Beschluss des BPatG München 30. Senat vom 07.04.2022, AZ 30 W (pat) 566/20

BPatG München 30. Senat, Beschluss vom 07.04.2022, AZ 30 W (pat) 566/20, ECLI:DE:BPatG:2022:070422B30Wpat566.20.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2017 027 370

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 7. April 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterin Dr. Weitzel und des Richters Merzbach

beschlossen:

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Gegen die am 21. Oktober 2017 angemeldete und seit dem 13. November 2017 unter der Nummer 30 2017 027 370 für die Waren

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„Klasse 29: Fleisch; Fleischextrakte; Fleischaufstriche; Wurstwaren; Fisch, Meeresfrüchte und Weichtiere; Molkereiprodukte und deren Ersatzprodukte; Käse; Vogeleier und Eierprodukte; Öle und Fette; Verarbeitetes Obst und Gemüse [einschließlich Nüsse, Hülsenfrüchte] sowie verarbeitete Pilze; vorwiegend aus verarbeitetem Obst und/oder Gemüse bestehende Zubereitungen; Gallerten und Gelees, Konfitüren, Kompotte, Frucht- und Gemüseaufstriche; Gemüsesalate; Fruchtsalate; Suppen und Brühen; vorwiegend aus Fleisch, Wurst, Fisch, Geflügel, Wild, Meeresfrüchten, Fleischextrakten, Schalentieren, Krustentieren und/oder Weichtieren bestehende Zubereitungen; abgepackte Gerichte, überwiegend aus Meeresfrüchten; Apfelkompott; Aufläufe [herzhafte Speisen]; Bananenchips; Chili con Carne [Fleisch-Chili-Gericht]; Chips; Chopsueys [Gemüsegerichte mit und ohne Fleisch]; Desserts auf der Basis von künstlicher Milch; Desserts auf Milchbasis; Desserts aus Milchprodukten; Dips auf Milchbasis; eingedickte Tomaten; Eintöpfe; Extrakte mit Rinderbratengeschmack; Faggots [Fleischgerichte]; Fertiggerichte aus Geflügel [hauptsächlich bestehend aus Geflügel]; Fertiggerichte hauptsächlich bestehend aus Hühnchen; Fertiggerichte hauptsächlich bestehend aus Eiern; Fertiggerichte hauptsächlich bestehend aus Fleisch; Fertiggerichte hauptsächlich bestehend aus Speck; Fertiggerichte vorwiegend bestehend aus Meeresfrüchten; Fertiggerichte vorwiegend bestehend aus Wild; Fisch in Olivenöl; Fischcracker [Knabbereien]; Fisch mit Pommes Frites; Fischbrühe; Fischfrikadellen; Fleischfertiggerichte; Fruchtdesserts; Fruchtsnacks; Geflügelsalate; gefüllte Kartoffeln; gekochte Fleischgerichte; gekühlte Fischgerichte; Gemüse im Ausbackteig; Gemüsebrühen; geschnitzelte Kartoffeln; Grünkohlchips; Gumbo [Eintopfgericht]; Hähnchensalate; hartgekochte Eier in Wurstbrät, paniert und ausgebacken [Scotch Eggs]; Haschees aus Corned Beef; Imbissgerichte auf Sojabasis; indisches Linsengericht [Bombay-Mix]; Joghurt mit Vanillegeschmack; Joghurtdesserts; Kartoffelflocken; Kartoffelimbissgerichte; Kartoffelklöße; Kartoffelpuffer; Kartoffelpürees; Kartoffelsalate; Kohlrouladen; Kraftbrühe; Suppen; Kroketten; Mandelsulz; Milchcremes [Joghurts]; Mischungen für die Zubereitung von Suppen; Pommes Frites; Ragouts [Würzfleisch]; Rhabarber in Sirup; Rösti; Röstmaronen; Snacks auf der Basis von Kartoffeln; Soja [verarbeitet]; Sojachips; Speckchips; Suppenpräparate; vegetarische Bratlinge; vegetarische Wurstwaren; verarbeiteter Fond; vorwiegend aus Fisch bestehende, gekühlte Lebensmittel; vorwiegend aus Fisch bestehende, gekochte Gerichte; Würstchen im Ausbackteig; zubereitete Salate; Zubereitungen für die Herstellung von Bouillon; Omeletts; Zwiebelringe;

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Klasse 30: Aromatisiertes Popcorn; aus Cerealien bestehende Snackerzeugnisse; aus Getreide hergestellte Snacks; aus Kartoffelmehl zubereitete Snacks; aus Mais zubereitete Snacks; aus Müsli hergestellte Snacks; Aus Zerealien hergestellte Imbissgerichte; belegte Brote; Blätterteig mit Schinken; Brezeln; Brötchen aus Bohnenmus; Brötchen mit Hacksteakfüllung; Brötchen mit heißer Wurst; Buchweizengelee [Memilmuk]; Burritos; Cheeseburger [Sandwichs]; chinesische gedämpfte Teigtaschen [Shumai, gekocht]; Chips auf Getreidebasis; Cracker mit Fleischgeschmack; Cracker mit Käsegeschmack; Cracker mit würzigem Geschmack; Eierpasteten; Enchiladas; Tamale [mexikanisches Gericht]; essfertige Nahrungsmittelriegel auf Schokoladenbasis; Fajitas; Backwaren mit Gemüse- und Fischfüllungen; Fertiggerichte aus Teigwaren; Fertiggerichte, die Teigwaren enthalten; Fertigpizzaböden; fleischhaltige Pasteten; Frühlingsrollen; Garnelencracker; gebratener Mais; gefüllte Baguettes; gefüllte Brötchen; Gemüsepasteten; gepresste Reiskräcker [Arare]; Gerichte auf Reisbasis; Gerichte, vorwiegend bestehend aus Teigwaren; geröstetes Maiskorn; getoastete Sandwiches; Getreideflocken; Getreidesnacks; Getrocknete Seetangrollen [gimbap]; Hackfleischpasteten; Hamburger im Brötchen; Hamburgerbrötchen; Hot-Dog-Sandwiches; Imbisserzeugnisse aus Getreidemehl; Imbisserzeugnisse aus Reismehl; Imbisserzeugnisse aus Reis; Imbisserzeugnisse aus Sojamehl; Imbisserzeugnisse aus Zerealien; Imbissgerichte auf Getreidebasis; Imbissgerichte aus Puffmais; Käsebällchen [Knabberartikel]; Käseflips; Klößchen mit Shrimps; Knusperreis; Lasagne; Nudelfertiggerichte; Nudelgerichte; Nudelsalate; Pastagerichte; Pasteten [süß oder herzhaft]; pikante Fertignahrungsmittel aus Kartoffelmehl; pikantes Gebäck; Pizza; Pizzaböden; Pizzafertiggerichte; Quesadillas; Quiches; Ravioli; Reissnacks; Risotto; Sandwiches mit Fisch; Sandwiches mit Hähnchen; Sandwiches mit Rinderhackfleisch; Sandwiches mit Salat; Sesam-Snacks; Snacks auf Getreidebasis; Snacks auf Reisbasis; Snacks aus Kartoffelmehl; Snacks aus Maismehl; Snacks aus Semmelmehl; Spaghetti mit Fleischbällchen; Spaghetti mit Tomatensoße in Dosen; Streusel; Sushi; Tacos; Teigwaren mit Füllungen; Teigwarenfertiggerichte; Tortillachips; trockene und flüssige Fertiggerichte, überwiegend bestehend aus Teigwaren; trockene und flüssige Fertiggerichte, überwiegend bestehend aus Reis; überwiegend aus Brot bestehende Snacks; Wantans; Wraps [Sandwich]; zubereitete Lebensmittel in Form von Soßen; Speisesalz; Würzmittel; Gewürze; Aromastoffe für Getränke; pikante Saucen, Chutneys und Pasten; Back- und Konditoreiwaren; Schokolade; Süßspeisen; Brot; Gebäck; Kuchen; Torten; Kekse; Süßwaren [Bonbons], Schokoriegel und Kaugummi; Süßwaren [nicht medizinisch]; Schokoladensüßwaren; Müsliriegel; Energieriegel; Zucker; Zuckerwaren; natürliche Süßungsmittel; süße Glasuren und Füllungen sowie Bienenprodukte zu Speisezwecken; Sirup; Melasse; süße Glasuren und Füllungen; Eis; Eiscreme; gefrorener Joghurt; Sorbets; Kaffee, Tee, Kakao und Ersatzstoffe hierfür; Verarbeitetes Getreide und Stärken für Nahrungsmittel sowie Waren hieraus, Backzubereitungen und Hefe; getrocknete und frische Teigwaren, Nudeln und Klöße; Cerealien; Reis; Tapioka; Sago; Mehl; Frühstückszerealien; Haferbrei; Grütze; Treibmittel; Teig, Backteig und Backmischungen hierfür; Teigwaren in tiefgekühlter Form auch mit Fleischfüllung;

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Klasse 31: Land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Erzeugnisse der Aquakultur; lebende Tiere, Lebewesen für die Zucht; frisches Obst und Gemüse; Sämereien; natürliche Pflanzen und Blumen; Futtermittel und Tiernahrung; Streu- und Einstreumaterialien für Tiere“

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eingetragene Wort-/Bildmarke

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ist Widerspruch erhoben worden aus der seit dem 23. September 2013 unter der Nummer 30 2013 003 575 für die Waren

8

„Klasse 29: Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; konserviertes, tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Kompotte; Eier; Milch und Milchprodukte; Speiseöle und -fette;

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Klasse 30: Kaffee, Tee, Kakao und Kaffee-Ersatzmittel; Reis; Tapioka und Sago; Mehle und Getreidepräparate, Brot, feine Backwaren und Konditorwaren; Speiseeis; Zucker, Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver; Salz; Senf; Essig, Soßen (Würzmittel); Gewürze; Kühleis;

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Klasse 31: Samenkörner sowie land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; lebende Tiere; frisches Obst und Gemüse; Sämereien, natürliche Pflanzen und Blumen; Futtermittel, Malz“

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eingetragenen Wortmarke

MY-MY

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Die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 29 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 29. Juni 2020 die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet, da zwischen den Vergleichszeichen Verwechslungsgefahr bestehe.

13

Die Widerspruchsmarke verfüge über eine originär durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Dem stehe nicht entgegen, dass der Verkehr in ihr die doppelte Verwendung des englischen Possessivpronomens „my = mein“ erkennen werde. Zwar sei die Verwendung dieses Possessivpronomens prinzipiell keine Besonderheit, da in der Werbung subjektbezogene Aussagen als Kundenansprache üblich seien. Allerdings sei die hier vorliegende Doppelung
MY-MY eher ungewöhnlich.

14

Für eine Steigerung oder Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei nichts vorgetragen oder ersichtlich.

15

Die Vergleichszeichen seien zwar nicht identisch, stimmten jedoch in klanglicher Hinsicht überein, was für die Annahme einer Zeichenähnlichkeit ausreiche.

16

Soweit die Inhaberin der angegriffenen Marke geltend mache, dass die angegriffene Marke (aus dem Russischen) übersetzt „Mu-Mu“ bedeute, sei dies nur für die Teile des Verkehrs erkennbar, die über Kenntnisse der russischen Sprache verfügten. Diese potentielle Käufergruppe sei aber weder im Warenverzeichnis verankert noch spiele sie zahlenmäßig eine größere Rolle.

17

Sämtliche von der angegriffenen Marke zu den Klassen 29, 30 und 31 beanspruchten Waren fielen unter die für die Widerspruchsmarke in den Klassen 29, 30 und 31 registrierten weiten Warenoberbegriffe. Dies gelte auch für die von der angegriffenen Marke beanspruchten „Streu- und Einstreumaterialien für Tiere“, da es sich bei diesen um Stroh oder Sägespäne handeln könne, so dass sie unter die weiten Warenoberbegriffe „land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse“ der Widerspruchsmarke fielen.

18

Auf Grund der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, der klanglichen Identität der Vergleichsmarken sowie der Identität oder jedenfalls beachtlichen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren sei dann aber eine markenrechtlich relevante unmittelbare Gefahr von Verwechslungen zwischen den Vergleichsmarken zu besorgen.

19

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke, zu der sie weder einen Antrag gestellt noch eine Beschwerdebegründung eingereicht hat.

20

Der Widersprechende hat sich im Beschwerdeverfahren ebenfalls weder zur Sache geäußert noch einen Antrag gestellt.

21

Mit Schreiben vom 28. Februar 2022 wurde den Beteiligten mitgeteilt, dass seitens des Senats am 7. April 2022 über die Sache beraten und entschieden werden soll.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

23

Die gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 66 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke hat in der Sache keinen Erfolg, da zwischen den Vergleichsmarken Verwechslungsgefahr nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zu besorgen ist, so dass die Markenstelle zu Recht die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet hat (§
43 Abs.
2 Satz 1 MarkenG). Ob in Bezug auf die Waren der angegriffenen Marke, die im Identitätsbereich zu den Waren der Widerspruchsmarke liegen, auch der Löschungsgrund der Doppelidentitätnach§
9 Abs.
1 Nr.
1 MarkenG vorliegt, kann daher dahinstehen.

24

A. Hinsichtlich des Löschungsgrundes nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG – welcher ein zwingendes Schutzhindernis hinsichtlich der jüngeren Marke begründet, ohne dass es einer gesonderten Feststellung einer Verwechslungsgefahr bedarf (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Aufl., § 9 Rn. 14) – ist aber anzumerken, dass der Umstand, dass die Vergleichszeichen formal unterschiedliche Markenformen aufweisen (Wortmarke gegenüber Wort-/Bildmarke) und grundsätzlich keine Identität zwischen Zeichen unterschiedlicher Art (Wortmarke, Bildmarke, Wort-Bild-Marke, 3D-Marke etc.) möglich ist (vgl. BeckOK MarkenR/Kur, 28. Ed. 1.1.2022, MarkenG § 9 Rn. 8), hier nicht zwingend der Feststellung einer Zeichenidentität entgegensteht. Denn die als Wort-/Bildmarke eingetragene angegriffene Marke erschöpft sich in einer Wiedergabe der Begriffe
My-My in einer herkömmlichen serifenlosen Schriftart, welche sich von der Widerspruchswortmarke letztlich nur durch die Wiedergabe des gemeinsamen Buchstabens „Y/y“ in Groß- bzw. Kleinschreibweise unterscheidet. Sie enthalt darüber hinaus keine graphischen/bildlichen Elemente zB in Form einer unkonventionellen Schreibweise. Ihre Eintragung als Wort-/Bildmarke ist allein dem Umstand geschuldet, dass § 7 Satz 1 MarkenV für eine Eintragung in das Markenregister als Wortmarke eine Wiedergabe in den auf der Internetseite www.dpma.de bekannt gegebenen „üblichen Schriftzeichen“ erfordert (vgl. § 7 Satz 2 MarkenV), die Schriftzeichen der angegriffenen Marke jedoch geringfügig und letztlich kaum wahrnehmbar von diesen „üblichen Schriftzeichen“ durch eine etwas ausgeprägtere Strichstärke abweichen. Solche Zeichen, die oftmals nur deshalb als Wort-/Bildzeichen angemeldet werden, weil im Falle einer Anmeldung als bloße Wortmarke bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft die Schreibweise außer Betracht bleibt (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, aaO, § 32 Rdnr. 21), stimmen mit einer ein übereinstimmendes Schriftbild aufweisenden Wortmarke in ihrer Wahrnehmung letztlich vollständig überein, so dass auch von einer Zeichenidentität iS des § 9 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG ausgegangen werden kann.

25

In diesem Fall steht auch die abweichende Schreibweise der Markenwörter mit großem bzw. kleinem „Y/y“ der Feststellung einer Zeichenidentität nicht entgegen. Das Kriterium der Zeichenidentität ist zwar restriktiv auszulegen. Zeichenidentität setzt grundsätzlich eine vollständige Übereinstimmung der kollidierenden Zeichen voraus; unschädlich sind jedoch so geringfügige Unterschiede zwischen den Zeichen, dass sie einem Durchschnittsverbraucher entgehen können (EuGH, GRUR 2003,
422 Nr.
50
54 – Arthur/Arthur et Félicie). Beschränken sich die Unterschiede der zu vergleichenden Zeichen auf die Groß- oder Kleinschreibung einer Buchstabenfolge, so führen sie regelmäßig aus dem Identitätsbereich nicht hinaus (vgl. BGH GRUR 2018, 924 Nr. 40 – ORTLIEB).

26

B. Letztlich kann diese Frage aber offenbleiben, weil zwischen den Vergleichsmarken in Bezug auf sämtliche von der angegriffenen Marke beanspruchten Waren jedenfalls Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenGbesteht.

27

1. Da die Anmeldung der angegriffenen Marke zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 eingereicht worden ist, ist für die gegen diese Eintragung erhobenen Widersprüche gemäß § 158 Abs. 3 MarkenG in der seit dem 14. Januar 2019 geltenden Fassung (MarkenG n. F.) weiterhin die Vorschrift des § 42 Abs.1 und Abs. 2 MarkenG in der bis zum 14. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (im Folgenden „MarkenG“).

28

2. Die Frage, ob Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG vorliegt, ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. nur EuGH GRUR 2020, 52 Rn. 41-43 – Hansson [Roslagspunsch/ ROSLAGSÖL]; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933 Rn. 32 – Barbara Becker; BGH GRUR 2020, 870 Rn. 25 – Injekt/Injex; GRUR 2019, 1058 Rn. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rn. 7 – OXFORD/Oxford Club; WRP 2017, 1104 ff. – Medicon-Apotheke/Medico Apotheke; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2016, 283 Rn. 7 – BSA/DSA DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE). Bei dieser umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Marken hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, a. a. O. Rn. 48 – Hansson [Roslagspunsch/ ROSLAGSÖL]; BGH a. a. O. Rn. 25 – INJEKT/INJEX).

29

Nach diesen Grundsätzen ist eine markenrechtlich relevante unmittelbare Gefahr von Verwechslungen zwischen den Vergleichsmarken zu besorgen, weshalb die angegriffene Marke nach § 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG zu löschen ist.

30

a. Nach der mangels Erhebung einer Nichtbenutzungseinrede maßgeblichen Registerlage können sich die Vergleichszeichen überwiegend auf identischen und ansonsten zumindest durchschnittlich ähnlichen Waren begegnen.

31

aa. So fallen fast sämtliche von der angegriffenen Marke zu den Klassen 29 und 30 umfangreich beanspruchten Einzelwaren unter die für die Widerspruchsmarke zu diesen Klassen registrierten weiten Oberbegriffe, wie die Markenstelle in dem angefochtenen Beschluss zutreffend festgestellt hat.

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Eine Ausnahme besteht zunächst hinsichtlich der von der angegriffenen Marke zu Klasse 30 beanspruchten Waren „chinesische gedämpfte Teigtaschen [Shumai, gekocht]; Enchiladas; Fajitas; Fertiggerichte aus Teigwaren; Fertigpizzaböden; Gerichte, vorwiegend bestehend aus Teigwaren; Lasagne; Nudelfertiggerichte; Nudelgerichte; Nudelsalate; Pastagerichte; Pizza; Pizzaböden; Pizzafertiggerichte; Quesadillas; Quiches; Ravioli; Teigwaren mit Füllungen; Teigwarenfertiggerichte; Tortillachips; trockene und flüssige Fertiggerichte, überwiegend bestehend aus Teigwaren; Wantans; getrocknete und frische Teigwaren, Nudeln und Klöße; Teig, Backteig und Backmischungen hierfür; Teigwaren in tiefgekühlter Form auch mit Fleischfüllung“, welche als „Teigwaren“

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bzw. „Nudeln“ – für die die Widerspruchsmarke keinen Schutz beanspruchen kann – nicht unter die für die Widerspruchsmarke registrierten Warenbegriffe fallen.

34

Dies gilt auch hinsichtlich der weiteren zu dieser Klasse beanspruchten Waren „Süßwaren [Bonbons], Schokoriegel und Kaugummi; Süßwaren [nicht medizinisch]; Schokoladensüßwaren; Müsliriegel; Energieriegel; süße Glasuren und Füllungen“, welche ebenfalls nicht von den für die Widerspruchsmarke registrierten Waren(ober)begriffen umfasst werden.

35

Da die Widerspruchsmarke aber Schutz für die bei Teigwaren wichtigen Bestandteile und Zutaten wie Eier, Milch, Mehl, Hefe bzw. – was die Süß- und Schokoladenwaren betrifft – Schokolade, Zucker, Honig Schutz beanspruchen kann und es sich weiterhin bei sämtlichen sich in diesen Klassen gegenüberstehenden Waren (mit Ausnahme von „Kühleis“ auf Seiten der Widerspruchsmarke) um Nahrungsmittel für den menschlichen Verzehr handelt, ist jedoch von einer zumindest durchschnittlichen Ähnlichkeit auszugehen (vgl. dazu auch BPatG GRUR 2020, 194 Nr. 20 YOOFOOD/YO– bestätigt durch BGH GRUR 2020, 1202 Nr. 20).

36

bb. Die von der angegriffenen Marke zu Klasse 31 beanspruchten Waren „Land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse; lebende Tiere, frisches Obst und Gemüse; Sämereien; natürliche Pflanzen und Blumen; Futtermittel“ sind auch im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke enthalten, so dass sich beide Marken insoweit auf identischen Waren begegnen können. Dies gilt ferner hinsichtlich der von der angegriffenen Marke beanspruchten „Tiernahrung“ und „Lebewesen für die Zucht“, die unter die für die Widerspruchsmarke registrierten Warenoberbegriffe „Futtermittel“ bzw. „lebende Tiere“ fallen.

37

Identität besteht weiterhin zu den von der angegriffenen Marke zu dieser Klasse beanspruchten „Erzeugnisse der Aquakultur“, da es sich bei der Aquakultur um einen Sektor der landwirtschaftlichen Tierproduktion handelt, so dass deren Erzeugnisse von dem für die Widerspruchsmarke registrierten Warenoberbegriff „landwirtschaftliche Erzeugnisse“ umfasst werden. Bei den „Streu- und Einstreumaterialien für Tiere“ der angegriffenen Marke kann es sich – worauf die Markenstelle zutreffend hingewiesen hat – um Stroh oder Sägespäne und damit um „land- und/oder forstwirtschaftliche Erzeugnisse“ handeln, für die die Widerspruchsmarke Schutz beanspruchen kann.

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2. Weiterhin ist von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen.

39

Der Schutzumfang der Widerspruchsmarke ist nicht deswegen eng zu bemessen, weil der Verkehr in der Widerspruchsmarke
MY-MY eine Verdoppelung des ihm geläufigen und im inländischen Werbesprachgebrauch häufig verwendeten englischen Personalpronomens „my“ mit der Bedeutung „mein“ erkennen wird.

40

a. Eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft ergibt sich zwar entgegen der Auffassung der Markenstelle nicht allein aus der Verdoppelung des Personalpronomens, da Wortverdoppelungen häufig anzutreffende und übliche Stilmittel bei der Werbeanpreisung sind, die einen beschreibenden und/oder werblich-anpreisenden Aussagegehalt eines Begriffs oder einer Angabe lediglich verstärken und daher vom Verkehr nicht als kennzeichnend wahrgenommen werden (vgl. BPatG 27 W (pat) 65/09 v. 17. Februar 2009 – AUTOAUTO!, BeckRS 2009, 24950; EUIPO,
R0026/2003-1 vom 21. Oktober 2003,
R0026/2003-1 – MEX MEX; veröffentlicht in PAVIS PROMA).

41

b. Bei dem Personalpronomen „MY“ in seiner Bedeutung „mein“ handelt es sich jedoch für sich genommen weder um eine Angabe, die Merkmale und Eigenschaften der betreffenden Waren beschreibt, noch vermittelt der Begriff als solcher einen hinreichend konkreten werblichen Aussagegehalt.

42

aa. Zwar ist im inländischen Werbesprachgebrauch die sprachliche Verbindung des Personalpronomens „my“ mit einer Produktbeschreibung als allgemeine sachbezogene Werbebotschaft außerordentlich beliebt, um auf ein auf die individuellen Bedürfnisse des Adressaten und Nutzers zugeschnittenes Waren- oder Dienstleistungsangebot hinzuweisen (vgl. BPatG 25 W (pat) 21/13 – MyWallet; 30 W (pat) 85/10 – MYPILOT, jeweils m. w. Nachw. [jeweils über die Internetseite des Gerichts abrufbar). Das Verständnis von „my“ als personalisierte Kundenansprache beruht in diesen Fällen aber auf der Kombination mit der jeweils nachgestellten und die Waren oder Dienstleistungen nach Art, Beschaffenheit bzw. Gegenstand und Inhalt näher individualisierenden Produktangabe.

43

bb. Die Annahme einer allgemeinen Werbeaussage des Markenwortes kann jedoch nicht auf Beispiele gestützt werden, in denen das Markenwort nicht in Alleinstellung, sondern stets im Zusammenhang mit anderen Worten benutzt wird, aus denen sich seine werbliche Bedeutung erschließt (BGH a. a. O Nr. 24 – OUI).Letzteres ist vorliegend der Fall. Eine Verwendung des Personalpronomens „MY“ in Alleinstellung als Werbeschlagwort und eine sich daraus ergebende Gewöhnung des Verkehrs an eine werbliche Verwendung dieses Begriffs lässt sich nicht nachweisen; belegbar und werbeüblich ist die Verwendung dieses Begriffs allein im Rahmen von werblich-anpreisenden Wortfolgen wie den zuvor beispielhaften genannten Begriffskombinationen.

44

cc. Bei einer Verwendung des Markenbestandteils „MY“ in Alleinstellung, also ohne Hinzufügung einer den Gegenstand der Kundenansprache näher bezeichnenden Produktangabe, ist dessen Aussagegehalt jedoch zu allgemein, um vom Verkehr ohne weitere Überlegungen und gedankliche Ergänzungen allein und ausschließlich als persönliche Ansprache, mit der das Gefühl der individuellen und persönlichen Eignung des betreffenden Produkts für den so angesprochenen Kunden vermittelt werden soll, und somit ausschließlich als allgemeine Werbeaussage und -anpreisung verstanden zu werden (vgl. dazu BGH, GRUR 2015, 173 Nr. 28 – for you; GRUR 2016, 934 Nr. 23 – OUI), so dass erst recht der Verdoppelung
MY-MY eine von Haus aus durchschnittliche Kennzeichnungskraft nicht abgesprochen werden kann.

45

3. Soweit man bei den Vergleichszeichen aufgrund ihrer formal unterschiedlichen Markenform als Wortmarke bzw. Wort-/Bildmarke eine Zeichenidentität verneint, so ist jedenfalls von einer hochgradigen Zeichenähnlichkeit auszugehen.

46

a. Beide Zeichen stimmen klanglich überein. Auch schriftbildlich unterscheiden sie sich lediglich geringfügig durch die abweichende Schreibweise der Markenwörter mit großem bzw. kleinem „Y/y“. Diesem Umstand kommt aber aus Sicht des angesprochenen Verkehrs nur eine geringe Bedeutung zu, weil er daran gewöhnt ist, dass ihm identische Wörter sowohl in gewöhnlicher Schreibweise mit großem Anfangsbuchstaben als auch ausschließlich in Großbuchstaben entgegentreten (vgl. OLG Hamburg,GRUR-RR 2020,
259, Rn.
72– Candecor/CANEACOR sowie BGH GRUR 2015,
607,
608, Rn.
21,
22 – Uhrenankauf im Internet), so dass auch insoweit zumindest von einer hochgradigen Ähnlichkeit auszugehen ist.

47

b. Der seitens der Inhaberin der angegriffenen Marke vor der Markenstelle geltend gemachte Einwand, dass die angegriffene Marke mit „Mu-Mu“ zu übersetzen sei, womit offenbar gemeint ist, dass dem Zeichen „Y“ in kyrillischer Schrift die Bedeutung des lateinischen Buchstaben „u“ zukommt, ist ohne Bedeutung. Denn zum einen kommt im Kyrillischen diese Bedeutung dem Buchstaben „Y“ sowohl in Groß- wie auch Kleinschreibweise („y“) zu, so dass der Teil des Verkehrs, welcher die Buchstaben als kyrillische Schriftzeichen versteht, sowohl die angegriffene Marke als auch die Widerspruchsmarke in dieser Weise interpretiert.

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Zudem wird der überwiegende Teil des inländischen Verkehrs mangels Kenntnis der kyrillischen Schriftzeichen diese Bedeutung nicht erkennen. Als kyrillische Schriftzeichen sind sie lediglich für die im Inland lebenden und aus Russland bzw. russischsprachigen Ländern stammenden deutschen Staatsangehörigen sowie den hier lebenden russischen oder aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion stammenden Staatsangehörigen verständlich. Deren Anteil an der Gesamtbevölkerung ist aber zu gering, als dass er sich auf die Beurteilung der Verwechslungsgefahr auswirkt. Offenbleiben kann daher auch, ob der mit kyrillischen Schriftzeichen vertraute Teil des inländischen Verkehrs vor dem Hintergrund, dass die Zeichenbestandteile bei einem Verständnis von „MY/My“ als Personalpronomen einen Sinn vermitteln („mein“), was auf die kyrillische Bedeutung „mu“ offenbar nicht zutrifft, überhaupt Anlass für eine „kyrillische Lesart“ der Schriftzeichen hat.

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4. In Anbetracht dessen kann in der Gesamtabwägung angesichts der teilweisen Identität und ansonsten zumindest durchschnittlichen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren, der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie der hochgradigen Ähnlichkeit der Kollisionszeichen eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken nicht verneint werden.

50

5. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

51

C. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.