BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 11.06.2024, AZ 9 B 7/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:110624B9B7.24.0
Leitsatz
Die Beschwerdebegründungsfrist nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO steht als nicht verlängerbare Ausschlussfrist mit der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG im Einklang.
Verfahrensgang
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 30. November 2023, Az: 20 B 22.2100, Urteil
vorgehend VG München, 27. Januar 2022, Az: M 10 K 20.783, Urteil
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. November 2023 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4 532,34 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Beschwerde ist unzulässig.
2
1. Sie ist nicht gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils begründet worden.
3
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. November 2023 wurde dem Kläger am 13. Dezember 2023 zugestellt. Die Beschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten endete daher mit Ablauf des 13. Februar 2024. Die Beschwerdebegründung ist erst nach diesem Zeitpunkt am 5. März 2024 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen.
4
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerdebegründungsfrist auch zu Recht nicht auf Grund des erst um 18.53 Uhr dort eingegangenen Antrags des Klägers vom 13. Februar 2024 verlängert. Gesetzliche Fristen können nach § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 224 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO nur in den besonders bestimmten Fällen verlängert werden. Die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO gehört jedoch nicht zu den gesetzlichen Fristen, für die eine solche Verlängerungsmöglichkeit besonders bestimmt ist. Es handelt sich vielmehr um eine nicht verlängerbare gesetzliche Ausschlussfrist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 22. Januar 2002 – 5 B 105.01 – juris Rn. 1 m. w. N. und vom 9. Oktober 2020 – 6 B 51.20 – juris Rn. 20). Darauf hat der Verwaltungsgerichtshof den Kläger mit Schreiben vom 14. Februar 2024 zutreffend hingewiesen.
5
3. Die fehlende Verlängerungsmöglichkeit verletzt auch weder Art. 19 Abs. 4 noch Art. 103 und 104 GG.
6
a) Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährt zwar keinen Anspruch auf die Errichtung eines Instanzenzugs. Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen oder gibt das Prozessrecht wie im Falle der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 133 VwGO den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 27).
7
Mit diesen Anforderungen steht die nicht verlängerbare Beschwerdebegründungsfrist nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO im Einklang. Sie erschwert die Möglichkeit, die Zulassung der Revision zu erstreiten, nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise. Der Gesetzgeber kann im Interesse der Rechtssicherheit, der Verfahrensbeschleunigung und der Vermeidung einer Überlastung der Gerichte Fristenregelungen treffen (BVerfG, Beschluss vom 2. März 1993 – 1 BvR 249/92 – BVerfGE 88, 118 <124>). Die Beschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils reicht zur Darlegung der Zulassungsgründe regelmäßig aus und erscheint deshalb angemessen. Dies gilt umso mehr, als nach § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn der Beschwerdeführer ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten, wobei der Antrag bei Versäumung der Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO abweichend von § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwGO nicht binnen zwei Wochen, sondern innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen ist.
8
b) Die fehlende Verlängerungsmöglichkeit verletzt auch nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
9
Während die Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG den Zugang zum Verfahren sichert, zielt Art. 103 Abs. 1 GG auf einen angemessenen Ablauf des Verfahrens. Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substantiell ankommen, also wirklich gehört werden (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395 <409>). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt dabei allerdings keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder des materiellen Rechts unberücksichtigt lassen (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1621/94 – BVerfGE 96, 205 <216>).
10
Dies zugrunde gelegt, verstößt die Ausschlussfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Sie stellt eine Zulässigkeitsvoraussetzung dar, die den Zugang zum Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde in mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbarer Weise beschränkt. Wird die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist als unzulässig verworfen, bleibt das verspätete Beschwerdevorbringen daher im Einklang mit Art. 103 Abs. 1 GG aus Gründen des formellen Rechts unberücksichtigt.
11
c) Die vom Kläger zitierten Art. 103 Abs. 2 und 3 und Art. 104 GG, die das Straf- und Strafverfahrensrecht und Beschränkungen der Freiheit der Person betreffen, werden durch die Beschwerdebegründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO im vorliegenden Fall, in dem es um Herstellungsbeiträge für eine Wasserversorgungsanlage geht, nicht berührt.
12
4. Dem Kläger ist auch weder auf Antrag nach § 60 Abs. 1 VwGO noch von Amts wegen nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden verhindert gewesen wäre, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten.
13
a) Einen ausdrücklichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Kläger nicht gestellt. Soweit ein solcher Antrag im Hinweis des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 23. Mai 2024 zu sehen sein sollte, dass mangels Rücksprachemöglichkeit mit dem Kläger wegen dessen massiver Erkrankung eine fristgerechte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht möglich gewesen sein dürfte, rechtfertigt dies die Wiedereinsetzung nicht. Denn es ist zum einen nicht ersichtlich, dass der Klägerbevollmächtigte durch die Erkrankung des Klägers an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist verhindert gewesen wäre. Zum anderen wäre der Wiedereinsetzungsantrag nicht fristgerecht gestellt worden.
14
aa) Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass vor Einreichung der Beschwerdebegründung eine Rücksprache des Klägerbevollmächtigten mit dem Kläger erforderlich gewesen wäre. Der Klägerbevollmächtigte hat den Kläger bereits im Berufungsverfahren vertreten und hätte deshalb über alle für die Darlegung der Zulassungsgründe nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO notwendigen Informationen verfügen müssen.
15
Außerdem lässt sich den Schriftsätzen des Klägerbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren nicht entnehmen, dass eine Rücksprache mit dem Kläger wegen dessen Gesundheitszustands bereits während des Laufs der Beschwerdebegründungsfrist nicht möglich gewesen wäre. Der Klägerbevollmächtigte hat seinen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist vom 13. Februar 2024 nicht auf eine Erkrankung des Klägers, sondern auf seine eigene zeitweise Arbeitsunfähigkeit sowie Erkrankungen in seiner nächsten Familie gestützt. Erst den mehr als zwei Monate später mit Schriftsatz vom 22. April 2024 gestellten Antrag auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zum Hinweisschreiben des Berichterstatters vom 19. März 2024 hat er mit der fehlenden Rücksprachemöglichkeit wegen einer schweren Erkrankung des Klägers begründet.
16
Auch in der Zeit zwischen beiden Fristverlängerungsanträgen war der Klägerbevollmächtigte offenbar nicht durch eine fehlende Rücksprachemöglichkeit an einer Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gehindert. Denn die Beschwerdebegründung erfolgte mit Schriftsatz vom 5. März 2024. Schließlich hat der Klägerbevollmächtigte auch im Schriftsatz vom 23. Mai 2024, der nach Rücksprache mit dem Kläger die Beschwerdebegründung vom 5. März 2024 wörtlich wiederholt, nicht ausdrücklich vorgetragen, dass eine fristgerechte Begründung tatsächlich nicht möglich gewesen sei. Vielmehr hat er sich auf den Hinweis beschränkt, dass mangels Rücksprachemöglichkeit mit dem Kläger eine fristgerechte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde „nicht möglich gewesen sein dürfte“.
17
bb) Im Übrigen wäre der etwaige, auf die Erkrankung des Klägers gestützte Wiedereinsetzungsantrag vom 23. Mai 2024 nicht fristgerecht beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen. Denn der Antrag auf Wiedereinsetzung ist bei Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Da das Hindernis spätestens mit der tatsächlichen Einreichung der Beschwerdebegründung am 5. März 2024 entfallen war, endete die Wiedereinsetzungsfrist jedenfalls mit dem Ablauf des 5. April 2024.
18
b) Dem Kläger ist auch nicht nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
19
Soweit der Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist vom 13. Februar 2024 damit begründet ist, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers während der laufenden Begründungsfrist längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und auch in der Folge wegen Krankheitsfällen in der nächsten Familie nur eingeschränkt habe arbeiten können, so dass die Beschwerdebegründung binnen laufender Frist nicht habe erstellt werden können, lässt dies nicht erkennen, dass der Kläger ohne Verschulden an der fristgerechten Beschwerdebegründung gehindert gewesen wäre.
20
Zwar kann die plötzliche Erkrankung eines als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten oder eine familiäre Notlage grundsätzlich als unverschuldeter Hinderungsgrund für die Einhaltung einer Frist anzusehen sein (BVerwG, Beschluss vom 29. November 2023 – 6 B 10.23 – juris Rn. 16). Von einer unverschuldeten Fristversäumnis kann hier jedoch gleichwohl nicht ausgegangen werden.
21
Der Klägerbevollmächtigte, dessen Verschulden der Kläger sich nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, kann die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nicht durch fehlende Rechtskenntnis entschuldigen. Als Rechtsanwalt musste er vielmehr wissen, dass es sich bei dieser Frist um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist handelte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2022 – 6 B 1.22 – juris Rn. 10). Er hätte daher, statt eine Fristverlängerung zu beantragen, mit der wenn auch beschränkten Arbeitszeit, die ihm nach seinem eigenen Vortrag während des Fristlaufs verblieb, die Beschwerdebegründung vorrangig fertigen müssen. Dass ihm dies in der verbleibenden Zeit nicht möglich gewesen wäre, ist angesichts der fehlenden zeitlichen Angaben und Ausführungen dazu, welche anderen nicht verlängerbaren Fristen gleichzeitig vorrangig zu beachten gewesen wären, nicht ersichtlich.
22
Hinzu kommt, dass ein Einzelanwalt verpflichtet ist, schon vor Eintritt eines Vertretungsfalles zumutbare Maßnahmen wie zum Beispiel die Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen zu ergreifen, die sicherstellen, dass bei einem unerwarteten Ausfall etwa infolge Erkrankung oder Unfalls unaufschiebbare Prozesshandlungen vorgenommen werden können (BVerwG, Beschluss vom 29. November 2023 – 6 B 10.23 – juris Rn. 16 m. w. N.). Dass er derartige organisatorische Vorkehrungen gegen eine Fristversäumnis getroffen hätte, hat der Klägerbevollmächtigte nicht vorgetragen.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.