BVerwG 4. Senat:

BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 08.07.2020, AZ 4 B 44/19, ECLI:DE:BVerwG:2020:080720B4B44.19.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 6. September 2019, Az: 7 A 1174/17
vorgehend VG Münster, 30. März 2017, Az: 2 K 2264/15

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. September 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

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Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Beigeladene beimisst.

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Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – ZfBR 2020, 173 Rn. 4).

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a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob der jeweilige Schutzcharakter der sich gegenüberliegenden Gebiete im Rahmen der Nr. 6.7 TA Lärm im Regelfall um zwei Stufen auseinanderliegen muss, um die Zwischenwertbildung vornehmen zu dürfen?

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Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, denn sie ist nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht ist zwar davon ausgegangen, dass eine Zwischenwertbildung daran scheitere, dass für die Anwendung der Nr. 6.7 TA Lärm die sich gegenseitig beeinträchtigenden Gebiete entsprechend dem Schutzcharakter gemäß der Immissionsrichtwert-Skala der Nr. 6.1 TA Lärm im Regelfall um mindestens zwei Stufen auseinanderliegen müssten, was hier nicht der Fall sei. Selbständig tragend (vgl. UA S. 12: „Ungeachtet dessen …“) hat es jedoch weiter angenommen, eine Zwischenwertbildung bezogen auf die vom Lärm der A.straße und der ihr gegenüberliegenden Bebauung abgeschirmte rückwärtige Seite des Gebäudes A.straße … erscheine auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Ist die vorinstanzliche Entscheidung – wie hier – auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 – 11 PKH 28.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 21. August 2018 – 4 BN 44.17 – Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 21 Rn. 3). Jedenfalls in Bezug auf die Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, eine Zwischenwertbildung sei auch in der Sache nicht gerechtfertigt, hat die Beschwerde einen Zulassungsgrund nicht dargelegt; die hierzu erhobene Verfahrensrüge bleibt erfolglos (vgl. unten 3.).

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b) Die Frage,

ob durchgeführte Messungen von einigen Stunden Dauer und unter Zugrundelegung von realistischen Rahmenbedingungen der Baugenehmigungsnutzung geeignet sind – jedenfalls in Kombination mit einer Schallimmissionsprognose -, verwertbare Erkenntnisse mit Blick auf die Einhaltung von Immissionsrichtwerten nach der TA-Lärm zu liefern,

führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Sie bezieht sich auf einen Sachverhalt, den die Vorinstanz nicht festgestellt hat. Das Oberverwaltungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass der Messung vom 31. Juli 2015 realistische Rahmenbedingungen zugrunde gelegen haben. Es hat vielmehr darauf verwiesen, dass eine solche zeitlich auf einige Stunden beschränkte Messung des Lärmgeschehens im Bereich einer Außengastronomie-Fläche keinen Befund ergebe, der die Bandbreite des zu berücksichtigenden betrieblichen Geschehens hinreichend realistisch abbilde. Es komme hinzu, dass die Schallmessung in den Sommer- und Semesterferien stattgefunden habe, in denen ein Besuch des Biergartens durch Studenten und Schüler möglicherweise nur in eingeschränktem Umfang stattgefunden habe.

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c) Keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich sind die Fragen,

ob es sachgerecht ist, bei der Lärmbewertung von Biergartennutzungen bei einer Größe von bis zu 300 Sitzplätzen das Lärmverhalten der Besucher mit durchgängig/durchschnittlich 65 dB(A) („sprechen normal“) anzusetzen,

hilfsweise,

ob man davon ausgehen kann, bei der Lärmbewertung von Biergartennutzungen bei einer Größe von bis zu 300 Sitzplätzen das Lärmverhalten der Besucher mit durchgängig/durchschnittlich 65 dB(A) („sprechen normal“) anzusetzen, um auf der sicheren Seite zu liegen,

denn beide Fragen betreffen die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung. Tatsachenfragen – mögen sie auch von grundsätzlicher Bedeutung sein – reichen nach geltender Rechtslage für die Zulassung der Revision nicht aus (BVerwG, Beschlüsse vom 24. April 2017 – 1 B 22.17 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nr. 67 Rn. 4 und vom 8. August 2018 – 1 B 25.18 – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 AufenthG Nr. 58 Rn. 12).

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d) Nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führt schließlich die Frage,

ob es sachgerecht ist, bei einer Gaststätte, welche keine Freiluftgaststätte im Sinne der Nr. 1 Satz 2 b) der TA-Lärm ist, jedoch sowohl auf einen Innen- als auch Außenbetrieb ausgerichtet ist, bei der Frage der Umwelteinwirkungen durch Geräusche bei unmittelbar anschließender Wohnnutzung allein aufgrund der Nähebeziehung von einer so starken Lästigkeit auszugehen, dass zu Gunsten des Belästigten von einer Unzumutbarkeit im Rechtssinne ausgegangen werden kann,

denn sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Der Fragestellung liegt die Annahme zugrunde, das Oberverwaltungsgericht sei allein aufgrund der Nähe des Biergartens zur angrenzenden Wohnnutzung von der Unzumutbarkeit der Lärmbelastung ausgegangen. Das geht an den Urteilsgründen vorbei. Das Berufungsgericht hat vielmehr die besonderen örtlichen Verhältnisse in den Blick genommen und darauf abgestellt, dass den Bewohnern des Hauses A.straße … allein die Räume auf der dem Straßenlärm abgewandten rückwärtigen Gebäudeseite als Ruhebereich zur Verfügung stünden und der Biergarten von diesem Bereich nur etwa 5 bis 10 m entfernt sei. Hieraus hat es geschlossen, dass bei solchen räumlichen Verhältnissen die besondere Lästigkeit der von einer Außengastronomie ausgehenden Immissionen in einer Weise ins Gewicht falle, die die Lärmbelastung auch bei einem Beurteilungspegel, der den Immissionsrichtwert (soeben) einhalte, als unzumutbar erscheinen lasse.

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2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

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Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz (u.a.) des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712).

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Die angefochtene Entscheidung weicht nicht vom Urteil vom 20. März 2019 – 4 C 5.18 – (Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 21) ab. Der Senat hat entschieden, dass einer Schank- und Speisewirtschaft, die im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO der Versorgung eines allgemeinen Wohngebiets dient, nicht entgegengehalten werden kann, sie sei wegen der von ihrem Betrieb ausgehenden Störungen gebietsunverträglich. Einen Rechtssatz, wonach eine Schank- und Speisewirtschaft in einem solchen Fall nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen kann, hat der Senat nicht aufgestellt; ausweislich der Randnummer 23 des Urteilsabdrucks hält er einen entsprechenden Verstoß vielmehr für möglich.

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Eine Abweichung vom Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 2019 – 8 B 36.18 – (juris) ist nicht dargetan. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch eine präzise Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze dargelegt wird (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 – 8 B 38.10 – ZOV 2011, 45 und vom 17. Februar 2015 – 1 B 3.15 – juris Rn. 7). Daran fehlt es. Die Beschwerde bezeichnet keinen Rechtssatz, zu dem sich das Oberverwaltungsgericht in Widerspruch gesetzt haben könnte, sondern kritisiert der Sache nach die Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht. Hierauf kann die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gestützt werden (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Januar 2005 – 9 B 38.04 – NVwZ 2005, 447 = juris Rn. 16 und vom 24. August 2017 – 4 B 35.17 – juris Rn. 10).

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3. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Insoweit verfehlt die Beschwerde bereits die Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

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a) Die Beschwerde legt keinen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) dar.

15

Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer für den Beteiligten günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1987 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328). Denn die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 Rn. 16). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat durch den Berichterstatter am 19. August 2019 eine Ortsbesichtigung durchgeführt und sich von der örtlichen Situation einen Eindruck verschafft. Es hat ferner in der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2019 die von der anwaltlich vertretenen Beigeladenen gestellten Beweisanträge abgelehnt und die hierfür maßgeblichen Gründe mitgeteilt (GA Bl. 477). Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Welche weiteren, konkreten Aufklärungsmaßnahmen sich dem Gericht vor diesem Hintergrund hätten aufdrängen müssen und welche weiteren tatsächlichen Feststellungen es dabei voraussichtlich getroffen hätte, zeigt die Beschwerde nicht substantiiert auf. Ihre Kritik erschöpft sich darin, die tatrichterliche Würdigung der Vorinstanz anzugreifen.

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b) Auch eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht dargetan.

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Die Beschwerde rügt, die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Messung vom 31. Juli 2015 sei nicht verwertbar, sei unter Verstoß gegen allgemein gültige Erfahrungssätze zustande gekommen. Der Sache nach wendet sie sich hiermit gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind aber dem jeweils anzuwendenden sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann daher grundsätzlich – so auch hier – ein Verfahrensmangel i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründet werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 und vom 14. Oktober 2004 – 6 B 6.04 – Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 51).

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Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zur Vorbelastung und zur Bewertung von Gesprächsgeräuschen in den Blick nimmt, übersieht sie, dass sich die Ausführungen nicht auf die Messung vom 31. Juli 2015 und deren Verwertbarkeit beziehen, sondern auf die vom Schallgutachter erstellte Immissionsprognose.

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.