BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 22.10.2020, AZ 4 B 18/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:221020B4B18.20.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 20. Januar 2020, Az: 10 A 591/18, Urteil
vorgehend VG Düsseldorf, 22. Dezember 2017, Az: 4 K 14679/16
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
1
Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde zumisst.
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Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.
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Die Frage,
ob grundsätzlich Referenzobjekte zur Beurteilung der überbaubaren Grundstücksflächen in einem nach § 34 BauGB zu beurteilenden Baugebiet auch solche in einem angrenzenden, durch Bauplanungsrecht geregelten Bereich liegende Objekte sein können,
verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Sie ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Danach reicht der die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bildende Bereich so weit, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 4 C 7.15 – BVerwGE 157, 1 Rn. 9 m.w.N.), wobei auf das abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 Rn. 10; Beschluss vom 13. Mai 2014 – 4 B 38.13 – ZfBR 2014, 574 Rn. 7). Hierzu kann auch eine bereits verwirklichte Bebauung in einem durch (einfachen, vorhabenbezogenen oder qualifizierten) Bebauungsplan überplanten Gebiet gehören (BVerwG, Beschluss vom 27. März 2018 – 4 B 60.17 – ZfBR 2018, 479 Rn. 7 m.w.N.). Einen über diese Rechtsprechung hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
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2. Die Beklagte legt eine Abweichung des Berufungsurteils von dem Urteil des Senats vom 8. Dezember 2016 – 4 C 7.15 – (BVerwGE 157, 1) sowie von dem Beschluss vom 13. Mai 2014 – 4 B 38.13 – (Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 217) nicht dar. In der Sache wirft sie dem Berufungsgericht vor, diese Entscheidungen in dem angegriffenen Urteil zwar erkannt und dargelegt, jedoch fehlerhaft angewendet zu haben. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz lässt sich damit nicht begründen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2019 – 4 B 37.18 – juris Rn. 14 m.w.N.).
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3. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht verletzt.
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Die Beklagte rügt, das Berufungsgericht habe den noch vor dem Ortstermin mit Schreiben vom 9. Januar 2020 übersandten Bebauungsplan 5281/24 für die Grundstücke N.straße … und … nicht zur Kenntnis genommen. So enthalte der Sachverhalt keinerlei Ausführungen zu den Festsetzungen des Plans. Auch in der Begründung des Urteils sei der Bebauungsplan nicht gewürdigt worden, obwohl es nach ihrem Vortrag – und auch objektiv – auf den Plan für die bauplanungsrechtliche Beurteilung des unmittelbar neben dem Plangebiet im unbeplanten Innenbereich liegenden Vorhabengrundstücks maßgeblich angekommen sei. Ein Verfahrensfehler wird hiermit nicht aufgezeigt.
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass ein Gericht den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht. Daraus folgt jedoch nicht die Pflicht des Gerichts, jedes Vorbringen der Beteiligten zu bescheiden (stRspr, z.B. BVerwG, Beschluss vom 5. August 1998 – 11 B 23.98 – juris Rn. 9 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 <145 f.> und vom 17. November 1992 – 1 BvR 168, 1509/89 und 638, 639/90 – BVerfGE 87, 363 <392 f.>). Allein aus dem Schweigen der Entscheidungsgründe zu Einzelheiten des Beklagtenvortrags kann deshalb noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann vielmehr nur festgestellt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt (stRspr, z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Februar 1999 – 9 B 797.98 – Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 und vom 10. Januar 2017 – 4 BN 18.16 – juris <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 19>). Geht das Gericht auf den wesentlichen Teil eines Tatsachenvortrags eines Beklagten zu einer Frage, die für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteile vom 20. November 1995 – 4 C 10.95 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 23 und vom 18. Dezember 2014 – 4 C 35.13 – NVwZ 2015, 656 Rn. 42). Gemessen hieran hat das Oberverwaltungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
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Ausweislich des Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung (UA S. 5) hat das Berufungsgericht den Umstand, dass die Bebauung auf den Grundstücken N.straße … und … auf dem Bebauungsplan 5281/24 beruht, zur Kenntnis genommen. Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts kommt es jedoch für die Bestimmung des Rahmens, den die nähere Umgebung für eine künftige Bebauung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorgibt, nur auf bauliche Anlagen an, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen. Ausgehend von dieser Rechtsauffassung bedurfte es keiner Erörterung der Festsetzungen des Bebauungsplans 5281/24. In den Blick zu nehmen war allein die durch den Bebauungsplan zugelassene und verwirklichte Bebauung, die nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts zur näheren Umgebung des Bauvorhabens im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gehört.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.