Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 26.11.2025, AZ VIa ZR 826/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 26.11.2025, AZ VIa ZR 826/22, ECLI:DE:BGH:2025:261125UVIAZR826.22.0

Verfahrensgang

vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 9. Mai 2022, Az: 3 U 516/21
vorgehend LG Erfurt, 7. Mai 2021, Az: 10 O 720/20

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 9. Mai 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 22.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im November 2015 von einem Autohaus einen neuen VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

2

Der Kläger hat die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer bezifferten Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers durch Urteil zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB bestehe nicht, weil bei dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einem Motor des Typs EA 288 ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht gegeben sei. Das Vorbringen des Klägers, in die unstreitig in der Motorsteuerungssoftware installierte Zykluserkennung beziehungsweise Fahrkurve sei eine „Umschaltlogik“ ähnlich wie beim Motor des Typs EA 189 einprogrammiert, sei nicht ausreichend substantiiert. Nach einer Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes würden auch bei der Deaktivierung der Fahrkurvenfunktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten. Auch das in das Fahrzeug eingebaute „Thermofenster“ sei nicht mit einer „Umschaltlogik“ vergleichbar. Ein auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV gestützter Anspruch komme nicht in Betracht, weil das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liege.

II.

6

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

7

1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Insbesondere entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass ein solcher Anspruch bei fehlender Grenzwertrelevanz – mithin einer Einhaltung der Grenzwerte auf dem Prüfstand auch bei deaktivierter Abschalteinrichtung – grundsätzlich ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2023 – VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 6, 11 mwN; Urteil vom 29. Januar 2025 – VIa ZR 1020/22, juris Rn. 9). Die von der Revision insoweit erhobene Verfahrensrüge hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

8

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                              
Möhring                              
Katzenstein

                       
Ostwaldt                                
Tausch

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