BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 19.03.2025, AZ IV ZR 204/23, ECLI:DE:BGH:2025:190325UIVZR204.23.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Koblenz, 20. September 2023, Az: 10 U 1556/22
vorgehend LG Mainz, 26. August 2022, Az: 4 O 271/21
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Teilurteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 20. September 2023 insoweit aufgehoben, als der Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin Auskunft über alle Beitragsanpassungen zu erteilen, die er in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag zur Versicherungsnummer W in den Jahren 2014 bis 2019 vorgenommen hat, und der Klägerin hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 500 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung. Die Klägerin hält eine Krankenversicherung bei dem Beklagten, der Prämienanpassungen vornahm.
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Soweit für die Revision noch von Interesse, hat die Klägerin mit ihrer Klage Auskunft über alle Beitragsanpassungen verlangt, die der Beklagte in dem Versicherungsvertrag in den Jahren 2014 bis 2019 vorgenommen hat; insoweit hat sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen die Höhe der Beitragsanpassungen unter Benennung der jeweiligen Tarife und die der Klägerin zu diesem Zwecke übermittelten Informationen in Form von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein enthalten sind. Darüber hinaus hat sie die Feststellung verlangt, dass die nach Erteilung der Auskunft noch genauer zu bezeichnenden Neufestsetzungen der Prämie unwirksam seien und sie nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages verpflichtet sowie der monatlich fällige Gesamtbetrag auf einen noch zu beziffernden Betrag zu reduzieren sei, außerdem die Zahlung eines nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernden Betrages nebst Zinsen und die Feststellung der Pflicht des Beklagten zur Herausgabe gezogener Nutzungen und zu deren Verzinsung.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin durch Teilurteil zur Auskunftserteilung verurteilt.
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Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Stufenklage zulässig ist. Die beantragte Auskunft diene nicht (allein) der Prüfung, ob der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch auf Rückerstattung von Prämien zustehe, sondern jedenfalls auch der Bezifferung der weiteren Ansprüche. Der Antrag sei sowohl hinsichtlich der begehrten Auskünfte als auch der hierauf bezogenen Unterlagen in Form von Versicherungsscheinen und entsprechenden Nachträgen begründet; Anspruchsgrundlage sei Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 DSGVO. Eine Verjährung sämtlicher denkbarer Hauptansprüche könne nicht festgestellt werden.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.
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1. Im Ergebnis geht das Berufungsgericht allerdings zutreffend davon aus, dass die Auskunftsklage zulässig ist.
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a) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch das Rechtsschutzbegehren der Klägerin als Stufenklage im Sinne des § 254 ZPO für zulässig gehalten. Nach § 254 ZPO kann die bestimmte Angabe der Leistungen, die der Kläger beansprucht, vorbehalten werden, wenn mit der Klage auf Rechnungslegung oder auf Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses oder auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung die Klage auf Herausgabe desjenigen verbunden wird, was der Beklagte aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis schuldet. Die im Rahmen der Stufenklage verfolgte Auskunft ist lediglich ein Hilfsmittel, um die (noch) fehlende Bestimmtheit des Leistungsanspruchs herbeizuführen. Die der Stufenklage eigentümliche Verknüpfung von unbestimmtem Leistungsanspruch und vorbereitendem Auskunftsanspruch steht dagegen nicht zur Verfügung, wenn die Auskunft nicht dem Zwecke einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dient, sondern dem Kläger sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht in Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (Senatsurteil vom 27. September 2023 – IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 24 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rückzahlung der auf eine unwirksame Beitragserhöhung gezahlten Prämienanteile gehört die Tatsache, dass der Beitrag in einem versicherten Tarif zu einem bestimmten Zeitpunkt erhöht wurde. Diese Informationen will die Klägerin erst durch die vorliegende Auskunftsklage erlangen, die daher nicht nur der näheren Bestimmung eines bestehenden Anspruchs dient. Es verhilft der Stufenklage nicht zur Zulässigkeit, dass die Klägerin daneben auch die Bezifferung eines möglicherweise bestehenden Anspruchs verfolgt.
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b) Es kommt jedoch eine Umdeutung der zunächst erhobenen Stufenklage in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung in Betracht, die ein – zumindest für die Rechtsschutzgewährung ausreichendes – berechtigtes Interesse des Klägers voraussetzt (vgl. Senatsurteil vom 27. September 2023 – IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 26 m.w.N.). Das ist hier der Fall. Der Senat kann auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen selbst beurteilen, ob die Klage in dieser Weise umzudeuten ist; weitere Feststellungen sind nicht zu erwarten. Nach ihrem Vorbringen benötigt die Klägerin die Auskunft, um zu prüfen, welche Beitragserhöhungen in der Vergangenheit erfolgt sind und ob ihr auf dieser Grundlage Rückzahlungsansprüche zustehen oder sie ihre laufende Beitragszahlung kürzen darf. Auf dieser Grundlage ist die Auskunftsklage zulässig. Die Frage der Zulässigkeit der in der Vor-instanz anhängigen Feststellungs- und Leistungsanträge stellt sich dagegen hier nicht.
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2. Mit der gegebenen Begründung hätte das Berufungsgericht aber nicht annehmen dürfen, dass der Klägerin der geltend gemachte Auskunftsanspruch zusteht.
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Ein Anspruch auf Abschriften der zum Zwecke der Beitragsanpassung übermittelten Informationen in Form von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein, worauf der Antrag hier abzielt, folgt nicht aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (im Folgenden DSGVO). Wie der Senat mit Urteil vom 27. September 2023 (IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 46 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, handelt es sich bei den Nachträgen zum Versicherungsschein in ihrer Gesamtheit nicht um personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers.
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3. Die Entscheidung über den Auskunftsantrag erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Ein Auskunftsanspruch ergibt sich nach den bisherigen Feststellungen nicht aus anderen Vorschriften.
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a) Wie der Senat mit Urteil vom 27. September 2023 (IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 42) entschieden und im Einzelnen begründet hat, kann er insbesondere nicht auf § 3 Abs. 3 VVG gestützt werden. Der Senat hat außerdem mit Urteil vom 21. Februar 2024 (IV ZR 311/22, r+s 2024, 314 Rn. 18) entschieden und im Einzelnen begründet, dass sich ein Anspruch auf Übersendung früherer Nachträge zum Versicherungsschein auch nicht aus § 7 Abs. 4 VVG ergibt.
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b) Ob der Klägerin der geltend gemachte Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zustehen könnte, kann auf Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden. Nach § 242 BGB trifft den Schuldner im Rahmen einer Rechtsbeziehung ausnahmsweise eine Auskunftspflicht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann (vgl. Senatsurteil vom 27. September 2023 – IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 30). Wie der Senat in seinem Urteil vom 27. September 2023 (aaO Rn. 31) entschieden und im Einzelnen begründet hat, kommt ein solcher Anspruch grundsätzlich in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer in der privaten Krankenversicherung Auskunft über vergangene Beitragserhöhungen verlangt. Der Auskunftsanspruch setzt jedoch Feststellungen dazu voraus, dass die Klägerin nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt – was der Beklagte hier bestritten hat – und warum es zum Verlust kam. Erst die Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer ermöglicht die Beurteilung, ob dem Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zusteht (vgl. Senatsurteil vom 27. September 2023 aaO Rn. 40 m.w.N.). Die allgemeine Annahme, dass ein Versicherungsnehmer Schreiben des Versicherers nicht für aufbewahrungswürdig halten muss, reicht insoweit nicht aus (Senatsurteil vom 21. Februar 2024 – IV ZR 311/22, r+s 2024, 314 Rn. 14).
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III. Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht in der Sache entscheiden, da das Berufungsgericht zu den Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB zunächst die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird. Entgegen der Ansicht der Revision ist insoweit nicht die Annahme des Landgerichts zugrunde zu legen, dass zu einem etwaigen Verlust der Unterlagen nicht vorgetragen sei. Die Klägerin hat ihren Vortrag aus der Klageschrift, nicht mehr im Besitz der Unterlagen zu sein, in der Berufungsbegründung wiederholt. Das Berufungsgericht hatte nach seiner Rechtsansicht bisher lediglich keinen Anlass, sie auf die Notwendigkeit eines Beweisangebots und weiteren Vortrags zu den Umständen des Verlustes hinzuweisen; dies wird es unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats nachzuholen haben.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller
Dr. Bußmann Dr. Bommel