Beschluss des BVerwG 1. Wehrdienstsenat vom 17.09.2024, AZ 1 W-VR 6/24

BVerwG 1. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 17.09.2024, AZ 1 W-VR 6/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:170924B1WVR6.24.0

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Tatbestand

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Der Antragsteller, ein … geborener und beim … verwendeter Berufssoldat, verlangt, das Bundesministerium der Verteidigung durch eine einstweilige Anordnung zu verpflichten, dem stellvertretenden Kommandeur und Chef des Stabes des … die Ausübung der Befehls- und Disziplinarbefugnis ihm gegenüber zu untersagen.

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Unter dem 9. Dezember 2021 wurde auf Antrag des Kommandos … durch das Bundesministerium der Verteidigung der Chefin bzw. dem Chef des Stabes des … die Disziplinarbefugnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 Nummer 3 WDO (3. Stufe) nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 WDO verliehen. In der zum 1. Februar 2023 in Kraft gesetzten Geschäftsordnung für das … heißt es unter Punkt 2.5.2 und 2.6 der Stellvertreter des Kommandeurs und Chef des Stabes sei im besonderen Aufgabenbereich als „Beauftragter für Angelegenheiten des militärischen Personals“ befehlsbefugt (§ 3 VorgV) gegenüber allen Soldaten und Soldatinnen und habe die Disziplinarstufe 3 gegenüber allen Offizieren des …

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Mit am 18. Juli 2024 beim Bundesministerium der Verteidigung eingegangenen Schreiben vom 14. Juli 2024 hat der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Organisationsweisung vom 21. Dezember 2021, die Geschäftsordnung des … (Stand: 24. April 2023) und den Bereichserlass D-500/31 Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, eine rechtliche Überprüfung der Befehls- und Disziplinarbefugnis des stellvertretenden Kommandeurs und Chef des Stabes des … zu erreichen. Er rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Da die Leitung der Dienststelle seit 2022 nicht mehr zivil besetzt sei, verletze die Verleihung der Befehls- und Disziplinarbefugnis Nr. 302 Buchst. f des Bereichserlasses D-500/31. Es werde um zügige Behebung des Missstandes gebeten.

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Ebenfalls mit Schriftsatz vom 14. Juli 2024 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

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Er macht geltend, der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass es Handlungen des stellvertretenden Kommandeurs und Chefs des Stabes des … als (Disziplinar-)Vorgesetztem bis zu einer Klärung an Rechtssicherheit fehle. Ein Umsetzungsakt zur Verleihung der Disziplinarbefugnis etwa durch die Aufnahme von disziplinarischen Ermittlungen könne jederzeit erfolgen, ohne dass er davon Kenntnis habe. Der Disziplinarvorgesetzte sei erste Anlaufstelle eines Soldaten. Rechtsunsicherheit in diesem Bereich beschränke ihn in seinem Petitions- und Beschwerderecht. Zwar möge eine Organisationsweisung mit der Zuweisung von Disziplinarbefugnissen noch keine truppendienstliche Maßnahme sein. Jedoch werde sie durch die Unterstellung des Antragstellers unter den Vorgesetzten umgesetzt. Dies habe Einfluss auf seine Rechtsstellung. Das Bundesministerium der Verteidigung sei zuständig, weil es die Kompetenz zum Erlass von Organisationsweisungen und die Zuweisung von Disziplinarbefugnissen delegiert und hierfür im Rahmen der Gesetze durch den Bereichserlass D-500/31 Grenzen gesetzt habe, die nicht gewahrt seien. Die Verleihung der Befehls- und Disziplinarbefugnis verstoße gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung, Nr. 302 Buchst. f des Bereichserlasses D-500/31 und § 29 Abs. 1 Satz 1 WDO. Der Begriff „unmittelbar“ in § 29 WDO und § 1 VorgV spiegele die Unteilbarkeit der militärischen Führungsverantwortung nach Nr. 2010 A-1454/1 wieder. Dies entspreche dem gesetzgeberischen Willen. § 27 Abs. 1 WDO verkette nur Offiziere, denen die Disziplinarbefugnis nach diesem Gesetz zustehe, und deren truppendienstliche Vorgesetzte. Der Chef des Stabes sei keine dem Regiments- und Brigadekommandeur entsprechende Dienststellung. Die unteilbare militärische Führungsverantwortung sei wesentlich für die Vergleichbarkeit der Dienststellung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 WDO. Die Auslegung des Bundesministeriums der Verteidigung mache § 31 WDO überflüssig. Das Konstrukt des Beauftragten für Angelegenheiten des militärischen Personals werde zweckentfremdet. Ein weiterer Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass eine Verletzung von § 29 WDO als Überschreiten der Disziplinarbefugnis die Gefahr begründe, Rechte des Antragstellers durch eine Straftat zu verletzen.

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Der Antragsteller beantragt,

das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem stellvertretenden Kommandeur und Chef des Stabes des … bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Ausübung der Befehls- und Disziplinarbefugnis gegenüber dem Antragsteller zu untersagen,

bzw. das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem stellvertretenden Kommandeur und Chef des Stabes des … bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Wahrnehmung der Zuständigkeit des nächsten Disziplinarvorgesetzten gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 WDO gegenüber dem Antragsteller zu untersagen,

hilfsweise das Bundesministerium der Verteidigung im Zuge des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, unter der Rechtsauffassung des Gerichts ein widerspruchsfreies, lückenloses und auf den Gesetzen beruhendes Vorgesetzten-/Untergebenenverhältnis zu schaffen.

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Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

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Eine Maßnahme nach § 3 Abs. 2 WBO werde nicht getroffen. Der Antrag sei weder zulässig noch begründet. Es fehle bereits an einer unmittelbar an den Antragsteller gerichteten dienstlichen Maßnahme oder deren Unterlassung. Die Verleihung der Disziplinarbefugnis berühre den Antragsteller noch nicht in dessen Rechten. Dies könne sich erst aus Umsetzungsakten ergeben. Ausreichender Rechtsschutz werde durch die Möglichkeit gewährt, die Aussetzung des Vollzuges eines den Soldaten betreffenden Aktes zu verlangen. Der Antrag liefe auf eine in der Wehrbeschwerdeordnung nicht vorgesehene objektive Regelungskontrolle hinaus. Die begehrte Maßnahme überschreite rechtliche Grenzen und sei daher nicht möglich. Sie sei mit Sinn und Zweck der §§ 27 ff WDO nicht vereinbar. Es bestehe auch kein Anordnungsanspruch. Die in Rede stehende Verleihung der Befehls- und Disziplinarbefugnis sei rechtmäßig. Dem Bereichserlass D-500/31 komme gegenüber der Zuweisung kein hierarchischer Vorrang vor. Aus Nr. 303 des Bereichserlasses folge nicht die Rechtswidrigkeit der Verleihung. Der stellvertretende Kommandeur und Chef des Stabes des … sei mit Organisationsweisung vom 21. Dezember 2021 die Vorgesetzteneigenschaft nach § 3 VorgV wirksam zugewiesen worden. Er sei damit nächster Disziplinarvorgesetzter nach § 29 Abs. 1 Satz 2 WDO. Die Auffassung, dass die Konstruktion des Beauftragten für Angelegenheiten des militärischen Personals rechtswidrig sei, sei unzutreffend. Vielmehr handele es sich um einen Vorgesetzten in vergleichbarer Dienststellung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 WDO, der an kein konkretes Vorgesetztenverhältnis anknüpfe. Dies ergebe sich auch aus § 28 und § 31 WDO. § 29 Abs. 1 WDO zwinge nach Wortlaut und Zweck nicht, die Disziplinarbefugnis an ein Vorgesetztenverhältnis nach § 1 VorgV zu knüpfen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist in jedem der Haupt- und Hilfsanträge sowohl unzulässig als auch unbegründet. Denn der Antragsteller hat kein schutzwürdiges Interesse an der Gewährung von Eilrechtsschutz gegen seine subjektiv-öffentlichen Rechte nicht berührende Organisationsentscheidungen. Ihm fehlen zudem Antragsbefugnis, Rechtsschutzinteresse und Anordnungsgrund für die Inanspruchnahme von vorbeugendem Rechtsschutz gegen künftig denkbare Entscheidungen eines Disziplinarvorgesetzten.

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1. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung und in entsprechender Weise ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Wehrbeschwerdeverfahren setzen eine dienstliche Maßnahme (oder deren Unterlassung) voraus, die angegriffen oder aber erstrebt wird (§ 17 Abs. 3 Satz 1 WBO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO). Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO kann mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur geltend gemacht werden, dass eine dienstliche Maßnahme oder deren Unterlassung rechtswidrig sei. Merkmal einer Maßnahme in diesem Sinne ist (u. a.), dass sie unmittelbar gegen den Soldaten gerichtet ist oder – obwohl an andere Soldaten gerichtet – in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirkt.

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Hieran fehlt es aber, soweit sich der Antragsteller gegen die hier in Rede stehenden Bestimmungen der Geschäftsordnung seiner Dienststelle und die Übertragung von Zuständigkeiten und Disziplinarbefugnissen auf ihm vorgesetzte Soldaten durch das Bundesministerium der Verteidigung wendet. Denn diese Organisationsakte greifen nicht unmittelbar in seine subjektiv-öffentlichen Rechte ein. Der Dienstherr entscheidet vielmehr im Rahmen eines weiten organisatorischen Gestaltungsspielraumes im öffentlichen Interesse an einer effizienten und effektiven Erfüllung der Aufgaben der Streitkräfte auch darüber, welchen Soldaten er Disziplinar- und Befehlsbefugnisse überträgt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Mai 2021 – 1 WB 31.20 – juris Rn. 50). Derartige Organisationsentscheidungen dienen nicht dem Schutz der Rechte der der Befehls- und Disziplinarbefugnis unterstellten Soldaten. Diese können entsprechende Regelungen daher mangels reiner truppendienstlichen Maßnahme und mangels Antragsbefugnis auch nicht zulässig angreifen.

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2. Soweit sich der Antragsteller gegen künftig mögliche Befehle oder disziplinare Maßnahmen des in Rede stehenden Vorgesetzten wendet, fehlt es bereits an den Voraussetzungen vorbeugenden Rechtsschutzes.

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Vor Ergehen einer truppendienstlichen Maßnahme kommt
vorbeugender Rechtsschutz – und zwar sowohl in Form eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache als auch (wie hier) in Form eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – grundsätzlich nur in engen Grenzen in Betracht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Januar 2003 – 1 WB 44.02 – NZWehrr 2003, 119 und vom 28. Mai 2008 – 1 WDS-VR 8.08 – Rn. 17 jeweils m. w. N.). Die Zulässigkeit eines Antrags auf vorbeugenden Rechtsschutz setzt danach einerseits voraus, dass das künftige Handeln der Vorgesetzten des Soldaten nach seinem Inhalt und seinen tatsächlichen wie rechtlichen Voraussetzungen soweit spezifiziert ist, dass eine Rechtmäßigkeitsprüfung durch den Senat möglich ist. Solange sich noch nicht mit der dafür erforderlichen Bestimmtheit übersehen lässt, welche Maßnahmen drohen oder unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen sie ergehen werden, kann ein berechtigtes Interesse an vorbeugendem Rechtsschutz dagegen nicht anerkannt werden. Das für einen Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz erforderliche Rechtsschutzbedürfnis verlangt zum anderen, dass dem Soldaten nicht zugemutet werden kann, die beabsichtigte truppendienstliche Maßnahme abzuwarten, weil schon eine nur kurzfristige Hinnahme der befürchteten Maßnahme geeignet wäre, ihn in besonders schwerwiegender, womöglich nicht wiedergutzumachender Weise in seinen Rechten zu beeinträchtigen.

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Dies ist auch unter Berücksichtigung des Vortrages des Antragstellers nicht erkennbar. Vielmehr zeichnet sich hier weder konkret ab, welche disziplinarischen Maßnahmen oder Befehle der in Rede stehende Vorgesetzte erlassen wird, noch ist nachvollziehbar, dass die Verweisung auf nachträglichen (Eil-)Rechtsschutz konkret unzumutbare Nachteile hätte. Hinzu kommt noch, dass subjektiv-öffentliche Rechte des Antragstellers, die durch die Begründung abstrakter Zuständigkeiten des in Rede stehenden Vorgesetzten verletzt sein könnten, auch nicht ersichtlich sind.

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Der Vortrag des Antragstellers zum Anordnungsgrund seines Antrages verkennt, dass dieses Erfordernis von ihm verlangt, die Unzumutbarkeit des Abwartens einer Hauptsacheentscheidung glaubhaft zu machen. Hierfür reicht der Verweis auf eine offene Rechtsfrage nicht aus. Insbesondere weil der Antragsteller selbst ausführt, das von ihm gerügte Problem bestehe seit 2022, ist er gehalten, substantiiert darzulegen, wieso ihm nunmehr weder das Abwarten einer Beschwerdeentscheidung noch das Beschreiten des Beschwerdeweges gegen eine konkrete Maßnahme zumutbar sei. Hieran fehlt es aber.

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