BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 16.04.2025, AZ VIa ZR 406/23, ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIAZR406.23.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Stuttgart, 28. Februar 2023, Az: 16a U 318/19
vorgehend LG Stuttgart, 17. Oktober 2019, Az: 20 O 37/19
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb im Oktober 2015 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten „Thermofensters“ unter anderem temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).
3
Der Kläger hat die Beklagte in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und in zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt seiner deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat in erster Instanz Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Werts gezogener Nutzungen nebst Deliktzinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 29.666,04 € nebst Prozesszinsen unter Zug-um-Zug-Vorbehalt entsprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger hat zuletzt noch Zahlung von 29.107,65 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Feststellung des Annahmeverzugs begehrt. Im Übrigen hat er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung der Berufung des Klägers auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs gestützt hat.
Entscheidungsgründe
4
Die Revision, die entsprechend der beschränkten Zulassung durch das Berufungsgericht ausschließlich Ansprüche unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung des Klägers einschließlich der Nebenforderungen zum Gegenstand hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 8 f.), hat Erfolg.
I.
5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Ein Anspruch des Klägers aus § 826 BGB scheide aus. Selbst wenn zugunsten des Klägers unterstellt würde, dass es sich bei Thermofenster und KSR um unzulässige Abschalteinrichtungen handele, reichte deren Verwendung mangels deren Prüfstandsbezogenheit für sich genommen nicht aus, um das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als sittenwidrig vorsätzlich zu werten. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere jedenfalls an der fehlenden Schutzgesetzqualität der in Bezug genommenen Vorschriften.
II.
7
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
8
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
9
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11
Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
12
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen.
Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der – bisher lediglich unterstellten – Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Möhring
Katzenstein
Ostwaldt
Tausch
Pastohr