BGH 5. Zivilsenat, Beschluss vom 24.03.2022, AZ V ZR 149/21, ECLI:DE:BGH:2022:240322BVZR149.21.0
§ 49 GKG, § 44 WoEigG
Leitsatz
Der Streitwert für wohnungseigentumsrechtliche Beschlussklagen entspricht in der Regel nicht der für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels maßgeblichen Beschwer; das gilt auch für einen gemäß § 49 GKG in der seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Fassung festgesetzten Streitwert.
Verfahrensgang
vorgehend LG Braunschweig, 2. Juli 2021, Az: 6 S 410/18
vorgehend AG Göttingen, 27. November 2018, Az: 19 C 5/18
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 2. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich etwaiger Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 18.494,69 €.
Gründe
I.
1
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. Gesellschaft mbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Die Insolvenzschuldnerin und die Beklagten sind Mitglieder einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Die Anlage umfasst 100 Appartements, ein Restaurant und 27 Tiefgaragenstellplätze. Die Insolvenzschuldnerin ist Eigentümerin von 28 Appartements sowie der Teileigentumseinheit Nr. 101. Die Anlage war bei der Errichtung als sog. Boardinghouse konzipiert und wurde als solches von der Insolvenzschuldnerin auf der Grundlage von Mietverträgen mit den Sondereigentümern der Appartements betrieben. Am 23. Februar 2018 fand eine Eigentümerversammlung statt, in der eine Vielzahl von Mehrheitsbeschlüssen gefasst wurde; unter anderem beschlossen die Wohnungseigentümer, im Treppenhaus eine Briefkastenanlage einbauen zu lassen und den Schließzylinder der Tür zum Hinterhof auszutauschen sowie – sinngemäß – den Sondereigentümern Schlüssel hierzu auszuhändigen.
2
Mit der Klage beanstandet der Kläger einen Teil der in dieser Versammlung gefassten Beschlüsse. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Gegen die nicht erfolgte Zulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen.
II.
3
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
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1. Für die Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist der Wert des Beschwerdegegenstands aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend; um dem Revisionsgericht die Prüfung dieser Zulässigkeitsvoraussetzung zu ermöglichen, muss der Beschwerdeführer innerhalb laufender Begründungsfrist darlegen und glaubhaft machen, dass er mit der beabsichtigten Revision das Berufungsurteil in einem Umfang, der die Wertgrenze von 20.000 € übersteigt, abändern lassen will (Senat, Beschluss vom 11. Februar 2021 – V ZR 140/20, WuM 2021, 333 Rn. 4 mwN).
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2. Der Kläger hat in der Nichtzulassungsbeschwerde eine 20.000 € übersteigende Beschwer nicht dargelegt und glaubhaft gemacht.
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a) Er meint, seine Beschwer stimme mit dem von dem Berufungsgericht für das Berufungsverfahren auf der Grundlage des § 49 GKG festgesetzten Streitwert von 36.989,38 € überein. Dies trifft nicht zu. Der Streitwert für wohnungseigentumsrechtliche Beschlussklagen entspricht in der Regel nicht der für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels maßgeblichen Beschwer. Dies gilt nicht nur bei einer gemäß § 49a GKG in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung (aF) erfolgten Streitwertfestsetzung (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 – V ZR 167/16, NZM 2017, 635 Rn. 3; Beschluss vom 17. November 2016 – V ZR 86/16, NJW-RR 2017, 584 Rn. 2), sondern auch für einen gemäß § 49 GKG in der seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Fassung festgesetzten Streitwert. Die Festsetzung nach § 49 GKG erfolgt im Ausgangspunkt nach dem Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung. Der Wert der Beschwer bemisst sich hingegen nach dem eigenen Interesse des Rechtsmittelführers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Dieses Interesse ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 – V ZR 167/16, NZM 2017, 635 Rn. 3 mwN), wobei nur auf das unmittelbare Interesse der Partei an der der Rechtsverfolgung, nicht auf etwaige mittelbare wirtschaftliche Folgen des angefochtenen Urteils abzustellen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2021 – V ZR 140/20, WuM 2021, 333 Rn. 9 – dieselbe Anlage betreffend). Anhaltspunkte für eine derartige Bewertung hat die Beschwerde nicht dargelegt.
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b) Auch eine Schätzung der Beschwer ist dem Senat nicht möglich. Zwar muss auch das Revisionsgericht im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegebenenfalls eine Schätzung vornehmen; als Grundlage der Schätzung dienen dabei aber nur solche Tatsachen, die der Beschwerdeführer innerhalb der Begründungsfrist dargelegt und glaubhaft gemacht hat oder die jedenfalls in Verbindung mit dem Berufungsurteil offenkundig sind (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juni 2018 – V ZB 254/17, NZM 2018, 995 Rn. 6). Hier lässt sich die Höhe des auf den Kläger entfallenden Anteils des vom Berufungsgericht angenommenen Gesamtinteresses weder aus den Darlegungen des Klägers entnehmen noch ist dies im vorgenannten Sinne offenkundig. Selbst wenn man unterstellt, dass etwaige Kosten nach der Zahl der Appartements umgelegt würden, ergäbe sich daraus keine 20.000 € übersteigende Beschwer, sondern lediglich eine Beschwer in Höhe von 28/100 von 36.989,38 €, mithin von 10.357,03 €.
III.
8
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 49a Abs. 1 GKG aF. Diese Vorschrift ist hier entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts analog § 48 Abs. 5 WEG noch anwendbar, da die Beschlussanfechtungsklage vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängig geworden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. September 2021 – V ZR 258/20, NJW-RR 2022, 20 Rn. 18 f.). Dabei legt der Senat bezüglich des Gesamtinteresses der Parteien mangels anderer Anhaltspunkte den von dem Berufungsgericht angenommenen Wert von 36.989,38 € zugrunde. Das nach § 49a Abs. 1 Satz 1 GKG aF maßgebliche hälftige Gesamtinteresse beträgt deshalb 18.494,69 €.
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3. Zu einer Änderung des Streitwerts für die Berufungsinstanz von Amts wegen gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG ist der Senat nicht befugt, weil die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu dem Anfall der „Hauptsache“ führt (Senat, Beschluss vom 12. März 2020 – V ZR 160/19, NJW-RR 2020, 640 Rn. 5).
- Stresemann
- Brückner
- Göbel
- Haberkamp
- Laube