BVerwG 3. Senat, Beschluss vom 17.10.2024, AZ 3 AV 1/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:171024B3AV1.24.0
Verfahrensgang
vorgehend VG Bayreuth, 5. August 2024, Az: B 7 K 24.607, Beschluss
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Sozialgericht Bayreuth bestimmt.
Gründe
I
1
Ausgangspunkt des Rechtsstreits ist der am 18. Februar 2022 bei dem Zentrum Bayern Familie und Soziales der Region Oberbayern eingereichte Formularantrag auf „Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG)“. In dem Antrag macht die Klägerin geltend, als Folgen einer Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty seien bei ihr Bluthochdruck und allergisches Asthma aufgetreten. Nach Erhebung ärztlicher Befunde lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung mit Bescheid vom 9. Mai 2022 ab. Von einem kausalen Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und der Impfung könne nicht ausgegangen werden. Ihr Widerspruch wurde mit Bescheid vom 24. August 2022 zurückgewiesen.
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Mit der am 26. September 2022 bei dem Sozialgericht Bayreuth erhobenen Klage beantragte die Klägerin, den Ablehnungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben und Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz zu gewähren. Das Sozialgericht wies mit Verfügung vom 12. Januar 2023 darauf hin, es sei noch darzulegen, welche Leistung die Klägerin anstrebe; gemäß § 68 IfSG sei nicht für alle Leistungen der Sozialrechtsweg eröffnet. Hieran erinnerte das Sozialgericht mit Verfügung vom 5. September 2023. In der Klagebegründung vom 8. Oktober 2023 machte der Bevollmächtigte einen Impfschaden geltend. Betroffen sei eine Angelegenheit der §§ 60 bis 63 IfSG. Er führte aus, die benannten Gesundheitsstörungen seien auf die Impfung zurückzuführen. Die Klägerin befinde sich in einer Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten. Sie fürchte, wegen des Asthmas den Anforderungen des Berufs zukünftig nicht gerecht werden zu können.
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Hierauf teilte das Sozialgericht mit Verfügung vom 9. Oktober 2023 mit, der Klageantrag sei unbestimmt. Es sei nicht ersichtlich, welche Versorgung die Klägerin anstrebe. Nicht für alle Ansprüche aus einem Impfschaden sei der Sozialrechtsweg eröffnet (§ 68 IfSG). Die Klägerin nahm hierzu mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 12. Februar 2024 Stellung. § 56 Abs. 1a Nr. 3 IfSG befasse sich mit der Entschädigung für Verdienstausfälle aufgrund einer epidemischen Lage für erwerbstätige Personen in Geld. Aufgrund des Impfzwangs habe die Klägerin Nebenwirkungen erlitten, die die Ausbildung und ihren beruflichen Werdegang schwerwiegend behinderten. Sie werde nie in Vollzeit tätig sein können und müsse mit hohen Verdienstausfällen rechnen. Daher fordere sie bis zum Renteneintritt eine Geldentschädigung in angemessener Höhe gemäß § 56 Abs. 1a Nr. 2 i. V. m. § 68 IfSG. Das Sozialgericht wies mit Schreiben vom 14. Februar 2024 darauf hin, für einen Anspruch aus § 56 Abs. 1a Nr. 2 IfSG sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, den nun auch die Klägerin für gegeben erachte. Es bat um ausdrückliche Bestätigung; gegebenenfalls werde es das Verweisungsverfahren einleiten. Die Klägerin äußerte sich hierzu nicht.
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Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 7. Juni 2024 den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Bayreuth verwiesen. Auszugehen sei davon, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt sei. Mangels näherer Angaben habe der Beklagte davon ausgehen können, dass die Klägerin eine Beschädigtenversorgung anstrebe. Erst im Klageverfahren habe sie klargestellt, dass sie eine Entschädigung für Verdienstausfall anstrebe. Beschwerde wurde nicht eingelegt.
5
Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat nach Anhörung mit Beschluss vom 5. August 2024 das Verfahren dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg vorgelegt. Der Verweisungsbeschluss entfalte ausnahmsweise keine Bindungswirkung. Das Sozialgericht habe in nicht mehr vertretbarer Weise angenommen, die Klägerin begehre eine Entschädigung nach § 56 Abs. 1a Nr. 2 IfSG. Es habe sich in nicht mehr nachvollziehbarer Weise über den von der Klägerin geltend gemachten Lebenssachverhalt, den damit verfolgten materiell-rechtlichen Anspruch und die für diesen maßgeblichen Vorschriften des Rechtswegs hinweggesetzt.
II
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Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Sozialgericht Bayreuth und dem Verwaltungsgericht Bayreuth als zuerst angegangenes, übergeordnetes Gericht berufen (§ 53 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO in entsprechender Anwendung, stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. April 2023 – 3 AV 1.23 – juris Rn. 2 und vom 21. Juni 2023 – 5 AV 4.23 – juris Rn. 5, jeweils m. w. N.).
7
Für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Sachlich und örtlich zuständig ist das Sozialgericht Bayreuth. Seinem Verweisungsbeschluss vom 7. Juni 2024 kommt keine Bindungswirkung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG zu. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss eines Gerichts ausnahmsweise nicht bindet, liegen hier vor.
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Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen hat. Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. Dezember 2021 – 3 AV 1.21 – NVwZ 2022, 421 Rn. 11 und vom 7. Februar 2022 – 5 AV 5.21 – juris Rn. 7, jeweils m. w. N.).
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Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 7. Juni 2024 ist in dieser Weise fehlerhaft.
10
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten lässt sich aus § 56 i. V. m. § 68 IfSG offensichtlich nicht herleiten. Auf der Grundlage von § 56 Abs. 1a IfSG kommt nach Maßgabe der näheren Bestimmungen dieser Vorschrift eine Geldentschädigung für den Verdienstausfall einer erwerbstätigen Person in Betracht, die ihr Kind während einer vom Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite mangels anderweitig zumutbarer Betreuungsmöglichkeit selbst betreut. Die Annahme, der Klägerin gehe es um einen solchen Anspruch, findet in ihrem Vorbringen keinerlei Grundlage. Ein irgend geartetes Betreuungsverhältnis ist nicht ersichtlich. Nichts anderes gilt, nimmt man § 56 IfSG insgesamt, namentlich auch dessen ersten Absatz in den Blick. Nach seiner Maßgabe können Ausscheider, Ansteckungsverdächtige, Krankheitsverdächtige oder sonstige Träger von Krankheitserregern, die Verboten in der Ausübung der Erwerbstätigkeit unterliegen und dadurch einen Verdienstausfall erleiden, eine Entschädigung in Geld erhalten. Auch davon ist vorliegend keine Rede.
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Bereits die Bezeichnung des von der Klägerin genutzten Antragsformulars benennt den Antragsgegenstand mit „Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG)“. Die Klägerin macht mit ihrem Antrag einen Impfschaden geltend, der zu Gesundheitsstörungen geführt habe. Folgerichtig hat der Beklagte den Antrag auf der Grundlage des damals noch geltenden § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG als Antrag auf Beschädigtenversorgung betrachtet und abgelehnt, nicht hingegen als Antrag auf Leistungen nach § 56 IfSG. In der Klagebegründung hat die Klägerin ihr Vorbringen dahin vertieft, dass sie sich durch einen Impfschaden dauerhaft und erheblich in ihrem beruflichen Werdegang beeinträchtigt sehe und deshalb bis zum Renteneintritt eine Entschädigung begehre. Dazu passend nahm sie Bezug auf die Bestimmungen der §§ 60 bis 63 IfSG, in denen insbesondere die Versorgung bei Impfschäden entsprechend der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes geregelt war. Richtig ist allerdings, dass die Klägerin die zum 1. Januar 2024 wirksam gewordene Aufhebung der §§ 60 bis 64 IfSG durch das Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652) und die damit verbundene Neuregelung der Ansprüche bei Impfschäden im Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch – Soziale Entschädigung – (SGB XIV) nicht nachvollzogen hat. Vielmehr hat sie in ihrem Schreiben vom 12. Februar 2024 ihren Anspruch auf § 56 Abs. 1a Nr. 2 IfSG gestützt. Darauf kommt es jedoch nicht an.
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Maßgebender Anknüpfungspunkt für den Rechtsweg ist der Streitgegenstand, wie er sich aus dem Klagebegehren und dem dazu vorgetragenen Sachverhalt ergibt (BSG, Beschluss vom 25. März 2021 – B 1 F SF 1/20 R – juris Rn. 10); die rechtliche Qualifizierung des Klagebegehrens und des vorgetragenen Sachverhalts durch die Klägerin ist nicht maßgeblich (BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2022 – 5 AV 4.21 – NVwZ-RR 2022, 894 Rn. 9 m. w. N.). Eine Anspruchsgrundlage, die aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts offensichtlich in keiner Weise dem Begehren entspricht, ist bei der Bestimmung des Rechtswegs nicht zu berücksichtigen.
13
Das Sozialgericht hat im Ansatz zutreffend zum Ausgangspunkt seiner Prüfung die Frage genommen, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrundliegenden Sachverhalt sei. Es hat dann jedoch in nicht nachvollziehbarer Weise die sich nach dem Streitgegenstand aufdrängenden, nunmehr in § 24 SGB XIV geregelten Ansprüche der Sozialen Entschädigung der durch Schutzimpfungen Geschädigten übergangen und seine Unzuständigkeit auf einen Anspruch gestützt, den die Klägerin nach ihrem gesamten sachlichen Vorbringen offensichtlich nicht verfolgt. Davon, dass die Klägerin im sozialgerichtlichen Verfahren klargestellt habe, es gehe ihr um eine Entschädigung für Verdienstausfall im Sinne von § 56 IfSG, kann keine Rede sein.
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Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten für die hier streitgegenständliche Angelegenheit des Sozialen Entschädigungsrechts ergibt sich aus § 51 Abs. 1 Nr. 6 SGG. Die sachliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Bayreuth folgt aus § 8 SGG, seine örtliche Zuständigkeit aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AGSGG.