BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 08.07.2020, AZ 9 AV 1/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:080720B9AV1.20.0
Leitsatz
Ein unanfechtbarer Beschluss über die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs (§ 17a Abs. 3 Satz 1 GVG) kann allenfalls dann analog § 53 Abs. 1 Nr. 4 VwGO vom Bundesverwaltungsgericht korrigiert werden, wenn er sich hinsichtlich desselben Streitgegenstandes über die bereits eingetretene Bindungswirkung der gegenteiligen Rechtswegbestimmung eines anderen Gerichts hinwegsetzt.
Tenor
Der Antrag auf Bestimmung des zulässigen Rechtswegs wird abgelehnt.
Gründe
I
1
Die Antragstellerin betreibt auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Konzessionsverträge die Rastanlagen R. an der Bundesautobahn A 7 im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin. Das dort anfallende Abwasser wird in deren öffentliche Entwässerungseinrichtung eingeleitet. Gemäß einer 1973 zwischen den Rechtsvorgängern der Beteiligten geschlossenen Vereinbarung ist die Antragstellerin verpflichtet, der Antragsgegnerin 2/3 der jährlich nachgewiesenen Betriebskosten für die Abwasserbeseitigungsanlage zu ersetzen sowie 2/3 der Abschreibung für die Kläranlage einschließlich näher bezeichneter Anlagenteile zu tragen.
2
Unter Berufung auf die vermeintliche Nichtigkeit der Vereinbarung erhob die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin im Jahr 2014 vor dem Landgericht Würzburg Klage auf Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Betriebskosten. Auf eine Rechtswegrüge der Antragsgegnerin stellte das Oberlandesgericht Bamberg mit Beschluss vom 28. Juli 2015 – 5 W 39/15 – die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs fest. Die Antragstellerin nahm ihre Klage später zurück.
3
Im Jahr 2018 erhob die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin, gestützt auf die Vereinbarung von 1973, vor dem Verwaltungsgericht Würzburg Klage auf Zahlung von Abschreibungen für das Jahr 2013. Auf eine Rechtswegrüge der Antragstellerin erklärte das Verwaltungsgericht Würzburg für diese Klage durch Beschluss vom 7. Juni 2019 – W 2 K 18.1599 – den Verwaltungsrechtsweg für zulässig. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde der Antragstellerin zurück (Beschluss vom 15. Oktober 2019 – 4 C 19.1345 – juris); die weitere Beschwerde ließ er nicht zu.
4
Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Bundesverwaltungsgericht, den beim Verwaltungsgericht Würzburg anhängigen, derzeit ausgesetzten Rechtsstreit an das Landgericht Bonn zu verweisen. Der durch die gegensätzlichen Rechtswegentscheidungen ausgelöste positive Kompetenzkonflikt sei gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 4 VwGO zu lösen.
II
5
Der Antrag ist unzulässig.
6
Er findet keine Grundlage in § 53 Abs. 1 Nr. 4 VwGO. Danach wird das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben. Auf einen rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikt kann
7
§ 53 VwGO zwar gegebenenfalls analog anzuwenden sein, wenn ein Gericht hinsichtlich der Rechtswegfrage die Bindungswirkung eines zuvor ergangenen Beschlusses eines anderen Gerichts bestreitet (so für den Fall eines negativen Kompetenzkonflikts: Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41 Rn. 27a; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 41 <§ 17a GVG> Rn. 20, jeweils m.w.N.). Ob eine Bestimmungsbefugnis analog § 53 VwGO unter Umständen auch bei einem positiven Kompetenzkonflikt in Betracht kommt, kann dahinstehen. Denn ihre Voraussetzungen liegen jedenfalls nicht vor.
8
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 28. Juli 2015 entfaltet keine Bindungswirkung für die Rechtswegfrage in dem nunmehr anhängigen Rechtsstreit. Denn ein Beschluss über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs (§ 17a Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 GVG) bindet nur im Hinblick auf den im jeweiligen Rechtsstreit konkret in Rede stehenden Streitgegenstand (Ziekow, a.a.O. Rn. 7; Rennert, a.a.O. Rn. 21, jeweils m.w.N.). Bei Leistungsklagen wird der Streitgegenstand bestimmt durch den auf einen bestimmten Sachverhalt gestützten prozessualen Anspruch des Klägers auf Verurteilung des Beklagten zu der im Antrag bestimmten Leistung (Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 121 Rn. 66; Kilian/Hissnauer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 52). Danach liegen der Klage der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin aus dem Jahr 2014 und der Klage umgekehrten Rubrums aus dem Jahr 2018 unterschiedliche Streitgegenstände zugrunde. So bezog sich die Klage der Antragstellerin, für die das Oberlandesgericht Bamberg die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs bejaht hat, auf einen Bereicherungs- bzw. Erstattungsanspruch wegen vermeintlicher Nichtigkeit der Vereinbarung von 1973. Demgegenüber zielt die nunmehr vor dem Verwaltungsgericht Würzburg anhängige Klage, für die dieses, bestätigt durch den unanfechtbaren Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Oktober 2019, den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt hat, auf einen Zahlungsanspruch der Antragsgegnerin, der die Wirksamkeit der Vereinbarung von 1973 voraussetzt. Dies ergibt sich, ohne dass es der Beiziehung der Gerichtsakten beider Prozesse bedarf, bereits aus dem Sachvortrag der Antragstellerin.
9
Unbeschadet einer präjudiziellen Wirkung, die ein Urteil in der einen Konstellation je nach den Umständen des Falles auf die andere entfalten kann, liegen einer Bereicherungsklage auf Herausgabe des Geleisteten und einer auf Vertragserfüllung gerichteten Leistungsklage zwei verschiedene Streitgegenstände zugrunde (vgl. nur Gottwald, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 322 Rn. 53 m.w.N.). Unabhängig davon unterscheiden sich die hier konkret maßgeblichen Streitgegenstände auch darin, dass das Verfahren vor dem Landgericht Würzburg die Rückzahlung von Betriebskosten und anteiligen Abschreibungen betraf, während es im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Würzburg allein um die Zahlung anteiliger Abschreibungen geht.
10
Soweit die Antragstellerin (unter Hinweis auf VGH München, Beschluss vom 29. Juli 2002 – 20 A 02.40066 u.a. – juris Rn. 12 ff.) die Bindungswirkung eines Beschlusses, der wie derjenige des Oberlandesgerichts Bamberg ohne Entscheidung über die Sache allein den beschrittenen Rechtsweg bestätigt (§ 17a Abs. 3 GVG), über den Streitgegenstand des Sachantrages hinaus auf sämtliche Parallelverfahren unter denselben Beteiligten erstrecken will, überzeugt dies nicht. Denn ob die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs implizit mit dem Sachurteil oder explizit vorab erfolgt, ist für die Feststellung der Rechtswegeröffnung und ihre Bindungswirkung ohne Belang (Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 41 <§ 17a GVG> Rn. 4; ebenso – den vorgenannten Beschluss des VGH München ablehnend – Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41 Rn. 21). Der Zweck des § 17a Abs. 3 GVG besteht darin, die Rechtswegfrage im Interesse der Prozessökonomie möglichst früh abschließend zu klären, nicht aber darin, dem Gericht eine Rechtswegbestimmung über den Gegenstand der erstrebten Sachentscheidung hinaus gleichsam generalisierend zu eröffnen.
11
Darüber hinaus kann sich die Antragstellerin für ihren gegenteiligen Standpunkt auch nicht auf die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 1999 – 3 AV 2.99 – (Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 26) und vom 7. August 2019 – 10 AV 3.19 – (juris Rn. 3) berufen. Danach ist eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO („wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen“) nach dem Normzweck auch dann möglich, wenn derselbe Verwaltungsakt in zwei Verfahren von beiden jeweils teils begünstigten und beschwerten Beteiligten mit entgegengesetzten Zielen angefochten wird. Für die dem zugrunde liegende Zweckmäßigkeitserwägung, bei der Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts widersprüchliche Entscheidungen über den Kern des behördlichen Verwaltungshandelns zu vermeiden (BVerwG, Beschlüsse vom 15. Oktober 1999 und 7. August 2019 a.a.O.), ist im Rahmen des hier allenfalls entsprechend heranzuziehenden § 53 VwGO entgegen der Auffassung der Antragstellerin kein Raum. Vielmehr könnte die unanfechtbare Rechtswegbestimmung in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom Bundesverwaltungsgericht allenfalls dann korrigiert werden, wenn sie sich hinsichtlich desselben Streitgegenstandes über die bereits eingetretene Bindungswirkung der gegenteiligen Rechtswegbestimmung eines anderen Gerichts hinwegsetzen würde. Davon kann keine Rede sein.
12
Der Sache nach läuft das Begehren der Antragstellerin, den vorliegenden Rechtsstreit an das Landgericht Bonn zu verweisen, auf eine weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hinaus, die dieser indessen nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG nicht zugelassen hat. Dies zu kompensieren, ist nicht Sinn des § 53 VwGO.
13
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, denn bei der Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 VwGO handelt es sich um einen unselbstständigen Teil des Hauptverfahrens.