BVerwG 6. Senat, Beschluss vom 27.06.2024, AZ 6 B 3/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:270624B6B3.24.0
Leitsatz
Auch ein Abbild einer Person (hier: Abdullah Öcalan) kann ein Kennzeichen im Sinne von § 9 Abs. 2, § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG sein.
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 8. Januar 2024, Az: 15 A 1270/20, Urteil
vorgehend VG Düsseldorf, 19. Februar 2020, Az: 18 K 17619/17, Urteil
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 2024 wird verworfen. Die Beschwerde der Kläger zu 2. – 4. wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Die Beteiligten streiten über die Verwendung von Abbildern Abdullah Öcalans in einer Versammlung.
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Die Klägerin zu 3. meldete als Vorsitzende eines Vereins gemeinsam mit dem Kläger zu 4. im Oktober 2017 eine Versammlung für den 4. November 2017 an. Gefordert werden sollte u. a. die Freiheit für Abdullah Öcalan.
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Nach einem Kooperationsgespräch bestätigte das Polizeipräsidium mit Schreiben vom 30. Oktober 2017 die Versammlungsanmeldung und verfügte, dass die Versammlungsteilnehmer keine Flaggen, Abzeichen, Transparente, Handzettel oder sonstige Gegenstände öffentlich zeigen oder verteilen dürfen, die mit dem Abbild Abdullah Öcalans versehen sind.
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Die nach Durchführung der Versammlung auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellte Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin zu 1. mangels Beteiligungsfähigkeit als unzulässig angesehen, da bei ihr kein Mindestmaß an Organisation vorliege. Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage der übrigen Kläger sei unbegründet. Dazu hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Auflage habe auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt werden können, da durch die Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gedroht habe. Es hätten konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorgelegen, dass bei der Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Teilnehmer gegen das Kennzeichenverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG verstoßen und damit Straftaten nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG begangen würden. Denn das Bildnis Abdullah Öcalans stelle ein verbotenes Kennzeichen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG dar. Auch Bildnisse politischer Persönlichkeiten könnten Kennzeichen verbotener Organisationen sein, wenn ihnen die für ein Kennzeichen typische Funktion zukomme. Diese Funktion könnten sie insbesondere bei nach dem Führerprinzip organisierten Vereinigungen erlangen, bei denen die Verehrung der Führerpersönlichkeit wesentliche Bedeutung für den inneren Zusammenhalt und die Außendarstellung habe. In der Regel seien solche Persönlichkeiten in propagandistischer Weise abgebildet. Die Bilder strebten eine positive Identifikation an, indem die Person etwa in Führer- oder Heldenpose dargestellt werde. Diese Maßstäbe zugrunde gelegt stelle das Abbild Abdullah Öcalans ein Kennzeichen der verbotenen Organisation der PKK dar.
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Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Beschwerde, der der Beklagte entgegentritt.
II
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Die auf das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
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1. Die Beschwerde der Klägerin zu 1. ist mangels Beteiligungsfähigkeit (§ 61 Nr. 2 VwGO) unzulässig. Der beschließende Senat macht sich die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz, denen die Beschwerde nicht entgegengetreten ist, zu eigen.
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2. Die Beschwerde der übrigen Kläger ist unbegründet. Die aufgeworfene Frage, auf deren Prüfung der beschließende Senat bei der Revisionszulassung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Juli 2016 – 6 B 35.16 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 425 Rn. 3 und vom 21. Dezember 2017 – 6 B 43.17 – Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 6 m. w. N.). Ist eine Rechtsfrage bereits bundesgerichtlich beantwortet, kommt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nur in Betracht, wenn die Beschwerde neue rechtliche Gesichtspunkte aufzeigt, die ein Überdenken der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 24. August 2017 – 6 B 55.17 – juris Rn. 4 m. w. N.).
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Die Beschwerde erachtet als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, ob das Zeigen von Abbildern von Personen unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung – hier: jedes erkennbare Abbild Abdullah Öcalans – auf Versammlungen das Verwenden von Kennzeichen im Sinne des § 9 Abs. 2, § 20 Abs. 1 [Satz 1] Nr. 5 VereinsG darstellen könne und damit im Rahmen angemeldeter Versammlungen verboten werden dürfe. Sie führt dazu im Wesentlichen aus, das Berufungsgericht lege den Begriff des Kennzeichens im Sinne des § 20 Abs. 1 [Satz 1] Nr. 5 VereinsG sehr weit aus. Keine andere lebende Person bzw. deren Abbild werde bislang als Kennzeichen einer Vereinigung angesehen. Im Übrigen verweist sie auf Rechtsprechung zu § 86a StGB sowie auf Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
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Soweit die aufgeworfene Fragestellung eine
Rechtsfrage enthält, d. h. auf die Auslegung des Rechtsbegriffs des „Kennzeichens“ im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zielt, ist sie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt. Der Bundesgerichtshof hat dazu folgendes ausgeführt (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15 – NJW 2015, 3590 Rn. 13):
„Der Begriff des Kennzeichens ist nicht legal definiert. Die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 VereinsG nimmt zwar auf § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG Bezug. Dort findet sich indes keine allgemein gültige gesetzliche Umschreibung dieses Tatbestandsmerkmals. Vielmehr werden lediglich beispielhaft insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen als Kennzeichen genannt. In Literatur und Rechtsprechung werden als Kennzeichen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG – wie für § 86a Abs. 1 StGB – optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen begriffen, durch die der Verein auf sich und seine Zwecke hinweist; intern sollen Kennzeichen den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken (OLG Hamburg, Urteil vom 7. April 2014 – 1-31/13 Rev, NJOZ 2014, 1487, 1488; MüKoStGB/Heinrich, 2. Aufl., § 20 VereinsG Rn. 102; Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 146. Erg. Lfg. 2002, § 9 VereinsG Rn. 3; Groh, VereinsG, § 9 Rn. 6; Bock, HRRS 2012, 83, 84; s. zu § 86a StGB auch BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 371). Soweit darüber hinaus vertreten wird, von dem Kennzeichen müsse eine Unterscheidungswirkung im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals ausgehen (Albrecht, HRRS 2015, 167, 169 f.; Groh aaO; s. auch BT-Drucks. 14/7386 [neu], S. 49), kann dem nicht gefolgt werden. Es reicht vielmehr aus, dass sich ein Verein ein bestimmtes Symbol – etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung – derart zu eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als sein Kennzeichen erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1998 – 3 StR 370/98), ohne dass es auf eine Unverwechselbarkeit des Kennzeichens ankommt (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 372; BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1998 – 3 StR 370/98, BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 5 Kennzeichen 1). Ob dieses auch von anderen, nicht verbotenen Vereinen oder in gänzlich anderem Kontext genutzt wird, ist für die Frage der Kennzeicheneigenschaft ohne Bedeutung. Denn andernfalls würden in die Prüfung, ob überhaupt ein Kennzeichen vorliegt, letztlich die außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung einbezogen; eine solche Gesamtbetrachtung ist indes wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des Tatbestands abzulehnen: Ein Kennzeichen muss vielmehr in seinem auf den verbotenen Verein hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1998 – 3 StR 370/98, BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 5 Kennzeichen 1; MüKoStGB/Heinrich, aaO; so im Ergebnis auch Groh, aaO; vgl. zu § 86a StGB auch BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 372).“
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Damit ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage höchstrichterlich bereits dahingehend beantwortet, dass auch das Abbild einer Person ein Kennzeichen im Sinne des § 9 Abs. 2 sowie § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG sein kann (so auch BGH, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 StR 109/13 – NStZ 2013, 733 <734> zum Abbild Abdullah Öcalans). Der Vortrag der Beschwerde zeigt keine neuen rechtlichen Gesichtspunkte auf, die dem beschließenden Senat Anlass zum Überdenken dieser Rechtsprechung geben könnten. Denn die von ihr angeführten Entscheidungen u. a. des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stellen die maßstäblichen Ausführungen des Bundesgerichtshofs nicht infrage.
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Im Übrigen zielt die Fragestellung auf eine
Tatfrage und ermöglicht schon deshalb keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn die Würdigung der Vorinstanz, das Abbild Abdullah Öcalans stelle ein Kennzeichen der verbotenen Organisation der PKK dar (UA S. 22 ff.), ist eine aufgrund freier tatrichterlicher Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) getroffene Tatsachenfeststellung. An diese wäre der beschließende Senat in dem erstrebten Revisionsverfahren gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 i. V. m. § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.