BVerwG 7. Senat, Gerichtsbescheid vom 09.07.2020, AZ 7 A 3/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:090720G7A3.20.0
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Gründe
I
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Erlass einer Verfügung gegenüber der beigeladenen DB Netz AG, mit der die Fortführung von Planungsarbeiten für ein drittes und viertes Gleis zum Brenner-Nordzulauf (Bahnstrecke München-Rosenheim-Kiefersfelden-Grenze D/A) über das Gemeindegebiet der Klägerin untersagt wird.
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Mit Bescheid vom 10. Januar 2020 lehnte das Eisenbahn-Bundesamt den Antrag der Klägerin, der Beigeladenen die Fortführung der Planungen jedenfalls so lange zu untersagen, wie noch kein Nutzen-Kosten-Verhältnis größer eins für das Projekt nachgewiesen sei, ab. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Bescheid vom 27. Januar 2020 zurück.
3
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor: Die gesetzlichen Grundlagen für den gegenüber der Beigeladenen erteilten Planungsauftrag seien verfassungswidrig. Die Aufnahme des Vorhabens in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans 2030 sei ohne aktuelle Nutzen-Kosten-Analyse erfolgt, obwohl dort Projekte ohne ein Nutzen-Kosten-Verhältnis größer eins nicht enthalten sein dürften. Sie sei in vielfacher Weise durch die aktuell laufenden Planungen, insbesondere durch zwei der Planungsvarianten, beeinträchtigt und werde in ihrem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht verletzt. Ihr Gemeindegebiet würde großräumig durchschnitten, die Umsetzung eines Bebauungsplans verhindert. Die Hochwassergefährdung würde erheblich verschärft, Naherholungs- und Schutzgebiete würden entwertet und das Orts- und Landschaftsbild empfindlich gestört. Mit den Planungen würden bei einer Realisierung des Projekts bereits jetzt vollendete planerische Tatsachen geschaffen. Die eigentliche Trassenfindung erfolge außerhalb des förmlichen Planfeststellungsverfahrens. Ein Trassenverlauf über ihrem Gemeindegebiet wäre faktisch nicht mehr rückgängig zu machen.
4
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, gegenüber der Beigeladenen eine Verfügung zu erlassen, mit der dieser untersagt wird, die Planungen für ein drittes und viertes Gleis zum Brenner-Nordzulauf über das Gemeindegebiet der Klägerin fortzuführen, solange noch kein Nutzen-Kosten-Verhältnis größer eins für dieses Projekt nachgewiesen ist,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Erlass einer solchen Untersagungsverfügung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
5
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Klage abzuweisen.
6
Es bestehe weder ein Rechtsschutzbedürfnis für den begehrten vorbeugenden Rechtsschutz noch eine Ermächtigungsgrundlage für die beantragte Untersagung. Einen Antrag auf Planfeststellung habe die Beigeladene bislang nicht gestellt. Die lediglich vorbereitenden Planungsarbeiten der Beigeladenen entfalteten gegenüber der Klägerin keine rechtlichen Wirkungen und bewirkten auf deren Gemeindegebiet keine realen Veränderungen.
II
7
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden vorher gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
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1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für den Rechtsstreit sachlich zuständig. Gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren für Vorhaben betreffen, die in dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) bezeichnet sind. Das Projekt, auf das sich die verfahrensgegenständlichen Planungsarbeiten beziehen, ist unter Lfd. Nr. 22 der Anlage 1 zu § 18e Abs. 1 AEG als Vorhaben „ABS/NBS München – Rosenheim – Kiefersfelden – Grenze D/A (- Kufstein)“ bezeichnet. Zwar betrifft die Klage nicht das Planfeststellungsverfahren für das Vorhaben als solches, das noch nicht eingeleitet worden ist. Im Hinblick auf den Zweck der Zuständigkeitsregelung in § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, die Verwirklichung von Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen und divergierende Entscheidungen zu vermeiden, werden von dieser Vorschrift jedoch alle Rechtsstreitigkeiten erfasst, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungsverfahren für Vorhaben nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO haben (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2012 – 7 VR 10.12 – Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 31 Rn. 5 m.w.N.). Hinsichtlich von – wie hier – vorbereitenden Planungsarbeiten, die einem Vorhaben nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO dienen, ist dies der Fall.
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2. Die Klage ist unzulässig. Mit ihrem Antrag, der Beigeladenen eine Fortsetzung der Planungsarbeiten für den Bau eines dritten und vierten Gleises zum Brenner-Nordzulauf zu untersagen, begehrt die Klägerin vorbeugenden Rechtsschutz, der vorliegend nicht statthaft ist. Die Klägerin ist darauf verwiesen, gegen einen zukünftigen Planfeststellungsbeschluss, der das angegriffene Vorhaben zulässt, nachträglichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die grundsätzliche Zulässigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes geklärt. Dies setzt beim Kläger allerdings ein entsprechend qualifiziertes, nämlich auf die Inanspruchnahme gerade vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse voraus. Dies liegt nicht vor, wenn und soweit der Betroffene im konkreten Fall zumutbarerweise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen – auch vorläufigen – Rechtsschutz verwiesen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1981 – 4 C 5.78 – BVerwGE 62, 342 <352> m.w.N.).
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Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin zur Wahrung ihrer Rechte auf die Inanspruchnahme gerade vorbeugenden Rechtsschutzes angewiesen wäre, so dass es an einem qualifizierten Rechtsschutzinteresse fehlt. Vollendete Tatsachen, die der Gewährung effektiven Rechtsschutzes entgegenstehen, werden mit den hier in Rede stehenden Planungsarbeiten der Vorhabenträgerin nicht geschaffen. Sie haben lediglich vorbereitenden Charakter und gehen einem etwaigen Antrag auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens intern voraus; sie entfalten gegenüber Dritten keine rechtlichen Wirkungen und sind nicht mit der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt verbunden (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 20. September 2019 – 7 A 5.19 – NVwZ-RR 2019, 1029 Rn. 7). Auch mit dem Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses, werden noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1981 – 4 C 5.78 – BVerwGE 62, 342 <352>).
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Sie ergeben sich auch nicht aus dem Planungs- und Kostenaufwand der Beigeladenen. Der Vorhabenträger plant auf eigenes (Kosten-)Risiko, das keinen Einfluss auf die Beurteilung eines Abwehranspruchs der Klägerin hat. Auch etwa bereits ins Werk gesetzte bauvorbereitende Maßnahmen bzw. Baumaßnahmen wären gegebenenfalls im Wege des Rückbaues rückgängig zu machen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2019 – 7 VR 6.19 – juris Rn. 14). Von einer faktischen Unumkehrbarkeit der Planungen der Beigeladenen oder – wie die Klägerin meint – von einem hieraus folgenden „rechtsfreien Raum“ kann mithin keine Rede sein.
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Nach allem sind die Angriffe der Klägerin gegen die Planungen der Beigeladenen zu gegebener Zeit im Rahmen einer Anfechtungsklage bzw. – im Falle der Eilbedürftigkeit – eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz (vgl. § 18e Abs. 2 und 3 AEG) gegen einen von der Planfeststellungsbehörde erlassenen Planfeststellungsbeschluss zu richten. Dies gewährleistet eine rechtzeitige und wirksame verwaltungsgerichtliche Kontrolle (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 6. Februar 2004 – 9 VR 2.04 – juris Rn. 4).
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.