Urteil des BGH 2. Zivilsenat vom 22.08.2024, AZ II ZR 86/23

BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 22.08.2024, AZ II ZR 86/23, ECLI:DE:BGH:2024:150724UIIZR86.23.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Bamberg, 20. April 2023, Az: 1 U 415/21, Urteil
vorgehend LG Aschaffenburg, 1. September 2021, Az: 21 O 124/19

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 20. April 2023 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

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Die Beklagte ist eine englische Limited und Rechtsnachfolgerin der T.        L.        I.                   GmbH (im Folgenden: TLI), welche ihren Sitz in Österreich hatte. Diese Gesellschaft war aus der T.       L.       I.                AG hervorgegangen, an welcher die Klägerin zu 1 2008 zwei Genussrechtsbeteiligungen mit der Emissionsbezeichnung T.     L.                                                  in Höhe von insgesamt 24.000 € gezeichnet hatte. Der Kläger zu 2 hatte 2008 ebenfalls je zwei Genussrechtsbeteiligungen mit der gleichen Bezeichnung für insgesamt 24.000 € gezeichnet. Der Zeichnung lagen Genussrechtsbedingungen (nachfolgend: GB) zugrunde, in denen folgende Regelungen enthalten waren:

„§ 5 Verlustteilnahme

1.    Die begebenen Genussrechte nehmen bis zum Laufzeitende (§ 6 Abs. 1) … an einem etwaigen zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahres auszuweisenden Jahresfehlbetrag der Gesellschaft teil, soweit kraft vertraglicher Regelungen nicht anderes freies (Eigen-)Kapital durch eine Verlustbeteiligung vorrangig herabzusetzen ist. Maßgeblich für die Berechnung des Verlustanteils pro Genussrecht … ist der in der nach den Rechnungslegungsvorschriften IFRS erstellten Gewinn- und Verlustrechnung für das jeweilige Geschäftsjahr auszuweisende Jahresfehlbetrag. An einem etwaigen Verlustvortrag nehmen die Genussrechte nicht teil.

§ 6 Laufzeit, Rückzahlung, Kündigung

1.    Die Laufzeit der Genussrechte ist unbegrenzt. Eine Kündigung ist frühestens zum Ablauf von fünf Geschäftsjahren seit der Begebung der Genussrechte (§ 3 Abs. 2) (Mindestvertragsdauer) zum Ende eines Geschäftsjahres möglich (Laufzeitende), nachfolgend jeweils zum Ablauf des folgenden Geschäftsjahres.

4.    Die Rückzahlung der Genussrechte erfolgt zu 100 % des Nennbetrages abzüglich eines etwaigen Verlustanteils gemäß § 5 dieser Bedingungen (Rückzahlungsbetrag). Der Rückzahlungsanspruch ist nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 dieser Bedingungen fällig.

§ 8 Bestandsschutz

1.    Der Bestand der Genussrechte wird vorbehaltlich § 5 dieser Bedingungen im Falle der Beteiligung der Gesellschaft an einem Umwandlungsvorgang oder Bestandsübertragung der Gesellschaft nicht berührt.

2.    Im Falle einer Maßnahme nach Abs. 1 sind den Genussrechtsinhabern gleichwertige Rechte an einen neuen/übernehmenden Rechtsträger einzuräumen.“

2

Die Kläger kündigten die Beteiligungen mit Schreiben vom26. Dezember 2016. Mit Schreiben vom 6. Januar 2017 bestätigte die T.        L.       A.                                       (im Folgenden: TLA), dass sie die Kündigung für den 31. Dezember 2018 vorgemerkt habe.

3

Im Februar 2019 erhielten die Kläger ein von der Beklagten veranlasstes Schreiben der TLA. Darin wurde ausgeführt, dass im Rahmen des Versuchseiner Beteiligung der Genussrechts-/-schein-Inhaber an einer angemessenen und positiven Entwicklung der Zielgesellschaft der TLI, der T.       L.        G.     Ltd. (im Folgenden: TLG), die Restrukturierung der TLI zum 31. Dezember 2018 abgeschlossen worden sei. Diese umfasse: „im Kern die Umwandlung sämtlicher Genussrechte und -scheine in Aktien“. Dabei sei es unter anderem aus rechtlichen und steuerlichen Gründen unvermeidbar gewesen, die Beteiligungsbuchwerte aller Genussrechtsinhaber zum Stichtag 31. Dezember 2017 temporär auf ein Minimum abzuwerten.

4

Vor diesem Hintergrund könnten folgende Möglichkeiten angeboten werden: Bei Aufrechterhaltung der Kündigung belaufe sich der Rückzahlungsbetrag auf null Euro, was nicht den tatsächlichen Wert des Investments widerspiegele; der „rechnerische Wert“ der Genussrechte zum 31. Dezember 2018 liege bei mehr als 13.000 € je Vertrag. Den Klägern wurden zwei Wahlmöglichkeiten angeboten. Für den Fall, dass sie ihre Kündigung aufrechterhielten, sollten sie das beiliegende Formblatt ausfüllen und bis spätestens 20. Februar 2019 unterschrieben zurückschicken. Nach Eingang des Formblatts werde der jeweilige Vertrag gemäß den Genussrechts-/-scheinbedingungen abgerechnet. Der Rückzahlungsbetrag zum Kündigungsstichtag 31. Dezember 2017 betrage jeweils null Euro. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Rückzahlungsbetrag weder den tatsächlichen Wert noch das mögliche künftige Wertsteigerungspotential des Investments der Kläger widerspiegele. Alternativ wurde angeboten, von der Kündigung zurückzutreten.

5

Die Kläger unterzeichneten am 25. Februar 2019 das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Formblatt und erklärten durch Ankreuzen des entsprechenden Felds: „Ich möchte meine Kündigung zurücknehmen. Ich beantrage, dass die von mir gegenüber der T.         L.       I.                 GmbH ausgesprochene Kündigung meiner Genussrechte/­scheine keine Wirkung entfalten solle und die Rechtsfolgen der ausgesprochenen Kündigung nicht eintreten sollen. Ich bin mir bewusst, dass damit meine Beteiligung, die durch die Fusion der T.     L.     I.              GmbH auf die C.                                     Ltd. übergegangen ist, weiterhin Bestand hat.“ Im weiteren Verlauf erklärte die Klägerin zu 1 mit anwaltlichem Schreiben vom 7. März 2019 die außerordentliche fristlose Kündigung sämtlicher streitgegenständlicher Genussrechtsbeteiligungen und forderte die Beklagte zur Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens auf.

6

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Hauptforderung jeweils in Höhe von 24.000 € stattgegeben und die Beklagte zudem zur Zahlung von Zinsen und Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten verurteilt.

7

Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

8

Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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I. Das Berufungsgericht (OLG Bamberg, NZG 2023, 1573) hat ausgeführt, dass aufgrund der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung kein Anspruch auf Rückzahlung des Nennbetrages der ursprünglichen Genussrechte bestehe. Das Landgericht habe bei seiner Entscheidung die zwischen den Parteien getroffenen Abreden nicht hinreichend in den Blick genommen und insbesondere die Bedeutung der klägerischen Antwortschreiben vom 25. Februar 2019 nicht richtig bewertet. Zutreffend sei, dass die Kläger ihre Genussrechtsbeteiligungen zum 31. Dezember 2018 wirksam und ordentlich gekündigt hätten. Hierdurch sei das Beteiligungsverhältnis beendet und in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden. Die Parteien hätten indessen in der Folgezeit Willenserklärungen abgegeben, durch die im Rahmen eines Vertrages sui generis die Wirkung der Kündigung mit der Maßgabe rückgängig gemacht worden sei, dass die Kläger Aktionäre der Beklagten geworden seien. Im Rahmen der Privatautonomie sei es sowohl nach deutschem als auch nach österreichischem Recht ohne weiteres möglich, nach der Beendigung eines Schuldverhältnisses dessen rückwirkende Fortsetzung zu vereinbaren. Es könne daher offenbleiben, ob für das Zustandekommen des neuen Beteiligungsvertrages deutsches oder österreichisches Sachrecht gelte. Das Schreiben der Beklagten vom Februar 2019, in dem den Klägern die Wahl überlassen werde, die Kündigung aufrechtzuerhalten oder von ihr „zurückzutreten“, sei als Antrag auf Abschluss eines entsprechenden Vertrages zu werten. Diesen hätten die Kläger mit der Mitteilung vom 25. Februar 2019 fristgerecht angenommen. Inhaltlich sei der Vertrag nach der Interessenlage der Parteien unter Berücksichtigung der von der Beklagten im Schreiben vom Februar 2019 umschriebenen Situation nebst Rechenwerk so zu interpretieren, dass die Wirkung der Kündigung entfallen und die Kläger anstelle der bisherigen Genussrechtsbeteiligungen, die zum 31. Dezember 2018 beendet gewesen seien, Aktien der Beklagten hätten erhalten sollen. Die von den Klägern unterzeichnete Vereinbarung erschöpfe sich also nicht in einer Fortsetzung des bereits beendeten Beteiligungsverhältnisses, sondern beinhalte als Kernpunkt zugleich die Erklärung, dass die Umwandlung der Genussrechte in Aktien – und zwar in solche der Beklagten – akzeptiert werde. Aufgrund des individuell geschlossenen Vertrages komme ein Rückzahlungsanspruch aus § 6 Abs. 4 Satz 1 GB nicht in Betracht. Die temporäre Abwertung der Genussrechte zum 31. Dezember 2017 zum Zwecke der Umwandlung in Aktien sei vielmehr Grundlage der neuen Vereinbarung, so dass es auf die Frage des Verlustabzuges gemäß § 5 GB nicht ankomme. Die mit Anwaltsschriftsatz vom 7. März 2019 ausgesprochene außerordentliche Kündigung gehe ins Leere. Das ursprüngliche Genussrechtsverhältnis sei bereits zum 31. Dezember 2018 beendet gewesen. Für den neuen Beteiligungsvertrag sei ein Kündigungsgrund nicht ersichtlich. Maßgeblich in dem vorliegenden Fall seien die von den Klägern abgegebenen Erklärungen vom 25. Februar 2019, die Kündigung „zurückzunehmen“ und statt der ursprünglichen Genussrechte Aktienbeteiligungen an der Beklagten zu akzeptieren.

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II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch der Kläger nicht verneint werden. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, durch die mit dem von der Beklagten vorgefertigten Formularblatt erklärte Rücknahme der ordentlichen Kündigung durch die Kläger sei unter Anwendung deutschen Rechts ein neuer Vertrag über die Anlage in eine Aktienbeteiligung zustande gekommen, womit das bereits aufgrund der Kündigung beendete Vertragsverhältnis fortgesetzt und die Umwandlung der Genussrechte in Aktien der Beklagten akzeptiert werde.

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1. Die tatrichterliche Auslegung einer Individualerklärung kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind, wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist oder die Auslegung auf mit der Revision gerügten Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 – II ZR 211/21, NZG 2024, 482 Rn.15; Urteil vom 17. Januar 2023 – II ZR 76/21, ZIP 2023, 467 Rn. 18; Urteil vom 9. November 2022 – VIII ZR 272/20, juris Rn. 71).

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2. Einer an diesem Maßstab ausgerichteten Prüfung hält die Auslegung der Erklärungen der Parteien durch das Berufungsgericht nicht stand.

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a) Die Annahme eines eigenständigen neuen Vertragsschlusses durch das Berufungsgericht überdehnt den Wortlaut der Erklärungen den Klägern über die Rücknahme der ordentlichen Kündigung. Der Wortlaut der von der Beklagten vorformulierten Erklärung lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass ein neuer Vertrag über eine Aktienbeteiligung geschlossen werden soll, der unabhängig von den bisherigen vertraglichen Beziehungen der Parteien steht und zum Inhalt haben soll, das beendete Vertragsverhältnis als Aktienbeteiligung fortzusetzen. Der Wortlaut ist vielmehr auf den Fortbestand der Genussrechtsbeziehungen gerichtet. So ist dort lediglich von der Rücknahme der Kündigung die Rede, wie auch im weiteren Text davon, dass diese keine Rechtswirkungen entfalten solle und die Beteiligung weiterhin Bestand habe, die durch die Fusion auf die Beklagte übergegangen sei. Im Übersendungsschreiben betreffend das Formular zur Rücknahme der Kündigung wird der Rücktritt von der Kündigung als Möglichkeit angeboten. Zwar wird in dem Anschreiben von Februar 2019 auf eine gute Entwicklung „ihrer Aktien“ Bezug genommen. Hiervon ist aber in dem von der Beklagten vorformulierten und von den Klägern unterschriebenen gesonderten Formblatt keine Rede mehr.

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b) Die Auslegung des Berufungsgerichts verstößt auch gegen die allgemein anerkannte Auslegungsregel einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung. Dieser Grundsatz bezweckt, die Abrede auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückzuführen. Es geht hierbei nicht darum, dem Rechtsgeschäft zu dem Inhalt zu verhelfen, der dem Richter im Entscheidungszeitpunkt als interessengemäß erscheint. Maßgeblich ist vielmehr der Einfluss, den das Interesse der Parteien auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 – II ZR 211/21, NZG 2024, 482 Rn. 18; Beschluss vom 9. Februar 2021 – VIII ZB 20/20, BGHZ 228, 373 Rn. 32; Urteil vom 17. Dezember 2009 – IX ZR 214/08, ZIP 2010, 238 Rn.14).

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Die Erklärung der Kläger betreffend die Rücknahme ihrer Kündigungen muss vor dem Hintergrund des Schreibens der TLA von Februar 2019 ausgelegt werden. Darin war den Klägern für den Fall der Aufrechterhaltung ihrer bereits wirksam gewordenen Kündigungen der Totalverlust ihrer Anlagen in Aussicht gestellt worden, wenn sie ihre Kündigung nicht zurücknähmen. Andererseits würde die Rücknahme der Kündigung ihre gesamte Anlage wertmäßig erhalten. Den Klägern ging es darum, keinen Totalverlust ihrer Anlage zu erleiden, sondern diesen Wert zu erhalten. Ein Neuabschluss eines Vertrags unabhängig vom vorherigen war ersichtlich nicht der Wille der Kläger. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass in der Anlegerinformation für den Vertrag der Kläger für den Stichtag 31. Dezember 2018 der rechnerische Wert der Genussrechte/-scheine in nahezu identischer Höhe angegeben worden war, wie der Beteiligungsbuchwert der Aktienanlage und lediglich im Centbereich abwich.

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3. Auf der rechtsfehlerhaften Annahme eines Vertragsschlusses der Parteien beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts, da es mit diesem nicht tragfähigen Argument alle in Betracht kommenden Ansprüche der Kläger bei Anwendung deutschen Rechts dem Grunde nach ausgeschlossen hat. Es hätte daher nicht offenlassen dürfen, ob deutsches Recht oder österreichisches Recht Anwendung findet (vgl. Huber/Röß in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl., § 293 Rn. 10; Hk-ZPO/Saenger, ZPO, 10. Aufl., § 293 Rn. 29).

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III. Die Zurückweisung der Ansprüche der Kläger nicht aus anderen Gründen aufrechterhalten werden (§ 561 ZPO).

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1. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat nicht beurteilen, ob österreichisches Recht anwendbar ist.

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2. Die Zurückrückweisung der Ansprüche kann unter Anwendung deutschen Rechts auch nicht aufrechterhalten werden. Insbesondere steht die ausgesprochene Rücknahme der Kündigung durch die Kläger nach dem der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Sachverhalt möglichen Ansprüchen der Kläger nicht entgegen. Die Beklagte kann sich nach § 242 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 – II ZR 211/21, NZG 2024, 482 Rn. 21; Urteil vom 12. Juli 2022 – II ZR 81/21, NZG 2022, 1440 Rn. 17) nicht auf die Wirkungen der Rücknahmeerklärung der Kläger berufen, denn sie ist insofern den Klägern wiederum nach § 280 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Kläger pflichtwidrig zur Rücknahme veranlasst hat.

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a) Der Genussrechtsvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis eigener Art. Aus diesem Verhältnis ergeben sich Schutz- und Verhaltenspflichten der Gesellschaft, deren Inhalt in der Wahrung der Rechte der Genussrechtsinhaber und der Rücksichtnahme auf deren wohlverstandenen Interessen besteht. Die Gesellschaft trifft demnach grundsätzlich die Pflicht, vertragswidrige Beeinträchtigungen des Genusskapitals zu unterlassen bzw. zu unterbinden. Verletzt sie diese Pflicht, kann eine Schadensersatzverpflichtung nach § 280 BGB entstehen. Der Genussrechtsinhaber geht von der dem Vertragspartner erkennbaren Erwartung aus, dass sich die Geschäfte der Gesellschaft im Rahmen des von der Satzung vorgegebenen Unternehmensgegenstandes bewegen. Ferner erwartet er, dass sein Kapital nicht durch eine Geschäftstätigkeit gefährdet wird, die schlechterdings kein seriöser Kaufmann durchführen würde (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 – II ZR 211/21, NZG 2024, 482 Rn. 22; vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 330 f.; Urteil vom 29. April 2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 22 die letzten beiden zu Genussrechten in einer AG;Habersack/Casper/Löbbe/Leuschner, GmbHG, 3. Aufl., § 29 Rn. 225; Scholz/ Seibt, GmbHG, 13. Aufl., § 14 Rn. 147; Rowedder/Pentz/Pentz, GmbHG, 7. Aufl., § 29 Rn. 143; Noack/Servatius/Haas/Kersting, GmbHG, 23. Aufl., § 29 Rn. 93).

22

b) Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin hat sich nach dem der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Sachvortrag schuldhaft pflichtwidrig gegenüber den Klägern verhalten und ist deshalb zum Schadensersatz verpflichtet.

23

aa) Wenn das Berufungsgericht zu Tatsachen keine Feststellungen getroffen hat, ist bei der revisionsrechtlichen Prüfung die Richtigkeit des Sachvortrags des Revisionsklägers im Berufungsverfahren zu unterstellen (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 – II ZR 211/21, NZG 2024, 482 Rn. 24; vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2023 – V ZR 112/22, NJW 2023, 3013 Rn. 33; Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 28).

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Die Kläger haben in den Vorinstanzen vorgetragen, dass im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2017 ihr Genussrechtskapital zu Unrecht mit Null Euro bewertet worden sei. Die temporäre Abwertung sei rechtswidrig erfolgt. Dieser Vortrag ist mangels entgegenstehender Feststellungen des Berufungsgerichts im Revisionsverfahren als richtig zu unterstellen. Im Schreiben der TLA vom Februar 2019 ist zudem ausgeführt, dass der Rückzahlungsbetrag nicht dem tatsächlichen Wert der Anlage entspricht.

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bb) Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin haben ihre Pflichten schuldhaft verletzt und sind insofern den Klägern zum Schadensersatz nach § 280 BGB verpflichtet, weil sie die Kläger pflichtwidrig zur Rücknahme veranlasst haben.

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Die Genussrechtsinhaber nehmen nach § 5 Nr. 1 der Genussrechtsbedingungen am Jahresfehlbetrag der Gesellschaft teil. Maßgeblich für die Berechnung des Verlustanteils sind die Rechnungslegungsvorschriften IFRS. An einem Verlustvortrag nehmen die Genussrechte nicht teil. Die Rückzahlung der Genussrechte erfolgt zu 100 % des Nennbetrags abzüglich eines etwaigen Verlustanteils nach § 5 der Bedingungen (§ 6 Nr. 4 GB).

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Da die Genussrechte vom Gewinn der Gesellschaft abhängig sind, darf die Gesellschaft den Gewinn nicht manipulieren, also etwa unangemessene Rückstellungen bilden oder Erzeugnisse zu niedrigen Verrechnungspreisen an rechtlich selbständige Tochtergesellschaften abgeben, um dort die Gewinne entstehen zu lassen. Hat eine Änderung bei Bilanzierungswahlrechten nur den Zweck, die Genussrechtsinhaber zu benachteiligen, so hat jeder Genussrechtsinhaber einen Schadensersatzanspruch in Höhe des auf ihn bei ordnungsgemäßen Verhaltens entfallenden Gewinns (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 – II ZR 211/21, NZG 2024, 482 Rn. 28; Rowedder/Pentz/Pentz, GmbHG, 7. Aufl., § 29 Rn. 143; Scholz/Seibt, GmbHG, 13. Aufl., § 14 Rn. 143).

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Danach liegt nach dem hier maßgeblichen Sachvortrag der Kläger eine mit den Genussrechtsbedingungen nicht vereinbare vorübergehende Abwertung der Genussrechte vor, die manipulativ und zweckgerichtet auf die Vernichtung der Rückzahlungsansprüche der Genussrechtsinhaber gerichtet war, die eine Kündigung ausgesprochen hatten. So würde ein seriöser Kaufmann nicht vorgehen. Das gleiche gilt für den Umstand, dass in dem Schreiben vom Februar 2019 die Kläger getäuscht wurden, soweit darin behauptet worden ist, der Rückzahlungsbetrag der Genussrechtsbeteiligung betrage Null Euro und dementsprechend bestehe kein Auszahlungsanspruch.

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IV. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird sich auch mit den weiteren Rügen der Parteien auseinandersetzen müssen, zu denen Stellung zu nehmen der Senat zum jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung hat.

Born              Wöstmann             Bernau

          Sander                Adams

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