Beschluss des BVerwG 1. Senat vom 15.08.2024, AZ 1 B 21/24

BVerwG 1. Senat, Beschluss vom 15.08.2024, AZ 1 B 21/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:150824B1B21.24.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 25. April 2024, Az: 11 A 2150/22, Urteil
vorgehend VG Köln, 6. September 2022, Az: 7 K 5728/18

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. April 2024 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

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Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 – 1 B 1.14 – juris Rn. 2, vom 10. März 2015 – 1 B 7.15 – juris Rn. 3 und vom 25. Juli 2017 – 1 B 117.17 – juris Rn. 3). Für die Zulassung der Revision reicht eine Tatsachenfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aus; die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2020 – 1 B 15.20 – juris Rn. 4). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Gemessen daran kommt der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage,

ob die Erteilung der Bescheinigungen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG die Tatbestandswirkung für die materiellen Voraussetzungen der Aufnahme, hier die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit der für die Abstammung in Frage kommenden Bezugsperson, hat,

keine grundsätzliche Bedeutung zu.

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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass im Verfahren der Erteilung einer Bescheinigung als Abkömmling eines Spätaussiedlers nach § 15 Abs. 2 BVFG keine Bindung an die Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft der Bezugsperson nach § 15 Abs. 1 BVFG besteht (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2005 – 5 C 10.04 – BVerwGE 123, 101 <LS>). Die Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG ist ein feststellender Verwaltungsakt. Eine nicht nur im Verhältnis der ausstellenden Behörde zum Inhaber des feststellenden Verwaltungsakts, sondern auch im Verhältnis zu Dritten bestehende Bindungswirkung scheidet aus, wenn es – wie in diesem Fall – an einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung fehlt (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2005 – 5 C 10.04 – BVerwGE 123, 101 <102 f.>). Ausdrücklich Bezug genommen hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit auf seine ständige Rechtsprechung zur Erteilung eines Vertriebenenausweises, in der geklärt ist, dass die durch die Ausweiserteilung eintretende Feststellungswirkung grundsätzlich nur im Verhältnis der ausstellenden Behörde zum Ausweisinhaber besteht und zu einer Bindung im Verhältnis zu Dritten nur führt, wenn dies gesetzlich bestimmt ist (BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1987 – 9 C 255.86 – BVerwGE 78, 139 <144>).

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Ausgehend davon ist auch im Aufnahmeverfahren die Abstammung des Aufnahmebewerbers von einem deutschen Volkszugehörigen offenkundig nicht allein deshalb zu bejahen, weil Verwandten des Aufnahmebewerbers, die ihre deutsche Abstammung nur von derselben Person, auf die sich auch der Aufnahmebewerber beruft, abgeleitet haben können, Spätaussiedlerbescheinigungen erteilt worden sind. Eine derartige, die Gründe einer Spätaussiedlerbescheinigung erfassende und sich darüber hinaus auf Dritte erstreckende Feststellungswirkung der Spätaussiedlerbescheinigung hat der Gesetzgeber nirgends angeordnet. Dass dies für eine Bindung erforderlich wäre, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. neben den zitierten vertriebenenrechtlichen Entscheidungen allgemein auch BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2022 – 2 B 5.22 – NVwZ 2023, 171 Rn. 12 m. w. N.).

6

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

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Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

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a) Eine Abweichung des angegriffenen Urteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juni 1995 – 9 C 392.94 – (BVerwGE 98, 367) zeigt die Beschwerdebegründung nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise auf.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung seine ständige Rechtsprechung bekräftigt, dass die Frage, ob bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bekenntnisfähige Personen deutsche Volkszugehörige sind, allein danach zu beurteilen ist, ob zu diesem Zeitpunkt ein objektiv bestätigtes Bekenntnis zum deutschen Volkstum vorgelegen hat, und dass ein nach diesem Zeitpunkt liegendes Verhalten grundsätzlich unerheblich ist (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1995 – 9 C 392.94 – BVerwGE 98, 367 <378>). Diesen Ausführungen entnimmt die Beschwerdebegründung den abstrakten Rechtssatz, dass es für die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 BVFG auf das Bekenntnis zum deutschen Volkstum unmittelbar vor Beginn der Vertreibungsmaßnahmen, nicht jedoch auf das Vorliegen persönlich erlittener Vertreibungsmaßnahmen ankomme.

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Einen in Widerspruch zu diesem Rechtssatz stehenden, das angegriffene Berufungsurteil tragenden abstrakten Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts benennt die Beschwerdebegründung nicht. Entgegen ihrer Darstellung hat das Oberverwaltungsgericht dem angegriffenen Urteil keinen abstrakten Rechtssatz des Inhalts zugrunde gelegt, dass fehlende persönliche Vertreibungsmaßnahmen das Bekenntnis der Vorfahren zum deutschen Volkstum zum maßgeblichen Zeitpunkt ausschließen. Es hat in Anknüpfung an die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt, nach § 6 BVFG a. F. sei deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat im Zeitraum unmittelbar vor Beginn der gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe gerichteten Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen zum deutschen Volkstum bekannt habe, wobei sich ein Bekenntnis in diesem Sinne zum einen unmittelbar aus Tatsachen ergeben könne, die ein ausdrückliches Bekenntnis oder ein Bekenntnis durch schlüssiges Gesamtverhalten dokumentieren, und zum anderen ein Bekenntnis mittelbar aus hinreichend vorhandenen Indizien, namentlich den in § 6 BVFG a. F. genannten objektiven Bestätigungsmerkmalen, gefolgert werden könne (UA S. 9 f.). Im Rahmen der Subsumtion unter diese Rechtssätze hat es sodann festgestellt, gegen ein Bekenntnis der Mutter des Klägers zum deutschen Volkstum im Juni 1941 spreche unter anderem, dass diese nicht von den gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe gerichteten Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen betroffen gewesen sei (UA S. 11). Das Unterbleiben entsprechender Maßnahmen hat es neben dem Eintrag der russischen Volkszugehörigkeit in der am 19. November 1947 ausgestellten Geburtsurkunde einzelfallbezogen als gegen ein entsprechendes Bekenntnis sprechende Tatsache gewürdigt, ohne insoweit jedoch einen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden abstrakten Rechtssatz aufzustellen.

11

b) Ebenso wenig legt die Beschwerdebegründung im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO eine Divergenz des Berufungsurteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. August 1995 – 9 C 292.94 – (Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 80) dar.

12

In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung bekräftigt, dass nach dem bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Recht bekenntnisfähige Personen deutsche Volkszugehörige grundsätzlich nur sein konnten, wenn sie bis zum Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ein zu diesem Zeitpunkt fortwirkendes, objektiv bestätigtes Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt hatten, während Verhaltensweisen nach Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen für die Eigenschaft als Volksdeutscher grundsätzlich ohne Bedeutung waren (BVerwG, Urteil vom 8. August 1995 – 9 C 292.94 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 80 S. 54). Diesen Ausführungen entnimmt die Beschwerdebegründung den Rechtssatz, dass es für den Fall, dass sich der Angehörige der sog. „Erlebnisgeneration“ bis zum Juni 1941 zum deutschen Volkstum bekannt hat, auf sein Verhalten nach dem Beginn der Vertreibungsmaßnahmen nicht mehr ankommt.

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Soweit die Beschwerdebegründung ausführt, das Berufungsgericht mache demgegenüber die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit der Mutter des Klägers von der Führung der russischen Nationalität in der nach dem Beginn der Vertreibungsmaßnahmen ausgestellten Geburtsurkunde abhängig, benennt sie keinen dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts widersprechenden Rechtssatz, sondern rügt sie der Sache nach eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht im Einzelfall. Damit lässt sich eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht darlegen.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstands beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.

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