BVerwG 11. Senat, Urteil vom 14.02.2024, AZ 11 A 8/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:140224U11A8.23.0
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen eine Anordnung zur Duldung von Vorarbeiten für die Planung einer Höchstspannungsleitung.
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Er ist Eigentümer der landwirtschaftlich genutzten Flurstücke X und Y der Gemarkung Z im Gebiet der Stadt N. Die Grundstücke liegen im von der Bundesnetzagentur festgelegten Trassenkorridor für die Bundesbedarfsplanvorhaben Nr. 3 und Nr. 4 (Brunsbüttel – Großgartach und Wilster – Bergrheinfeld/West „SuedLink“). Die T. GmbH (Vorhabenträgerin) beabsichtigte, auf den klägerischen Grundstücken Baugrunduntersuchungen durchzuführen. Die A. GmbH wandte sich unter Hinweis auf ihre Beauftragung durch die Vorhabenträgerin erstmals mit Schreiben vom 8. April 2021 an den Kläger und erläuterte die vorgesehenen Maßnahmen. In der Folgezeit wurde der Kläger unter nochmaliger Erläuterung der vorgesehenen Maßnahmen mehrfach kontaktiert.
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Mit Schreiben vom 29. September 2022 bat die Vorhabenträgerin den Kläger unter Hinweis auf die gesetzliche Duldungspflicht für die beabsichtigten Maßnahmen, zuvor telefonisch ausgesprochene Betretungsverbote zurückzunehmen. Der Kläger verweigerte weiterhin das Betreten seiner Grundstücke, zuletzt im Schriftsatz vom 7. November 2022.
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Unter dem 9. Februar 2023 beantragte die Vorhabenträgerin eine Duldungsanordnung zur Durchführung der beabsichtigten Untersuchungen. Mit Schreiben vom 14. Februar 2023, dem Kläger zugestellt am 16. Februar 2023, hörte die Beklagte den Kläger dazu an.
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Mit Schreiben vom 14. März 2023 rügte der Bevollmächtigte des Klägers, in den zur Anhörung übersandten Unterlagen, mit denen die Vorhabenträgerin ihren Antrag begründet habe, fehlten an ihn gerichtete Schreiben der Vorhabenträgerin. Unter dem 15. März 2023, zugegangen am 17. März 2023, übersandte die Beklagte dem Bevollmächtigten den gesamten Verwaltungsvorgang und setzte eine erneute Stellungnahmefrist bis zum 24. März 2023. Das Fristverlängerungsgesuch des Klägers vom 20. März 2023 lehnte die Beklagte am Folgetag ab.
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Mit Anordnung vom 28. März 2023 gab die Beklagte dem Kläger unter Zwangsgeldandrohung auf, auf seinen Grundstücken im Einzelnen beschriebene Vorarbeiten für einen Zeitraum von acht Wochen ab Vollziehbarkeit der Anordnung zu dulden. Der Kläger legte Widerspruch ein und verweigerte weiterhin das Betreten seiner Grundstücke.
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Nachdem die Beklagte am 15. Mai 2023 darauf hingewiesen hatte, dass die Annahme, der Widerspruch gegen die Duldungsanordnung entfalte aufschiebende Wirkung und deshalb bestehe derzeit keine Pflicht zur Duldung, seit Inkrafttreten des § 44 Abs. 4 EnWG n. F. am 29. Juli 2022 unzutreffend ist, duldete der Kläger ab dem 17. Mai 2023 die Durchführung der Maßnahmen unter Aufrechterhaltung seines Widerspruchs. Die Maßnahmen wurden bis spätestens 22. Juni 2023 vollständig ausgeführt. Mit Bescheid vom 29. Juni 2023 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
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Am 28. Juli 2023 hat der Kläger Klage erhoben. Er rügt insbesondere einen Gehörsverstoß. Der vollständige Antrag der Vorhabenträgerin für die Duldungsanordnung sei ihm mit einer Frist von lediglich sieben Tagen einschließlich Wochenende zur Stellungnahme übersandt worden. Außerdem sei die Vollziehbarkeit der Duldungsanordnung nicht tenoriert worden. Er habe aus der Anordnung nicht ersehen können, dass diese sofort vollziehbar gewesen sei, auch darauf hätte im Rahmen der Anhörung hingewiesen werden müssen.
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Der Kläger beantragt,
die Duldungsanordnung der Beklagten vom 28. März 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2023 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie hält die Klage bereits für unzulässig. Die zu duldenden Maßnahmen seien vor Klageerhebung abgeschlossen worden. Ansonsten sei die Klage jedenfalls unbegründet. Die Anhörung zum beabsichtigten Erlass der Duldungsanordnung sei bereits durch das Schreiben vom 14. Februar 2023 unter Beifügung der maßgeblichen Unterlagen mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 3. März 2023 erfolgt. Die bereits gesetzlich normierte sofortige Vollziehbarkeit der Duldungsanordnung müsse nicht in deren Tenor aufgenommen werden.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Das Bundesverwaltungsgericht ist sachlich zuständig (Beschluss des Senats vom 24. Januar 2024 gemäß § 83 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG). Der Senat entscheidet aufgrund des Beschlusses vom 23. Januar 2024 in der Besetzung mit drei Richtern.
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A. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die erhobene Anfechtungsklage weiterhin die statthafte Klageart. Der angegriffene Verwaltungsakt hat sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt. Die Erledigung eines Verwaltungsakts tritt erst dann ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist. Bildet die Verfügung die Grundlage für einen Kostenbescheid, gehen von ihr weiterhin rechtliche Wirkungen aus und fehlt es deshalb an einer Erledigung (BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2013 – 8 C 17.12 – juris Rn. 19 m. w. N. und vom 14. Dezember 2016 – 1 C 11.15 – Buchholz 402.242 § 66 AufenthG Nr. 4 Rn. 29; zuletzt Beschluss vom 25. November 2021 – 6 B 7.21 – juris Rn. 7).
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So liegt es hier. Die Duldungsanordnung ist Grundlage für den Erlass des vom Kläger ebenfalls mit einer Klage angegriffenen Gebührenbescheides nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, Abs. 3a Satz 3 NABEG.
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B. Die Klage ist unbegründet. Die auf § 18 Abs. 5 NABEG, § 44 EnWG gestützte Duldungsanordnung leidet nicht an den geltend gemachten Rechtsfehlern.
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1. Der Duldungsanordnung haftet nicht der gerügte Verfahrensmangel an. Die gesetzte Frist für eine Stellungnahme zum beabsichtigten Erlass der Duldungsanordnung war angemessen, sodass der Kläger hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen (§ 28 Abs. 1 VwVfG) zu äußern.
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Die Annahme des Klägers, erst ab dem 17. März 2023 habe für lediglich fünf Arbeitstage Gelegenheit bestanden, zu den für die Duldungsanordnung erheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen, geht fehl. Die Anhörung zum beabsichtigten Erlass einer Duldungsanordnung wurde mit Schreiben vom 14. Februar 2023, dem Kläger zugestellt am 16. Februar 2023, eingeleitet. Mit diesem Schreiben hatte der Kläger den Antrag der Vorhabenträgerin mit detaillierter Beschreibung der vorgesehenen Maßnahmen (elektronischer Verwaltungsvorgang, S. 285 ff.) und Angaben zur voraussichtlichen Dauer der beabsichtigten Maßnahmen sowie Lagepläne erhalten. Zuvor war der Kläger bereits mit mehreren Schreiben der A. GmbH seit dem April 2021 über die beabsichtigten Baugrunduntersuchungen auf seinen Grundstücken informiert worden. Die A. GmbH hatte dabei zu erkennen gegeben, im Auftrag der Vorhabenträgerin zu handeln.
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Der Kläger beanstandet, dass von der Vorhabenträgerin an ihn gerichtete Schreiben der Anhörungsmitteilung vom 14. Februar 2023 nicht beigefügt waren. Diese Schreiben erhielt der Kläger am 17. März 2023 mit einer Stellungnahmefrist von fünf Arbeitstagen übersandt. Es war zumutbar, sich binnen dieser Frist zum Inhalt der ergänzend übersandten Unterlagen zu äußern. Der Umfang der am 17. März 2023 zugegangenen digitalen Sendung („284 Seiten“) beruhte darauf, dass nochmals der gesamte Verwaltungsvorgang zur Verfügung gestellt wurde. Dessen Inhalt kannte der Kläger zu großen Teilen schon. Die gesetzte Frist von fünf Arbeitstagen war deshalb ausreichend, um die noch notwendige „Sortierarbeit“ zu leisten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Bevollmächtigte des Klägers sich gegenüber der Beklagten erst mit dem Schriftsatz vom 14. März 2023 bestellt hatte. Ausweislich eines Schriftsatzes des Bevollmächtigten vom 7. November 2022 an die Vorhabenträgerin war er bereits vorher mit der Sache des Klägers befasst. Auch der Kläger selbst hatte nach Erhalt der Anhörungsmitteilung am 16. Februar 2023 über vier Wochen Gelegenheit, seinen Bevollmächtigten zu informieren.
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2. Die Duldungsanordnung genügt den Anforderungen, die an ihre inhaltliche Bestimmtheit (§ 37 VwVfG) zu stellen sind. Hiernach ist verlangt, dass für den Adressaten des Verwaltungsakts die von der Behörde getroffene Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass er sein Verhalten danach richten kann. Es reicht aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheides, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt.
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Die Anforderungen an die erforderliche Konkretisierung einer Duldungsanordnung bestimmen sich nach § 44 EnWG in erster Linie nach dem Informationsinteresse des Betroffenen. Erforderlich sind die genaue Bezeichnung des Grundstücks, die Angabe des voraussichtlichen Beginns und der voraussichtlichen Dauer der Vorarbeiten sowie mindestens überschlägige Angaben zu deren Art und Umfang (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Oktober 2012 – 7 VR 10.12 – Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 31 Rn. 11 und vom 4. Dezember 2020 – 4 VR 4.20 – juris Rn. 19).
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Daran gemessen ist die Duldungsanordnung nicht zu beanstanden. Die betroffenen Grundstücke sind im Bescheid benannt, ebenso die im Einzelnen genannten Maßnahmen und deren voraussichtliche Dauer.
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3. Die sofortige Vollziehbarkeit der Verfügung musste weder in deren Tenor ausgesprochen noch musste der Kläger dazu angehört werden.
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Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 EnWG in der Fassung von Art. 1 Nr. 21 Buchst. c des Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung vom 19. Juli 2022 (BGBl. I S. 1214) hat ein Rechtsbehelf gegen eine Duldungsanordnung nach § 44 Abs. 2 Satz 2 EnWG keine aufschiebende Wirkung. Es war nicht geboten, auf diese kraft Gesetzes geltende Rechtslage in einer Anhörungsmitteilung oder im Tenor der Anordnung hinzuweisen. Denn der Tenor einer Duldungsanordnung muss deren regelnden Gehalt mitteilen, aber nicht auf eine bestehende Rechtslage hinweisen. Die davon abweichenden Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 13. Februar 2024 führen auf kein anderes Ergebnis, weil sie den Fall einer behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vor Augen haben. Für eine solche Anordnung besteht aber im Fall des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung kein Anlass.
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Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Behörde einen von ihr angenommenen Wegfall der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs in Zweifelsfällen verdeutlichen muss. Angesichts der eindeutigen Regelung in § 44 Abs. 4 Satz 1 EnWG ist für einen Zweifelsfall nichts ersichtlich. Zudem wies die Duldungsanordnung auf Seite 14 der Verfügung ausdrücklich auf den Wegfall der aufschiebenden Wirkung hin und belehrte in ihrer Rechtsbehelfsbelehrung über die Möglichkeit, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zu stellen. Damit war erkennbar, dass allein der Widerspruch nicht geeignet war, die aufschiebende Wirkung herzustellen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie keinen eigenen Antrag gestellt hat.