Wohnungseigentum: Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer für erneute Beschlussfassungen über eine bereits geregelte Angelegenheit; Zweitbeschluss über Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans; zwischenzeitlicher Eigentumswechsel; ordnungsmäßige Verwaltung (Urteil des BGH 5. Zivilsenat)

BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 20.09.2024, AZ V ZR 235/23, ECLI:DE:BGH:2024:200924UVZR235.23.0

§ 23 Abs 1 S 1 WoEigG, § 28 Abs 1 WoEigG

Leitsatz

1. Eine im Wohnungseigentumsgesetz oder in einer Vereinbarung vorgesehene Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer umfasst sowohl die erste Beschlussfassung als auch erneute Beschlussfassungen über die bereits geregelte Angelegenheit; infolgedessen betrifft die Frage, ob die Wohnungseigentümer einmal oder mehrfach über dieselbe Angelegenheit entscheiden dürfen, nicht die Beschlusskompetenz, sondern die ordnungsmäßige Verwaltung.

2a. Die Wohnungseigentümer können nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht auch nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans fassen; die hierfür erforderliche Beschlusskompetenz folgt aus § 28 Abs. 1 WEG.

2b. Ein zwischenzeitlicher Eigentumswechsel lässt die Kompetenz der Wohnungseigentümer für einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans nicht entfallen (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 9. März 2012 – V ZR 147/11, NJW 2012, 2796).

2c. Ein Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans wird regelmäßig nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit des Erstbeschlusses bestehen und schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer hinreichend berücksichtigt werden.

Verfahrensgang

vorgehend LG Bamberg, 10. November 2023, Az: 44 S 2/23 WEG
vorgehend AG Würzburg, 22. Dezember 2022, Az: 30 C 1339/22 WEG

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bamberg – 4. Zivilkammer – vom 10. November 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

    Die Klägerin zu 1 ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Seit dem 8. Februar 2016 war sie Eigentümerin von zunächst 44 Tiefgaragenstellplätzen. Zu den Eigentümerversammlungen der Jahre 2015 bis 2018, in denen unter anderem die Wirtschaftspläne für die Jahre 2016, 2017 und 2018 beschlossen wurden, waren die Klägerin zu 1 und deren Rechtsvorgängerin nicht geladen worden. Die Beklagte erhob Klage gegen die Rechtsvorgängerin der Klägerin zu 1 auf Zahlung der Hausgelder für die Jahre 2013 bis 2018. Die Klägerin zu 1, welche dem Rechtsstreit auf Seiten ihrer Rechtsvorgängerin als Nebenintervenientin beigetreten war, wandte ein, das die Beschlüsse über die Wirtschaftspläne nichtig seien. Der Rechtsstreit endete durch Vergleich. Im Jahr 2021 veräußerte die Klägerin zu 1 einen ihrer Tiefgaragenstellplätze an die Klägerin zu 2.

2

    In der Eigentümerversammlung vom 20. Juni 2022 wurde zu TOP 10 folgender Beschluss gefasst:

„Die Eigentümer genehmigen die Vorschüsse auf die Kosten und die Rücklage auf Grund des vom Verwalter erstellten Wirtschaftsplanes für das Jahr 2016 mit Druckdatum vom 17.05.2022. Noch offene Forderungen auf die beschlossenen Vorschüsse werden zur sofortigen Zahlung in voller Höhe fällig gestellt. Bereits geleistete Zahlungen werden in voller Höhe auf die Vorschüsse für das Jahr 2016 verrechnet.“

3

    Gleichlautende Beschlüsse wurden für das Jahr 2017 (TOP 11) und das Jahr 2018 (TOP 12) gefasst.

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    Die Klägerinnen wenden sich gegen die zu TOP 10, 11 und 12 gefassten Beschlüsse mit der Beschlussmängelklage. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision möchte die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen. Die Klägerinnen beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

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    Das Berufungsgericht meint, die Beschlüsse seien mangels Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft nichtig. Vor dem 1. Dezember 2020 habe in einem folgenden Wirtschaftsjahr ein Erstbeschluss durch einen Zweitbeschluss ersetzt werden können, wenn Zweifel an seiner Wirksamkeit bestanden hätten. Mit dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) zum 1. Dezember 2020 müssten die Wohnungseigentümer über die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den vorgesehenen Rücklagen beschließen (§ 28 Abs. 1 WEG). Nach Ablauf des Kalenderjahres müssten sie über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse beschließen (§ 28 Abs. 2 Satz 1 WEG). Da nach Ablauf des Wirtschaftsjahres die in dem vergangenen Jahr angefallenen tatsächlichen Kosten feststünden, könnten Vorschüsse zu den voraussichtlichen Kosten nicht mehr nachträglich durch Beschluss begründet werden, weshalb ein solcher Beschluss nichtig sei. Überdies seien die angegriffenen Beschlüsse im Hinblick auf die Klägerin zu 2 auch deshalb nichtig, weil zu ihren Lasten in unzulässiger Weise Zahlungspflichten für zurückliegende Zeiten begründet würden und auch insoweit keine Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft bestehe.

6

    Zutreffend nehme das Amtsgericht zudem an, dass die Ladung der Klägerin zu 1 zu den Eigentümerversammlungen zwar grob nachlässig, nicht aber vorsätzlich unterblieben sei, so dass die Erstbeschlüsse jedenfalls nicht nichtig seien. Selbst wenn man die grundsätzliche Kompetenz der Eigentümergemeinschaft anerkenne, einen Zweitbeschluss für zurückliegende Wirtschaftsjahre zu fassen, fehlte es daher an den Voraussetzungen für eine solche Beschlussfassung, da jedenfalls keine Zweifel an der Wirksamkeit der Erstbeschlüsse bestünden. Schließlich widerspreche es nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass sich die Klägerin zu 1 in dem Vorprozess – anders als nunmehr – auf die Nichtigkeit der Erstbeschlüsse berufen habe.

II.

7

    Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer für die angefochtenen Beschlüsse.

8

    1. Ohne nähere Begründung geht das Berufungsgericht davon aus, dass die angefochtenen Beschlüsse nicht lediglich die früher gefassten Beschlüsse über die Wirtschaftspläne für die Jahre 2016 bis 2018 wiederholen und bestätigen, sondern erstmals Vorschusspflichten begründen. Diese Auslegung hält der insoweit uneingeschränkten Nachprüfung durch den Senat (st. Rspr., vgl. nur Senat, Urteil vom 17. April 2015 – V ZR 12/14, NJW-RR 2015, 847 Rn. 12) stand. Mit den Beschlüssen werden jeweils die Vorschüsse auf die Kosten und die Rücklage auf Grund der von dem Verwalter erstellten Wirtschaftspläne für die Jahre 2016 bis 2018 mit Druckdatum vom 17. Mai 2022 genehmigt. Zugleich werden noch offene Forderungen auf die beschlossenen Vorschüsse unter Verrechnung bereits geleisteter Zahlungen für das entsprechende Jahr zur sofortigen Zahlung fällig gestellt. Durch die wiederholte Beschlussfassung wird ein neuer Rechtsgrund für die Zahlung der Vorschüsse geschaffen, indem die Vorschusspflichten neu begründet werden. Davon ist bereits deshalb auszugehen, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Zahlungspflichten zulasten zwischenzeitlich ausgeschiedener Eigentümer begründet werden sollen. Zudem geht der Regelungsgehalt der angefochtenen Beschlüsse über eine Bestätigung der vormaligen Beschlüsse hinaus, indem offene Forderungen auf die beschlossenen Vorschüsse zur sofortigen Zahlung fällig gestellt werden.

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    2. Die Wohnungseigentümer können – anders als das Berufungsgericht meint – nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht auch nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans fassen; die hierfür erforderliche Beschlusskompetenz folgt aus § 28 Abs. 1 WEG. Diese Bestimmung ist als das im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltende Recht maßgeblich (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2021 – V ZR 215/20, NZM 2021, 695 Rn. 4).

10

    a) Nach der Rechtsprechung des Senats sind die Wohnungseigentümer grundsätzlich befugt, über eine schon geregelte gemeinschaftliche Angelegenheit erneut zu beschließen, ohne dass es darauf ankommt, aus welchen Gründen sie eine erneute Beschlussfassung für angebracht halten (vgl. Senat, Urteil vom 10. November 2023 – V ZR 51/23, NJW 2024, 1183 Rn. 35; Urteil vom 10. Februar 2023 – V ZR 246/21, NJW 2023, 2190 Rn. 10; Beschluss vom 23. August 2001 – V ZB 10/01, BGHZ 148, 335, 350; Beschluss vom 20. Dezember 1990 – V ZB 8/90, BGHZ 113, 197, 200). Die autonome Beschlusszuständigkeit der GdWE, auf die der Senat in diesem Zusammenhang wiederholt verwiesen hat, begründet keine Beschlusskompetenz, sondern setzt vielmehr eine solche voraus. Durch Beschlussfassung können nur solche Angelegenheiten geordnet werden, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz oder nach einer Vereinbarung durch Beschluss entschieden werden darf (§ 23 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG; vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2000 – V ZB 58/99, BGHZ 145, 158, 166). Eine im Wohnungseigentumsgesetz oder in einer Vereinbarung vorgesehene Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer umfasst sowohl die erste Beschlussfassung als auch erneute Beschlussfassungen über die bereits geregelte Angelegenheit; infolgedessen betrifft die Frage, ob die Wohnungseigentümer einmal oder mehrfach über dieselbe Angelegenheit entscheiden dürfen, nicht die Beschlusskompetenz, sondern die ordnungsmäßige Verwaltung. Geht es – wie hier – um den Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans, folgt die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer aus § 28 Abs. 1 WEG. Nur wenn die Beschlusskompetenz besteht, können die Wohnungseigentümer in eigener Autonomie entscheiden, ob sie von ihrer gesetzlich zugewiesenen Beschlusskompetenz erneut Gebrauch machen und einen Zweitbeschluss fassen.

11

    b) Allerdings hat der Senat eine erneute Beschlussfassung Einschränkungen unterworfen. Zu der bis zu dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) zum 1. Dezember 2020 geltenden Fassung des § 28 Abs. 2 WEG hat der Senat entschieden, dass der Wirtschaftsplan nach der Beschlussfassung über die Jahresabrechnung in einem folgenden Wirtschaftsjahr durch einen bestätigenden Zweitbeschluss ersetzt werden kann (§ 28 Abs. 5 WEG aF), wenn Zweifel an seiner Wirksamkeit bestehen (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2014 – V ZR 168/13, NZM 2014, 436 Rn. 21). Ferner hat der Senat aus Gründen des Minderheitenschutzes ausgesprochen, dass ein wegen eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärter Beschluss im Kern inhaltsgleich nur dann erneut gefasst werden darf, wenn der in dem Vorprozess benannte Beschlussmangel entweder behoben worden ist oder sich die darauf bezogenen tatsächlichen oder rechtlichen Umstände geändert haben (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2023 – V ZR 246/21, NJW 2023, 2190 Rn. 14 f.).

12

    c) Diese Einschränkungen, an denen festzuhalten ist, betreffen jedoch nicht die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer. In den von dem Senat entschiedenen Fällen kam es auf die Beschlusskompetenz nicht an, weil diese jeweils zweifellos bestand. Vielmehr beziehen sich die Einschränkungen – wie oben ausgeführt – auf die Frage, ob der angefochtene Zweitbeschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Dementsprechend hat der Senat bereits darauf hingewiesen, dass ein nach den von dem Senat aufgestellten Maßstäben unzulässiger Zweitbeschluss nicht wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig, sondern nur anfechtbar ist (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2023 – V ZR 246/21, NJW 2023, 2190 Rn. 17).

13

    d) Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht die Beschlusskompetenz der GdWE für einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans unter Hinweis auf die neue Rechtslage nach Inkrafttreten des WEMoG.

14

    aa) Von Teilen der Literatur wird allerdings eingewandt, dass der Senatsrechtsprechung zum Zweitbeschluss eines Wirtschaftsplans nach Inkrafttreten des WEMoG nicht mehr gefolgt werden könne. Weil jetzt nicht mehr der Wirtschaftsplan selbst, sondern nur die Vorschüsse Gegenstand der Beschlussfassung seien, könnten die Wohnungseigentümer nach Ablauf des Wirtschaftsjahres durch Beschluss keine Vorschusspflichten mehr begründen. Infolgedessen könnten Vorschüsse nicht mehr Beschlussgegenstand sein, sobald die tatsächlichen Kosten feststünden. Im Falle der rechtskräftigen Ungültigerklärung des Beschlusses über die Vorschüsse genüge es, durch einen ersetzenden Zweitbeschluss die zuvor beschlossene Abrechnungsspitze zu korrigieren (vgl. Bärmann/Becker, WEG, 15. Aufl., § 28 Rn. 66, 235; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG Recht 2021, Kapitel 10 Rn. 39).

15

    bb) Dieser Einwand ist unzutreffend. Nach § 28 Abs. 1 WEG aF hatte der Verwalter für ein Kalenderjahr einen Wirtschaftsplan aufzustellen, über welchen die Wohnungseigentümer gemäß § 28 Abs. 5 WEG aF durch Stimmenmehrheit beschlossen haben. Die Wohnungseigentümer waren verpflichtet, nach Abruf durch den Verwalter dem beschlossenen Wirtschaftsplan entsprechende Vorschüsse zu leisten (§ 28 Abs. 5 WEG aF). Inhaltliche Änderungen, die einer Beibehaltung der bisherigen Senatsrechtsprechung entgegenstehen, sind mit der Neufassung des Gesetzes nicht verbunden. Auch nach dem jetzt geltenden Recht muss der Verwalter für ein Kalenderjahr einen Wirtschaftsplan aufstellen (§ 28 Abs. 1 Satz 2 WEG), der unter anderem die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen enthält, über welche die Wohnungseigentümer beschließen müssen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 WEG). Die Neufassung der Vorschriften über den Wirtschaftsplan und die Jahresabrechnung in § 28 WEG soll unter anderem dazu führen, dass die wesentlichen Inhalte von Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung dem Wortlaut des Gesetzes entnommen werden können und die Zahl der Streitigkeiten über den Wirtschaftsplan und die Jahresabrechnung verringert werden, indem der Beschlussgegenstand jeweils auf die Zahlungspflichten reduziert wird (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 76). Bereits nach altem Recht gehörten zum Wirtschaftsplan die Einzelwirtschaftspläne, die festlegten, welche Vorschüsse der einzelne Wohnungseigentümer auf die Lasten und Kosten zu erbringen hatte (§ 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WEG aF; vgl. Niedenführ in Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl. 2020, § 28 Rn. 21). Dem entspricht nach dem jetzt geltenden Recht in § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG die Festlegung der Vorschüsse auf der Grundlage des Wirtschaftsplans. Ohnehin handelt es sich bei den in § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG geregelten Vorschüssen der Wohnungseigentümer nicht um gewöhnliche Abschlagszahlungen, für die charakteristisch ist, dass sie von dem Gläubiger nicht mehr verlangt werden können, sobald eine Berechnung der eigentlichen Forderung vorliegt. Die Jahresabrechnung dient, anders als der Begriff des Vorschusses nahelegt, nicht der Ermittlung des „eigentlichen“ Beitragsanspruchs, sondern nur der Anpassung der laufend zu erbringenden Vorschüsse an die tatsächlichen Kosten. Sie tritt nicht an die Stelle des Wirtschaftsplans (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2014 – V ZR 168/13, NZM 2014, 436 Rn. 20 f. zu § 28 Abs. 2 WEG aF).

16

    e) Ein zwischenzeitlicher Eigentumswechsel lässt die Kompetenz der Wohnungseigentümer für einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans aus § 28 Abs. 1 WEG nicht entfallen.

17

    aa) Der Senat hat es bislang bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Zweitbeschlusses ersichtlich nicht für relevant gehalten, ob es bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung einen Eigentumswechsel gegeben hat. Richtig ist allerdings, dass der rechtsgeschäftliche Erwerber eines Wohnungseigentums nicht schon von Gesetzes wegen für die Hausgeldrückstände seines Rechtsvorgängers haftet. Eine Haftung kann auch nicht durch Mehrheitsbeschluss, sondern nur durch Vereinbarung begründet werden (vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2012 – V ZR 147/11, NJW 2012, 2796 Rn. 11 mwN).

18

    bb) Hier geht es jedoch nicht darum, durch die angefochtenen Zweitbeschlüsse eine Haftung für rückständige Hausgeldzahlungen eines Rechtsvorgängers zu begründen. Vielmehr wurden die Vorschusspflichten auf Grundlage der Wirtschaftspläne der Jahre 2016 bis 2018 insgesamt neu beschlossen. Das erlaubt § 28 Abs. 1 WEG. Eine etwaige Erwerberhaftung ist lediglich mittelbare Folge des Zweitbeschlusses. Sie kann im Übrigen auch dann entstehen, wenn ein Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans rechtskräftig für ungültig erklärt und deshalb neu gefasst wird. Dass der Senat den Wohnungseigentümern in seinem Urteil vom 9. März 2012 (V ZR 147/11, NJW 2012, 2796 Rn. 9) die Kompetenz für den Beschluss über die Jahresabrechnung abgesprochen hat, beruhte darauf, dass in die Einzelabrechnungen des Folgejahres Hausgeldrückstände aus den Vorjahren aufgenommen wurden und diese dadurch in die Abrechnungsspitze des Folgejahres einflossen. Dazu ermächtigt § 28 Abs. 1 WEG die Wohnungseigentümer nicht, weil Vorjahresrückstände nicht Bestandteil der Jahresabrechnung sind und die Wohnungseigentümer nicht auf diese Weise eine eigenmächtige Novation vornehmen und damit die Verjährung umgehen dürfen. Soweit sich das Urteil des Senats vom 9. März 2012 (V ZR 147/11, NJW 2012, 2796 Rn. 9 ff.) dahingehend verstehen lässt, dass ein mehrheitlich gefasster, auf den Wirtschaftsplan bezogener Zweitbeschluss generell mangels Beschlusskompetenz nichtig ist, wenn er zu einer Haftung eines Wohnungseigentümers für die Rückstände seines Rechtsvorgängers führt, hält der Senat daran nicht fest.

19

    3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass sich die Klägerin zu 1 nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Bestandskraft der früher gefassten Beschlüsse zu den Wirtschaftsplänen der Jahre 2016 bis 2018 berufen könne und ihre Prozessführung missbräuchlich sei, weil sie im Vorprozess die Nichtigkeit der Beschlüsse eingewandt habe.

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    a) Widersprüchliches Verhalten verstößt nicht ohne weiteres gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der bloße Wechsel einer Rechtsauffassung vermag für sich allein den Vorwurf missbräuchlicher Rechtsausübung nicht zu begründen. Hinzukommen muss, dass der andere Teil auf eine Beibehaltung des einmal bezogenen Rechtsstandpunktes vertrauen durfte und sich in einer Weise darauf eingerichtet hat, dass ihm die Anpassung an die veränderte Rechtslage nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1986 – III ZR 236/84, NJW 1986, 2104, 2107; Urteil vom 29. Oktober 1969 – I ZR 72/67, BeckRS 1969, 31368020). Hierfür besteht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kein Anhalt. Die Klägerin zu 1 hat durch ihre im Vorprozess vertretene Rechtsauffassung keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den sich die Beklagte verlassen hat und hätte verlassen dürfen. Insbesondere hat die Beklagte nicht im Vertrauen auf die Beibehaltung des von der Klägerin zu 1 im Vorprozess eingenommenen Standpunktes in einer Weise Dispositionen getätigt, dass ihr die Anpassung an die zwischenzeitlich geänderte Rechtsauffassung nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann. Zutreffend macht die Revisionserwiderung geltend, dass die erneute Beschlussfassung am 20. Juni 2022 gerade nicht Ausdruck eines Vertrauens auf die Beibehaltung der Rechtsansicht der Klägerin zu 1 war, sondern vielmehr der Absicherung der eigenen Rechtsposition für den Fall diente, dass die Klägerin zu 1 weiterhin die Nichtigkeit der Beschlüsse geltend macht.

21

    b) Darüber hinaus ist jedenfalls die Klägerin zu 2 auch bei Zugrundelegung der von der Revision vertretenen Rechtsansicht nicht gehindert, sich in diesem Prozess auf die Wirksamkeit der früher gefassten Beschlüsse zu den Wirtschaftsplänen der Jahre 2016 bis 2018 zu berufen, da sie an dem Vorprozess nicht beteiligt war und nicht festgestellt ist, dass sie jemals zuvor die Nichtigkeit der Beschlüsse eingewandt hat.

III.

22

    1. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil weitere Feststellungen zu treffen sind. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

23

    2. Das Berufungsgericht wird die von der Beschlusskompetenz zu trennende Frage beurteilen müssen, ob die angefochtenen Beschlüsse der Wohnungseigentümer ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Dazu hat es – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen getroffen. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:

24

    a) Bei der Frage, ob ein auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 WEG gefasster Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, kann im Ausgangspunkt auf die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Zulässigkeit einer erneuten Beschlussfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft zurückgegriffen werden. Jeder Wohnungseigentümer kann nach § 18 Abs. 2, § 19 Abs. 1 WEG verlangen, dass der neue Beschluss schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses berücksichtigt (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2023 – V ZR 246/21, NJW 2023, 2190 Rn. 10; Beschluss vom 25. September 2003 – V ZB 21/03, BGHZ 156, 192, 202 f.; Beschluss vom 20. Dezember 1990 – V ZB 8/90, BGHZ 113, 197, 200). Angesichts der Gefahr, dass mittelbar eine Erwerberhaftung begründet wird und die Verjährungsvorschriften umgangen werden, ist bei der Entscheidung über einen auf den Wirtschaftsplan bezogenen Zweitbeschluss Zurückhaltung geboten; ob die Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, lässt sich nur nach sorgfältiger Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls feststellen. Ein Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans wird regelmäßig nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn
berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit des Erstbeschlusses bestehen und schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer hinreichend berücksichtigt
werden.

25

    b) Bei der vorzunehmenden Abwägung sind insbesondere folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:

26

    aa) Sofern der auf den Wirtschaftsplan bezogene Beschluss rechtskräftig für unwirksam erklärt wurde, entspricht ein inhaltsgleicher Zweitbeschluss auch nach Ablauf des Wirtschaftsjahres ohne weiteres ordnungsmäßiger Verwaltung. Es besteht in derartigen Fällen ein besonderes Bedürfnis für einen Zweitbeschluss. Denn bei den Vorschüssen aufgrund des Wirtschaftsplans handelt es sich um das zentrale Finanzierungselement der Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Beschluss über die Vorschusszahlung bleibt auch nach der Jahresabrechnung Anspruchsgrundlage (vgl. Senat, Urteil vom 1. Juni 2012 – V ZR 171/11, NZM 2012, 562 Rn. 23) und Rechtsgrundlage für geleistete Zahlungen. Der GdWE wäre ohne Zweitbeschluss die finanzielle Grundlage für das betroffene Wirtschaftsjahr entzogen; sie wäre in ihrer Handlungsfähigkeit stark beschränkt. Daher überwiegt das Interesse der GdWE, einen Wohnungseigentümer zu verpflichten, rückständige Beiträge aus einem Zeitraum vor dem Eigentumserwerb zu zahlen, die eigentlich von dem Voreigentümer zu tragen sind. Etwaige Ausfälle bei den Vorschüssen müssten andernfalls ohnehin durch eine Sonderumlage ausgeglichen werden, die von den aktuellen Eigentümern aufzubringen wäre. Erwerber können sich insoweit im Verhältnis zu dem Voreigentümer ggf. vertraglich absichern.

27

    bb) Ein Bedürfnis, einen Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans in einem folgenden Wirtschaftsjahr durch einen Zweitbeschluss zu ersetzen, besteht ebenfalls, wenn berechtigte Zweifel an seiner Wirksamkeit bestehen. Dann müssen die Wohnungseigentümer davon ausgehen, dass ihre Vorschusszahlungen ohne Rechtsgrund erfolgt sind und es an einem verpflichtenden Schuldgrund fehlt. Diese Unsicherheit dürfen sie durch einen Zweitbeschluss beheben (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2014 – V ZR 168/13, NZM 2014, 436 Rn. 21).

28

    (1) Hier nimmt das Berufungsgericht allerdings im Ausgangspunkt zutreffend an, dass die Erstbeschlüsse über die Wirtschaftspläne für die Jahre 2016 bis 2018 trotz der Ladungsmängel mangels Anfechtung gemäß § 23 Abs. 4 WEG gültig sind.

29

    (a) Die Einberufung der Eigentümerversammlungen in den Jahren 2016 bis 2018 entsprach zwar nicht den Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes. Entgegen § 24 Abs. 4 WEG wurde die Klägerin zu 1 bzw. deren Rechtsvorgängerin nicht zu den Versammlungen eingeladen.

30

    (b) Das führt aber nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass die in § 24 WEG für die Einberufung einer Eigentümerversammlung geregelten Formvorschriften nicht zu den zwingenden Bestimmungen und Grundsätzen des Wohnungseigentumsgesetzes gehören, weil sie dispositiv sind und durch Vereinbarungen abgeändert werden können. Die Nichteinladung einzelner Wohnungseigentümer führt deshalb regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse, nicht aber zu deren Nichtigkeit im Sinne von § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG (vgl. Senat, Beschluss vom 23. September 1999 – V ZB 17/99, BGHZ 142, 290, 294 f.). Der Senat hat die Nichtigkeit der Beschlüsse, ohne dass es darauf ankam, lediglich für den Fall erwogen, dass ein Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden soll (vgl. Senat, Urteil vom 20. Juli 2012 – V ZR 235/11, NJW 2012, 3571 Rn. 8). Ob an dieser Ausnahme festzuhalten ist, hat der Senat zuletzt vor dem Hintergrund der damit einhergehenden Rechtsunsicherheit dahinstehen lassen (vgl. Senat, Urteil vom 8. März 2024 – V ZR 80/23, NJW-RR 2024, 428 Rn. 22). Hier hat das Berufungsgericht – von der Revision nicht angegriffen – einen böswillig herbeigeführten Teilnahmeausschluss der Klägerin zu 1 bzw. ihrer Rechtsvorgängerin ohnehin nicht festgestellt.

31

    (2) Ob berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit eines auf den Wirtschaftsplan bezogenen Beschlusses bestehen, beurteilt sich allerdings nicht nach der objektiven Rechtslage, sondern nach den Erkenntnissen der Wohnungseigentümer im Zeitpunkt der Beschlussfassung. Es bedarf konkreter Umstände, welche aus Sicht der Wohnungseigentümer bei vernünftiger Betrachtung die Annahme der Unwirksamkeit nahelegen. Derartige Umstände liegen etwa vor, wenn ein Gericht den Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans bei der Entscheidung über die Zahlungsklage des Verbands inzident als nichtig ansieht oder vor anderweitiger Beendigung des Verfahrens jedenfalls die Ansicht vertreten hat, dass es sich so verhalten könnte. Hierzu wird das Berufungsgericht Feststellungen zu treffen haben. Sind die Voraussetzungen erfüllt, nach denen berechtigte Zweifel bestehen, kommt es nicht darauf an, ob die Erstbeschlüsse tatsächlich nichtig sind. Dass die Klägerin zu 1 in ihrer Rolle als Streithelferin in dem Vorprozess den Nichtigkeitseinwand erhoben hat, begründet nach den vorstehenden Grundsätzen für sich genommen noch keine berechtigten Zweifel an der Wirksamkeit der Erstbeschlüsse.

32

    cc) Steht nicht rechtskräftig fest, dass der Erstbeschluss ungültig ist, darf der Zweitbeschluss ferner nicht mit dem Ziel gefasst werden, Verjährungsvorschriften zu umgehen.

33

    (1) Eine erneute Beschlussfassung darf nur der Beseitigung der Mängel des Erstbeschlusses dienen, welche die berechtigten Zweifel an dessen Wirksamkeit begründen. Deshalb entspricht es regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung, den Zweitbeschluss möglichst zeitnah nach der Kenntnisnahme der Umstände zu fassen, welche die berechtigten Zweifel begründen. Eine erneute Beschlussfassung noch während des laufenden Wirtschaftsjahres begegnet im Normalfall keinen Bedenken.

34

    (2) Damit die Verjährungsvorschriften nicht umgangen werden, wird es insbesondere nach längerem Zeitablauf der Rücksichtnahme auf die Belange einzelner Wohnungseigentümer in der Regel entsprechen, dass die GdWE vor erneuter Beschlussfassung zunächst eine Klage auf Zahlung rückständiger Vorschüsse gegen säumige Wohnungseigentümer erhebt. Je mehr Zeit seit der Fassung des Erstbeschlusses vergangen ist, desto höhere Anforderungen sind an die Unzumutbarkeit einer vorherigen Zahlungsklage zu stellen. Im Rahmen der Zahlungsklage prüft das mit der Klage befasste Gericht inzident die Wirksamkeit des vorangegangenen Beschlusses und darüber hinaus die etwaige Verjährung der Ansprüche. Bleibt die Zahlungsklage deshalb erfolglos, weil der Beschluss inzident für nichtig gehalten wird, oder wird das Verfahren anderweitig beendet, nachdem das Gericht eine dahingehende Rechtsansicht vertreten hat, kann ein Zweitbeschluss erfolgen. Wird die Zahlungsklage hingegen (auch) wegen Verjährung abgewiesen, widerspricht es regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung, anschließend zwecks Neubegründung der Rückstände einen Zweitbeschluss zu fassen.

Brückner                    Göbel                    Malik

                   Laube                  Schmidt

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