BVerwG 6. Senat, Beschluss vom 14.07.2022, AZ 6 B 13/22, ECLI:DE:BVerwG:2022:140722B6B13.22.0
Leitsatz
Die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV setzt voraus, dass der Bezug von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften von der Bedürftigkeit des Empfängers abhängt.
Verfahrensgang
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 22. Februar 2022, Az: 7 BV 21.2209, Urteil
vorgehend VG Bayreuth, 9. Juli 2021, Az: B 3 K 20.609, Urteil
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Gründe
I
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Die Klägerin beantragte bei der beklagten Rundfunkanstalt eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, weil ihr Ehemann Pflegegeld nach dem Bayerischen Landespflegegeldgesetz bezieht. Zudem beantragte sie eine Ermäßigung des Beitrags. Die Rundfunkanstalt lehnte beide Anträge ab und wies die anschließend erhobenen Widersprüche zurück.
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Die hiergegen gerichtete Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung nicht zustehe. Der Bezug von Pflegegeld nach dem Bayerischen Landespflegegeldgesetz (BayLPflGG) erfülle nicht den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV). Diese Norm erfasse zwar ihrem Wortlaut nach „Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften“. Auf die Bezeichnung der Rechtsgrundlage komme es jedoch nicht an. Nach Sinn und Zweck der Norm sowie der Gesetzessystematik sei eine Befreiung wegen des Bezugs von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften nur gerechtfertigt, wenn vor der Gewährung der Sozialleistung eine Bedürftigkeitsprüfung durchgeführt worden sei. Der Katalog von Befreiungstatbeständen in § 4 Abs. 1 RBStV setze voraus, dass der Beitragsschuldner eine dort genannte Sozialleistung beziehe oder von dem in § 4 Abs. 1 Nr. 9 und Nr. 10 Alt. 1 RBStV bezeichneten Personenkreis erfasst werde. Dem liege das System der sog. bescheidgebundenen Befreiung zugrunde. Nur derjenige habe einen Befreiungsanspruch, dessen Bedürftigkeit durch eine Sozialbehörde geprüft und in deren Bescheid bestätigt worden sei oder dem vom Staat bestätigt werde, dass er die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung erfülle. Dies gelte auch für § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV. Der Gesetzgeber habe mit dem Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV die bisher in § 6 Abs. 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) normierten einkommensabhängigen Befreiungstatbestände erhalten wollen. Auch die beiden weiteren in § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV geregelten Sozialleistungen hingen von der Bedürftigkeit des Anspruchsberechtigten ab. Da das bayerische Landespflegegeld nach seiner gesetzlichen Zweckbestimmung nicht als Sozialleistung ausgestaltet sei und allen Pflegebedürftigen in Bayern unabhängig von ihrem Einkommen und Vermögen gewährt werde, falle es nicht in den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV. Dies habe der Landesgesetzgeber nunmehr in Art. 2 Abs. 4 Satz 4 BayLPflGG klargestellt. Wenn Rundfunkanstalten in anderen Bundesländern wegen des Bezugs von Landespflegegeld eine Befreiung nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV erteilten, könne die Klägerin hieraus keinen Befreiungsanspruch im Wege der Gleichbehandlung herleiten. Andere Befreiungs- oder Ermäßigungstatbestände seien nicht gegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision nicht zugelassen.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht.
II
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Die von ihr geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
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1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung in dem erstrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 20. Juli 2016 – 6 B 35.16 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 425 Rn. 3 und vom 27. September 2021 – 6 BN 1.21 – NVwZ 2022, 70 Rn. 4 m. w. N.). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann und die Beschwerde keine neuen, bislang nicht behandelten Gesichtspunkte aufzeigt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. Januar 2015 – 6 B 43.14 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8 und vom 27. September 2021 – 6 BN 1.21 – NVwZ 2022, 70 Rn. 4 m. w. N.).
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2. Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob „der Bezug von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften nur dann Grundlage für eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV [ist], wenn der Bezug von Pflegegeld eine Sozialleistung darstellt, die aufgrund einer wirtschaftlichen Bedürftigkeitsprüfung sozialbehördlich festgestellt wurde“, lässt sich anhand der üblichen Auslegungsregeln und der zu § 4 RBStV ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Danach kommt eine Befreiung wegen des Bezugs von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften nur in Betracht, wenn der Anspruch auf diese Sozialleistung von der Bedürftigkeit des Empfängers abhängt und diese von der Behörde geprüft und bestätigt worden ist.
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a) Zwar spricht gegen dieses enge Verständnis der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV, wonach Empfänger von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften von der Beitragspflicht auf Antrag befreit werden. Auch liegt die Vermutung nahe, dass dem Gesetzgeber bei der Einfügung des Tatbestandes durch den Fünfzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (15. RÄStV) vom 7. Juni 2011 (BY GVBl. S. 258) die damals geltenden landesgesetzlichen Pflegegeldregelungen in Brandenburg, Berlin und Rheinland-Pfalz vor Augen gestanden haben. Danach haben Personen mit im Einzelnen jeweils bezeichneten schweren Behinderungen einen Anspruch auf Pflegegeld zum Ausgleich der durch ihre Behinderung bedingten Mehraufwendungen unabhängig von ihrem Einkommen und Vermögen (vgl. §§ 1, 2 LPflGG BB i. d. F. der Bekanntmachung vom 11. Oktober 1995 <BB GVBl. I S. 259>; §§ 1, 3 Abs. 1 LPflGG BE vom 17. Dezember 2003 <BE GVBl. S. 606>, §§ 1, 2 LPflGG RP vom 31. Oktober 1974 <RP GVBl. S. 466>). Allerdings wird diese Vermutung nicht durch die Gesetzesbegründung bestätigt, die sich zu diesem Befreiungstatbestand nicht verhält (vgl. BY LT-Drs. 16/7001 S. 15).
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b) Dass die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wegen des Bezugs von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften nur bei einer behördlich festgestellten Bedürftigkeit des Empfängers in Betracht kommt, beruht indes auf dem Sinn und Zweck des Katalogs von Befreiungstatbeständen in § 4 Abs. 1 RBStV sowie dem in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Gebot der Vorteilsgerechtigkeit.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sieht § 4 Abs. 1 RBStV einen Anspruch auf Befreiung aus sozialen Gründen vor. Voraussetzung ist, dass der Beitragsschuldner eine in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 und Nr. 10 Alt. 2 RBStV genannte Sozialleistung bezieht oder zu dem von § 4 Abs. 1 Nr. 9 und 10 Alt. 1 RBStV erfassten Personenkreis gehört und dieses gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV durch eine entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers oder durch einen entsprechenden Bescheid nachweisen kann. Die Landesgesetzgeber haben sich mit der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 RBStV für das normative Regelungssystem der sogenannten bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entschieden. Dieses System haben sie bereits mit der Befreiungsregelung des bis zum 31. Dezember 2012 geltenden § 6 Abs. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV) vom 31. August 1991 (BY GVBl. I S. 451) eingeführt und beibehalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 – 6 C 10.18 – BVerwGE 167, 20 Rn. 17; zum früheren Recht: BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2011 – 6 C 34.10 – Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 62 Rn. 20; Beschluss vom 18. Juni 2008 – 6 B 1.08 – Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 44 Rn. 5). Das System der bescheidgebundenen Befreiung beruht auf dem Grundprinzip, nur denjenigen zu befreien, dessen Bedürftigkeit am Maßstab der bundesgesetzlichen Regelungen durch eine staatliche Sozialbehörde geprüft und in deren Bescheid bestätigt wird oder dem vom Staat bestätigt wurde, dass er die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung erfüllt. Mit diesem System werden schwierige Berechnungen zur Feststellung der Bedürftigkeit auf Seiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vermieden, indem aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung an die bundesgesetzgeberischen Wertungen für den Bezug von Sozialleistungen angeknüpft und diese zur Grundlage der Reichweite einer Befreiung von der Rundfunkgebühr bzw. geltenden Beitragspflicht gemacht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 – 6 C 10.18 – BVerwGE 167, 20 Rn. 21 m. w. N. zum früheren Recht). Soweit die in § 4 Abs. 1 RBStV aufgeführten Befreiungstatbestände an den Bezug von Sozialleistungen anknüpfen, kommen sie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur denjenigen Personen zugute, die nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen außerstande sind, Rundfunkbeiträge zu bezahlen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2018 – 6 C 48.16 – BVerwGE 161, 224 Rn. 39).
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Entsprechendes hat für den Bezug von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften zu gelten, weil die Landesgesetzgeber diese Befreiungsmöglichkeit in den Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV integriert haben. Empfänger derartiger Pflegegeldleistungen können daher nur befreit werden, wenn sie nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen außerstande sind, Rundfunkbeiträge zu bezahlen, und ihre Bedürftigkeit am Maßstab der landesgesetzlichen Regelung durch eine staatliche Sozialbehörde geprüft sowie in deren Bescheid bestätigt wird. Insofern gilt für diesen Befreiungstatbestand nichts Anderes als für die beiden anderen Alternativen des § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV. Auch die Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) und als Leistung der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hängen jeweils von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Empfängers und damit von dessen Bedürftigkeit ab (vgl. § 61 Satz 1 i. V. m. §§ 82 ff. SGB XII sowie § 26c Abs. 1 und 5 BVG i. V. m. § 61 Satz 1 SGB XII).
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bb) Bestätigt wird diese Auffassung durch das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gebot der Vorteilsgerechtigkeit. Der Rundfunkbeitrag ist als Vorzugslast ausgestaltet. Der Gleichheitssatz fordert für die Erhebung solcher Lasten, dass sich die Belastung der Abgabepflichtigen nach der Größe ihres individuellen Vorteils richtet. Privilegierungen in Gestalt von Befreiungen oder Ermäßigungen der Beitragspflicht müssen durch den Gedanken des Vorteilsausgleichs oder bei vorteilsfremden wie z. B. sozialpolitischen Gründen sachlich gerechtfertigt sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. September 2017 – 6 C 34.16 – Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 84 Rn. 26 zur rundfunkbeitragsrechtlichen Privilegierung gemeinnütziger Einrichtungen der Altenhilfe nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 RBStV und vom 28. Februar 2018 – 6 C 48.16 – BVerwGE 161, 224 Rn. 30 ff. zur Ermäßigung des Rundfunkbeitrags für Schwerbehinderte nach § 4 Abs. 2 Satz 1 RBStV). Die durch die rundfunkbeitragsrechtlichen Privilegierungen entstehende Mehrbelastung auf Seiten der Abgabepflichtigen müssen sich in verhältnismäßig engen Grenzen halten (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2018 – 6 C 48.16 – BVerwGE 161, 224 Rn. 30).
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Hiernach kommt mit Blick auf den Maßstab der Vorteilsgerechtigkeit eine Befreiungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 3 RBStV wegen einer Schwerbehinderung nicht in Betracht. Die Rundfunkbeitragspflicht schwerbehinderter Menschen entspricht dem Gebot der Vorteilsgerechtigkeit, weil auch diese die öffentlichen Rundfunkprogramme nutzen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2018 – 6 C 48.16 – BVerwGE 161, 224 LS 2, Rn. 31). Erforderlich ist vielmehr für diese Befreiungsmöglichkeit eine anderweitige sachliche Rechtfertigung. Insoweit kommt nach dem System der Befreiungstatbestände nur in Betracht, dass der Empfänger der Sozialleistung außerstande ist, den Rundfunkbeitrag aus seinem Einkommen und Vermögen zu zahlen, er mithin am Maßstab des Rechts der jeweiligen Sozialleistung als bedürftig anzusehen ist. Nur so verstanden erweist sich die Befreiungsmöglichkeit aus sozialem Grund und die hierdurch entstehende Mehrbelastung mit dem Gebot der Vorteilsgerechtigkeit vereinbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2018 – 6 C 48.16 – BVerwGE 161, 224 Rn. 38).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO (vgl. bereits zum RGebStV: BVerwG, Beschluss vom 20. April 2011 – 6 C 10.10 – Buchholz 310 § 188 VwGO Nr. 18).