Urteil des BGH 6. Strafsenat vom 15.06.2022, AZ 6 StR 23/22

BGH 6. Strafsenat, Urteil vom 15.06.2022, AZ 6 StR 23/22, ECLI:DE:BGH:2022:150622U6STR23.22.0

§ 211 StGB

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 20. April 2022, Az: 6 StR 23/22, Beschluss
vorgehend LG Magdeburg, 14. September 2021, Az: 22 KLs 2/21

Tenor

Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 14. September 2021 aufgehoben; jedoch haben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen einschließlich der Schuldfähigkeit und zum Tötungsvorsatz Bestand.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

– Von Rechts wegen –

Gründe

1

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags verurteilt, den Angeklagten Sc.    zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten sowie den Angeklagten K.      zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten, zudem hat es jeweils ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe angeordnet. Hiergegen richten sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Nebenkläger, die eine Verurteilung wegen Mordes erstreben. Die Rechtsmittel haben überwiegend Erfolg.

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1. Das Landgericht hat festgestellt:

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Nach einem gemeinsam verbrachten Abend fuhren die erheblich alkoholisierten Angeklagten am 16. Oktober 2020 kurz nach Mitternacht mit dem vom Angeklagten K.      geführten Fahrzeug auf einen Hotelparkplatz, wo sie durch Tritte einen Zaun und ein Auto beschädigten. Die Hotelbetreiberin informierte ihren Ehemann über dieses von ihr beobachtete Geschehen. Er bat sie, die Polizei zu informieren, und begab sich auf die Straße. Dort ergriff er den ihm entgegenkommenden Angeklagten K.      , um ihn zur Rede zu stellen und bis zum Erscheinen der Polizei festzuhalten. Der im Kraftsport geübte Angeklagte K.      versuchte, sich zu befreien, ging aber im Zuge des entstehenden Gerangels zu Boden. Daraufhin trat der im Kampfsport erfahrene Angeklagte Sc.    hinzu, brachte den Geschädigten mit einem Ringergriff zu Fall und schlug mit der Faust mindestens zweimal wuchtig und zielgerichtet gegen dessen Kopf. Der Angeklagte K.      hockte sich auf den Geschädigten und versetzte ihm jedenfalls vier Faustschläge in das Gesicht. Der Aufforderung der Ehefrau aufzuhören leisteten die Angeklagten keine Folge. Vielmehr erhielt der bereits stark im Gesicht blutende Geschädigte vom Angeklagten Sc.     zwei Faustschläge in die Rippen und wurde erneut mit einem Ringergriff zu Boden gebracht, nachdem es ihm gelungen war, den Angeklagten K.      von sich zu stoßen, der ihm nunmehr mindestens einmal in das Gesicht trat. Auf die erneute Aufforderung der Ehefrau, von ihrem Mann abzulassen, reagierte der Angeklagte Sc.     mit den Worten: „Verpiss dich, sonst bist du die Nächste!“.

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Beide Angeklagten wussten um die hochgradige Gefährlichkeit ihres Tuns und nahmen den Tod des Opfers billigend in Kauf.

5

Der Geschädigte erlitt neben zahlreichen Unterblutungen Brüche des Zungenbeins und des Kehlkopfhorns sowie Schädel-Hirn-Verletzungen, die zum Erbrechen und aufgrund der Aspiration zum Erstickungstod führten.

6

Die Angeklagten fuhren nach Verlassen des Tatorts zunächst in ein Krankenhaus, um ihre Verletzungen behandeln zu lassen. Der Angeklagte K.      hatte bei dem Geschehen aus ungeklärter Ursache den auch als „Boxerfraktur“ bezeichneten Bruch eines Mittelhandknochens an der rechten Hand erlitten. In den frühen Morgenstunden kehrten sie an den Tatort zurück, um nach dem verloren geglaubten Mobiltelefon des Angeklagten Sc.     zu suchen.

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2. Das Landgericht hat sich nicht vom Vorliegen eines Mordes zu überzeugen vermocht. Namentlich das Mordmerkmal der sonst niedrigen Beweggründe liege nicht vor. Zum einen habe es sich um eine Spontantat gehandelt, bei der die Angeklagten, bedingt durch den Alkoholkonsum, erregt auf das Erscheinen des Geschädigten reagiert hätten. Zum anderen stelle allein der Umstand, dass die Angeklagten keinen nachvollziehbaren oder naheliegenden Grund oder besonderen Anlass für die Tötung gehabt hätten, keinen niedrigen Beweggrund dar.

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3. Die Ablehnung des Mordmerkmals der sonst niedrigen Beweggründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auf das ebenfalls vom Landgericht verneinte Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht kommt es daher nicht an.

9

Die von den im Kraft- bzw. Kampfsport geübten Angeklagten brutal ausgeführte Tat ist durch ein unerträgliches Missverhältnis zwischen Anlass und Erfolg geprägt. Die überaus knappen Darlegungen der Jugendkammer lassen dabei die deshalb gebotene umfassende Erörterung aller für die Bewertung bedeutsamen Umstände vermissen. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung regelmäßig die Vorgeschichte der Tat von entscheidender Bedeutung, darunter das Verhalten des Opfers und das Verschulden des Täters an der zur Tat führenden Konfliktlage; in diesem Rahmen geht es zu Lasten des Täters, wenn sich seine Wut oder Verärgerung infolge der Reaktion des Opfers auf eine an ihm begangene Straftat steigert (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1970 – 1 StR 68/70, bei Dallinger, MDR 1971, 722; vom 7. Februar 1996 – 2 StR 571/95, NStZ 1986, 384, 385; LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 29 mwN).

10

Vor diesem Hintergrund hätte die Jugendkammer gewichten müssen, dass die Angeklagten das Einschreiten des Tatopfers durch die Sachbeschädigungen auf dem Hotelparkplatz in allein ihnen vorwerfbarer Weise herausgefordert hatten. Der Angeklagte K.      verursachte zudem die Eskalation des Geschehens, indem er sich gewaltsam zu befreien versuchte, obwohl das Verhalten des Geschädigten, der ihn bis zum Erscheinen der Polizei festhalten wollte, gemäß § 127 StPO von der Rechtsordnung gebilligt war. An diesbezüglichen Darlegungen fehlt es völlig.

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4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht die Angeklagten bei Vornahme der erforderlichen Gesamtwürdigung wegen Mordes verurteilt hätte. Die Aufhebung der Schuldsprüche entzieht den Strafaussprüchen die Grundlage. Auch die Maßregelaussprüche sowie die jeweilige Anordnung über den Vorwegvollzug können nicht bestehen bleiben.

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Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum objektiven Geschehen einschließlich der Frage der Schuldfähigkeit und zum Tötungsvorsatz haben Bestand (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

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5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

14

a) Der Charakter einer Tat als Spontantat hindert die Annahme niedriger Beweggründe nicht (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 14. Juli 1988 – 4 StR 210/88, BGHR StGB § 211 Abs. 2 StGB niedrige Beweggründe 11; vom 19. Juli 2000 – 2 StR 96/00).

15

b) Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls zu prüfen haben, ob sich die Angeklagten der Umstände bewusst waren, die ihre Beweggründe als niedrig erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, NStZ 2018, 527; vom 20. Mai 2021 – 6 StR 142/20). Die erhebliche Alkoholisierung steht dem nicht von vornherein entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 23. August 1990 – 4 StR 306/90).

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