BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 20.08.2024, AZ VIa ZR 1552/22, ECLI:DE:BGH:2024:200824UVIAZR1552.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Koblenz, 14. Oktober 2022, Az: 15 U 695/22
vorgehend LG Koblenz, 29. März 2022, Az: 1 O 142/20
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen der Beschluss des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 14. Oktober 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 25.869,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. März 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Berufungsanträge zu 2 und zu 3 sowie der Berufungsantrag zu 4 in Höhe eines für erledigt erklärten Betrags von 969,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. März 2020 betreffend eine deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Die Klägerin kaufte am 4. Oktober 2013 von der Beklagten einen von dieser hergestellten neuen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Den Kaufpreis finanzierte sie teilweise über ein Darlehen. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten „Thermofensters“ abhängig von der Außentemperatur reduziert. Das Fahrzeug verfügte über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet wurde. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update, das auf das Fahrzeug der Klägerin aufgespielt wurde.
3
Die Klägerin hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und ihrer deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Sie hat zuletzt den Ersatz der im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Finanzierung des Fahrzeugs geleisteten Zahlungen abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen seit dem 25. Februar 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) sowie die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits begehrt, soweit der Antrag zu 1 ursprünglich auf die Zahlung eines um 969,03 € höheren Betrags und von Deliktszinsen gerichtet war (Berufungsantrag zu 4). Ferner hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 3) verlangt.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang mit der Maßgabe weiter, dass sie Verzugszinsen seit dem 25. Februar 2020 geltend macht.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin hat weitgehend Erfolg.
I.
6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
7
Ein Anspruch der Klägerin ergebe sich nicht aus §§ 826, 31 BGB, selbst wenn man das Thermofenster in seiner konkreten Konfiguration und die KSR als unzulässige Abschalteinrichtungen ansehen wollte. Die Klägerin habe weder tatsächliche Anhaltspunkte für die Prüfstandsbezogenheit der Einrichtungen aufgezeigt noch sonstige Umstände dargelegt, die das Vorgehen der Beklagten als sittenwidrig erscheinen ließen. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere daran, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der Vorschriften der EG-FGV liege.
II.
8
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
9
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
11
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12
Der angefochtene Beschluss hat gleichwohl Bestand, soweit die Klägerin Verzugszinsen vom 25. Februar 2020 bis zum 6. März 2020 begehrt hat.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin der Beklagten vorgerichtlich eine Frist zum Ersatz des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs bis zum 6. März gesetzt. Die Beklagte ist daher nicht vor dem 7. März 2020
in Verzug geraten.
IV.
13
Im Übrigen ist der angefochtene Beschluss in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
14
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Krüger Götz
Wille Vogt-Beheim