BPatG München 28. Senat, Beschluss vom 27.07.2022, AZ 28 W (pat) 532/22, ECLI:DE:BPatG:2022:270722B28Wpat532.22.0
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2021 023 835.0
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 27. Juli 2022 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richterinnen Kriener und Berner
beschlossen:
1. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 27. Mai 2022 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
Gründe
I.
1
Das Wort-/Bildzeichen (blau, grau)
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ist am 3. November 2021 unter der Nummer 30 2021 023 835.0 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register angemeldet worden für Waren und Dienstleistungen der
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Klasse 9: Publikationen in elektronischer und digitaler Form sowie im Internet; elektronische und digitale Medien; Datenträger; Computerhard- und -software;
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Klasse 16: Publikationen in gedruckter und analoger Form; Druckereierzeugnisse; Druckschriften; Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Magazine, Prospekte, Broschüren, Flyer, Newsletter;
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Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensberatung und -verwaltung; Büroarbeiten; Erstellung von Abrechnungen; Buchführung; organisatorische und betriebswirtschaftliche Beratung;
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Klasse 36: Versicherungswesen; Finanzwesen; Geldgeschäfte; Inkassogeschäfte; finanzielle Beratung;
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Klasse 41: Aus- und Fortbildung; Veranstaltung und Durchführung von Schulungen, Seminaren und Kongressen; Publikationsdienstleistungen (auch in elektronischer und digitaler Form sowie im Internet);
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Klasse 42: Wissenschaftliche Dienstleistungen und Forschungsarbeiten; Qualitätsprüfung, Qualitätskontrolle und Qualitätsmanagement; Entwurf und Entwicklung von Computerhard- und -software;
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Klasse 44: Dienstleistungen im Bereich Medizin und Gesundheitswesen;
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Klasse 45: Rechtsberatung und -vertretung; Vertretung berufsständischer Interessen Dritter im Gesundheitswesen (politische Lobbyarbeit).
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Mit Beschluss vom 27. Mai 2022 hat die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 41 des DPMA die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, „PVS“ sei die Abkürzung für „Privatärztliche Verrechnungsstelle“, während „letter“ „Brief, Schreiben“ bedeute und insbesondere zur Bezeichnung eines Newsletters üblich sei (vgl. BPatG 29 W (pat) 230/03 – XtraLetter). Das Zeichen erweise sich daher angesichts der angemeldeten Waren und Dienstleistungen lediglich als ein Hinweis, dass diese Mitteilungen einer privatärztlichen Verrechnungsstelle beinhalten, mittels solcher Schreiben und schriftlicher Informationen bzw. eines Newsletters erbracht oder von einer privatärztlichen Verrechnungsstelle angeboten würden bzw. könnten. Die angesprochenen Verkehrskreise würden in dem Anmeldezeichen lediglich eine beschreibende Angabe im vorgenannten Sinn und keinen Hinweis auf einen ganz bestimmten Geschäftsbetrieb erkennen. Der Punkt am Ende sowie die Verwendung der Farben blau und grau gingen nicht über den werbeüblichen Rahmen hinaus, weshalb der grafischen Ausgestaltung keine eigene betriebskennzeichnende Wirkung zukomme.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Ansicht, die Markenstelle habe die Schutzhindernisse nur abstrakt und nicht anhand der konkret beanspruchten Waren und Dienstleistungen geprüft. Es sei aber nicht nachvollziehbar, welchen für den Verkehr erkennbaren, unmittelbar beschreibenden Bezug das angemeldete Wort-/Bildzeichen etwa zu Computerhard- und software, Geschäftsführung, Unternehmensberatung, Versicherungswesen, Finanzwesen, Qualitätskontrolle, Qualitätsprüfung, wissenschaftlichen oder medizinischen Dienstleistungen sowie Rechtsberatung und -vertretung herstellen solle. Bloße pauschale Behauptungen genügten insoweit nicht. Das sprachunübliche Anmeldezeichen enthalte „PVS“ als Firmenschlagwort, das sowohl in Alleinstellung als Wortmarke als auch in vielen anderen Kombinationen geschützt sei. Aus diesem Grund sowie wegen des typischen Blautons werde es von den beteiligten Verkehrskreisen als Hinweis auf das Unternehmen der Anmelderin erkannt. Ferner sei die konkrete farbliche und gestalterische Darstellung zu berücksichtigen. Schließlich seien Dritte nicht darauf angewiesen, die konkrete Kombination in ihrer angemeldeten Form zu verwenden, weshalb auch kein Freihaltebedürfnis bestehe.
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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 des DPMA vom 27. Mai 2022 aufzuheben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und führt gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das DPMA.
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1. Das Verfahren vor dem DPMA leidet an einem wesentlichen Mangel, weil die Entscheidung auf eine ungenügend zwischen den einzelnen Waren und Dienstleistungen differenzierende Begründung gestützt worden ist.
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a) Nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem DPMA an einem wesentlichen Mangel leidet. Von einem wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne des § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG ist auszugehen, wenn es nicht mehr als ordnungsgemäße Grundlage für die darauf beruhende Entscheidung des DPMA anzusehen ist (BGH GRUR 1962, 86, 87 – Fischereifahrzeug). Das gilt insbesondere für völlig ungenügende oder widersprüchliche Begründungen (BPatGE 7, 26, 31 ff.; 21, 75).
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b) Bei der Prüfung der absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 MarkenG sind grundsätzlich
alle beanspruchten Waren und/oder Dienstleistungen zu würdigen (EuGH GRUR 2007, 425 Rdnr. 32, 36 – MT&C/BMB; BGH GRUR 2009, 952 Rdnr. 9 – DeutschlandCard), wobei eine globale Begründung ausreicht, soweit dieselben Erwägungen eine Kategorie oder Gruppe der angemeldeten Waren und/oder Dienstleistungen betreffen (EuGH a. a. O. Rdnr. 37 – MT&C/BMB; GRUR 2008, 339 Rdnr. 91 – Develey/HABM). Das bedeutet aber nur, dass dieselbe für verschiedene Waren und/oder Dienstleistungen maßgebliche Begründung nicht für jede einzelne Position des Waren-/Dienstleistungsverzeichnisses wiederholt werden muss, sondern dass Gruppen von Waren und/oder Dienstleistungen zusammengefasst beurteilt werden können. Gegen diese Begründungspflicht wird daher verstoßen, wenn verschiedene Waren und/oder Dienstleistungen ohne weitere Begründung gleich behandelt oder überhaupt nicht gewürdigt werden.
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c) Der Anmelderin ist darin zu folgen, dass die Markenstelle über die Zurückweisung der Anmeldung pauschal und ohne Differenzierung zwischen den einzelnen Waren und Dienstleistungen entschieden hat, obwohl sich diese deutlich unterscheiden und nicht alle in eine gemeinsame Kategorie fallen.
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aa) Dies zeigt sich schon daran, dass die Markenstelle in der Begründung des angefochtenen Beschlusses auf keine einzige Ware oder Dienstleistung eingegangen ist, obwohl die Anmelderin schon in ihrer Stellungnahme vom 9. Februar 2022 auf den Beanstandungsbescheid vom 21. Dezember 2021 ausdrücklich ausgeführt hat, dass die Schutzhindernisse nicht abstrakt, sondern im Hinblick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu prüfen seien und der pauschale Hinweis im Beanstandungsbescheid dem nicht genüge.
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bb) Lediglich in zwei Sätzen finden sich – allgemeine – Ausführungen zum Bezug des Anmeldezeichens zum Waren- und Dienstleistungsverzeichnis in seiner Gesamtheit. Es ist jedoch nicht erkennbar, welche der in den beiden Sätzen genannten Alternativen zu welchen Waren oder Dienstleistungen gehören, zumal sich diese keiner einheitlichen Kategorie zuordnen lassen.
23
cc) Zudem hat die Markenstelle zwar die Bedeutung der beiden sich aus der unterschiedlichen grafischen Ausgestaltung ersichtlichen Zeichenbestandteile „PVS“ und „letter“ ermittelt. Zur Gesamtbedeutung der Begriffskombination im Hinblick auf die zahlreichen Waren und Dienstleistungen des angemeldeten Verzeichnisses nach dem Verständnis der – im Beschluss nicht definierten – jeweils angesprochenen Verkehrskreise enthält der angefochtene Beschluss ebenfalls keine Ausführungen.
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d) Insgesamt besteht die Begründung des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen aus einer Abfolge von Textbausteinen mit markenrechtlichen Grundsätzen zur Unterscheidungskraft und der Ergebnismitteilung, dass das angemeldete Zeichen diesen Anforderungen nicht entspreche. Die Markenstelle hat es damit versäumt, den verfahrensgegenständlichen Zurückweisungsbeschluss zu begründen (vgl. § 61 Abs. 1 Satz 1 MarkenG).
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e) Da weder eine inhaltliche Auseinandersetzung der Markenstelle mit dem angemeldeten Waren- und Dienstleistungsverzeichnis erkennbar ist, noch die Gesamtbedeutung des Anmeldezeichens – auch im Hinblick auf die angesprochenen Verkehrskreise – ermittelt wurde, sieht der Senat nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG von einer eigenen abschließenden Sachentscheidung ab und verweist die Sache an das DPMA zurück. Ungeachtet der Bedeutung, die dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie im Rahmen der gebotenen Ermessensausübung zukommt, kann es nicht zu den Aufgaben des Bundespatentgerichts gehören, in der Sache die dem DPMA obliegende differenzierte Erstprüfung einer Anmeldung nebst umfangreicher Recherche durchzuführen (vgl. BPatG 28 W (pat) 505/18 – MOVE; 27 W (pat) 28/18 – RUN FFM, 26 W (pat) 524/19 – KLEINER STECHER; 30 W (pat) 523/16 – CHROMA; 24 W (pat) 524/15 – kerzenzauber; 29 W (pat) 516/15 – Space IC; 26 W (pat) 518/17 – modulmaster). Dabei sind ferner sowohl der sonst eintretende Verlust einer Entscheidungsinstanz als auch die Belastung des Senats mit einem hohen Stand an vorrangigen Altverfahren zu berücksichtigen, die eine zeitnahe Behandlung des vorliegenden, erst im Juni 2022 anhängig gewordenen Verfahrens nicht zulassen.
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f) Die Markenstelle wird daher erneut in die Prüfung einzutreten haben, ob und gegebenenfalls für welche konkreten Waren oder Dienstleistungen ein Eintragungshindernis festzustellen ist.
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2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war nach § 71 Abs. 3 MarkenG anzuordnen. Dies entspricht der Billigkeit, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beschwerde bei korrekter Sachbehandlung vermieden worden wäre.