BAG 8. Senat, Urteil vom 17.10.2024, AZ 8 AZR 42/24, ECLI:DE:BAG:2024:171024.U.8AZR42.24.0
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Stuttgart, 24. Mai 2023, Az: 15 Ca 3910/22, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 27. Oktober 2023, Az: 7 Sa 35/23, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 27. Oktober 2023 – 7 Sa 35/23 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24. Mai 2023 – 15 Ca 3910/22 – teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 herauszugeben.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 7/9 und die Beklagte 2/9, von den Kosten der Berufung haben die Klägerin 8/13 und die Beklagte 5/13 zu tragen. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Herausgabe einer Kopie eines Protokolls einer Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten.
2
Die Klägerin stand vom 1. Januar 1978 bis zum 31. Januar 2015 bei der beklagten evangelischen Kirchengemeinde als Organistin und Chorleiterin in einem Arbeitsverhältnis. In dem mit „Anstellungsgrundlagen“ überschriebenen § 2 des Arbeitsvertrags heißt es:
- „Zwischen den Vertragschließenden wird vereinbart, daß für das Anstellungsverhältnis, soweit nicht durch diesen Vertrag etwas anderes bestimmt wird, die Bestimmungen der Kirchlichen Anstellungsordnung (KAO) in ihrer jeweiligen Fassung gelten; sie werden ausdrücklich als Bestandteil dieses Vertrags anerkannt.“
3
Neben dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten stand die Klägerin seit dem 1. September 1993 in einem weiteren Arbeitsverhältnis mit der Evangelischen G S, einem von der Beklagten verschiedenen, anderen Rechtsträger.
4
Am 15. Mai 2006 fand eine nichtöffentliche Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten statt, über deren Inhalt ein Protokoll existiert. Thema dieser Sitzung, an der die Klägerin nicht teilnahm, waren ausschließlich arbeitsrechtliche Maßnahmen ihr gegenüber. Im Anschluss an diese Sitzung wurde die Klägerin – auch im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten – im gesamten Kirchenbezirk S als Springerin eingesetzt.
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Sämtliche Versuche der Klägerin, Auskunft über den Inhalt der Kirchengemeinderatssitzung vom 15. Mai 2006 zu erlangen, scheiterten in der Folgezeit. Darunter auch zwei Klagen vor dem Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in den Jahren 2012 und 2018.
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Unter dem 12. Januar 2021 stellte die Klägerin mit Verweis auf die geänderte Rechtslage einen erneuten Antrag auf Einsichtnahme in das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006. Dies wurde neuerlich zurückgewiesen.
7
Der Beauftragte für Datenschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland ordnete am 30. April 2021 gegenüber der Beklagten an, der Klägerin das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 unter Schwärzung von Namen anderer Personen zur Verfügung zu stellen. Diese Anordnung wurde in der Folgezeit wieder zurückgenommen.
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Mit ihrer Klage vom 8. August 2022 hat die Klägerin die Herausgabe einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 sowie immateriellen Schadenersatz iHv. mindestens 8.000,00 Euro verlangt.
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Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe einen Anspruch auf Überlassung einer Kopie des Protokolls der Sitzung vom 15. Mai 2006 aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO. § 19 EKD-Datenschutzgesetz (DSG-EKD) sehe einen Anspruch auf Überlassung einer Kopie nicht vor und stehe deswegen nicht iSv. Art. 91 Abs. 1 DSGVO „im Einklang“ mit der Datenschutz-Grundverordnung. Aus diesem Grund sei die Datenschutz-Grundverordnung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden.
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Ihrem Anspruch auf Herausgabe einer Kopie des Protokolls stehe nicht entgegen, dass die Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 nicht-öffentlich gewesen sei. Personalsachen seien zwar als vertrauliche Angelegenheiten iSv. § 31 Kirchengemeindeordnung (KGO) in nichtöffentlicher Sitzung zu verhandeln. Daraus folge, dass die Mitglieder des Kirchengemeinderats zur Verschwiegenheit verpflichtet seien. Dies könne jedoch das Betroffenenrecht auf Auskunft, Herausgabe und Einsicht in dieses Protokoll nicht ausschließen. Die Interessen Dritter stünden einer Herausgabe nicht entgegen. Überwiegende Interessen Dritter bestünden nicht. Die Nichtöffentlichkeit diene nicht vorrangig dem Schutz der Mitglieder des Kirchengemeinderats.
11
Im Übrigen begründe § 3 Abs. 5 Kirchliche Anstellungsordnung (KAO) ein Recht der Klägerin auf Einsicht in ihre Personalakte sowie auf Kopien aus der Personalakte. Dieses Recht bestehe nach § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fort. Das Protokoll der Kirchengemeinderatssitzung vom 15. Mai 2006 sei Teil ihrer Personalakte.
12
Soweit für die Revision von Interesse hat die Klägerin beantragt,
- 1.
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 herauszugeben;
- 2.
- hilfsweise zu 1., die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine getreue Wiedergabe der Daten aus dem Protokoll der Kirchengemeinderatssitzung der Beklagten vom 15. Mai 2006 zu erteilen;
- 3.
- hilfsweise zu 1., die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen über die im Protokoll des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 verarbeiteten personenbezogenen Daten der Klägerin;
- 4.
- hilfsweise zu 1., die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 unter Schwärzung der im Protokoll verarbeiteten Namen der an der Sitzung beteiligten Personen herauszugeben;
- 5.
- hilfsweise zu 1., die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Einsicht in das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 zu gewähren;
- 6.
- hilfsweise zu 1., die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Einsicht in das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 zu gewähren unter Schwärzung der im Protokoll verarbeiteten Namen der an der Sitzung beteiligten Personen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Klage sei unzulässig, weil der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet sei. Zuständig sei die kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Klägerin stünde der geltend gemachte Anspruch aber auch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Das Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung des Kirchengemeinderats unterliege der Geheimhaltung. Nach den Regelungen der Kirchengemeindeordnung gelte bei in nichtöffentlicher Sitzung behandelten Gegenständen eine strikte Verschwiegenheitspflicht. Dies sei erforderlich, um eine funktionierende Arbeit des Kirchengemeinderats zu gewährleisten. Die ehrenamtlichen Mitglieder des Kirchengemeinderats müssten sich darauf verlassen können, dass das dort Besprochene nicht Gegenstand von Einsichtnahmen durch Dritte werde. Es müsse ausgeschlossen werden, dass sie sich für ihre Wortbeiträge später rechtfertigen müssten. Andernfalls sei ein offener Willensbildungsprozess nicht möglich. Ein Anspruch auf Einsicht in die Personalakte sowie auf Kopien aus der Personalakte aus § 3 Abs. 5 KAO bestehe jedenfalls nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr.
14
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage als unbegründet abgewiesen. Mit der vom Senat bzgl. der Auskunftsansprüche zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge im zugelassenen Umfang weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Sie hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006.
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I. Es kann dahinstehen, ob sich ein Anspruch der Klägerin auf Überlassung einer Kopie des Protokolls aus § 19 Abs. 1 DSG-EKD ergibt, obwohl in dieser Norm bislang ausdrücklich nur ein Anspruch auf Auskunft und nicht auch ein Anspruch auf Überlassung einer Kopie geregelt ist. Es kommt ebenfalls nicht darauf an, ob der Auffassung des Verwaltungssenats bei dem Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland zu folgen ist, wonach der § 19 Abs. 1 DSG-EKD im Unterschied zu Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO einen Anspruch auf Überlassung einer Kopie gerade nicht begründet, aus diesem Grund das Datenschutzgesetz der Evangelischen Kirche Deutschlands insgesamt nicht „in Einklang“ iSv. Art. 91 Abs. 1 DSGVO mit der Datenschutz-Grundverordnung steht, mit der Folge, dass sich ein Anspruch auf eine Kopie der personenbezogenen Daten unmittelbar aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO ergibt
(vgl. KGH.EKD 9. September 2022 – 0135/4-2020 – zu II 2 a der Gründe).
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II. Der Anspruch der Klägerin auf Überlassung einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 ergibt sich jedenfalls aus § 3 Abs. 5 KAO, § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Insoweit ist der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten für Arbeitssachen eröffnet, die Rechtskraft vorausgegangener Urteile des Verwaltungsgerichts der Evangelischen Landeskirche in Württemberg steht nicht entgegen und der Anspruch ist in der Revision zur Entscheidung angefallen.
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1. Die von der Klägerin mit ihrem Hauptantrag begehrte Herausgabe einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 ist eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit, für die der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet ist.
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a) Die Rechtswegprüfung durch den Senat ist nicht nach § 17a Abs. 5 GVG ausgeschlossen. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Diese Norm bestimmt nur das Verhältnis der verschiedenen staatlichen Gerichtsbarkeiten untereinander. Das Verhältnis der staatlichen Gerichtsbarkeit zu den von einer Kirche im Rahmen ihrer Selbstbestimmung errichteten Kirchengerichten regelt die Vorschrift nicht
(BAG 12. Oktober 2010 – 9 AZR 554/09 – Rn. 22 mwN).
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b) Die Vorinstanzen haben den Rechtsweg zu den staatlichen Arbeitsgerichten zutreffend bejaht.
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aa) Die staatliche Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz erstreckt sich auch auf die Kirchen und ihre karitativen Einrichtungen. Für Streitigkeiten, die ausschließlich die Anwendung kirchlichen Rechts zum Gegenstand haben, sind die staatlichen Gerichte zwar unzuständig. Das folgt aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV. Fragen des bürgerlichen Rechts unterliegen aber als Streitigkeiten aus einem für alle geltenden Gesetz iSv. Art. 137 Abs. 3 WRV grundsätzlich der staatlichen Gerichtsbarkeit. Maßgeblich für die Abgrenzung ist der jeweilige Streitgegenstand. Sind die staatlichen Gerichte zuständig, müssen sie auch das kirchliche Recht anwenden, wenn von ihm die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt
(BAG 29. Juni 2017 – 6 AZR 485/16 – Rn. 25 mwN, BAGE 159, 305).
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bb) Vorliegend beruht der Anspruch der Klägerin auf Auskunft und Überlassung einer Kopie auf dem Arbeitsverhältnis und ist durch dieses bedingt. Es geht um individuelle Ansprüche der Klägerin, die aus ihrem Arbeitsvertrag herrühren und deshalb dem staatlichen bürgerlichen Recht zuzuordnen sind
(vgl. BAG 29. Juni 2017 – 6 AZR 485/16 – Rn. 26, BAGE 159, 305). Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist deshalb nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a ArbGG eröffnet
(vgl. BAG 3. Februar 2014 – 10 AZB 77/13 – Rn. 6).
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2. Dem auf Herausgabe einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 gerichteten Hauptantrag der Klägerin steht nicht der Einwand der Rechtskraft der Urteile des Verwaltungsgerichts der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vom 7. Dezember 2012
(- VG 01/11 -) und vom 18. Mai 2018
(- VG 01/14 -) entgegen. Nach § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft fähig, soweit über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstands werden durch den Streitgegenstand des vorangehenden Verfahrens bestimmt
(BAG 19. Januar 2010 – 1 ABR 55/08 – Rn. 15 mwN, BAGE 133, 75). Inwieweit kirchengerichtliche Urteile im Verfahren vor den staatlichen Gerichten für Arbeitssachen Rechtskraftwirkung entfalten, kann vorliegend dahinstehen
(vgl. dazu LAG Nürnberg 29. Mai 2020 – 8 Ta 36/20 – zu II 2 d der Gründe; vgl. zum Verhältnis zur ordentlichen Gerichtsbarkeit: BGH 11. Februar 2000 – V ZR 271/99 – zu II 2 der Gründe). Die beiden kirchengerichtlichen Urteile betrafen keinen Anspruch auf Herausgabe einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 und damit einen anderen Streitgegenstand als der Hauptantrag des vorliegenden Rechtsstreits.
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3. Der Anspruch der Klägerin auf Herausgabe einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 aus § 3 Abs. 5 KAO, § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ist in der Revision zur Entscheidung angefallen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich dabei um einen anderen Streitgegenstand handelt als bei den auf das Datenschutzgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Datenschutz-Grundverordnung gestützten Ansprüchen auf Herausgabe einer Kopie. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch aus § 3 Abs. 5 KAO, § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG nicht übergangen mit der Folge, dass im Falle eines eigenen Streitgegenstands – mangels Antrag auf Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO – dessen Rechtshängigkeit in der Revision entfallen wäre
(vgl. BAG 10. November 2021 – 10 AZR 696/19 – Rn. 26 mwN,BAGE 176, 160). Das Landesarbeitsgericht hat über den Anspruch vielmehr durch die Bezugnahme auf die Gründe des Arbeitsgerichts entschieden.
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4. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Überlassung einer Kopie des Protokolls über die Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 aus § 3 Abs. 5 Satz 1 und Satz 3 KAO. Danach haben die Beschäftigten ein Recht auf Einsicht in ihre vollständigen Personalakten. Sie können nach § 3 Abs. 5 Satz 3 KAO Kopien aus ihren Personalakten erhalten. Im beendeten Arbeitsverhältnis ergibt sich dies jedenfalls aus § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
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a) Die Klägerin fällt als Beschäftigte einer Kirchengemeinde nach § 1a Abs. 1 KAO in den Anwendungsbereich der Kirchlichen Anstellungsordnung. Im Übrigen haben die Parteien deren Anwendung auf das Arbeitsverhältnis in § 2 des Arbeitsvertrags ausdrücklich vereinbart.
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b) Das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 ist Teil der materiellen Personalakte der Klägerin, auf die sich § 3 Abs. 5 KAO bezieht.
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aa) Unter Personalakten im formellen Sinn sind diejenigen Schriftstücke und Unterlagen zu verstehen, die der Arbeitgeber als „Personalakte“ führt und die diesen als Bei-, Neben- oder Sonderakten zugeordnet sind. Demgegenüber bestimmt sich die Zugehörigkeit von Unterlagen zur Personalakte nach dem materiellen Personalaktenbegriff aufgrund inhaltlicher Kriterien. Danach sind Personalakten eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Bediensteten betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Auf eine äußere Zuordnung kommt es dabei nicht an
(BAG 16. November 2010 – 9 AZR 573/09 – Rn. 13, BAGE 136, 156).
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bb) Ausgehend hiervon ist das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 zwar nicht der Personalakte im formellen Sinn, wohl aber der materiellen Personalakte der Klägerin zuzuordnen. Ausschließliches Thema der Sitzung waren arbeitsrechtliche Maßnahmen gegenüber der Klägerin aus Gründen, die ihr nicht mitgeteilt worden sind. Damit bezieht sich das Protokoll auf eine Sitzung, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse der Klägerin betrifft und in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht
(vgl. zum Protokoll des Gemeinderats einer staatlichen Gemeinde: BVerwG 4. August 1975 – VI C 30.72 – BVerwGE 49, 89). Entgegen der vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung steht dem nicht entgegen, dass die Sitzung nichtöffentlich war, woraus sich ergebe, dass Personalsachbearbeiter keinen Einblick in das Protokoll hätten. Jedenfalls die Mitglieder des Kirchengemeinderats, die Einfluss auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nehmen können, haben nach Nr. 55 der Ausführungsverordnung KGO (AVO KGO) zu § 30 KGO ein Recht auf Einsicht in die Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen.
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cc) Für das Recht auf Einsicht in die Personalakten und die Herausgabe von Kopien aus der Personalakte nach § 3 Abs. 5 KAO ist der materielle Begriff der Personalakte heranzuziehen
(vgl. zu anderen Rechtsgrundlagen für Einsichtsrechte in Personalakten: BAG 15. November 1985 – 7 AZR 92/83 – zu II 1 der Gründe; 7. Mai 1980 – 4 AZR 214/78 -; BVerwG 1. Juli 1983 – 2 C 42.82 – zu II 1 der Gründe, BVerwGE 67, 300; ErfK/Kania 24. Aufl. BetrVG § 83 Rn. 2;GK-BetrVG/Franzen 12. Aufl. BetrVG § 83 Rn. 4). Ein Hinweis auf dieses weite Begriffsverständnis ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm. Danach haben Beschäftigte ein Recht auf Einblick in ihre „vollständigen“ Personalakten. Entscheidend spricht für diese Auslegung der Sinn und Zweck des Rechts auf Einblick in die Personalakte. Dem Arbeitnehmer soll das Gefühl genommen werden, Objekt undurchsichtiger fremder Beurteilung zu sein, und ihm soll die Möglichkeit gegeben werden, sich gegen unzutreffende Angaben zur Wehr setzen zu können. Das setzt die Offenlegung aller Vorgänge voraus, die einen bestimmten Arbeitnehmer in Bezug auf sein Arbeitsverhältnis betreffen
(vgl. zu § 83 BetrVG: GK-BetrVG/Franzen aaO).
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c) Es kann offenbleiben, ob sich der Anspruch auf Einsicht in die Personalakte und auf Kopien aus der Personalakte im beendeten Arbeitsverhältnis noch aus § 3 Abs. 5 KAO ergibt
(verneinend zu § 83 BetrVG: BAG 16. November 2010 – 9 AZR 573/09 – Rn. 20, BAGE 136, 156;GK-BetrVG/Franzen 12. Aufl. BetrVG § 83 Rn. 27). Im beendeten Arbeitsverhältnis ergibt sich ein entsprechender Anspruch jedenfalls aus einer nachvertraglichen Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung
(vgl. BAG 16. November 2010 – 9 AZR 573/09 – Rn. 34 ff., aaO;GK-BetrVG/Franzen aaO).
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d) Einem Anspruch der Klägerin auf eine Kopie des Protokolls steht nicht entgegen, dass die Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 nichtöffentlich war und grundsätzlich nur die Mitglieder des Kirchengemeinderats ein Recht auf Einsicht in das Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung haben.
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aa) Die Sitzungen des Kirchengemeinderats der Beklagten sind nach § 21 Abs. 3 Satz 1 KGO grundsätzlich öffentlich. Nichtöffentlich ist nach § 21 Abs. 3 Satz 2 KGO ausnahmsweise zu verhandeln, wenn der Verhandlungsgegenstand der Verschwiegenheitspflicht nach § 31 KGO unterliegt. Die Verschwiegenheitspflicht greift nach § 31 Abs. 1 Satz 1 KGO ein, wenn Angelegenheiten behandelt werden, in denen „ihrer Natur nach“ Geheimhaltung erforderlich ist. Das gilt nach Nr. 29 Satz 7 AVO KGO zu § 21 KGO insbesondere „für Personalsachen und für Fragen über persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse Dritter.“ Nach Nr. 55 AVO KGO zu § 30 KGO haben Gemeindemitglieder, die nicht Mitglieder des Kirchengemeinderats sind, nur Anspruch auf Einblick in die Niederschrift öffentlicher Sitzungen.
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bb) Nach dem Wortlaut der Kirchengemeindeordnung und der Ausführungsverordnung zur Kirchengemeindeordnung hat die Klägerin somit keinen Anspruch auf Einblick in die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung. Eine Auslegung der einschlägigen Regelungen der Kirchengemeindeordnung und der zugehörigen Ausführungsverordnung nach ihrem Sinn und Zweck ergibt jedoch, dass sie dem Anspruch der Klägerin auf Einblick und Herausgabe einer Kopie aus ihrer Personalakte nach § 3 Abs. 5 KAO, § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG nicht entgegenstehen.
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(1) Die Verschwiegenheitspflicht und der damit einhergehende Ausschluss eines Rechts auf Einblick in die Niederschrift dient vorrangig dem Schutz der Person, deren Angelegenheiten bzw. Verhältnisse behandelt werden. Personalsachen und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Dritter, die im Kirchengemeinderat verhandelt werden müssen, sollen vor anderen Gemeindemitgliedern und der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Dagegen ist eine Geheimhaltung gegenüber der betroffenen Person selbst in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden nicht erforderlich. Die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer den Inhalt der über sie geführten materiellen Personalakten zur Kenntnis nehmen können, dient gerade dem Zweck, dass sie nicht zum Objekt undurchsichtiger fremder Beurteilung werden, ohne sich gegen unzutreffende Angaben in der Personalakte wehren zu können
(vgl. BVerwG 4. August 1975 – VI C 30.72 – BVerwGE 49, 89).
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(2) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Mitglieder des Kirchengemeinderats durch eine Möglichkeit der betroffenen Person, Einblick in das Protokoll zu nehmen bzw. eine Kopie des Protokolls zu erhalten, sich ggf. gehindert sehen könnten, ihre Meinung im Gremium offen zu vertreten. Zwar ist der Beklagten zuzustimmen, dass die Meinungsbildung innerhalb des Gremiums in Personalsachen besser möglich ist, wenn Meinungsäußerungen ohne die Gefahr erfolgen können, dass sich einzelne Mitglieder des Kirchengemeinderats später gegenüber der betroffenen Person rechtfertigen müssen. Allerdings sind nach Nr. 53 AVO KGO zu § 30 KGO in der Niederschrift nur die Zahl der stimmberechtigten Mitglieder des Kirchengemeinderats, die Zahl der Anwesenden und die gefassten Beschlüsse sowie auf Antrag das sich bei Abstimmungen ergebende Stimmenverhältnis festzuhalten. Der Inhalt der Beratung braucht nur insoweit in die Niederschrift aufgenommen zu werden, als dies zum Verständnis der gefassten Beschlüsse notwendig ist. Die Meinungsäußerungen einzelner Mitglieder des Kirchengemeinderats zu Personalangelegenheiten bedürfen danach regelmäßig gerade keiner Protokollierung. Die Meinungsbildung des Gremiums in nicht-öffentlicher Sitzung durch – ggf. widerstreitende – Meinungsäußerungen seiner Mitglieder bleibt somit auch in Personalsachen ohne Rechtfertigungsdruck einzelner Mitglieder möglich.
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III. Die Kosten des Rechtsstreits in den Vorinstanzen bestimmen sich nach dem jeweiligen Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Parteien, § 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO. Die Kosten der beschränkt zugelassenen und eingelegten Revision der Klägerin hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die insoweit unterlegene Beklagte zu tragen.
- Spinner
- Berger
- Pulz
- N. Reiners
- F. Rojahn