Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 23.09.2025, AZ VIa ZR 424/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 23.09.2025, AZ VIa ZR 424/22, ECLI:DE:BGH:2025:230925UVIAZR424.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Zweibrücken, 28. Februar 2022, Az: 4 U 183/21
vorgehend LG Frankenthal, 15. September 2021, Az: 4 O 56/21

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 4. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 28. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit
aufgehoben, als die Berufungsanträge zu I, III und IV zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für die Revision wird auf bis 30.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Jahr 2019 einen von der Beklagten hergestellten BMW 420d, der mit einem Dieselmotor des Typs B 47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

2

Die Klägerin hat die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I), die Zahlung von Deliktszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu II), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu III) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu IV) begehrt.

3

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Hinsichtlich der von der Klägerin gerügten Einrichtungen könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht festgestellt werden.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, auf mögliche Ansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese im Umfang der Aufhebung nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                    Möhring                    Katzenstein

                   Ostwaldt                    Tausch

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