BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 12.03.2025, AZ VIa ZR 1608/22, ECLI:DE:BGH:2025:120325UVIAZR1608.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Bamberg, 3. November 2022, Az: 10 U 54/22
vorgehend LG Würzburg, 29. April 2022, Az: 71 O 614/21
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 3. November 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
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Der Kläger erwarb im September 2020 von einem Händler ein gebrauchtes Wohnmobil. Das von der Beklagten hergestellte Basisfahrzeug Fiat Ducato ist mit einem 2,3 l-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet. Für den Typ des Basisfahrzeugs hatte eine Behörde der Italienischen Republik, das Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (MIT), eine EG-Typgenehmigung erteilt.
3
Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs sowie Ersatz von Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Hinsichtlich der von dem Kläger gerügten Einrichtungen könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht festgestellt werden. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus. Es handle sich nicht um Schutzgesetze, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Normen liege.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
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1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung kommt den Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV der Charakter von Schutzgesetzen zu, ohne dass es einer über die Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben hinausgehenden Kompetenz des Verordnungsgebers zur Schaffung einer deliktischen Haftungsgrundlage bedurfte (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2023 – VIa ZR 1425/22, VersR 2024, 1306 Rn. 18 mwN; Urteil vom 23. Dezember 2024 – VIa ZR 598/23, juris Rn. 17).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
III.
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1. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Eine Tatbestands- oder Legalisierungswirkung der vom MIT erteilten EG-Typgenehmigung für den Typ des Basisfahrzeugs kann der Annahme einer darin verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung nicht entgegengehalten werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 34; Urteil vom 27. November 2023 – VIa ZR 1425/22, VersR 2024, 1306 Rn. 22; Urteil vom 23. Dezember 2024 – VIa ZR 598/23, juris Rn. 24). Die von der Revisionserwiderung insoweit erhobenen Einwendungen geben dem Senat keinen Anlass zu einem an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichteten Vorabentscheidungsersuchen. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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2. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht erneut darüber zu befinden haben, ob dem Kläger ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens zusteht.
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a) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist die Anwendung deutschen Sachrechts auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2024 – VIa ZR 598/23, juris Rn. 28 am Ende) nicht von vornherein ausgeschlossen. Zu den insofern maßgebenden rechtlichen Grundsätzen hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 23. Dezember 2024 (VIa ZR 598/23, juris Rn. 26 bis 28) ausgeführt. Die dagegen von der Revisionserwiderung erhobenen Einwände geben dem Senat keinen Anlass, von seiner dort zum Ausdruck gebrachten Sicht abzuweichen.
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b) Sofern auf dieser rechtlichen Grundlage im Streitfall deutsches Sachrecht anwendbar ist, wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen und einen entsprechenden Zahlungsantrag zu stellen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird es von einem objektiven Verstoß gegen die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auszugehen haben, falls die Beklagte das von ihr hergestellte und nach Vervollständigung vom Kläger in Deutschland erworbene Basisfahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet und daher dem Basisfahrzeug eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung beigefügt hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2024 – VIa ZR 598/23, juris Rn. 30).
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