Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 04.03.2025, AZ VIa ZR 160/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 04.03.2025, AZ VIa ZR 160/22, ECLI:DE:BGH:2025:040325UVIAZR160.22.0

Verfahrensgang

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 23. Dezember 2021, Az: 15 U 66/20
vorgehend LG Hamburg, 7. Januar 2020, Az: 307 O 310/18

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 23. Dezember 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch. Er erwarb im September 2014 einen gebrauchten Mercedes Benz E 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

2

Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Er hat ferner die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Er habe keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt, die den Schluss tragen könnten, die Beklagte habe ihn durch den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in sein Fahrzeug sittenwidrig vorsätzlich geschädigt.

6

Hinsichtlich der temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster) könne zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, da auch dann die Verwendung eines Thermofensters nach höchstrichterlicher Rechtsprechung für sich genommen nicht geeignet sei, dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Konkrete Anhaltspunkte für einen bewussten Gesetzesverstoß der für die Beklagte handelnden Personen oder eine Täuschung der Typgenehmigungsbehörde habe der Kläger nicht vorgetragen.

7

Auch aus seinem Vortrag zur Verwendung einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung ergebe sich kein sittenwidriges Handeln der Beklagten, weil die NOx-Emissionsgrenzwerte nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag der Beklagten auch ohne diese Regelung eingehalten würden. Das Verhalten der Beklagten stelle sich nicht als objektiv sittenwidrig dar, wenn sie eine Funktionsweise implementiere, die sich nach dem Vortrag des Klägers weder auf die Erteilung der Typgenehmigung auswirke noch eine Täuschung der Genehmigungsbehörde bewirke.

8

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellten.

II.

9

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

10

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verneint hat. Insbesondere hat das Berufungsgericht in Bezug auf die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung zu Recht keinen Anhaltspunkt für eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes zum Zweck des Erhalts der EG-Typgenehmigung gesehen, weil die gesetzlichen Grenzwerte nach seinen nicht angegriffenen Feststellungen auch ohne die Regelung eingehalten werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 17; Urteil vom 6. November 2023 – VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11; Urteil vom 27. November 2023 – VIa ZR 1062/22, WM 2024, 277 Rn. 9). Die Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

11

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 ff.).

12

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 ff.). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 ff.; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff. und III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

13

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, einen Differenzschaden darzulegen.

C. Fischer                        Möhring                        Vogt-Beheim

                 Katzenstein                       Ostwaldt

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