BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 12.11.2025, AZ VIa ZR 336/22, ECLI:DE:BGH:2025:121125UVIAZR336.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG München, 3. Februar 2022, Az: 33 U 6628/20
vorgehend LG München I, 3. November 2020, Az: 41 O 5584/20
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 33. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 3. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung auch im Hinblick auf deliktische Ansprüche des Klägers durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs erfolglos geblieben ist, jedoch mit Ausnahme der Zurückweisung der Berufung hinsichtlich der begehrten Deliktszinsen von 9.185,61 € (Berufungsantrag zu II) und wegen desjenigen Teils des Berufungsantrags zu I, der über den Betrag von 27.490,64 € (Kaufpreis in Höhe von 28.300 € abzüglich Nutzungsersatz in Höhe von 809,36 €) nebst Zinsen hinausgeht.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Frühjahr 2015 von der Beklagten einen von ihr hergestellten BMW 320d, der mit einem Motor N 47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
2
Der Kläger hat im Wesentlichen die Rückabwicklung des Erwerbs unter Abzug einer Nutzungsentschädigung (Berufungsantrag zu I), die Zahlung von Deliktszinsen (Berufungsantrag zu II), die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu III) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu IV) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
3
Die Revision hat Erfolg.
I.
4
Das
Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:
5
Der Kläger habe keinen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Er habe keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte dargelegt. Etwaige Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheiterten daran, dass diese Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellten.
II.
6
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand
.
7
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
8
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller
wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten „großen“ Schadenersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10
Die
Berufungsentscheidung ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO).
Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
11
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Messing Katzenstein
F. Schmidt Ostwaldt
