Beschluss des BVerwG 6. Senat vom 12.11.2020, AZ 6 B 36/20

BVerwG 6. Senat, Beschluss vom 12.11.2020, AZ 6 B 36/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:121120B6B36.20.0

Verfahrensgang

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 20. April 2020, Az: 9 S 1897/18, Urteil
vorgehend VG Freiburg (Breisgau), 18. Juli 2018, Az: 1 K 2986/17, Urteil

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. April 2020 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 263,13 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung der dem Kläger im Zuge von Bleibeverhandlungen im Jahr 2010 zugesagten zusätzlichen Ausstattung seines Lehrstuhls mit einer anteiligen E 13-Stelle, 50 000 € für IT-Ausstattung, bis zu 20 000 € für Renovierungsarbeiten und 25 000 € für sonstige Sachmittel über das Jahr 2015 hinaus.

2

Der Kläger hatte im erstinstanzlichen Verfahren zunächst teilweise Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Bleibevereinbarung dahingehend ausgelegt, dass die Laufzeit dieser Mittel lediglich fünf Jahre betragen habe und eine unbefristete Gewährung oder Verstetigung der Ressourcen nicht zugesagt worden sei. Falls dem Kläger mündlich die Weitergewährung in Aussicht gestellt worden sei, fehle es mangels Schriftform an einer Rechtsverbindlichkeit. Allerdings sei die Beklagte gemäß § 48 Abs. 4 Satz 3 LHG verpflichtet, sämtliche Zusagen aus Berufung- und Bleibeverhandlungen über die personelle und sachliche Ausstattung jeweils nach Ablauf von fünf weiteren Jahren im Hinblick auf die Maßgaben des § 13 Abs. 2 LHG zu überprüfen. Daher stehe dem Kläger ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Weiterbewilligung der von ihm begehrten weiteren Personal- und Sachmittel zu.

3

Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage insgesamt abgewiesen; die Anschlussberufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass Einmalzusagen nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte sowie dem Zweck der Vorschrift nicht dem Anwendungsbereich des § 48 Abs. 4 Satz 3 LHG unterfielen. Sie könnten deshalb keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Weiterbewilligung begründen. Die Auslegung der wechselseitigen Erklärungen zur Bleibevereinbarung anhand der allgemein geltenden Grundsätze für die Auslegung von Willenserklärungen nach §§ 133, 157 BGB ergebe, dass es sich hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Leistungen um Zusagen gehandelt habe, die lediglich einmalig Mittel gewährten und für einen maximalen Zeitraum von fünf Jahren bindend sein sollten.

4

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil.

II

5

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat mit der Maßgabe Erfolg, dass das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist (§ 133 Abs. 6 VwGO). Aus der Beschwerdebegründung des Klägers ergibt sich zwar nicht, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt (1.). Das Berufungsurteil beruht aber, wie der Kläger zu Recht geltend macht, auf einer Gehörsverletzung (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 und § 138 Nr. 3 VwGO) (2.).

6

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. m.w.N. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0] – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8).

7

Die Beschwerde erachtet folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam:

„Ist der Inhalt von Bleibevereinbarungen nur anhand des Wortlauts auszulegen oder sind die konkreten Begleitumstände, unter denen das Angebot im Rahmen der Bleibeverhandlungen zustande gekommen ist, bei der Auslegung zusätzlich zu berücksichtigen?“

8

Dazu macht sie geltend, das Berufungsgericht habe seiner Auslegung lediglich den Wortlaut des Bleibeangebots zugrunde gelegt, ohne die vom Kläger geschilderten konkreten Begleitumstände zu berücksichtigten. Die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage ergebe sich bereits aus der Zulassung der Berufung im erstinstanzlichen Urteil. Auch die Beklagte messe dem Rechtsstreit eine über den Einzelkonflikt hinausgehende Bedeutung für künftige Bleibe- und Berufungszusagen zu und halte eine Klärung für geboten, ob Einmalzusagen, die grundsätzlich befristet seien, nach ihrem Auslaufen den gleichen Ermessensbindungen unterlägen, wie Zusagen, die dem gesetzlichen fünfjährigen Wiederzuweisungsvorbehalt unterlägen. Dazu äußere sich das Berufungsurteil aber im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil nicht.

9

Mit diesem Vorbringen kann die Beschwerde eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erreichen. Denn die Frage nach der Berücksichtigung der konkreten Begleitumstände einer Erklärung, wie sie die Beschwerde auch für die Auslegung der Bleibevereinbarung einfordert, ist bereits hinreichend im Sinne der Beschwerde geklärt, soweit sie einer grundsätzlichen Klärung zugänglich ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet die Auslegungsregel des § 133 BGB auch auf öffentlich-rechtliche Erklärungen Anwendung. Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist daher der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Es kommt darauf an, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er sich dem Empfänger nach dem Wortlaut der Erklärung und den sonstigen Umständen darstellt, die der Empfänger bei Zugang der Erklärung erkennen kann („objektivierter Empfängerhorizont“). Dieser hat in den Blick zu nehmen, welchen Zweck der Erklärende verfolgt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2019 – 2 C 50.16 [ECLI:DE:BVerwG:2019:210219U2C50.16.0] – Buchholz 230 § 126 BRRG Nr. 27 Rn. 16 m.w.N.). Nach den Auslegungsregeln ist eine Willenserklärung unter Berücksichtigung der Begleitumstände auszulegen, unter denen sie abgegeben worden ist (BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2012 – 3 C 12.11 – Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 113 Rn. 16). Diese Rechtsprechung legt das Berufungsurteil seiner Auslegung zugrunde (UA S. 11). Einen darüberhinausgehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf, sondern wendet sich lediglich in Gestalt der Grundsatzrüge gegen den vom Berufungsgericht ermittelten Erklärungsinhalt der Bleibevereinbarung und die aus ihrer Sicht unzureichende Berücksichtigung der Begleitumstände ihres Zustandekommens.

10

Soweit die Beschwerde ergänzend auf die von der Beklagten im Berufungsverfahren geltend gemachte Grundsatzbedeutung der Frage verweist, ob Einmalzusagen nach ihrem Auslaufen den gleichen Ermessensbindungen unterliegen, wie Zusagen, die dem gesetzlichen fünfjährigen Wiederzuweisungsvorbehalt aus § 48 Abs. 4 Satz 3 LHG unterfallen, handelt es sich nicht um eine Frage des revisiblen Rechts. Regelungen in den Landeshochschulgesetzen, die sich mit Berufungsvereinbarungen und -zusagen gegenüber Hochschullehrern befassen, gehören dem nach § 137 Abs. 1 Nr. 1, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO irrevisiblen Landesrecht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2016 – 6 B 13.16 [ECLI:DE:BVerwG:2016:040716B6B13.16.0] – Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 189 Rn. 8 m.w.N.). Beruht ein Urteil auf der Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts, kann sich eine rechtsgrundsätzliche Frage im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur in Bezug auf die bundesverfassungsrechtlichen Maßstäbe stellen, an denen das Landesrecht zu messen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2009 – 6 B 9.09 – Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 166 Rn. 4 m.w.N.). Dazu trägt die Beschwerde nichts vor.

11

2. Erfolg hat der Kläger demgegenüber mit der Gehörsrüge, der Verwaltungsgerichtshof habe seinen Vortrag zu den Begleitumständen des Zustandekommens der Bleibevereinbarung nicht in Erwägung gezogen.

12

Das Gebot, den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Beteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten in den Urteilsgründen behandeln muss. Vielmehr sind nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO in dem Urteil nur diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens eines Beteiligten in den Urteilsgründen nicht erwähnt hat, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen, wenn er nach dem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 6 B 43.14 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 25 m.w.N.). Das ist hier der Fall.

13

Die Begleitumstände des Zustandekommens der Bleibevereinbarung waren nach der – wie oben ausgeführt: zutreffenden – materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs für die Auslegung der Willenserklärung von zentraler Bedeutung. Das Berufungsgericht hat in den Gründen der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass bei der Ermittlung des objektiven Erklärungswertes einer Willenserklärung „… alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen …“ sind (UA S. 11).

14

Der Kläger hatte zu den Vorverhandlungen der Bleibevereinbarung im erstinstanzlichen Verfahren auch ausführlich vorgetragen und Zeugenbeweis u.a. durch Einvernahme des damaligen Rektors Prof. Dr. S., des Dekans der Fakultät Prof. Dr. K. sowie weiterer Personen angeboten. Der Klagebegründung ist zu entnehmen, dass das Rektorat der Beklagten ihn nach dem Ruf an die Humboldt-Universität zu Berlin zu Bleibeverhandlungen aufgefordert habe. Daraufhin habe er der Beklagten unter Bezugnahme auf ein Angebot aus Berlin ein Positionspapier vorgelegt, auf dessen Grundlagen Bleibeverhandlungen geführt worden seien. Diese hätten sich in einem Bleibeangebot der Beklagten niedergeschlagen, das seitens des Rektorats präzisiert und sodann vom Kläger angenommen worden sei. Nach dem seiner Klage teilweise stattgebenden Urteil des Verwaltungsgerichts, das die Beklagte zur Bescheidung seines Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensausübung verurteilt hat, hatte der Kläger keinen Anlass, seinen Vortrag zu den Begleitumständen der Bleibevereinbarung im Berufungsverfahren erneut aufzugreifen.

15

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Bleibevereinbarung mit Blick auf das Bestehen eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 48 Abs. 4 Satz 3 LHG dahingehend ausgelegt, dass die im Streit stehenden Positionen dem Kläger von der Beklagten lediglich einmal zugesagt worden seien. In den Gründen der angefochtenen Entscheidung hat er dazu nur auf die sprachliche und systematische Auslegung des Texts der Bleibevereinbarung abgestellt. Auf das Klägervorbringen zu den Begleitumständen des Zustandekommens der Bleibevereinbarung ist er mit keinem Wort eingegangen. Das lässt angesichts des Umstands, dass es sich dabei auch nach dem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts um eine Frage von zentraler Bedeutung handelt, nur den Schluss zu, es habe diesen wesentlichen Aspekt des Klägervorbringens bei seiner Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt. Damit hat es das rechtliche Gehör des Klägers (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (§ 138 Nr. 3 VwGO).

16

Der Senat macht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der ihm nach § 133 Abs. 6 VwGO eröffneten Befugnis Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben, und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

17

3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Ziffer 18.11 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.