Beschluss des BGH 3. Zivilsenat vom 11.09.2024, AZ III ZR 134/22

BGH 3. Zivilsenat, Beschluss vom 11.09.2024, AZ III ZR 134/22, ECLI:DE:BGH:2024:110924BIIIZR134.22.0

Verfahrensgang

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, 21. Juni 2022, Az: 1 U 61/21
vorgehend LG Bremen, 28. Juli 2021, Az: 1 O 1326/20

Tenor

Die Anhörungsrüge der Klägerinnen zu 1 und 3 gegen das am 11. April 2024 verkündete Senatsurteil wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen zu 1 und 3 haben die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO).

Gründe

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    Die gemäß § 321a Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Der Senat hat den durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten grundrechtsgleichen Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Die Rüge erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass die Klägerinnen an ihrer in den Vorinstanzen und im Revisionsrechtszug erfolglos gebliebenen Rechtsauffassung festhalten, ohne entscheidungserhebliches Vorbringen als übergangen aufzeigen zu können.

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    Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht nur dazu, den Vortrag einer Prozesspartei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet aber keine Pflicht des Gerichts, bei der Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage der Auffassung eines Beteiligten zu folgen. Ebenso wenig ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht des Gerichts, namentlich bei letztinstanzlichen Entscheidungen, zu ausdrücklicher Befassung mit jedem Vorbringen (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 – III ZR 140/15, juris Rn. 2 und vom 26. November 2020 – III ZR 136/18, juris Rn. 2).

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    Da der Senat in dem Urteil vom 11. April 2024 (WM 2024, 1569; zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) das Vorbringen der Klägerinnen vollumfänglich berücksichtigt hat und lediglich deren Rechtsansicht zur Entschädigungspflicht nicht gefolgt ist, scheidet eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aus. Einzugehen ist nur auf folgende Punkte:

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1.    Soweit die Klägerinnen rügen, der Senat habe wesentlichen Vortrag zur analogen Anwendung von § 65 IfSG übergangen, ist darauf hinzuweisen, dass der Senat bereits in dem grundlegenden Urteil vom 17. März 2022 (III ZR 79/21, BGHZ 233, 107 Rn. 22 ff und insbesondere Rn. 37 ff) die Analogievoraussetzungen mit ausführlicher Begründung verneint und dies in den nachfolgenden Urteilen vom 11. Mai 2023 (III ZR 41/22, BGHZ 237, 93 Rn. 23 ff) und vom 3. August 2023 (III ZR 54/22, BGHZ 238, 105 Rn. 23) bestätigt hat. Es genügte daher, nunmehr in dem Urteil vom 11. April 2024 in Randnummer 15 auf diese gefestigte Rechtsprechung zu verweisen, zumal die Klägerinnen neue und erhebliche Gesichtspunkte nicht vorgetragen haben.

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2.    Die Förderhöchstgrenze der staatlichen Zuschussprogramme von zuletzt 54,5 Millionen Euro war Gegenstand des Senatsurteils vom 11. April 2024 (aaO Rn. 99 ff). Unerheblich ist, ob es sich bei der Festlegung der Höchstgrenze um eine „politische Entscheidung“ gehandelt hat. Hinsichtlich der Höhe der zu gewährenden Zuschüsse stand dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der nicht überschritten wurde. Vielmehr durfte er davon ausgehen, dass die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen, auf deren Liquiditätssicherung die Überbrückungshilfen vor allem abzielten, dadurch sehr gut abgedeckt wurden. Dass der Focus auf der Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen lag, ergibt sich, was die Klägerinnen übergehen, unter anderem aus dem von ihnen als Anlage HZ 3 vorgelegten Überblickspapier Corona-Hilfen (S. 4). Der Senat hat hierbei auch nicht übersehen, dass größere Unternehmen – wie die D.      -Gruppe – ebenfalls in den Genuss der Überbrückungshilfen III, III Plus und IV kommen konnten (aaO Rn. 89). Er ist lediglich davon ausgegangen, dass es keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG begründet, dass die Zuschussprogramme des Bundes in erster Linie auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen zugeschnitten waren (aaO Rn. 103 f), während der Zweck des mit Gesetz vom 27. März 2020 eingerichteten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (BGBl. I S. 543) darin bestand, größere Unternehmen mit besonderer volkswirtschaftlicher Bedeutung zu unterstützen (aaO Rn. 87; dazu § 16 Abs. 1 des Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetzes – WStFG). Dass der Senat in diesem Zusammenhang die Klägerinnen nicht ausdrücklich auf die ergänzend zur Begründung herangezogene Drucksache 20/3157 des Deutschen Bundestags („Auswirkungen der Begrenzung des maximalen Förderbetrages bei den Corona-Überbrückungshilfen des Bundes auf die großen mittelständischen Hotelunternehmen“) hingewiesen hat (aaO Rn. 103), begründet keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Bereits aus der Anlage HZ 3 der Klägerinnen ergibt sich, dass die Überbrückungshilfen III, III Plus und IV in erster Linie auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen abzielten. Die Auswertung von Gesetzesmaterialien wie Bundestagsdrucksachen stellt zudem eine gängige Methode der Auslegung dar und bedarf keines gesonderten Hinweises an die Parteien. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Klägerinnen bei einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis Neues und Entscheidungserhebliches vorgetragen hätten.

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3.    Soweit die Klägerinnen den Wirtschaftsstabilisierungsfonds als ungeeignetes Instrumentarium ansehen, einen über der Höchstgrenze der Überbrückungshilfen liegenden Finanzierungsbedarf zu decken, nehmen sie lediglich eine von der Senatsrechtsprechung abweichende Bewertung vor. Die staatlichen Hilfsprogramme haben ihren Zweck, die Pandemiefolgen für die Wirtschaft abzumildern, erfüllt. Der Staat ist nicht verpflichtet, jede auf Grund von Infektionsschutzmaßnahmen drohende Insolvenz zu verhindern (Senat aaO Rn. 87 ff, 96 f, 107). Der Auffassung der Klägerinnen, es hätten genügend Haushaltsmittel zur Verfügung gestanden, um auch Hotelbetriebe, deren Verluste die Förderhöchstgrenze überschritten, (voll) zu entschädigen, steht entgegen, dass sie ihr Unternehmerrisiko auf diese Weise nicht einfach auf die Allgemeinheit abwälzen können. Es gehört vielmehr zum Risiko eines Unternehmers, seinen Geschäftsbetrieb bei Ausbruch einer Pandemie aus Gründen des Infektionsschutzes einschränken oder schließen zu müssen (aaO Rn. 107 f). Die öffentliche Hand hat unter Wahrung des ihr zustehenden weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums für den zu beurteilenden Zeitraum des ersten und zweiten Lockdowns einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen der Grundrechtsbeeinträchtigung der Klägerinnen und dem mit den Infektionsschutzmaßnahmen verfolgten Schutz besonders bedeutsamer Gemeinwohlbelange gefunden (aaO Rn. 90). Eine „solidarische“ Verteilung der Pandemielasten, die zugunsten der Klägerinnen auf Kosten kleiner und mittlerer Hotelbetriebe erfolgte, wäre mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) unvereinbar (vgl. aaO Rn. 96).

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4.    Auf den Einwand der Klägerinnen, der Senat habe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2022 (1 BvR 1073/21, NJW 2022, 1366 Rn. 31 f, 41) grundlegend verkannt, wenn er die Klägerinnen im Fall einer gleichheitswidrigen Benachteiligung lediglich auf die verwaltungsgerichtliche Durchsetzung eines weitergehenden Anspruchs aus den staatlichen Hilfsprogrammen verweise, kommt es schon deshalb nicht an, weil der Senat einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss der Klägerinnen verneint und dabei die Unternehmensgröße als ein sachgerechtes Unterscheidungsmerkmal hinsichtlich der Verteilung staatlicher Hilfen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Pandemiefolgen angesehen hat (aaO Rn. 101 ff). Darüber hinaus vermag das Rügevorbringen auch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufzuzeigen.

Herrmann                                         Reiter

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