BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 09.10.2024, AZ VIa ZR 506/21, ECLI:DE:BGH:2024:091024UVIAZR506.21.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 22. Oktober 2021, Az: 6 U 182/21
vorgehend LG Aurich, 4. Juni 2021, Az: 5 O 1268/20
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 16.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Die Klägerin erwarb im Jahr 2016 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten VW Golf VII Variant, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen.
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Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die Klägerin habe keinen Anspruch gemäß § 826 BGB wegen der angeblichen Manipulation des Motors. Es könne bereits nicht festgestellt werden, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden sei. Die Klägerin stütze ihre diesbezügliche Rechtsauffassung allein auf die vom KBA im Rahmen seiner Untersuchungen überprüften Funktionen zur Erkennung des Prüfstands sowie insbesondere auf das Thermofenster. Diese Funktionen seien aber nach den maßgeblichen Feststellungen des KBA keine unzulässigen Abschalteinrichtungen. An diese Bewertung seien die Zivilgerichte wegen der Tatbestandswirkung der uneingeschränkt gültigen EG-Typgenehmigung gebunden. Unter diesen Umständen könne der Klägerin im Übrigen auch kein Schaden entstanden sein, denn weder habe eine Gefahr des Widerrufs der Zulassung des Fahrzeugs bestanden noch bestehe eine solche Gefahr
.
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Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV hat das Berufungsgericht nicht geprüft.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
9
1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB abgelehnt.
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a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann zwar die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem solchen Anspruch eines Fahrzeugerwerbers nicht entgegengehalten werden (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 17; Urteil vom 13. November 2023 – VIa ZR 387/22, juris Rn. 8). Mit dieser Begründung hätte das Berufungsgericht daher nicht von der Berücksichtigung des entsprechenden Vortrags der Klägerin absehen dürfen. Auch kann ein Schadenseintritt nicht deshalb geleugnet werden, weil es bisher noch nicht zu Einschränkungen der Nutzbarkeit gekommen ist und weil das KBA Motoren der Baureihe EA 288 zwar geprüft, aber bisher von der Veranlassung eines Rückrufs oder von anderen einschränkenden Maßnahmen abgesehen hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 42).
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b)
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA allerdings die von der Klägerin gerügten Funktionen im Rahmen seiner Untersuchungen überprüft und nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit bleibt
kein Raum für die
Annahme, die Beklagte habe eine dieser Funktionen im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes implementiert; ebenso scheidet ein Schädigungsvorsatz aus (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2024 – VII ZR 610/21, juris Rn. 15).
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2. Das Berufungsgericht hat es indes rechtsfehlerhaft unterlassen, auf mögliche Ansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines fahrlässigen Verhaltens der Beklagten einzugehen. Wie der Senat ebenfalls nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023
– VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Daher besteht zwar kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung großen Schadensersatzes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Doch kann der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, den von ihr geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.
III.
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Die Berufungsentscheidung
ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich auch nicht aus
anderen Gründen als richtig erweist, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
15
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer
Krüger
Wille
Liepin
Katzenstein