BPatG München 18. Senat, Beschluss vom 22.10.2024, AZ 18 W (pat) 22/23, ECLI:DE:BPatG:2024:221024B18Wpat22.23.0
Tenor
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2015 007 145.9
…
hat der 18. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2024 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Morawek sowie die Richter Kätker, Dr.-Ing. Flaschke und der Richterin kraft Auftrags Dipl.Phys. Dr. Schenkl
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 V des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. November 2022 aufgehoben und das Patent DE 10 2015 007 145 erteilt.
Bezeichnung: Verfahren zur automatischen Fahrroutenbewertung
Anmeldetag: 3. Juni 2015
Der Erteilung liegen die folgenden Unterlagen zugrunde:
– Patentansprüche 1 bis 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung,
– Beschreibung, Seiten 1 bis 17, überreicht in der mündlichen Verhandlung,
– Zeichnungen, Figuren 1 bis 4, eingegangen am 3. Juni 2015.
Gründe
I.
1
Die vorliegende Patentanmeldung 10 2015 007 145.9 trägt die Bezeichnung
2
„Verfahren zur automatischen Fahrroutenbewertung“
3
und wurde am 3. Juni 2015 am Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Mit Beschluss vom 9. November 2022 hat die Prüfungsstelle für Klasse G 06 V des Deutschen Patent- und Markenamts die Patentanmeldung in der Anhörung zurückgewiesen. Die Prüfungsstelle hat ihren Zurückweisungsbeschluss sinngemäß damit begründet, dass die Gegenstände der damals geltenden jeweiligen Patentansprüche 1 nach Haupt- und Hilfsantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.
4
Dabei hat sie auf die folgende Druckschrift verwiesen:
5
D2 DE 100 05 780 A1
6
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
7
Die weiteren Druckschriften aus dem Prüfungsverfahren sind
8
- D1
- CH 176381 A,
- D3
- DE 10 2009 005 259 A1,
- D4
- DE 10 2007 037 329 A1,
- D5
- Farabet C., [et al.]: Learning Hierarchical Features for Scene Labeling. In: IEEE Transactions on Pattern Analysis and Machine Intelligence, 2013, S.1915-1929.
- D6
- Elias B.: Extraktion von Landmarken für die Navigation, Dissertation, 2006, S. 1 – 153, ISSN 0174-1454
- D7
- Zheng Y.-T., [et al.] : GPSView: A Scenic Driving Route Planner. In: ACM Trans. Multimedia Computing, Communications and Applications, Vol. 9, 2013, No. 1, S. 1-18.
9
Zudem hat der Senat noch die folgenden Druckschriften ermittelt:
10
- D8
- Nagata, Daichi, [et al.] : SakuraSensor: A Participatory Sensing System for Detecting Flowering Cherries with Car-Mounted Smartphones. Poster auf der HotMobile 2015, Intern. Workshop on Mobile Computing Systems and Applications, 12-13.02.2015; URL:http://www.hotmobile.org/2015/papers/ posters/Nagata.pdf [abgerufen am 03.07.2024]
- D9
- OpenCV-Internetseite: ABOUT; URL: https://web.archive.org/web/ 20150315004357/http://opencv.org/about.html [abgerufen am 04.07.2024]
11
Die Anmelderin hat in der Verhandlung vom 22. Oktober 2024 den Antrag gestellt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
12
– Patentansprüche 1 bis 7, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,
13
– Beschreibung, Seiten 1 bis 17, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,
14
– Zeichnung, Fig. 1 bis 4, eingegangen am 03.06.2015.
15
Der
Patentanspruch 1 lautet:
16
1. Verfahren zum Auswerten eines optischen Erscheinungsbildes einer Fahrstrecke (28, 29, 30), wobei
17
– aus zumindest einem Kraftfahrzeug (3), das auf der Fahrstrecke (28, 29, 30) fährt oder gefahren ist, Videodaten (6), die eine Bildsequenz (13) der Fahrstrecke (28, 29, 30) enthalten, die über eine jeweilige Kommunikationsverbindung (7) an eine Recheneinrichtung (4) übertragen werden, empfangen werden und
18
– durch eine Analyseeinrichtung (12) auf der Grundlage der Videodaten (6) zu Bildern (14) der Bildsequenz (13) jeweils ein Übereinstimmungswert (15) betreffend einen Grad einer Übereinstimmung des Bildes (14) mit einem vorbestimmten Attraktivitätskriterium ermittelt wird und
19
– die Übereinstimmungswerte (15) der Bilder (14) zu einem Bewertungssignal (10) für die Bildsequenz (13) kombiniert werden und
20
– das Bewertungssignal (10) als eine Beschreibung des Erscheinungsbildes der Fahrstrecke (28, 29, 30) bereitgestellt wird und
21
– ein Maximalbereich (16) des Bewertungssignals (10) detektiert wird, in welchem zumindest einer der Übereinstimmungswerte (15) des Bewertungssignals (10) größer als ein vorbestimmter Schwellenwert (17) ist, und
22
– aus der Bildsequenz (13) zumindest ein zu dem Maximalbereich (16) korrespondierendes Bild (14) der Bildsequenz (13) ermittelt und ausgegeben wird, und
23
– zu den Bildern (14) der Bildsequenz (13) jeweils ein anhand eines vorbestimmten Qualitätsmaßes festgelegter Qualitätswert (18) einer optischen Qualität des Bildes (14) erzeugt wird, wobei das Qualitätsmaß ein Signal-zu-Rausch-Verhältnis und/oder eine Bildschärfe angibt, und
24
– die Qualitätswerte (18) zu einem Qualitätssignal (11) kombiniert werden und
25
– das zumindest eine korrespondierende Bild (14) aus dem Maximalbereich (16) in Abhängigkeit von dem Qualitätssignal (11) ermittelt wird und wobei
26
– eine Abspieldauer desjenigen Teils der Bildsequenz (13), für welchen das Bewertungssignal (10) den Maximalbereich (16) aufweist, ermittelt wird und
27
– in Abhängigkeit von der Abspieldauer entweder ein Videosignal oder nur ein einzelnes Bild (14) ausgegeben wird,
28
wobei
29
– für eine Routenbewertung jedes Bewertungssignal (10), durch Bildung eines Mittelwerts, zu einem einzigen Gesamtwert (31) zusammengefasst wird, um eine kompakte Aussage zu einer Fahrstrecke zu erhalten, und
30
– der Gesamtwert (31) für eine Fahrstrecke und die extrahierten Bilder durch die Recheneinrichtung (4) bereitgestellt werden und
31
– ein Navigationssystem (21) eines Fahrzeugs (5) und die Recheneinrichtung (4) eine Kommunikationsverbindung (22) aufbauen und
32
– das Fahrzeug (5) die extrahierten Bilder und die Gesamtwerte aus der Recheneinrichtung (4) bezieht und sie als Routenvorschau und Routenbewertung grafisch an den Fahrer zurückgibt.
33
Wegen des Wortlauts der abhängigen Ansprüche 2 bis 7 und der weiteren Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
34
Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass die Ansprüche zulässig und die Gegenstände der Ansprüche patentfähig sind.
35
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
36
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Erteilung des nachgesuchten Patents. Denn der zweifelsfrei gewerblich anwendbare Gegenstand des nunmehr geltenden Patentbegehrens ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Auch die weiteren Voraussetzungen zur Patenterteilung sind erfüllt (§§ 1 bis 5, § 34 und § 38 PatG).
37
1. Die Patentanmeldung betrifft ein Verfahren zum Auswerten eines optischen Erscheinungsbildes einer Fahrstrecke, wobei durch die Auswertung ermittelt wird, ob die Fahrstrecke oder Teile der Fahrstrecke zum Beispiel landschaftlich besonders schön sind oder architektonische Sehenswürdigkeiten aufweisen (vgl. Offenlegungsschrift (OS), Abs. [0001]). In der Beschreibungseinleitung wird ausgeführt, dass Verfahren bekannt seien, bei denen durch Kraftfahrzeuge Videodaten mit Bildsequenzen von Fahrstrecken erzeugt würden. Die Videodaten würden zentral in einem Server gesammelt und einem Benutzer angezeigt, wenn sich dieser über eine Fahrstrecke informieren möchte. So sei es einem Fahrer möglich, vor Antritt einer Fahrt einen Eindruck von verschiedenen Fahrrouten zu gewinnen, die zu einem von ihm gewählten Ziel führten. Um eine Routenauswahl automatisiert durchzuführen, müsse das Bildmaterial von der Route vorab von Personen ausgewertet und kategorisiert werden, was eine subjektive Bewertung zur Folge habe. Zudem sei der Aufwand der Sichtung bei einer großen Menge an Videodaten wirtschaftlich nicht vertretbar (vgl. OS, Abs. [0002] bis [0007]).
38
2. Ausgehend von diesem Hintergrund besteht das technische Problem darin, ein optisches Erscheinungsbild von Fahrstrecken hinsichtlich eines Attraktivitätskriteriums automatisch auszuwerten, um eine systematische Suche einer Fahrroute in Abhängigkeit von diesem zu ermöglichen (vgl. OS, Abs. [0008]). Zudem sollen dem Benutzer eines Navigationssystems neben den Ergebnissen der Auswertung auch aussagekräftige Videos oder einzelne Bilder, welche besonders repräsentativ in Bezug auf das Attraktivitätskriterium sind, bereitgestellt werden (vgl. OS, Abs. [0020]).
39
Diese Aufgabe wird gelöst durch das Verfahren gemäß Patentanspruch 1, der seitens des Senats mit einer Merkmalgliederung versehen wie folgt lautet:
40
- M1.1
- Verfahren zum Auswerten eines optischen Erscheinungsbildes einer Fahrstrecke (28, 29, 30), wobei
- M1.2
- – aus zumindest einem Kraftfahrzeug (3), das auf der Fahrstrecke (28, 29, 30) fährt oder gefahren ist, Videodaten (6), die eine Bildsequenz (13) der Fahrstrecke (28, 29, 30) enthalten, die über eine jeweilige Kommunikationsverbindung (7) an eine Recheneinrichtung (4) übertragen werden, empfangen werden und
- M1.3
- – durch eine Analyseeinrichtung (12) auf der Grundlage der Videodaten (6) zu Bildern (14) der Bildsequenz (13) jeweils ein Übereinstimmungs-wert (15) betreffend einen Grad einer Übereinstimmung des Bildes (14) mit einem vorbestimmten Attraktivitätskriterium ermittelt wird und
- M1.4
- – die Übereinstimmungswerte (15) der Bilder (14) zu einem Bewertungs-signal (10) für die Bildsequenz (13) kombiniert werden und
- M1.5
- – das Bewertungssignal (10) als eine Beschreibung des Erscheinungs-bildes der Fahrstrecke (28, 29, 30) bereitgestellt wird und
- M1.6
- – ein Maximalbereich (16) des Bewertungssignals (10) detektiert wird, in welchem zumindest einer der Übereinstimmungswerte (15) des Bewertungssignals (10) größer als ein vorbestimmter Schwellenwert (17) ist, und
- M1.7
- – aus der Bildsequenz (13) zumindest ein zu dem Maximalbereich (16) korrespondierendes Bild (14) der Bildsequenz (13) ermittelt und ausge-geben wird, und
- M1.8
- – zu den Bildern (14) der Bildsequenz (13) jeweils ein anhand eines vorbestimmten Qualitätsmaßes festgelegter Qualitätswert (18) einer optischen Qualität des Bildes (14) erzeugt wird, wobei das Qualitätsmaß ein Signal-zu-Rausch-Verhältnis und/oder eine Bildschärfe angibt, und
- M1.9
- – die Qualitätswerte (18) zu einem Qualitätssignal (11) kombiniert werden und
- M1.10
- – das zumindest eine korrespondierende Bild (14) aus dem Maximal-bereich (16) in Abhängigkeit von dem Qualitätssignal (11) ermittelt wird und wobei
- M1.11
- – eine Abspieldauer desjenigen Teils der Bildsequenz (13), für welchen das Bewertungssignal (10) den Maximalbereich (16) aufweist, ermittelt wird und
- M1.12
- – in Abhängigkeit von der Abspieldauer entweder ein Videosignal oder nur ein einzelnes Bild (14) ausgegeben wird, wobei
- M1.13
- – für eine Routenbewertung jedes Bewertungssignal (10), durch Bildung eines Mittelwerts, zu einem einzigen Gesamtwert (31) zusammengefasst wird, um eine kompakte Aussage zu einer Fahrstrecke zu erhalten, und
- M1.14
- – der Gesamtwert (31) für eine Fahrstrecke und die extrahierten Bilder durch die Recheneinrichtung (4) bereitgestellt werden und
- M1.15
- – ein Navigationssystem (21) eines Fahrzeugs (5) und die Rechenein-richtung (4) eine Kommunikationsverbindung (22) aufbauen und
- M1.16
- – das Fahrzeug (5) die extrahierten Bilder und die Gesamtwerte aus der Recheneinrichtung (4) bezieht und
- M1.17
- sie als Routenvorschau und Routenbewertung grafisch an den Fahrer zurückgibt.
41
3. Der zuständige
Fachmann ist ein Master of Science oder Diplomingenieur der Fachrichtung Informationstechnik, der über mehrere Jahre Berufserfahrung in der Bildverarbeitung und der Entwicklung von Navigationssystemen verfügt.
42
4. Die Merkmale des Patentanspruchs 1 bedürfen der Auslegung.
43
- Das Verfahren zum Auswerten eines optischen Erscheinungsbildes einer Fahrstrecke (M1.1) analysiert Videodaten (6), welche von einem die Strecken fahrenden Kraftfahrzeug (3) erfasst werden. Die Videodaten enthalten eine Bildsequenz der Fahrstrecke. Die Daten werden entweder bereits während der Fahrt oder im Anschluß über eine Kommunikationsverbindung (7) an eine Recheneinrichtung (4) übertragen (M1.2), in der die sich anschließende Analyse der Videodaten erfolgt (vgl. Fig. 1).
44
Wie in Figur 2 beispielhaft dargestellt, wird zunächst für jedes Bild (14) ein Übereinstimmungswert (15) betreffend den Grad der Übereinstimmung mit einem vorbestimmten Attraktivitätskriterium (C1) ermittelt (M1.3). Die einzelnen Übereinstimmungswerte werden zu einem Bewertungssignal (10) für die Bildsequenz kombiniert (M1.4) und dieses als Beschreibung des Erscheinungsbildes der Fahrstrecke bereitgestellt (M1.5). Ein Bewertungssignal (10) kann, wie in Figur 2 gezeigt, eine Funktion über die Zeit, gemäß Abs. [0047] die Zuordnung eines Übereinstimmungswertes zu einem Bild (14) oder gemäß Abs. [0036] eine Kombination von Übereinstimmungswerten sein.
45
Die sich anschließenden Schritte betreffen die Auswahl der aussagekräftigen, repräsentativen Bilder:
Es wird ein Maximalbereich (16), in dem zumindest einer der Übereinstimmungswerte größer als ein vorbestimmter Schwellenwert (17) ist, detektiert (M1.6). Zu den Bildern der Bildsequenz werden zudem anhand eines vorbestimmten Qualitätsmaßes, welches gemäß Merkmal M1.8 ein Signal-zu-Rausch-Verhältnis und/oder eine Bildschärfe angibt, Qualitätswerte (18) erzeugt. Die Qualitätswerte (18) werden zu einem Qualitätssignal (11) kombiniert (M1.9).
46
Abhängig vom Qualitätssignal wird zumindest ein korrespondierendes Bild aus dem Maximalbereich ermittelt (vgl. M1.7, M1.10). Schließlich wird die Abspieldauer der Bildsequenz des Maximalbereichs ermittelt, um als extrahierte Bilder entweder ein Videosignal oder nur ein einzelnes Bild auszugeben (M1.11, M1.12). Gemäß Beschreibung ergebe sich dadurch der Vorteil, dass keine unerwünscht kurzen Videosignale präsentiert werden, die vom menschlichen Betrachter nicht mental verarbeitet werden können. In diesem Fall sei es sinnvoller, ein Standbild bzw. ein ruhendes Einzelbild bereitzustellen (vgl. OS, Abs. [0022]).
47
Für eine Routenbewertung wird jedes Bewertungssignal entlang der Fahrstrecke durch Mittelwertbildung zu einem einzigen Gesamtwert (31) zusammengefasst (M1.13), welcher dann zusammen mit den extrahierten Bildern (Videodaten oder einzelnen Bildern) auf der Recheneinrichtung (4) bereitgestellt wird (M1.14). Von dieser kann ein Navigationssystem (21) eines Fahrzeugs (5) über eine Kommunikationsverbindung (M1.15) die extrahierten Bilder und Gesamtwerte beziehen (M1.16) und sie als Routenvorschau und Routenbewertung grafisch an den Fahrer zurückgeben (M.17).
48
5. Die Änderungen im Patentanspruch 1 sind zulässig (§ 38 PatG).
49
Die Merkmale des Patentanspruchs 1 sind durch die ursprünglichen Patentansprüche 1, 5, 6, 7 und 8 sowie die ursprünglich eingereichte Beschreibung (vgl. OS, Abs. [0021], [0034], [0040], [0049], [0051], [0054]) und Figur 4 als zur Erfindung zugehörend offenbart.
50
Auch die weiteren Patentansprüche beinhalten keine unzulässige Änderung. Die Beschreibung wurde entsprechend angepasst.
51
6. Alle Merkmale des Patentanspruchs 1 sind bei der Prüfung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen (§ 1 PatG).
52
Entgegen der Auffassung der Prüfungsstelle stellen die Merkmale M7 bis M10 technische Merkmale dar, die bei der Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen sind. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 betrifft ein Verfahren, bei dem über eine Kommunikationsverbindung übermittelte Videodaten nach vorbestimmten Attraktivitätskriterien ausgewertet werden. In Abhängigkeit von der Auswertung und dem Kriterium der optischen Bildqualität wird ein entsprechend repräsentativer Videoausschnitt ausgewählt, der dem Benutzer des Navigationssystems bereitgestellt wird. Das mit diesen technischen Mitteln gelöste technische Problem umfasst neben der Auswertung der Videodaten zudem, dem Benutzer neben der Routenbewertung bezüglich eines vorbestimmten Attraktivitätskriteriums auch aussagekräftige, qualitativ hochwertige Videos oder Einzelbilder zur Verfügung zu stellen. Daher trägt auch die Auswahl des zu mindestens einen korrespondierenden Bildes aus dem Maximalbereich in Abhängigkeit vom Qualitätssignal zur Lösung des technischen Problems bei.
53
Des Weiteren wird der Nutzer durch die Auswahl der extrahierten Bilder in die Lage versetzt, sich einen guten Eindruck über die Attraktivität der ausgewählten Route zu verschaffen. Statt unerwünscht kurze Videos zu präsentieren, welche vom menschlichen Betrachter mental nicht verarbeitet werden können (vgl. OS, Abs. [0022]), wird bei einer ermittelten zu kurzen Abspieldauer statt eines Videos des Maximalbereichs nur ein repräsentatives Einzelbild aus diesem ausgegeben. Dies betrifft somit Programm-Anweisungen für die Präsentation von Bildinhalten in einer Weise, die auf die physischen Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung und Aufnahme von Information Rücksicht nimmt und dabei darauf gerichtet ist, die Wahrnehmung der gezeigten Information durch den Menschen in bestimmter Weise überhaupt erst zu ermöglichen, zu verbessern oder zweckmäßig zu gestalten. Sie dienen der Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln und sind somit bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen (vgl. BGH Urteil vom 26. Februar 2015, X ZR 37/13, GRUR 2015, 660, Rn. 35 – Bildstrom).
54
Somit liegt mit dem Verfahren des Patentanspruchs 1 eine technische Lehre vor, die als Erfindung dem Patentschutz zugänglich ist.
55
7. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu (§ 3 PatG).
56
Die wissenschaftliche Veröffentlichung
D8 betrifft ein Sensorsystem, mit dem die Kirschblüte entlang einer Fahrstrecke detektiert und deren Intensität bewertet werden kann. Einem Anwender sollen dabei Informationen über die Fahrroute und Bildsequenzen zur Kirschblüte zur Verfügung gestellt werden. Die D8 offenbart damit ein Verfahren zum Auswerten eines optischen Erscheinungsbildes einer Fahrstrecke, (vgl. Fig 1, Titel:
SakuraSensor: A Participatory Sensing System for Detecting Flowering Cherries with Car-Mounted SmartphonesM1.1).
57
Hierbei werden aus mindestens einem Kraftfahrzeug, das auf einer Fahrstrecke fährt oder gefahren ist, Videodaten, die eine Bildsequenz der Fahrstrecke enthalten (vgl. 2.:
At the smartphone side, while a car is traveling, the smartphone continuously records GPS logs and videos captured by its camera.) und über eine jeweilige Kommunikationsverbindung an eine Recheneinrichtung übertragen werden, empfangen (vgl. Fig. 1; 1:
which employs participatory sensing to collect information about cherry-lined routes (including images and videos) from car-mounted smartphones and shares collected information among its users.M1.2).
58
Durch eine Analyseeinrichtung wird auf der Grundlage der Videodaten zu Bildern der Bildsequenz jeweils ein Übereinstimmungswert betreffend einen Grad einer Übereinstimmung des Bildes mit einem vorbestimmten Attraktivitätskriterium ermittelt (vgl. 2.:
a color histogram that represents the color distribution of flowering cherries is generated in advance using various images that contain flowering cherries. … for each pixel of each frame, the frequency that the pixel belongs to flowering cherries is calculated; 1.:
that quantifies the amount of flowering cherries recorded in the videos captured by car-mounted smartphonesteilweise M1.3ohne Analyse auf der Rechenvorrichtung).
59
Die Übereinstimmungswerte der Bilder werden in Form eines Bewertungssignals als Beschreibung des Erscheinungsbildes der Fahrstrecke ermittelt (vgl. 2:
The cherry intensity is calculated for each frame as the mean value of the frequency of all pixels in the frame. … About 5000 short videos (each is 1 second long), which are extracted from the recorded videos, are classified into multiple classes depending on the amount of flowering cherries contained in each video using SakuraSensor;M1.4,
M1.5).
60
Für die Routenvorschau werden Übereinstimmungswerte für eine Fahrstrecke und die extrahierten Bilder aus dem Maximalbereich für den Fahrer bereitgestellt (vgl. Fig. 1; 1:
Based on the collected information, a scenic routes recommendation service with up-to-date information can be provided, where the users search the best scenic route to a specified destination by viewing short videos along the searched route. 4: sharing information (cherry intensity and videos) of cherry-lined roads by using car-mounted smartphones;teilweise M1.14ohne Gesamtwert).
61
Hierfür baut das Navigationssystem eines Fahrzeugs und die Recheneinrichtung eine Kommunikationsverbindung auf (vgl. Fig. 1;
M1.15) und das Fahrzeug bezieht die extrahierten Bilder und die Werte aus der Recheneinrichtung (vgl. Fig. 1; 4:
sharing information (cherry intensity and videos) of cherry-lined roadsM1.16), welche sie als Routenvorschau und Routenbewertung grafisch an den Fahrer zurückgibt (vgl. Fig. 1b; 1:
where the users search the best scenic route to a specified destination by viewing short videos along the searched route.M1.17).
62
Dem Verfahren der
D8 fehlen somit die Merkmale, die für die Auswahl der zu übermittelnden Videos nötig sind (M1.6 – M1.12), die Analyse der Videodaten auf der Rechenvorrichtung (M1.3
Rest) und die Routenbewertung (M1.13, M1.14
Rest). Insbesondere wird keine Abspieldauer ermittelt, anhand der entschieden wird, ob ein Videosignal oder nur ein einzelnes Bild ausgegeben wird.
63
Auch die Druckschrift
D9, die im Zusammenhang mit Druckschrift
D8 hinsichtlich der dort genannten „OpenCV library“ in das Verfahren eingeführt wurde, offenbart nicht mehr Merkmale.
64
Die Druckschrift
D1 aus dem Jahr 1934 liegt aufgrund der fehlenden Details zur automatischen Bildauswertung fern ab.
65
Die Druckschrift
D2, auf die sich der Zurückweisungsbeschluss im Wesentlichen stützt, beschäftigt sich zwar mit einem Verfahren zum Auswerten einer Fahrstrecke (M1.1), allerdings anhand von über Kommunikationsverbindungen zu einer Rechnereinrichtung empfangenen Bewertungen (wie zum Beispiel landschaftlich, geschichtlich oder touristisch interessante Strecken). Videodaten werden weder aufgenommen noch analysiert.
66
Die Druckschrift
D3 befasst sich mit einem Verfahren zur rechnergestützten Optimierung für mehrere Kriterien bei der Auswahl einer Route eines Kraftfahrzeugs. Ein Auswerten eines optischen Erscheinungsbildes einer Fahrstrecke anhand von Videobildern wird nicht beschrieben. Dies trifft auch auf die Schrift
D4 zu, welche eine optimale Fahrroute bezüglich des Energieverbrauchs bestimmt.
67
Die Klassifizierung von aufgenommenen Straßenszenen mittels neuronalen Netzen ist Inhalt der Publikation
D5. Eine Anwendung für die Navigation ist nicht angegeben.
68
Die Dissertation
D6 beschäftigt sich mit der automatischen Bereitstellung von auffälligen Landmarken, um die Wegbeschreibungen eines Navigationssystems an eine menschliche Wegbeschreibung anzupassen. Hierfür werden bestehende Geodatenbestände verwendet und aus diesen die Landmarken extrahiert (M1.3
tw). Es fehlen zumindest die aufgenommenen Videodaten (M1.2) und die daraus generierte Routenvorschau (M1.6 – M1.17).
69
Der Artikel
D7 befasst sich mit demselben Problem, nämlich ein Navigationssystem bereitzustellen, bei dem beim Routenvorschlag auch deren landschaftlicher Aspekt berücksichtigt wird (M1.1). Hierzu werden im Internet hochgeladene Fotos mit Positionsangaben ausgewertet – unter anderem bezüglich Häufungen von Fotos an einem bestimmten Ort. Es werden jedoch keine ausgewählten Videos dem Navigationssystem zur Verfügung gestellt.
70
Auch die übrigen, in der Beschreibungseinleitung der Anmeldeunterlagen genannten Druckschriften (US 2006/0271286 A1, WO 2014/054288 A1, US 2009/0171568 A1) offenbaren in Bezug auf den Patentanspruch 1 nicht mehr als die vorgenannten Entgegenhaltungen.
71
8. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).
72
Ausgehend vom Verfahren der wissenschaftlichen Publikation
D8, die sich hauptsächlich mit der Auswertung der Videoframes über die Kirschblüte entlang einer Fahrroute und dem Übertragen der Videos auf den zentralen Server beschäftigt, hat der Fachmann mehrere Veranlassungen zur Weiterentwicklung des Verfahrens.
73
In der „Introduction“ wird darauf hingewiesen, dass ein verbesserter „scenic route recommandation service“ angeboten werden kann. In Kenntnis der üblichen Auswahl zwischen mehreren Routen in gängigen Navigationsystemen (vgl. zum Beleg des Fachwissens z.B.
D2) ist es für den Fachmann naheliegend, dem Fahrer verschiedene Routen in einer nach Kirschblütenintensität geordneten Reihenfolge vorzuschlagen. Bei mehreren Kirschblütenorten an einer Strecke, ist die Mittelwertbildung für die Bildung einer Rangfolge verschiedener Strecken ein fachübliches Mittel (
M1.13,
M1.14Rest). Die Kirschblütenintensität-anzeigenden Zahlen der Fig. 1b zusammen mit dem Ziel, dem Fahrer eine Route mit blühenden Kirschbäumen vorzuschlagen (vgl. 1.:
to collect information about cherry-lined routes), legen dem Fachmann einen Schwellenwert nahe, ab welchem ein Kirschbaum in Blüte steht (
M1.6).
74
Weiterhin weist die
E8 darauf hin, dass die Kommunikation mit der Recheneinrichtung durch Bandbreite oder Vertragslimits begrenzt ist (vgl. 2.:
for the recorded videos, it would not be possible to continuously transfer them to the server due to the limitation on the communication bandwidth of 3G/4G network or monthly available communication amount limitation posed to users.). Dieser Aspekt spielt beim Übertragen der Videos auf den Server ebenso eine Rolle, wie auch beim Übertragen der Videos auf das Navigationssystem (vgl. 1.:
where the users search the best scenic route to a specified destination byviewing short videosalong the searched route). Daher wird sich der Fachmann mit der Frage auseinandersetzen, wie er die auf das Navigationssystem zu übertragenden Videos auf die aussagekräftigsten Videosequenzen reduziert. Hieraus folgt direkt, dass nur Videosequenzen mit Kirschbäumen, die zu einem Großteil in Blüte sind (Schwellenwert), ausgewählt werden (
M1.6,
M1.7).
75
Ob es aufgrund der Bandbreitenbegrenzung nahegelegen haben mag, zudem die zu übertragenden Videos anhand der Bildqualität auszuwählen, kann dahin stehen (
M1.8 – M1.10). Denn anhand der Abspieldauer zu entscheiden, ob ein einzelnes Bild oder ein Videosignal ausgegeben wird, ist weder aus der
D8 bekannt, noch für den Fachmann naheliegend.
76
Zudem unterscheidet sich das Verfahren der
D8 vom Verfahren der Anmeldung in dem Ort, an dem die aufgenommenen Videodaten analysiert werden. Während in der Anmeldung die gesamte Analyse auf der externen Recheneinrichtung vorgenommen wird, übernimmt dies in der
D8 die Sakura-Sensor Applikation auf den Smartphones. Nur die Ergebnisse sowie die kurzen Videos werden auf die Recheneinrichtung („server“) übertragen. Eine Veranlassung für die Auswertung der Videodaten auf der externen Recheneinrichtung ist durch die Bandbreitenbegrenzung nicht gegeben.
77
Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften bilden für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ebenfalls keinen geeigneten Ausgangspunkt .
78
Damit steht fest, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und damit patentfähig ist.
79
9. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 sind mit dem gewährbaren Patentanspruch 1 ebenfalls patentfähig.
80
10. Da die vorgelegten geltenden Unterlagen auch den weiteren Voraussetzungen zur Patenterteilung (§§ 1, 2, 5, 34 PatG) genügen, war auf die Beschwerde der Anmelderin der Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 V des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben und ein Patent zu erteilen.