Antragsbefugnis eines Bergwerkunternehmers für einen Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan, der das noch nicht wiedernutzbar gemachte ehemalige Betriebsgelände überplant. (Urteil des BVerwG 4. Senat)

BVerwG 4. Senat, Urteil vom 12.07.2022, AZ 4 CN 3/21, ECLI:DE:BVerwG:2022:120722U4CN3.21.0

Leitsatz

Die Verantwortung eines Bergbauunternehmens nach § 58 Abs. 1 BBergG für die Wiedernutzbarmachung ehemaliger Abbauflächen im Gebiet eines Bebauungsplans ist ein die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO begründender abwägungserheblicher Belang.

Verfahrensgang

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 15. Dezember 2020, Az: 3 C 1368/18.N, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Antragstellerin wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Dezember 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

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Die Antragstellerin wendet sich gegen den am 22. Juli 2017 bekanntgemachten Bebauungsplan „Am Gaulsberg“.

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Der Plan setzt auf dem Gelände eines ehemaligen Steinbruchs drei sonstige Sondergebiete nach § 11 BauNVO für ein Science Center (SO 1), ein Hotel (SO 2) und für Camping (SO 3) fest. In der Mitte des Gebiets, im Bereich der ehemaligen Abbausohle ist entsprechend § 9 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. a BauGB eine Wasserfläche festgesetzt.

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Die Antragstellerin war ursprünglich Eigentümerin zahlreicher Grundstücke im Plangebiet. Sie baute auf eigenen sowie auf zugepachteten Grundstücken seit 1976 Basaltlava ab. Hierfür erhielt sie zuletzt mit Bescheid vom 13. Oktober 1994 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung, in welcher ihr u. a. aufgegeben wurde, einen Rekultivierungsplan III zur Zustimmung vorzulegen. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2003 ließ die Bergbehörde den von der Antragstellerin beantragten Sonderbetriebsplan Rekultivierungsstufe III zu. Der Rechtsstreit darüber, ob dieser Bescheid nichtig ist, soweit er eine Wiederverfüllung des Bergbaurestloches im Bereich der geplanten Gewässerfläche anordnet, ist noch nicht rechtskräftig entschieden.

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Mit Ablauf des 31. Dezember 2009 stellte die Antragstellerin den Abbau ein und verkaufte den Betrieb sowie die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke zum Zweck der Wiedernutzbarmachung. Ihren Antrag auf Feststellung, dass sie nicht mehr bergrechtlich verantwortliche Unternehmerin für die noch nicht wiedernutzbar gemachten ehemaligen Betriebsflächen im Plangebiet ist, lehnte die Bergbehörde mit bestandskräftigem Bescheid vom 2. Mai 2017 ab.

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Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag mit dem angefochtenen Urteil als unzulässig abgewiesen. Es fehle der Antragstellerin an der nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderlichen Antragsbefugnis. Eine solche folge weder aus ihrer vormaligen Stellung als Grundstückseigentümerin noch aus der als Abbauberechtigte. Mangels Verfügungsbefugnis an den Grundstücken im Plangebiet könne sie auch keine Rechte aus dem Bescheid vom 5. Dezember 2003 hinsichtlich der Verfüllung des Bergbaurestloches herleiten. Dass die Antragstellerin bisher aus der bergbaulichen Verantwortung nicht entlassen worden sei, ändere daran nichts. Eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß Art. 14 GG bzw. der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG sei nicht ersichtlich. Ein obligatorisches Nutzungsrecht an den Grundstücken sei nicht substantiiert nachgewiesen und könne im Übrigen auch keine Antragsbefugnis begründen. Es fehle zudem am Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin könne ihre Rechtsposition im Falle des Obsiegens im Normenkontrollverfahren nicht verbessern.

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Mit ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision macht die Antragstellerin geltend, die Vorinstanz habe die Anforderungen an die Antragsbefugnis und das Rechtsschutzbedürfnis überspannt.

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Die Antragsgegnerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. Da bisher keine Feststellungen zur Begründetheit getroffen worden sind, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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1. Die Antragstellerin ist antragsbefugt.

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Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Bebauungsplan Gegenstand der Normenkontrolle und der Betroffene nicht Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet, so kann die Antragsbefugnis aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen (stRspr, BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215 <220 ff.>). Abwägungserheblich sind dabei aber nur private Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben und schutzwürdig sind. An Letzterem fehlt es bei geringwertigen oder mit einem Makel behafteten Interessen sowie bei solchen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solchen, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (stRspr, BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2015 – 4 CN 5.14 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 200 Rn. 14 m. w. N. und Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 4 BN 12.17 – BauR 2018, 667 <668>). Darlegungspflichtig ist der Antragsteller. Er muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die nach diesen Maßstäben die Verletzung in eigenen Rechten als möglich erscheinen lassen. Das Normenkontrollgericht ist dabei nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Es ist allerdings verpflichtet, Tatsachenvortrag auf seine Schlüssigkeit und voraussichtliche Belastbarkeit hin zu prüfen (stRspr, zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 – 4 CN 9.19 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 222 Rn. 18 m. w. N.).

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Hieran gemessen ist die Antragsbefugnis gegeben. Die Antragstellerin kann sich auf einen abwägungserheblichen Belang berufen.

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a) Die Antragstellerin baute seit 1976 im Tagebau auf eigene Rechnung Basaltlava ab. Damit ist sie Unternehmerin im Sinne von § 58 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 Abs. 5 BBergG (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 – 7 C 40.07 – Buchholz 406.27 § 58 BBergG Nr. 1 Rn. 11). Sie hat zwar den Abbau zum Ende des Jahres 2009 eingestellt und den Betrieb sowie die ihr gehörenden Grundstücke im Laufe des Jahres 2010 zum Zweck der Wiedernutzbarmachung verkauft und übereignet. Das lässt jedoch ihre Unternehmerstellung unberührt. § 58 Abs. 1 BBergG knüpft die verwaltungsrechtliche Verantwortlichkeit nicht an die tatsächliche Sachherrschaft oder die Verfügungsbefugnis über Grundstücke und Anlagen, die zu dem Betrieb gehören. Maßgeblich ist allein die Ausübung bergbaulicher Tätigkeiten im Sinne des § 4 Abs. 5 BBergG. Die verwaltungsrechtliche Verantwortlichkeit nach § 58 Abs. 1 BBergG ist damit der Verhaltenshaftung des allgemeinen Ordnungsrechts vergleichbar (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 – 7 C 40.07 – Buchholz 406.27 § 58 BBergG Nr. 1 Rn. 11). Sie entfällt nicht schon dann, wenn die Betriebsflächen im Wege der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge auf einen Dritten übertragen werden (vgl. Piens, in: Piens/Schulte/Graf Vitzthum, BBergG, 3. Aufl. 2020, § 71 Rn. 81), sondern erst mit der Entlassung aus der Bergaufsicht (§ 69 Abs. 2 BBergG).

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Jedenfalls in Bezug auf die noch nicht wiedernutzbar gemachten ehemaligen Betriebsflächen im Plangebiet ist die Antragstellerin bisher nicht aus der Bergaufsicht entlassen worden. Die zuständige Bergbehörde kann von der Antragstellerin daher nach § 71 Abs. 1 BBergG weiterhin die Wiedernutzbarmachung (§ 4 Abs. 4 BBergG) dieser Flächen verlangen. Sollte die Antragstellerin aufgrund der Übereignung der ehemaligen Betriebsflächen privatrechtlich keinen Zugriff mehr auf die betroffenen Flächen haben, läge darin allenfalls ein Vollstreckungshindernis, das gegebenenfalls mittels Duldungsanordnung gegenüber dem Verfügungsberechtigten überwunden werden kann.

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Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 13. Oktober 1994 sieht – im Hinblick auf die spätere Umsetzung bergrechtlicher Pflichten (§ 53 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BBergG) – für die Wiedernutzbarmachung verschiedene Nebenbestimmungen vor. Danach hat u. a. eine Teilverfüllung zu erfolgen, die nur mit unbelasteten Erdaushub vorgenommen werden darf und zwar in dem Umfang, dass das Entstehen einer zum Baden geeigneten Wasserfläche vermieden wird (Nebenbestimmung Nr. 9.1.3).

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b) Der Ortsgesetzgeber muss solche bergrechtlichen Verpflichtungen zur Wiedernutzbarmachung von Flächen im Plangebiet bei der Aufstellung eines Bauleitplans in den Blick nehmen. Die städtebauliche Relevanz dieses Belangs folgt aus § 1 Abs. 6 Nr. 8 Buchst. f BauGB, denn die Wiedernutzbarmachung ist die Kehrseite der dort benannten Sicherung von Rohstoffvorkommen. Die Wechselbezüglichkeit von Bauplanungs- und Bergrecht findet auch in § 4 Abs. 4 BBergG Ausdruck. Danach sind bei der Wiedernutzbarmachung das öffentliche Interesse und damit auch die Vorgaben in Bebauungsplänen für Folgenutzungen zu beachten (vgl. Keienburg, in: Boldt u. a., BBergG, 2. Aufl. 2016, § 4 Rn. 27).

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Hier drängte sich die Abwägungserheblichkeit im Übrigen insbesondere deshalb auf, weil der Bebauungsplan für die Wiedernutzbarmachung der Flächen ein grundlegend anderes Konzept verfolgt als die Nebenbestimmungen zur Genehmigung von 1994. Ausweislich der Begründung des Bebauungsplans (vgl. dort S. 7 f.) hat das die Antragsgegnerin durchaus erkannt.

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2. Das notwendige Rechtsschutzbedürfnis liegt vor.

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Bei bestehender Antragsbefugnis ist regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Das Erfordernis eines solchen Bedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann. Es ist aber nicht erforderlich, dass die begehrte Erklärung einer Norm als unwirksam unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 – 4 CN 5.18 – BVerwGE 169, 29 Rn. 19 m. w. N.). Dementsprechend ist hier das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen. Denn die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist für die Antragstellerin nicht nutzlos: Wird der Bebauungsplan für unwirksam erklärt, steht fest, dass seine Festsetzungen bei Anordnungen nach § 71 Abs. 1 BBergG nicht als öffentliches Interesse nach § 4 Abs. 4 BBergG zu beachten wären.

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3. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); Zulässigkeitshindernisse sind nicht ersichtlich.

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Der Verwaltungsgerichtshof hat bisher nicht zur Begründetheit des Normenkontrollantrages verhandelt und folglich hierzu auch keine Feststellungen getroffen. Das zwingt zur Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).