BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 05.09.2024, AZ 2 C 14/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:050924B2C14.23.0
Leitsatz
Im Rahmen der versorgungsrechtlichen Berücksichtigung von Vordienstzeiten nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG ist als vorgeschriebene Mindestzeit praktischer hauptberuflicher Tätigkeit nur der Zeitraum berücksichtigungsfähig, der nötig ist, um die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis zu erfüllen. Genügen hierfür auch Teilzeittätigkeiten, ist kein Raum für die „Auffüllung“ von in der Mindestzeit liegenden Teilzeit-Zeiten durch spätere Zeiten hauptberuflicher Tätigkeit.
Verfahrensgang
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 8. März 2023, Az: 14 B 20.2069, Urteil
vorgehend VG München, 19. Dezember 2017, Az: M 5 K 15.4450, Urteil
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. März 2023 und des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 19. Dezember 2017 sind wirkungslos.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 342,40 € festgesetzt.
Gründe
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1. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren gemäß § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO in entsprechender Anwendung einzustellen.
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Zur Klarstellung der kraft Gesetzes angeordneten Wirkung ist auszusprechen, dass die ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen wirkungslos sind (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung).
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2. Gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat das Gericht nur noch über die Kosten zu entscheiden. Diese sind nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Streitstands zu verteilen. Danach hat der Kläger die Kosten zu tragen, weil seine Klage voraussichtlich erfolglos geblieben wäre.
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Die Klage auf Feststellung, dass die Weigerung der Beklagten, die Vorwegentscheidung gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG a. F. in dem vom Kläger begehrten Umfang zu erlassen, im Zeitpunkt unmittelbar vor dem Ruhestandseintritt des Klägers die Rechtsordnung verletzt hat, wäre voraussichtlich bereits als unzulässig abzuweisen gewesen. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hätte das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog nicht mit einer konkreten Wiederholungsgefahr begründet werden können.
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Das Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts setzt unter dem Gesichtspunkt der konkreten Wiederholungsgefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen oder ein begehrter Verwaltungsakt erneut abgelehnt wird (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 <306 f.>). Dies ist vorliegend ausgeschlossen, weil der Kläger mit Ablauf des 31. Juli 2016 in den Ruhestand getreten ist. Nach dem Eintritt eines Beamten in den Ruhestand scheiden Vorwegentscheidungen, ob Zeiten aufgrund von § 12 BeamtVG als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden können, aus. Diese Frage ist Gegenstand des Versorgungsfestsetzungsbescheids. Dass sich im Rahmen des Versorgungsfestsetzungsbescheids dieselbe Rechtsfrage stellt wie anlässlich der Vorwegentscheidung, reicht für die Annahme der konkreten Wiederholungsgefahr nicht aus. Die vom Kläger begehrte Vorwegentscheidung gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG a. F. und die Festsetzung der Versorgungsbezüge nach § 49 Abs. 1 BeamtVG a. F. sind keine gleichartigen Verwaltungsakte.
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Die Klage wäre voraussichtlich auch unter dem Aspekt der Begründetheit erfolglos geblieben. Die im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der Rechtskraftwirkung geltende Regel, dass Ausführungen zur Begründetheit einer Klage nur in Betracht kommen, wenn die Zulässigkeit der Klage festgestellt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juli 2023 – 2 C 7.22 – BVerwGE 179, 328 Rn. 26 ff.), greift vorliegend nicht. Denn es handelt sich lediglich um eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen aufgrund von § 161 Abs. 2 VwGO.
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a) Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG in der im Zeitpunkt des Ruhestandseintritts des Klägers geltenden und damit maßgeblichen Fassung vom 15. März 2012 (BGBl. I S. 462) kann die Mindestzeit einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit, die für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben ist, als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden.
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„Hauptberuflich“ i. S. d. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG bedeutet nicht „in Vollzeit“. Ein Hauptberuf kann auch in Teilzeit ausgeübt werden. Insoweit gilt nichts anderes als der Senat zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG entschieden hat. Danach wird eine Tätigkeit hauptberuflich ausgeübt, wenn sie entgeltlich ist, gewolltermaßen den Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit darstellt und dem durch Ausbildung und Berufswahl geprägten Berufsbild entspricht oder nahekommt; selbst eine unterhälftige Teilzeitbeschäftigung kann hauptberuflich ausgeübt werden, wenn sie nach den Lebensumständen des Betroffenen dessen Tätigkeitsschwerpunkt bildet (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Mai 2005 – 2 C 20.04 – Buchholz 239.1 § 6 BeamtVG Nr. 4 = juris Rn. 19 ff.).
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Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG ist es, versorgungsrechtliche Nachteile zu vermeiden, die dadurch entstehen können, dass für einzelne Laufbahnen einer Laufbahngruppe eine längere Ausbildung als für andere Laufbahnen oder eine praktische hauptberufliche Tätigkeit vorgeschrieben ist. Auf diese Weise sollen Nachteile der Laufbahnverzögerung durch Erfüllung der vorgeschriebenen Laufbahnerfordernisse gegenüber solchen Beamten vermieden werden, die unmittelbar nach dem Schulabschluss in das Beamtenverhältnis eintreten und damit bereits von einem früheren Zeitpunkt an ruhegehaltfähige Dienstzeiten erwerben können (BVerwG, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 2 B 90.13 – Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 22 Rn. 7, vgl. auch Nabizad, in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, § 12 BeamtVG Rn. 72; Kümmel, BeamtVG, LS, Stand Mai 2024, § 12 Rn. 63; GKÖD, BeamtVG, LS, Stand Mai 2022, § 12 Rn. 1).
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Die Zweckrichtung von § 10 Abs. 1 Nr. 1 und § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG ist dieselbe, sodass der Begriff der Hauptberuflichkeit in beiden Bestimmungen einen identischen Inhalt hat und bei § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG auf die zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG entwickelte Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann (vgl. Plog/Wiedow, BeamtVG, LS, Stand Juli 2024, § 12 Rn. 79 ff.). Im Übrigen gingen selbst die seinerzeitigen Verwaltungsvorschriften davon aus, dass (mindestens hälftige) Teilzeit einer Hauptberuflichkeit nicht entgegenstand: Tz 12.1.15 Satz 5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVGVwV) vom 3. November 1980 i. V. m. Tz 10.1.12.1 definierte – einheitlich für die §§ 10 und 12 BeamtVG – „hauptberuflich“ als „eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt (Vergütung, Lohn), wenn sie die Arbeitskraft des Beschäftigten mit mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit beansprucht“.
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b) Kommen mithin auch Teilzeitbeschäftigungen für eine Anrechnung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG in Betracht, genügten laufbahnrechtlich auch im Falle des Klägers Teilzeittätigkeiten für dessen Übernahme in das Beamtenverhältnis.
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Die Vorgaben für die verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG) und der praktischen hauptberuflichen Tätigkeit, die für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben ist (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG), ergeben sich aus den jeweils einschlägigen Laufbahnvorschriften. Ebenso wie bei § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG auf die zur Zeit der Ausbildung geltenden laufbahnrechtlichen Vorschriften abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 2023 – 2 C 12.22 – NVwZ-RR 2024, 329 Rn. 32 und Beschluss vom 6. Mai 2014 – 2 B 90.13 – Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 22 Rn. 7), ist auch für die verbrachte Mindestzeit der für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschriebenen praktischen hauptberuflichen Tätigkeit die Rechtslage im Zeitpunkt der hauptberuflichen Tätigkeit maßgeblich (BVerwG, Urteil vom 28. April 1983 – 2 C 97.81 – Buchholz 235 § 28 BBesG Nr. 8 S. 12; a. A. Plog/Wiedow, BeamtVG, LS, Stand Juli 2024, § 12 Rn. 85; Kümmel, BeamtVG, LS, Stand Mai 2024, § 12 Rn. 63). Die Interessenlage ist bei beiden Vorgaben für die verbrachte Mindestzeit identisch. Durch die Möglichkeit der Berücksichtigung der verbrachten Mindestzeit einer vorgeschriebenen Ausbildung oder einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit sollen Nachteile der Laufbahnverzögerung durch Erfüllung der vorgeschriebenen Laufbahnerfordernisse vermieden werden. Für diese Regelungen ist damit maßgeblich, dass der Beamte gar nicht in der Lage war, die durch die vorgeschriebene Ausbildung oder hauptberufliche Tätigkeit entstehende Verzögerung zu vermeiden. Damit ist auf die Vorschriften abzustellen, die zur Zeit der Ausbildung oder der praktischen Tätigkeit galten (BVerwG, Urteil vom 28. April 1983 – 2 C 97.81 – Buchholz 235 § 28 BBesG Nr. 8 S. 12 und Beschluss vom 6. Mai 2014 – 2 B 90.13 – Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 22 Rn. 7).
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Die zur Zeit der Ableistung der praktischen hauptberuflichen Tätigkeit geltenden laufbahnrechtlichen Regelungen in § 17 Abs. 2 Satz 1 PatG 1968 und § 26 Abs. 2 Satz 1 PatG 1980 bestimmten, dass als technisches Mitglied des Patentamts in der Regel nur angestellt werden soll, wer ein bestimmtes Studium absolviert und die Abschlussprüfung bestanden hat und außerdem „danach mindestens fünf Jahre hindurch praktisch gearbeitet hat“. § 36b Abs. 2 Satz 3 PatG 1968 und § 65 Abs. 2 Satz 3 PatG 1980 ordneten für die technischen Mitglieder des Patentgerichts die entsprechende Anwendung dieser für die technischen Mitglieder des Patentamts geltenden Bestimmungen an.
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„Praktisch gearbeitet“ i. S. d. § 26 Abs. 2 Satz 1 PatG setzt nicht „in Vollzeit gearbeitet“ voraus. Der Wortlaut der Norm enthält keinerlei Anhalt für ein Vollzeit-Erfordernis. Auch die Formulierung „hindurch“ besagt hierzu nichts. Angesichts dessen, dass Teilzeit-Arbeit zwar nicht die Regel, aber auch seinerzeit durchaus verbreitet war, hätte es für eine derartige Einschränkung einer ausdrücklichen Regelung bedurft.
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c) Raum für die vom Kläger begehrte und von den Vorinstanzen angenommene „Auffüllung“ von Teilzeit-Zeiten durch nach Ablauf der Mindestzeit von fünf Jahren liegende Zeiten gibt es danach nicht (vgl. GKÖD, BeamtVG, LS, Stand Mai 2024, § 12 Rn. 53).
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Dies folgt schon aus dem Begriff der „Mindestzeit“ in § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG. Wenn fünf Jahre praktischer Tätigkeit vorgeschrieben sind und diese Tätigkeit auch in Teilzeit geleistet werden kann, ist die vorgeschriebene Zeit nach fünf Jahren erreicht – einerlei, ob die Tätigkeit in Vollzeit und/oder in Teilzeit geleistet wurde. Nach Ablauf dieses Zeitraums konnte der Betreffende – hier der Kläger – in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen werden.
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Insbesondere ergibt sich dies aus Sinn und Zweck des § 12 BeamtVG. Sinn und Zweck der Berücksichtigungsbestimmungen der §§ 10 ff. BeamtVG und damit auch des § 12 BeamtVG ist die Vermeidung der Schlechterstellung des „Nicht-Nur-Beamten“ gegenüber dem „Nur-Beamten“, nicht aber seine Besserstellung gegenüber dem „Nur-Beamten“. Durch die Berücksichtigung der verbrachten Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildungszeiten oder Zeiten praktischer hauptberuflicher Tätigkeiten sollen die Unterschiede ausgeglichen werden, die dadurch entstehen können, dass für einzelne Laufbahnen einer Laufbahngruppe eine längere Ausbildung als für andere Laufbahnen oder eine praktische hauptberufliche Tätigkeit vorgeschrieben ist. Auf diese Weise sollen Nachteile der Laufbahnverzögerung durch Erfüllung der vorgeschriebenen Laufbahnerfordernisse gegenüber solchen Beamten vermieden werden, die unmittelbar nach dem Schulabschluss in das Beamtenverhältnis eintreten und damit bereits von einem früheren Zeitpunkt an ruhegehaltfähige Dienstzeiten erwerben können (BVerwG, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 2 B 90.13 – Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 22 Rn. 7).
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Berücksichtigungsfähig als Mindestzeit ist damit nur der Zeitraum, der nötig ist, um die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis zu erfüllen. Sind fünf Jahre berufspraktische Zeiten gefordert, endet der Zeitraum mit dem Ablauf von fünf Jahren – einerlei, ob Vollzeit- oder Teilzeitarbeit geleistet wurde. Ab diesem Zeitpunkt besteht kein Bedürfnis mehr, den Nicht-Nur-Beamten (weiter) zu privilegieren. Ob und in welcher Höhe er für insoweit nicht berücksichtigte Zeiten anderweitige Versorgungsansprüche – insbesondere Rentenansprüche – erworben hat, ist daher ohne Bedeutung.
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d) Die Zeiten nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG sind nach ihrem tatsächlichen Verlauf zu beurteilen (Kümmel, BeamtVG, LS, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 62). Dementsprechend durften gemäß Tz 12.1.17 BeamtVGVwV 1980 „Zeiten nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 mit einer geringeren als der regelmäßigen Arbeitszeit nur zu dem Teil als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden, der dem Verhältnis der tatsächlichen zur regelmäßigen Arbeitszeit entspricht“.
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Dass erst im Jahr 2021 (durch das Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 28. Juni 2021, BGBl. I S. 2250) geregelt worden ist, dass § 6 Abs. 1 Satz 3 BeamtVG entsprechend auf eine praktische hauptberufliche Zeit nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG anzuwenden ist, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Damit hat der Gesetzgeber die bestehende Rechtslage nur klargestellt, aber nicht geändert (vgl. Kümmel, BeamtVG, LS, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 64, Plog/Wiedow, BeamtVG, LS, Stand Juli 2024, § 12 Rn. 80b).
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 GKG.