BGH 6. Strafsenat, Urteil vom 07.09.2022, AZ 6 StR 225/22, ECLI:DE:BGH:2022:070922U6STR225.22.0
Verfahrensgang
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 7. Februar 2022, Az: 19 Ks 113 Js 2195/21
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Februar 2022 aufgehoben; jedoch haben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen Bestand.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Das hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat im Wesentlichen Erfolg.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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a) Der Angeklagte verbrachte den Abend des 28. und die Nacht zum 29. August 2021 mit mehreren Bekannten in seiner Wohnung, konsumierte hierbei Alkohol, eine „Kleinmenge Marihuana“ und eine halbe Ecstasy-Tablette. Um weitere alkoholische Getränke zu erwerben, begab er sich mit seinen Bekannten A. und K. zu einer nahegelegenen Tankstelle und erwarb dort um 4:30 Uhr eine Halbliterflasche Bier. Beim Verlassen des – nur von der Angestellten G. besetzten – Verkaufsraums traf er auf den gerade eintretenden Nebenkläger R. . Der Angeklagte stellte sich diesem in den Weg, bewegte sich vor ihm hin und her, äußerte unverständliche Laute und begab sich wenige Sekunden später mit seinen beiden Begleitern auf das zu dieser Zeit menschenleere Außengelände der Tankstelle.
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Da der Nebenkläger ihm „beleidigende Äußerungen nicht mehr aufklärbaren Inhalts“ hinterhergerufen hatte und der Angeklagte diesen deshalb „zur Rede stellen“ wollte, wartete die Gruppe um den Angeklagten in der Nähe des Fahrzeugs des Nebenklägers auf diesen. Nach etwa einer Minute trat der Nebenkläger aus dem Verkaufsraum und begab sich zu der Gruppe um den Angeklagten, da er seinerseits den Angeklagten wegen dessen Verhaltens „zur Rede stellen“ wollte. Dabei beschimpfte und beleidigte er den Angeklagten und fuchtelte – ohne den Angeklagten zu berühren – mit den Armen. Der Zeuge K. stellte sich sodann zwischen beide, die sich weniger als einen Meter voneinander entfernt gegenüberstanden, um die Situation zu beruhigen.
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Als der Nebenkläger sich schließlich umdrehte, um sich zu seinem Fahrzeug zu begeben, machte der Angeklagte einen Schritt nach hinten und warf aus einer Entfernung von etwa zwei bis drei Metern die noch verschlossene Bierflasche gegen den Kopf des Nebenklägers, um ihn zu verletzen. Hierbei hielt er auch schwerwiegende Verletzungen für möglich und nahm diese billigend in Kauf. Der Flaschenboden traf den Nebenkläger an der linken Kopfseite oberhalb des Ohres und verursachte eine blutende Riss-Quetsch-Wunde sowie ein Subduralhämatom. Der Nebenkläger torkelte aufgrund dessen zunächst einige Schritte und stürzte dann – „kurzzeitig bewusstseinseingetrübt“ – mit dem Gesicht „ungebremst“ auf den gepflasterten Boden. Hierdurch erlitt er zahlreiche schwere Gesichtsfrakturen.
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Der Angeklagte nahm den Zusammenbruch des Nebenklägers und die schweren und blutenden Verletzungen wahr, verließ aber gleichwohl mit seinen Bekannten zügig das Tankstellengelände und „ging davon aus, dass die Zeugin G. , die aus dem zur Tankstelle gehörenden Verkaufsraum den Tatortbereich einsehen konnte“, dem Nebenkläger „alsbald helfen und weitere Hilfe Dritter hinzuholen würde“.
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b) Das Landgericht hat das Geschehen als gefährliche Körperverletzung gewertet (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB). Das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes für den Zeitpunkt des Flaschenwurfs hat es unter Berücksichtigung verschiedener vorsatzkritischer Aspekte, namentlich der Alkoholisierung, der zuvor konsumierten Betäubungsmittel, der sich „rasch entwickelnden affektiven Erregungssituation“ sowie mit Blick auf den Umstand, dass es sich bei dem „ungebremsten Sturz“ des Nebenklägers um die „sekundäre Folge“ des Flaschenwurfs handelte, abgelehnt. Für den Zeitpunkt des Verlassens des Tankstellengeländes fehle es am voluntativen Element des bedingten Tötungsvorsatzes, weil der Angeklagte – als Ergebnis einer Gesamtwürdigung „aller in Betracht kommender Umstände“ – darauf vertraut habe, dass die Zeugin G. und „durch ihre Vermittlung“ Dritte zeitnah zu Hilfe kommen und eine mögliche Lebensgefahr abwenden würden.
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2. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist überwiegend begründet. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Ablehnung des Tötungsvorsatzes für den Zeitpunkt des Flaschenwurfs sachlich-rechtlicher Überprüfung standhält. Denn die Beschwerdeführerin beanstandet jedenfalls zu Recht die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes beim Verlassen des Tankstellengeländes.
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a) Das Landgericht ist davon überzeugt, dass der – den Flaschenwurf mit Körperverletzungsvorsatz einräumende – Angeklagte trotz des von ihm wahrgenommenen „Zusammenbruchs des blutenden“ Nebenklägers infolge seines Flaschenwurfs und des hierdurch verursachten „potentiell“ lebensgefährlichen Verletzungsbildes tatsachengestützt auf ein Hilfeleisten der Zeugin G. und damit auf einen „nicht letalen Ausgang des Geschehens“ vertraut habe. In diese Würdigung hat es im Wesentlichen eingestellt, dass die Zeugin – nach eigenem Bekunden und korrespondierend mit den Angaben der Zeugen K. und A. – Kenntnis von der vorangegangen verbalen Auseinandersetzung im Eingangsbereichs des Ladenlokals gehabt und sich – ausweislich der Aufzeichnungen einer Überwachungskamera – etwa 25 Sekunden nachdem der Nebenkläger den Verkaufsraum verlassen hatte, „ins Freie begeben“ habe. Auch sei das Tankstellengelände vom Kassenbereich wegen vorhandener Fenster einsehbar. Der Zeuge A. habe ferner bekundet, dass sich die Zeugin G. kurz bevor er mit dem Angeklagten weggelaufen sei, „im Verkaufsraum bewegt habe“ (UA S. 28). Dies müsste – so der Zeuge A. – auch der Angeklagte wahrgenommen haben.
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b) Diese Beweiserwägungen erweisen sich – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; vom 11. Juni 2013 – 5 StR 124/13, NStZ-RR 2013, 277 mwN) – in mehrfacher Hinsicht als rechtsfehlerhaft.
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aa) Sie sind lückenhaft, weil sich den Urteilsgründen bereits nicht entnehmen lässt, wie sich der Angeklagte zum Tatgeschehen nach dem Flaschenwurf eingelassen hat.
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In einem Strafurteil ist die Einlassung des Angeklagten zumindest in wesentlichen Grundzügen in einer geschlossenen und zusammenhängenden Darstellung wiederzugeben und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu würdigen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2021 – 5 StR 102/20, Rn. 27; Beschluss vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300). Erst auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht überprüfen, ob das Tatgericht die Bedeutung der Angaben des Angeklagten zutreffend erkannt und bewertet hat und damit den Feststellungen eine erschöpfende Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2021 – 5 StR 102/20 Rn. 27; BGH, Beschlüsse vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300; vom 7. Mai 1998 – 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45).
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Dem genügt die Darstellung hier nicht. Denn es bleibt offen, ob und wie der – den Flaschenwurf und einen Verletzungsvorsatz einräumende – Angeklagte sich zu seinem Vorstellungsbild im Zeitpunkt des fluchtartigen Verlassens des Tatorts eingelassen hat. Sollte der Angeklagte hierzu Angaben verweigert haben, läge hierin ein Teilschweigen, dass – ebenso wie der von der Strafkammer ebenfalls nicht erkennbar bedachte Umstand, dass der Angeklagte im Übrigen lediglich Verteidigererklärungen bestätigt hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2020 − 2 StR 69/19, NStZ 2021, 180, 182) – in die Beweiswürdigung einzustellen gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 16. Februar 2022 – 5 StR 320/21; vom 2. Februar 2022 – 5 StR 282/21; vom 10. Mai 2017 – 2 StR 258/16; Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 StR 380/21, Rn. 10 ff.).
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bb) Soweit das Landgericht annimmt, der Angeklagte habe „tatsachengestützt“ auf ein Hilfeleisten der Zeugin G. vertraut, hat es überdies verkannt, dass es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zugunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. BGH, Urteile vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 Rn. 37, NStZ-RR 2015, 83, 85; vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 33; vom 25. April 2017 – 5 StR 433/16, NStZ-RR 2017, 221, 222). Dass der Zeuge A. eine Bewegung der Zeugin im Verkaufsraum und seine deshalb bestandene Erwartung geschildert hat, diese sei auf dem Weg zum Geschädigten, belegt ein entsprechendes Vorstellungsbild des Angeklagten nicht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – 5 StR 124/13, NStZ-RR 2013, 277).
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cc) Die Strafkammer erwägt schließlich nicht, dass aus der geschilderten Bewegung im Verkaufsraum auch im Übrigen kein tatsachenfundierter Schluss auf das Vertrauen des Angeklagten auf einen glimpflichen Ausgang gezogen werden kann. Die Bewegung der Zeugin wird in den Urteilsgründen nicht näher beschrieben und kann ohne Weiteres auch durch das Verrichten von der Zeugin als Verkäuferin obliegenden Tätigkeiten im Verkaufsraum erklärlich gewesen sein.
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3. Vom aufgezeigten Rechtsfehler betroffen sind die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); diejenigen zum objektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Insoweit bleibt der Revision der Staatsanwaltschaft der Erfolg versagt.
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4. Die Prüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben (§ 301 StPO).
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5. Ergänzend bemerkt der Senat:
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a) Das neue Tatgericht wird für den Tatzeitpunkt des Verlassens des Tankstellengeländes die festgestellten Vorerfahrungen des Angeklagten mit Gewalthandlungen und seine beruflichen Fertigkeiten und Kenntnisse näher als bisher in den Blick zu nehmen haben.
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b) Es ist rechtlich bedenklich, in den Urteilsgründen auf die „gesicherten Videoaufnahmen“ nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2011 – 2 StR 332/11, BGHSt 57, 53).
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c) Das neue Tatgericht wird die Voraussetzungen des § 46a StGB eingehender als bislang geschehen zu prüfen haben.
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