Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 30.09.2025, AZ VIa ZR 396/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 30.09.2025, AZ VIa ZR 396/22, ECLI:DE:BGH:2025:300925UVIAZR396.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Nürnberg, 23. Februar 2022, Az: 1 U 2165/21
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 28. Mai 2021, Az: 6 O 865/21

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23. Februar 2022 mit Ausnahme der Zurückweisung der Berufung wegen der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Deliktszinsen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juli 2016 von einer dritten Person einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten BMW 530d xDrive, der mit einem Dieselmotor der Baureihe N 57 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

2

Das Landgericht hat die auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugs- und Deliktszinsen, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine Anträge aus dem ersten Rechtszug im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Es bestehe kein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB. Dabei könne zugunsten des Klägers unterstellt werden, die behauptete temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung in seinem Fahrzeug sei als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren. Denn auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz der Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfe es vielmehr weiterer Umstände, die sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht ergäben.

6

Der Kläger habe auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, denn bei diesen Vorschriften handle es sich – jedenfalls bezogen auf den geltend gemachten Schaden in Form der Übernahme einer ungewollten Kaufpreisverbindlichkeit – nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

II.

7

Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt auch keine konkreten Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im Umfang des Urteilausspruchs aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen
als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                         
Brenneisen                         
Messing

                  
Katzenstein                         
F. Schmidt

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