, der Kläger habe dort tatsächlich Einsicht genommen, um seine Erfolgsaussichten bei Fortsetzung der Prüfung abschätzen zu können. Auch für die auf Seite 15 f. des Urteils angenommene, aber vermeintlich unterlassene Möglichkeit des Klägers, sich zwischen dem 11. und 16. März 2020 um aussagekräftige Bescheinigungen zu bemühen, fehle es an einer belastbaren Grundlage, zumal der Kläger stets darauf hingewiesen habe, dass er sich nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus durchweg und mehrfach vergeblich bemüht habe, einen endgültigen oder finalisierten Arztbrief zu erhalten.

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Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Gegen diese Pflicht verstößt es, wenn es seiner Entscheidung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde legt. Das Gericht darf sich nicht auf tatsächliche Feststellungen stützen, für die es nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens keine Grundlage gibt, und Umstände, auf deren Vorliegen es nach seiner Rechtsauffassung für die Entscheidung ankommt, nicht ungeprüft behaupten. Es verstößt gegen den Überzeugungsgrundsatz, wenn es bei seiner Überzeugungsbildung von einer Sachverhaltsunterstellung ausgeht, die nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen wird, und seine Überzeugung nicht auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. März 2017 – 6 B 51.16 – juris Rn. 5 und vom 27. Februar 2020 – 9 BN 3.19 – juris Rn. 4 jeweils m. w. N.).

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Der Beschwerde ist zwar zuzugeben, dass das Berufungsgericht zur Frage, ob der Kläger – entgegen seiner Äußerung in der mündlichen Verhandlung – am Nachmittag des 10. März 2020 die Richtigkeit seiner Antworten auf der Plattform Medi-Learn tatsächlich abgefragt hat, den Sachverhalt nicht näher aufgeklärt hat. Allerdings ergibt sich aus der unter Randnummer 28 des Urteils gewählten Formulierung, dass es dem Gericht für seine Entscheidung nicht auf den Umstand ankam, ob der Kläger tatsächlich eine Kontrolle auf Medi-Learn durchgeführt hat. Vielmehr sollte mit den nachfolgenden Ausführungen unter Randnummer 29 lediglich illustriert werden, dass die potentielle Kontrollmöglichkeit eine Gefahr für die Chancengleichheit sämtlicher Prüfungsteilnehmer darstelle, die es rechtfertige, einen besonders strengen Maßstab an die Unverzüglichkeit anzulegen. Die Mutmaßung des Gerichts über den konkreten Ablauf des Nachmittages des ersten Prüfungstages bezieht sich gerade nicht auf einen Umstand, der für das die Entscheidung tragende Argument, der Kläger habe mit der nicht unverzüglichen, jedenfalls aber nicht fristgerechten Vorlage des Entlassungsberichts vom 11. März 2020 seine Mitwirkungsobliegenheit verletzt, Bedeutung hatte.

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Wie bereits erläutert (3. b.), kann die Frage einer Zumutbarkeit der vom Kläger geforderten Mitwirkungshandlungen (hier: die vom Gericht nur hilfsweise erwogene Pflicht, sich bei Zweifeln über die Eignung des Entlassungsberichts um eine aussagefähigere Bescheinigung zu bemühen), als Frage des sachlichen Rechts nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden.

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 36.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

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