1. § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG kommt nur im gerichtlichen, nicht aber im behördlichen Verfahren zur Anwendung.2. Eine… (Beschluss des BVerwG 7. Senat)

BVerwG 7. Senat, Beschluss vom 05.03.2025, AZ 7 B 19/24, ECLI:DE:BVerwG:2025:050325B7B19.24.0

Leitsatz

1. § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG kommt nur im gerichtlichen, nicht aber im behördlichen Verfahren zur Anwendung.

2. Eine Heilung der im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung rechtswidrigen Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens in einem ergänzenden Verfahren ist nicht möglich.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 11. Oktober 2023, Az: 3a A 3/23, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Oktober 2023 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung einer ihr erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.

2

Das Landesamt für Umwelt hatte der Klägerin eine Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von sechs Windkraftanlagen im Außenbereich des Gemeindegebiets der Beigeladenen erteilt. Die Beigeladene erhob gegen diese unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens ergangene Genehmigung Widerspruch, mit dem sie geltend machte, die ausreichende Erschließung des genehmigten Vorhabens sei nicht gesichert.

3

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2021 gab der Beklagte dem Widerspruch der Beigeladenen statt und hob den der Klägerin erteilten Genehmigungsbescheid auf.

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Die Klägerin ist der Auffassung, die ihr erteilte Genehmigung habe nicht aufgehoben werden dürfen. Die Erschließung werde jedenfalls durch die nachträgliche Planung gesichert, weshalb ein ergänzendes Verfahren nach § 7 Abs. 5 UmwRG durchzuführen sei.

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Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens sei bei Erteilung der Genehmigung wegen der zu diesem Zeitpunkt nicht gesicherten ausreichenden Erschließung des Vorhabens rechtmäßig gewesen und habe deshalb von dem Beklagten nicht ersetzt werden dürfen. Die Revision gegen ihr Urteil hat die Vorinstanz nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

6

In einem parallel geführten Verfahren hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 28. September 2023 – 3a A 4/23 – die Klage gegen die Ablehnung des Beklagten, zur nachträglichen Sicherung der ausreichenden Erschließung der Windenergieanlagen ein ergänzendes Verfahren nach § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG durchzuführen, als unzulässig abgewiesen. Auch dort hat das Oberverwaltungsgericht die Revision gegen seine Entscheidung nicht zugelassen. Die im Wesentlichen auf Verfahrensmängel gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der Senat im dortigen Verfahren mit Beschluss vom 5. März 2025 – BVerwG 7 B 20.24 – zurückgewiesen.

II

7

Die auf die Revisionszulassungsgründe der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

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1. Die Klägerin hat einen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler nicht dargelegt. Weder ist das im Parallelverfahren BVerwG 7 B 20.24 mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 28. September 2023 – 3a A 4/23 – mit Verfahrensmängeln behaftet, auf denen das dortige Urteil beruhen kann (a), noch kann sich die Klägerin auf die prozessuale Sonderregelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG im hiesigen Verfahren berufen (b).

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a) Das Oberverwaltungsgericht hat im Parallelverfahren weder die richterliche Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO verletzt noch liegt ein Verstoß gegen § 88 VwGO wegen fehlerhafter Antragsauslegung vor. Die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses für den hilfsweise gestellten Anfechtungsantrag begründet keinen Verfahrensmangel, auf dem das Urteil im parallel geführten Verfahren beruhen kann. Zur Begründung wird auf den Beschluss des Senats vom 5. März 2025 verwiesen. Liegen demnach im parallel geführten Rechtsstreit keine Verfahrensmängel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, geschweige denn Verstöße gegen Ansprüche der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG, können sie sich jedenfalls schon deshalb nicht im vorliegenden Verfahren auswirken.

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b) Dass das Oberverwaltungsgericht die der Klägerin erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung, wie sie ausführt, „entgegen § 7 Abs. 5 UmwRG aufgehoben hat, anstatt lediglich festzustellen, dass sie […] rechtswidrig ist und nicht vollzogen werden kann“, begründet keinen Verfahrensmangel. § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG kommt in der vorliegenden Konstellation nicht zur Anwendung.

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Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG führt eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Die Vorinstanz hat die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von drei Windkraftanlagen nicht aufgehoben. Vielmehr hat der Beklagte dem Widerspruch der drittbetroffenen Beigeladenen abgeholfen (§ 72 VwGO) und die Genehmigung aufgehoben, weil die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB im Ausgangsbescheid rechtswidrig gewesen sei. Allein gegen diesen Widerspruchsbescheid, der erstmalig eine Beschwer der Klägerin enthielt (§ 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO), richtete sich ihre Anfechtungsklage, die das Oberverwaltungsgericht abgewiesen hat. Für eine solche Anfechtungsklage gilt die allgemeine verwaltungsprozessuale Bestimmung des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wovon die Vorinstanz zutreffend ausgegangen ist.

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aa) § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG kommt, wie § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG, nach seinem eindeutigen Wortlaut und seinem Sinn und Zweck nur im gerichtlichen, nicht aber im behördlichen Verfahren zur Anwendung. Die Vorschrift regelt für materielle Fehler die eingeschränkte Aufhebbarkeit der Behördenentscheidung durch das Gericht. Denn der Grundgedanke der Erhaltung der behördlichen Entscheidung und der Fehlerbehebung durch ein ergänzendes Verfahren im Rahmen des gerichtlichen Rechtsschutzes trifft nicht nur für die Planfeststellung wegen des vorangegangenen Verfahrensaufwands zu, sondern gleichermaßen etwa für ein immissionsschutzrechtliches Zulassungsverfahren (vgl. BT-Drs. 18/9526 S. 44). Für das behördliche Verfahren bestehen keine entsprechenden speziellen gesetzlichen Regelungen. Dies ist auch regelmäßig nicht erforderlich, weil ein ergänzendes Verfahren zur Fehlerheilung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planfeststellungsrecht auch zur Heilung von der Behörde selbst festgestellter Defizite eingesetzt werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2021 – 9 A 8.21 – juris Rn. 8 m. w. N.). Ist – wie hier – vor Klageerhebung des Drittbetroffenen ein Vorverfahren durchzuführen, werden von der Widerspruchsbehörde Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts nachgeprüft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für den Fall, dass die Aufhebung eines Verwaltungsakts im Widerspruchsverfahren erstmalig mit einer Beschwer verbunden ist, soll der Betroffene vor Erlass des Abhilfe- oder des Widerspruchsbescheids gehört werden (§ 71 VwGO). Das behördliche Verfahren bietet mithin grundsätzlich hinreichende Möglichkeiten zur Fehlerheilung, ohne dass ein Rückgriff auf eine prozessuale Norm, die die verwaltungsgerichtliche Entscheidung bindet, erforderlich ist.

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bb) Hinzu kommt, dass eine Heilung der nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung rechtswidrigen Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens in einem ergänzenden Verfahren nicht möglich ist.

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Die Frage, ob ein belastender Verwaltungsakt den Betroffenen rechtswidrig in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem neben den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage auch zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 – 4 C 5.15 – BVerwGE 156, 1 Rn. 13 m. w. N.). Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB darf die Gemeinde ihr Einvernehmen nur aus den sich aus §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagen, hier also aus den Gründen des § 35 BauGB, weil es sich um ein Vorhaben im Außenbereich handelt. Auf das Rechtsmittel der Gemeinde gegen die Ersetzung des versagten Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB sind die Voraussetzungen der genannten Vorschriften voll nachzuprüfen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 2024 – 7 C 1.23 – BVerwGE 182, 303 Rn. 31 m. w. N.). Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben im Außenbereich zulässig, wenn unter anderem die ausreichende Erschließung gesichert ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist derjenige des Erlasses des mit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verbundenen Bescheids (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 27. August 2020 – 4 C 1.19 – BVerwGE 169, 207 Rn. 26 und vom 23. Mai 2024 – 7 C 1.23 – BVerwGE 182, 303 Rn. 33); nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen müssen unberücksichtigt bleiben (BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 – 4 C 5.15 – BVerwGE 156, 1 Rn. 14). Nach den Feststellungen der Vorinstanz war die Erschließung des Vorhabens im Zeitpunkt der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung an die Klägerin nicht ausreichend gesichert. Damit war die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens im maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig. Der Widerspruch der Beigeladenen musste demnach die Aufhebung der klägerischen Genehmigung zur Folge haben. Die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens mit dem Ziel der nachträglichen Sicherung der Erschließung des Vorhabens auf andere Weise, etwa über Privatflächen eines der Gesellschafter der Klägerin, war der beklagten Behörde aufgrund der zitierten Rechtsprechung versagt. In Betracht kam nur, für den Fall, dass sich die Sachlage insoweit geändert hätte, die Genehmigung unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids unter Wiederholung der Beteiligung der Gemeinde neu zu erlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 – 4 C 5.15 – BVerwGE 156, 1 Rn. 15).

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2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

16

Den gerügten Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG kommt schon deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Klägerin im Verfahren BVerwG 7 B 20.24 nach der Entscheidung des Senats vom heutigen Tag keine Verfahrensfehler dargelegt hat. Die von ihr aufgeworfene Frage, ob sich Verfahrensverstöße in einem anderen gerichtlichen Verfahren, das in einem Sachzusammenhang steht und von der Vorinstanz zur gemeinsamen Verhandlung verbunden worden war, im hiesigen Rechtsstreit auswirken können, stellt sich deshalb nicht.

17

Die von der Klägerin sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,

ob § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG, wonach eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b oder 5 UmwRG führt, wenn sie nicht – unter anderem – durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden, nur im gerichtlichen Hauptsacheverfahren oder auch bereits im Widerspruchsverfahren anwendbar ist,

führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist aus den unter Ziffer 1.b) genannten Gründen nicht entscheidungserheblich.

18

Die Frage,

ob „es sich bei der unzureichenden Erschließung einer Windenergieanlage um einen Verstoß [handelt], der von solcher Art und Schwere ist, dass er die Identität des Vorhabens als Ganzes berührt und eine Heilung im ergänzenden Verfahren daher in der Regel ausschließt?“,

hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Die Antwort ergibt sich zum einen aus dem Gesetz. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BauGB sind auch privilegierte Vorhaben wie Windenergieanlagen (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB) im Außenbereich nur zulässig, wenn ihre ausreichende Erschließung gesichert ist. Wie oben ausgeführt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass diese Voraussetzung im Zeitpunkt der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, mit der das zuvor versagte gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB ersetzt wird, vorliegen muss und nachträgliche Änderungen außer Betracht zu bleiben haben.

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Die sinngemäß angesprochenen Fragen nach

den Voraussetzungen für die Erschließung von Windenergieanlagen im Außenbereich und den Anforderungen an ein entsprechendes Erschließungsangebot

würden sich in einem Revisionsverfahren schon deshalb nicht stellen, weil nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier die Erschließung nicht gesichert war und ein rechtzeitiges Erschließungsangebot nicht vorlag. Unabhängig davon sind die Voraussetzungen für eine gesicherte Erschließung von Windenergieanlagen im Außenbereich und die Anforderungen an ein Erschließungsangebot in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2010 – 4 C 7.09 – NVwZ 2010, 1561 Rn. 40). Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht seiner angegriffenen Entscheidung zugrunde gelegt.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

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