(Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei Streit um das Vorliegen eines Härtefalls gemäß § 150 Abs. 8 AO, § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV) (Beschluss des BFH 8. Senat)

BFH 8. Senat, Beschluss vom 20.09.2022, AZ VIII B 103/21, ECLI:DE:BFH:2022:B.200922.VIIIB103.21.0

§ 25 Abs 4 EStG 2009, § 150 Abs 8 AO, § 18 Abs 3 UStG 2005, § 60 Abs 4 EStDV, § 73 Abs 1 S 1 FGO

Leitsatz

NV: Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung im Zusammenhang mit den Voraussetzungen der Befreiungstatbestände in § 150 Abs. 8 AO, § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV setzt voraus, dass der Beschwerdeführer sich mit den in der bisherigen BFH-Rechtsprechung formulierten Anforderungen an eine wirtschaftliche und persönliche Unzumutbarkeit i.S. des § 150 Abs. 8 AO und an eine unbillige Härte i.S. des § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV befasst.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 27. Mai 2021, Az: 9 K 9144/18, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 27.05.2021 – 9 K 9144/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

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Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung –;FGO–) liegt nicht vor (s. unter 1.). Die Voraussetzungen des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO legt der Kläger entgegen der Vorgabe des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht ordnungsgemäß dar (s. unter 2.).

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1. Das Finanzgericht (FG) hat im Streitfall das Klagebegehren nicht fehlerhaft ausgelegt und beschieden.

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a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist das Gericht an die Fassung des Klageantrags nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht. Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes Rechnung. Dabei darf das FG nicht über ein offenkundig nicht verfolgtes Rechtsschutzziel entscheiden, nicht über die Anträge hinausgehen, nicht hinter dem Klagebegehren zurückbleiben, nicht nur über einen Teil des Klagebegehrens entscheiden und auch nicht unklar tenorieren oder so entscheiden, dass das Urteil nicht in einem bestimmten Sinne zweifelsfrei ausgelegt werden kann. Liegt ein solcher Fehler vor, stellt dies einen im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde auch ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigenden Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar (Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 14.12.2021 – VIII B 50/21, BFH/NV 2022, 598, Rz 9, 10, m.w.N.).

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b) Das FG hat jedoch das Klagebegehren nicht verkannt. Es hat den von einem sachkundigen Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag zu Recht als dessen Klagebegehren verstanden und beschieden.

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aa) Der BFH kann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Auslegung einer prozessualen Willenserklärung durch das FG uneingeschränkt nachprüfen; die Nachprüfung von Prozesshandlungen und Prozesserklärungen sowie Anträgen auf ihren Inhalt und ihre Bedeutung gehört zu den Aufgaben des BFH, bei der er nicht an die Tatsachenfeststellungen des FG gebunden ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2022, 598, Rz 11, m.w.N.).

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bb) Das FG hat das Klagebegehren nicht fehlerhaft erfasst und beschieden.

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aaa) In der mündlichen Verhandlung beim FG vom 27.05.2021 hat der selbst abwesende Kläger über seinen damaligen Prozessbevollmächtigten ausweislich der Niederschrift beantragt, „den Beklagten unter Aufhebung der drei Bescheide vom 11. Juli 2017 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 24. Juli 2018 zu verpflichten, unter Anerkennung eines Härtefalls auf die Übermittlung der Einkommensteuererklärungen, der Umsatzsteuererklärungen sowie der Einnahme-Überschussrechnungen durch Datenfernübertragung zu verzichten“. Eine Befreiung von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung der hier streitigen Erklärungen kann nach dem gesetzlichen Regelungssystem nur gemäß § 150 Abs. 8 der Abgabenordnung (AO) oder nach den Einzelsteuergesetzen über die dort in § 25 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG), § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) und § 60 Abs. 4 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) enthaltenen Härtefallregelungen erreicht werden (vgl. BFH-Urteil vom 16.06.2020 – VIII R 29/17, BFHE 269, 284, BStBl II 2021, 288). Hierauf zielte der seinem Wortlaut nach eindeutige und nicht auslegungsfähige Verpflichtungsantrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung ab.

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Der gestellte Antrag entsprach bei objektiver Betrachtungsweise dem Klagebegehren, denn der Kläger stützte sich darauf, nicht zur Datenübermittlung der Erklärungen im Rahmen des ELSTER-Verfahrens verpflichtet zu sein, weil weder gesetzlich noch aufgrund technischer Anforderungen von ihm verlangt werden könne, zur technischen Durchführung der Datenübermittlung ein eigenes E-Mail-Konto einrichten oder die E-Mail-Anschriften Dritter angeben zu müssen, um eine ELSTER-Zertifikatsdatei zu erhalten. Damit ging es dem Kläger bei objektiver Betrachtungsweise darum, von der Datenübermittlung im Rahmen des ELSTER-Verfahrens individuell befreit zu werden, weil er die hierzu erforderlichen technischen Voraussetzungen nicht erfüllen wollte, soweit dies das Innehaben eines E-Mail-Kontos betraf. Er strebte eine Härtefallbefreiung auf Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Regelungen (§ 150 Abs. 8 AO, § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV) an.

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bbb) Soweit der Kläger vorbringt, das FG habe das Klagebegehren falsch beurteilt, weil es davon ausgegangen sei, er habe als Härtefall anerkannt werden und den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt –FA–) verpflichten wollen, ihm weiterhin eine Papierabgabe (statt der Abgabe von Daten-CDs) zu gestatten, ist das Vorbringen unschlüssig. Das FG hat in der Begründung der Vorentscheidung den Antrag des Klägers weder in dieser Weise ausgelegt und als Klagebegehren beurteilt, noch hat es sich dazu geäußert, wie der Kläger seine Steuererklärungspflicht erfüllen müsse, wenn ein Härtefall anzuerkennen sei.

11

2. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO werden nicht gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ordnungsgemäß dargelegt.

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a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche, abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 07.06.2022 – VIII B 51/21, juris, Rz 4).

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b) Selbst wenn der Senat zugunsten des Klägers annimmt, dieser habe den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung noch während der Beschwerdebegründungsfrist im Schriftsatz vom 12.10.2021 fristgerecht geltend gemacht und die Begründung im weiteren Schriftsatz vom 14.12.2021 in zulässiger Weise nur noch vertieft, genügt die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen nicht.

14

Die im Schriftsatz vom 14.12.2021 als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung formulierte Frage, ob jeder Steuerpflichtige ab Mitte 2013 über eine E-Mail verfügen müsse, ohne dass er durch ein Gesetz hierzu verpflichtet werde, um sich auf diese Weise ein ELSTER-(Melde-)Zertifikat verschaffen zu können, ist zwar noch hinreichend abstrakt. Der Kläger setzt sich im Folgenden aber mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen nicht auseinander und legt nicht dar, weshalb die von ihm für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig sein soll. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung im Zusammenhang mit den Voraussetzungen der Befreiungstatbestände in § 150 Abs. 8 AO, § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV setzt voraus, dass der Beschwerdeführer sich mit den in der bisherigen BFH-Rechtsprechung formulierten Anforderungen an eine wirtschaftliche und persönliche Unbilligkeit i.S. des § 150 Abs. 8 AO und an eine unbillige Härte i.S. des § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV befasst. Der Kläger hätte sich hierzu jedenfalls mit den vom FG zitierten BFH-Entscheidungen (vgl. Urteile in BFHE 269, 284, BStBl II 2021, 288, und vom 14.03.2012 – XI R 33/09, BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477) auseinandersetzen und erläutern müssen, dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage nicht bereits mit den darin herausgearbeiteten Wertungen beantworten lässt und dass sie deshalb noch klärungsbedürftig ist. Daran fehlt es in den Beschwerdebegründungen vom 12.10.2021 und vom 14.12.2021 jedoch. Der Kläger führt umfangreich und bezogen auf den Streitfall aus, warum er die abweichende rechtliche Würdigung des FA und des FG für rechtsfehlerhaft hält und erläutert die praktischen Probleme und Sanktionen, die ihm daraus erwachsen, dass er die Datenübermittlung per ELSTER unter den seit 2013 geltenden Anforderungen nicht mehr nützen kann und will.

15

Allein der Hinweis auf das beim BFH geführte Beschwerdeverfahren XI B 79/21 genügt zur Darlegung der Voraussetzungen der grundsätzlichen Bedeutung ebenfalls nicht (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31.05.2000 – IV B 55/99, juris, vorletzter Absatz).

16

3. Das vorliegende Verfahren ist auch nicht, wie vom Kläger beantragt, gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO mit dem Verfahren XI B 79/21 zu verbinden, da der erkennende Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für das beim XI. Senat anhängige Verfahren nicht zuständig ist und der Geschäftsverteilungsplan des BFH eine senatsübergreifende Verbindung mehrerer Verfahren nicht gestattet (vgl. BFH-Beschluss vom 06.02.2007 – X B 97/06, BFH/NV 2007, 961, unter 2.).

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4. Der Senat sieht von einer Darstellung des Tatbestands und einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

18

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.