BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 18.11.2025, AZ VIa ZR 953/22, ECLI:DE:BGH:2025:181125UVIAZR953.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Stuttgart, 5. Mai 2022, Az: 24 U 180/21
vorgehend LG Stuttgart, 15. November 2021, Az: 51 O 572/21
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin betreffend ihre deliktische Schädigung wegen des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1 bis 3 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Sie erwarb im Februar 2014 von der Beklagten einen von dieser hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz SLK 250 CDI, der mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
3
Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3) und der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere Schäden (Berufungsantrag zu 4) begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge insoweit weiter.
Entscheidungsgründe
4
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Der Klägerin stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die für sich genommen unstreitige Verwendung eines Thermofensters und einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung im klägerischen Fahrzeug könne den Vorwurf eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten nicht begründen, da die Klägerin jeweils keine konkreten Anhaltspunkte dafür dargelegt habe, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Verwendung dieser Funktionen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.
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Einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe der fehlende Schutzgesetzcharakter dieser Vorschriften entgegen.
II.
8
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
9
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision dagegen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12
Die angefochtene Berufungsentscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer
Möhring
Messing
F. Schmidt
Pastohr
