BGH 4. Zivilsenat, Beschluss vom 19.03.2025, AZ IV ZB 19/24, ECLI:DE:BGH:2025:190325BIVZB19.24.0
Art 39 Abs 2 EUV 650/2012, Art 45 EUV 650/2012, Art 45ff EUV 650/2012, Art 46 Abs 3 Buchst b EUV 650/2012
Leitsatz
Die Erteilung einer Bescheinigung nach Art. 46 Abs. 3 Buchst. b) EuErbVO setzt voraus, dass diese einem Antrag auf Vollstreckbarerklärung oder auf Anerkennung einer Entscheidung in einem Verfahren nach Art. 39 Abs. 2, Art. 45 ff. EuErbVO dient und in jenem Verfahren vorgelegt werden soll.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Stuttgart, 15. Mai 2024, Az: 8 W 308/23
vorgehend AG Biberach, 26. Juli 2023, Az: 1 VI 75/22
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart – 8. Zivilsenat – vom 15. Mai 2024 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe
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I. Die Erblasserin war polnische und deutsche Staatsangehörige und hatte ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Der Antragsteller und sein Bruder sind ihre einzigen Kinder. Das Amtsgericht – Nachlassgericht – erachtete auf deren Antrag hin mit Beschluss vom 3. März 2022 die zur Begründung des Antrags auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt und stellte ihnen einen gemeinschaftlichen Erbschein aus, der sie zu je 1/2 als Erben der Erblasserin ausweist.
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Zum Nachlass gehörte ein in Polen belegenes Grundstück, welches die Erben verkauften. Der Antragsteller beantragte beim Nachlassgericht die Erteilung einer Bescheinigung nach Art. 46 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (
ABl. 2012 L 201, S. 107; im Folgenden: EuErbVO) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Anhang 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 der Kommission vom 9. Dezember 2014 zur Festlegung der Formblätter nach Maßgabe der EuErbVO (ABl. 2014 L 359, S. 30; im Folgenden: DurchführungsVO) zum Erbschein vom 3. März 2022. Zur Begründung seines Antrags führte er aus, die Bescheinigung sei zum Nachweis der Wirkungen und der Bestandskraft des vorgelegten Erbscheins im polnischen Rechtskreis (hier: Grundbuch) erforderlich. Das Nachlassgericht hat den Antrag, das Oberlandesgericht die gegen dessen Ablehnung gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren weiter.
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II. Das Beschwerdegericht hat einen Anspruch des Antragstellers auf Erteilung der beantragten Bescheinigung verneint. Ein solcher setze nach Art. 39 EuErbVO voraus, dass die Entscheidung einen vollstreckungsfähigen Inhalt habe und vollstreckbar sei. Der Beschluss über die Erteilung des Erbscheins und die Feststellung der hierfür maßgeblichen Tatsachen erwachse jedoch weder in Rechtskraft noch habe er einen vollstreckungsfähigen Inhalt. Auch die Legitimationswirkung des Erbscheins stelle keinen vollstreckungsfähigen Inhalt dar.
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III. Das hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.
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Die zulässige, insbesondere aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht insgesamt nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte (vgl. Senatsbeschluss vom 29. März 2023 – IV ZB 20/22, ZEV 2023, 538 Rn. 10-13), Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Erteilung der beantragten Bescheinigung über den Erbschein vom 3. März 2022 gemäß Art. 46 Abs. 3 Buchst. b EuErbVO in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Anhang 1 DurchführungsVO, § 27 Internationales Erbrechtsverfahrensgesetz zu. Die Voraussetzungen der Erteilung sind nicht erfüllt, da der Antragsteller die Bescheinigung nicht zur Vorlage in einem Verfahren zur Anerkennung einer Entscheidung begehrt.
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a) Die Erteilung der Bescheinigung nach Art. 46 Abs. 3 Buchst. b EuErbVO setzt voraus, dass diese einem Antrag auf – hier nicht einschlägige – Vollstreckbarerklärung oder auf Anerkennung einer Entscheidung in einem Verfahren nach Art. 39 Abs. 2, Art. 45 ff. EuErbVO vor dem zuständigen polnischen Gericht (vgl. Art. 45, Art. 3 Abs. 1 Buchst. f EuErbVO) dient und in jenem Verfahren vorgelegt werden soll. Ob sie auch auszustellen ist, wenn in einem Rechtsstreit eine inzidente Anerkennung nach Art. 39 Abs. 3 EuErbVO verlangt wird (vgl. dazu MünchKomm-FamFG/Rauscher, 3. Aufl. EU-ErbVO Art. 46 Rn. 6), kann hier offenbleiben. Art. 46 EuErbVO regelt das „Verfahren der Antragstellung“ zur Vollstreckbarerklärung oder Anerkennungsfeststellung; die Bescheinigung nach Art. 46 Abs. 3 Buchst. b EuErbVO wird daher erteilt, um sie „dem Antrag […] beizufügen“. Das Standardformblatt ist für die Bescheinigungen vorgesehen, die im Zusammenhang mit einem Antrag auf Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung – oder nach Art. 39 Abs. 2 EuErbVO auf Anerkennungsfeststellung – vorzulegen sind (vgl. Erwägungsgrund 76 EuErbVO). Beim Verlangen nach Erteilung der Bescheinigung muss es sich daher um das Begehren einer Partei handeln, welche die Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat geltend macht und dazu einen Antrag auf Anerkennung der Entscheidung stellt (vgl. Senatsbeschluss vom 29. März 2023 – IV ZB 20/22, ZEV 2023, 538 Rn. 20). Der Zweck der Bescheinigung besteht darin, die Vollstreckbarerklärung oder Anerkennungsfeststellung so zu erleichtern, dass sie fast automatisch erfolgt (vgl.
NK-BGB/Makowsky, 4. Aufl.EuErbVO Art. 46 Rn. 6); sie ersetzt jedoch nicht die Entscheidung des zuständigen Gerichts.
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b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde, die auf die generell bestehende Möglichkeit eines Anerkennungsfeststellungsverfahrens nach Art. 39 Abs. 2 EuErbVO verweist, begehrt der Antragsteller im vorliegenden Fall die Erteilung jedoch nicht zur Vorlage der Bescheinigung in einem Anerkennungsfeststellungsverfahren. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts begründet er seinen Antrag damit, die Bescheinigung sei zum Nachweis der Wirkungen und der Bestandskraft des vorgelegten Erbscheins im polnischen Rechtskreis (hier: Grundbuch) erforderlich. Seinem Antrag zufolge will er eine Ausfertigung des deutschen Erbscheins unter anderem dem polnischen Grundbuchgericht vorlegen, weshalb es notwendig sei, diesen als Entscheidung im Sinne der EU-Erbrechtsverordnung zu qualifizieren und zu bestätigen, dass Art. 39 f.EuErbVO hier Anwendung finde; ferner substituiere die beantragte Bescheinigung die fehlende Rechtskraftklausel. Auch die Rechtsbeschwerde nimmt Bezug auf den vorinstanzlichen Vortrag des Antragstellers. Die daneben im Rechtsbeschwerdeverfahren aufgestellte Behauptung, der Antragsteller rechne derzeit damit, dass im Rahmen der Abwicklung des Nachlasses ein Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Art. 39 Abs. 2 EuErbVO notwendig werde, vermag den Feststellungen des Beschwerdegerichts zu den Verwendungsabsichten des Antragstellers nicht die Grundlage zu entziehen.
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Auf der Grundlage des im Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalts lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsteller eine konkrete Absicht hat, ein Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Art. 39 Abs. 2 EuErbVO zu betreiben. Er will vielmehr eine automatische Anerkennung des deutschen Erbscheins in Polen gemäß Art. 39 Abs. 1 EuErbVO durch die Vorlage der Bescheinigung im Rechtsverkehr, unter anderem vor dem Grundbuchgericht, befördern.
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2. Auf die Fragen, ob es sich bei dem von einem deutschen Nachlassgericht erteilten Erbschein um eine Entscheidung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g, Art. 39 EuErbVO handelt und ob auch für nicht vollstreckungsfähige Entscheidungen eine Bescheinigung nach Art. 46 Abs. 3 Buchst. b EuErbVO, Art. 1 Abs. 1, Anhang 1 DurchführungsVO auszustellen ist, kommt es damit ebenso wenig an wie auf die weitere von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob die Bescheinigung zwecks Anerkennung eines Erbscheins gemäß Art. 39 Abs. 2 EuErbVO verlangt werden kann, um die Publizitätswirkungen des Erbscheins auf einen anderen Mitgliedstaat auszudehnen. Eine Vorlage dieser Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist daher nicht geboten.
Prof. Dr. Karczewski Dr. Brockmöller Dr. Bußmann
Dr. Götz Piontek