BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 29.10.2020, AZ 4 VR 7/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:291020B4VR7.20.0
§ 80a Abs 3 VwGO, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 43 Abs 3 EnWG 2005, § 43 Abs 4 EnWG 2005, § 43e Abs 1 S 1 EnWG 2005
Tenor
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Detmold vom 23. August 2019 wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
I
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Die Antragsteller begehren Eilrechtsschutz gegen die Planfeststellung einer Höchstspannungsfreileitung.
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Der Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Detmold vom 23. August 2019 stellt den Plan für die Errichtung und den Betrieb der 110-/380-kV-Höchstspannungsfreileitung „Gütersloh – Halle/Hesseln“ fest. Es handelt sich um einen Teilabschnitt der „Höchstspannungsleitung Wehrendorf – Gütersloh, Nennspannung 380 kV“, einem Vorhaben nach dem Bedarfsplan des Energieleitungsausbaugesetzes (EnLAG) (Nr. 16 der Anlage) und einen Ersatz für bestehende 110-kV-Hoch- und 220-kV-Höchstspannungsfreileitungen.
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Der Antragsteller zu 1 ist Eigentümer des Grundstücks Flurstück …, Flur 4, Gemarkung …, auf dem sich gewerblich und zu Wohnzwecken genutzte Gebäude befinden. Das Grundstück liegt in der Nähe von Mast 13 auf der Westseite der Leitungstrasse und grenzt mit einer Ecke an den Schutzstreifen. Der Antragsteller zu 2 ist Eigentümer des Grundstücks Flurstück …, Flur 4, Gemarkung …. Auf dem Grundstück befindet sich das Wohngebäude des Antragstellers zu 2; andere Gebäude werden gewerblich genutzt. Das Grundstück liegt ebenfalls in Höhe von Mast 13, jedoch auf der Ostseite und ist teilweise nur etwa 2 m vom Schutzstreifen entfernt.
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Gegen den vom 9. bis 23. September 2019 öffentlich ausgelegten Planfeststellungsbeschluss haben die Antragsteller am 14. Oktober 2019 Klage erhoben (BVerwG 4 A 10.19). Mit Schriftsatz vom 21. September 2020 begehren sie unter Verweis auf § 43e Abs. 2 Satz 1 EnWG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Zur Begründung tragen sie vor, die Beigeladene errichte Mast Nr. 13 abweichend vom Planfeststellungsbeschluss, denn das Fundament für diesen Mast sei nicht so ausgeführt worden, wie es in den planfestgestellten Unterlagen dargestellt worden sei. Die Planfeststellung könne die Bauausführung zwar einer nachfolgenden Genehmigung überlassen. Ein entsprechender Vorbehalt sei im Planfeststellungsbeschluss aber nicht enthalten; auch sei die Ausführungsplanung nicht genehmigt worden.
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Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem Antrag entgegen.
II
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Das Bundesverwaltungsgericht ist als Gericht der Hauptsache nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, § 1 Abs. 3 EnLAG i.V.m. Nr. 16 der Anlage zum EnLAG für die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zuständig.
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1. Der Antrag ist gemäß § 43e Abs. 2 Satz 1 EnWG zulässig.
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a) Der Antrag ist statthaft, weil der Planfeststellungsbeschluss nach § 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG sofort vollziehbar ist. Die Antragsteller sind antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Da die planfestgestellte Leitung näher an die Grundstücke der Antragsteller heranrückt als die Bestandsleitung, kann jedenfalls eine Betroffenheit in abwägungserheblichen Belangen (§ 43 Abs. 3 EnWG) nicht von vorneherein und nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2017 – 7 A 17.12 – BVerwGE 161, 17 Rn. 16 m.w.N.).
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b) Der Antrag ist zwar nicht gemäß § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses am 23. September 2019 (§ 43 Abs. 5 EnWG i.V.m. § 74 Abs. 5 Satz 1 und 3 VwVfG NRW) erhoben worden; diese Frist ist aufgrund des ordnungsgemäßen Hinweises nach § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO in Lauf gesetzt worden.
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Es liegen jedoch die Voraussetzungen des § 43e Abs. 2 EnWG vor. Danach ist ein erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG gestellter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss dann zulässig, wenn er auf später eingetretene Tatsachen gestützt und innerhalb eines Monats nach dem Zeitpunkt gestellt wird, in dem der Beschwerte von diesen Tatsachen Kenntnis erlangt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1999 – 11 VR 8.98 – Buchholz 442.09 § 20 AEG Nr. 26 = juris Rn. 2). Das ist hier der Fall, soweit die Antragsteller vortragen, die Beigeladene baue bei Mast 13 planabweichend. Die Beigeladene hat nach ihren eigenen Angaben in der Woche ab dem 8. Juni 2020 mit den Gründungen im Bereich der Maste 10 bis 15 begonnen und mitgeteilt, dass diese Arbeiten voraussichtlich Ende August 2020 abgeschlossen sein werden. Im Anschluss daran erfolge die Vormontage der Maste und nach einer Aushärtung der Betonfundamente das Stocken der Maste. Die Errichtung des Betonfundaments bei Mast 13 ist damit eine Tatsache, die nach Ablauf der Monatsfrist des § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG eingetreten ist. Von der – vermeintlich – planabweichenden Ausführung des Fundaments haben die Antragsteller – nach ihrem insofern unwidersprochen gebliebenen Vortrag – am 1. September 2020 Kenntnis erhalten. Der Antrag vom 21. September 2020 wahrt folglich die Monatsfrist des § 43e Abs. 2 Satz 1 EnWG.
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2. Der Antrag ist unbegründet. Das öffentliche Interesse und das private Interesse der Beigeladenen an der Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses überwiegen das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
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Im Rahmen eines auf § 43e Abs. 2 Satz 1 EnWG gestützten Antrages sind nur die vom Antragsteller rechtzeitig geltend gemachten später eingetretenen Tatsachen zu prüfen. Das folgt aus der allein auf diese Tatsachen bezogenen Formulierung eines „hierauf“ gestützten Antrags; andernfalls liefe die in § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG normierte Monatsfrist leer. Der Vortrag der Antragsteller, der Planfeststellungsbeschluss sei rechtswidrig, weil er die Frage der Ausführungsplanung nicht regele (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2019 – 9 A 13.18 – BVerwGE 166, 132 Rn. 169 f.) und die Ausführungsplanung nicht genehmigt worden sei, ist danach unbeachtlich. Denn die geltend gemachten Fehler haften bereits dem ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss an und sind damit nicht i.S.v. § 43e Abs. 2 Satz 1 EnWG später eingetreten. Mit dem allein erheblichen Einwand, die Beigeladene baue planabweichend, werden jedoch keine Gründe aufgezeigt, die der Klage zum Erfolg verhelfen könnten. Denn die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses wird durch eine – vermeintlich – planabweichende Bauausführung nicht in Frage gestellt. Da dem Vollzugsinteresse nach der gesetzlich gemäß § 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit erhebliches Gewicht zukommt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juli 2018 – 9 VR 1.18 – NVwZ 2018, 1653 Rn. 10 und vom 28. März 2020 – 4 VR 5.19 – juris Rn. 11) und mit dem nach § 43e Abs. 2 Satz 1 EnWG zu berücksichtigenden Vortrag die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses im Verfahren nicht in Zweifel gezogen wird, hat das Vollzugsinteresse Vorrang vor dem Suspensivinteresse der Antragsteller.
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3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass Rechtsschutz gegen eine von einem Planfeststellungsbeschluss abweichende Bauausführung nur auf der Grundlage eines gegebenenfalls nach § 123 Abs. 1 VwGO vorläufig zu sichernden Anspruch auf Einschreiten der Aufsichtsbehörde in Betracht kommt. Ein solcher Antrag ist hier jedoch nicht gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht wäre hierfür im Übrigen auch nicht zuständig. Im Hinblick auf den Zweck der Zuständigkeitsregelung in § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, die Verwirklichung von Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen und divergierende Entscheidungen zu vermeiden, werden von dieser Vorschrift zwar alle Verfahren erfasst, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungsverfahren oder Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO haben (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2012 – 7 VR 10.12 – NVwZ 2013, 78 Rn. 5 m.w.N.). Dabei betrifft eine Streitigkeit das Planfeststellungsverfahren, wenn sie Teil der genehmigungsrechtlichen Bewältigung des Vorhabens ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn um Maßnahmen gestritten wird, die zeitlich und sachlich der späteren Planfeststellung oder Plangenehmigung vorausgehen, indem sie der Vorbereitung eines solchen Verfahrens dienen oder einen Ausschnitt der Probleme darstellen, die in einem laufenden Planfeststellungsverfahren zu lösen sind (BVerwG, Beschlüsse vom 12. Juni 2007 – 7 VR 1.07 – Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 25 Rn. 8, vom 15. Juni 2011 – 7 VR 8.11 – Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 20 Rn. 5, vom 9. Oktober 2012 – 7 VR 10.12 – Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 31 Rn. 5 m.w.N. und vom 9. Mai 2019 – 4 VR 1.19 – NVwZ 2019, 1357 Rn. 13). Die Geltendmachung eines Anspruchs auf behördliches Einschreiten gegen den Vorhabenträger wegen planabweichender Bauausführung gehört indessen nicht dazu (BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2011 – 7 VR 8.11 – Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 20 Rn. 6).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.