Beschluss des BGH 5. Zivilsenat vom 13.03.2025, AZ V ZR 59/24

BGH 5. Zivilsenat, Beschluss vom 13.03.2025, AZ V ZR 59/24, ECLI:DE:BGH:2025:130325BVZR59.24.0

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 12. Februar 2024, Az: 23 U 12/21
vorgehend LG Berlin, 5. Januar 2021, Az: 22 O 280/17

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Kammergerichts – 23. Zivilsenat – vom 12. Februar 2024 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

    Die Klägerin ist seit Juli 2017 als Eigentümerin mehrerer Wohnungen im Grundbuch eingetragen. Eigentümerin war zuvor eine – mittlerweile gelöschte – GmbH (im Folgenden: Verkäuferin), die sie der Klägerin mit notariellem Vertrag vom 30. Dezember 2016 verkauft hatte. Im Januar 2017 wurden zugunsten der Klägerin jeweils Auflassungsvormerkungen eingetragen. Mit notarieller Nachtragsvereinbarung vom 28. Februar 2017 wurde der zum 1. März 2017 fällige Kaufpreis um 15.000 € herabgesetzt. Im Mai 2017 wurden Zwangssicherungshypotheken in den Grundbüchern der streitgegenständlichen Wohnungen wegen eines im März 2017 titulierten Zahlungsanspruchs des Beklagten gegen die Verkäuferin eingetragen.

2

    Das Landgericht hat der Klage auf Zustimmung zur Löschung der Zwangshypotheken nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten und Feststellung von Schadensersatzansprüchen stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Kammergericht durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision wendet sich der Beklagte mit der Beschwerde, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.

II.

3

    Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zustimmung zur Löschung der zeitlich nach den Auflassungsvormerkungen eingetragenen Zwangssicherungshypotheken gemäß § 888 Abs. 1, § 883 Abs. 2 BGB. Der notarielle Kaufvertrag sei nicht wegen fehlender Beurkundung einer Sanierungsverpflichtung formunwirksam, da eine solche nicht vereinbart worden sei. Die Wohnungen seien gemäß Ziff. 9 des – auch so bezeichneten – notariellen Kaufvertrags „im gegenwärtigen Zustand“ verkauft worden und ausweislich der Anlage 10 zum Kaufvertrag mit Ausnahme einer Wohnung vermietet gewesen, sodass eine Sanierung zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht möglich gewesen wäre. Mit der Nachtragsvereinbarung sei lediglich darauf reagiert worden, dass diese eine Wohnung, von deren Sanierung bis Ende Dezember 2016 ausgegangen worden sei, doch nicht habe saniert übergeben werden können; soweit dort eine andere Wohnung genannt werde, sei dies lediglich eine Verwechslung und lasse keinen Rückschluss auf die Vereinbarung einer Sanierungsverpflichtung zu. Zudem sei im Rahmen der Vertragsauslegung im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, die die Nichtigkeit vermeide. Der zu der behaupteten Sanierungsvereinbarung von dem Beklagten benannte Zeuge, der ehemalige Geschäftsführer der Verkäuferin, sei nicht zu vernehmen gewesen. Denn Anhaltspunkte für die Vereinbarung einer Sanierungsverpflichtung bestünden nicht.

III.

4

    Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

5

    1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf einer vorweggenommenen tatrichterlichen Beweiswürdigung beruht (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 11. Juli 2024 – V ZR 212/23, juris Rn. 4 mwN). So verhält es sich hier. Indem das Berufungsgericht der Klage stattgegeben hat, ohne dem Beweisantrag des Beklagten auf Vernehmung des ehemaligen Geschäftsführers der Verkäuferin zu der nach Behauptung des Beklagten vereinbarten Sanierungsverpflichtung nachzugehen, hat es die Beweiswürdigung in unzulässiger Weise vorweggenommen. Insbesondere durfte das Berufungsgericht von der Vernehmung dieses Zeugen nicht mit der Begründung absehen, dass keine Anhaltspunkte für die Vereinbarung einer Sanierungsverpflichtung bestünden. Vielmehr hätte es sich hierüber auf der Grundlage des unter Beweis gestellten Vorbringens des Beklagten eine Überzeugung bilden müssen (§ 286 ZPO).

6

    2. Der Verstoß gegen den Anspruch auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist entscheidungserheblich.

7

    a) Richtig geht das Berufungsgericht davon aus, dass grundsätzlich alle Vereinbarungen, die nach dem Willen der Vertragsparteien Bestandteil des Vertrages sind, also Rechtswirkungen erzeugen sollen, beurkundungsbedürftig sind (vgl. Senat, Urteil vom 6. November 2015 – V ZR 78/14, BGHZ 207, 349 Rn. 16). Wäre eine Sanierungsverpflichtung der verkauften Wohnungen, wie von dem Beklagten behauptet und unter Beweis gestellt, vereinbart, aber nicht beurkundet worden, wäre der Vertrag vom 30. Dezember 2016 folglich formunwirksam gewesen (§ 311b Abs. 1 Satz 1, § 125 BGB). Damit wären die akzessorischen Auflassungsvormerkungen – da der Formmangel durch Auflassung und Eintragung gemäß § 311 Abs. 1 Satz 2 BGB im Juli 2017 nur ex nunc geheilt werden könnte – nicht vor der Eintragung der Zwangssicherungshypotheken im Mai 2017 entstanden, und mangels Vormerkungswidrigkeit i.S.v. § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB bestünde kein Anspruch auf Zustimmung zur Löschung der Zwangssicherungshypotheken gemäß § 888 Abs. 1 BGB.

8

    b) Dem steht die vorzitierte Senatsentscheidung vom 6. November 2015 (V ZR 78/14, BGHZ 207, 349 Rn. 18) nicht entgegen. Noch zutreffend entnimmt das Berufungsgericht dieser Entscheidung zwar den Rechtssatz, dass im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen ist, die die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts vermeidet. Diese Zweifelsregel findet aber entgegen der weitergehenden Annahme des Berufungsgerichts nicht schon bei der Feststellung Anwendung, ob überhaupt – wie es hier nach der Behauptung des Beklagten der Fall gewesen sein soll – eine nicht beurkundete (mündliche) Vereinbarung getroffen worden ist. Die Feststellung, die Vertragsparteien hätten etwa durch mündliche Abreden oder sonstige außerhalb der Urkunde liegende Umstände einen Teil des Vereinbarten aus der notariellen Urkunde herausverlagert, kann nicht allein anhand der notariellen Urkunde getroffen werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juni 2006 – V ZR 148/04, NJW-RR 2006, 1292 Rn. 12).

IV.

9

    1. Der Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

10

    2. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 478.600 € (Nennbetrag der Zwangssicherungshypotheken zuzüglich Feststellungsantrag).

Brückner                                Göbel                                Haberkamp

                             Laube                                Grau

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