Internet-Radiorecorder II (Urteil des BGH 1. Zivilsenat)

BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 27.06.2024, AZ I ZR 14/21, ECLI:DE:BGH:2024:240624UIZR14.21.0

Art 3 Abs 1 EGRL 29/2001, Art 3 Abs 2 Buchst b EGRL 29/2001, Art 5 Abs 2 Buchst b EGRL 29/2001, Art 5 Abs 5 EGRL 29/2001, § 16 UrhG

Leitsatz

Internet-Radiorecorder II

Nutzer eines Internet-Radiorecorders können sich auf die Privatkopieschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG berufen, wenn sie private Vervielfältigungen anfertigen, indem sie sich auf der Internetseite des Dienstes Musiktitel aussuchen und ihre Titelauswahl in einer Wunschliste speichern, woraufhin der Dienst vollautomatisch die Sendung eines dieser Musiktitel aufnimmt, sobald dieser in einem angeschlossenen Internet-Radio gespielt wird, und diese Kopie in einem Speicherplatz des Kunden ablegt, der von dort aus die Musikaufnahme wiedergeben und herunterladen kann (Festhaltung an BGH, Urteil vom 5. März 2020 – I ZR 32/19, GRUR 2020, 738 = WRP 2020, 861 –; Internet-Radiorecorder I).

Verfahrensgang

vorgehend OLG Köln, 8. Januar 2021, Az: I-6 U 45/20, Urteil
vorgehend LG Köln, 13. Februar 2020, Az: 14 O 57/19, Urteil

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 8. Januar 2021 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist ein Unternehmen der Tonträgerindustrie. Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, betreibt einen Internetdienst unter dem Domainnamen „f.      .com“. Sie bietet auf ihrer Internetseite registrierten Kunden an, sich Musiktitel auszusuchen und ihre Titelauswahl in einer Wunschliste zu speichern. Weiter gibt sie an, dass sodann die Sendung eines Musiktitels mitgeschnitten werde, sobald dieser in einem angeschlossenen Internet-Radio gespielt werde. Eine Kopie werde dann in einem Speicherplatz des Kunden abgelegt, von wo aus die Musikaufnahmen wiedergegeben und heruntergeladen werden könnten. Hierfür bietet die Beklagte drei Tarifvarianten an. Daneben gibt es das Testangebot „f.       FREE“, bei dem 20 Musikstücke aus einem bestimmten, eingeschränkten Bereich gratis bezogen werden können.

2

Am 11. Januar 2019 überprüfte das Ermittlungsunternehmen pro Media GmbH im Auftrag der Klägerin den Dienst der Beklagten zu 1. Hierzu meldete sich der Zeuge L.      über ein zuvor von ihm eingerichtetes Nutzerkonto bei dem Dienst der Beklagten zu 1 an und suchte nach Titeln des Künstlers Thomas Anders. Sodann nahm er die 14 streitgegenständlichen Titel in seine Wunschliste auf. Am 14. Januar 2019 meldete er sich erneut bei dem Dienst der Beklagten zu 1 an und stellte fest, dass 13 Titel im Dateiformat MP3 zum Herunterladen bereitstanden. Am 16. Januar 2019 stand auch der weitere Titel zum Herunterladen bereit. Die Tonaufnahmen waren vollständig, ohne jegliche Unterbrechungen durch Moderation, Werbung, Nachrichten et cetera und wiesen eine gleichbleibend gute Qualität in einer Datenübertragungsrate von 192 Kilobit/Sekunde auf.

3

Die Klägerin sieht sich durch diesen Vorgang in ihren ausschließlichen Rechten verletzt, die Tonträger zu vervielfältigen und öffentlich zugänglich zu machen. Sie mahnte die Beklagte zu 1 ab und forderte sie in Bezug auf die streitgegenständlichen Musiktitel zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Anerkennung einer Schadensersatzverpflichtung und Zahlung von Abmahnkosten auf. Die Beklagtenseite reagierte nicht. Die Musiktitel waren weiterhin bei der Beklagten zu 1 verfügbar.

4

Das Landgericht hat der Klage antragsgemäß stattgegeben (LG Köln, Urteil vom 13. Februar 2020 – 14 O 57/19, juris). Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (OLG Köln, GRUR 2021, 1083). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

5

Der Senat hat das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 27. Mai 2021 vorgelegte Rechtssache (OGH, MMR 2021, 792) ausgesetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat durch Urteil vom 13. Juli 2023 (C­426/21, GRUR 2023, 1284 = WRP 2023, 1059 –; Ocilion IPTV Technologies) über das Vorlageersuchen entschieden.

Entscheidungsgründe

6

A. Das Berufungsgericht hat die Klage für unbegründet erachtet und hierzu ausgeführt:

7

Der Klägerin stünden gegenüber den Beklagten kein Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Annexansprüche auf Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung, Auskunftserteilung und Erstattung der Abmahnkosten zu. Zwar sei in zweiter Instanz unstreitig, dass der Klägerin an den Musiktiteln das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG) und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) zustehe; die Beklagten hätten diese Rechte der Klägerin jedoch nicht widerrechtlich verletzt. Der Nutzer und nicht die Beklagte zu 1 sei Hersteller der Vervielfältigung. Auch eine Haftung der Beklagten als Teilnehmer scheide mangels rechtswidriger Haupttat aus, da sich der Nutzer auf § 53 Abs. 1 UrhG berufen könne. Es handele sich nicht um eine (offensichtlich) rechtswidrige Kopie. Das Ergebnis des Dreistufentests gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft stehe der Anwendung des § 53 Abs. 1 UrhG nicht entgegen. Mangels Öffentlichkeit liege auch keine öffentliche Zugänglichmachung im Sinne des § 19a UrhG vor, da die Aufnahmen lediglich auf einem individuellen Speicherplatz zur Verfügung gestellt würden.

8

B. Die zulässige Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht eine Verletzung der der Klägerin als Tonträgerherstellerin gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG zustehenden ausschließlichen Rechte an den Musiktiteln (dazu nachfolgend B I) verneint. Die Beklagten haben weder täterschaftlich in das Vervielfältigungsrecht der Klägerin aus § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 16 UrhG eingegriffen (dazu nachfolgend B II), noch haften sie als mittelbare Täter, Mittäter oder Störer (dazu nachfolgend B III) oder Gehilfen (dazu nachfolgend B IV) für einen Eingriff in dieses Recht. Es fehlt auch an einer Verletzung des Rechts der Klägerin auf öffentliche Zugänglichmachung gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3, § 19a UrhG (dazu nachfolgend B V).

9

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, in zweiter Instanz stehe außer Streit, dass der Klägerin als Herstellerin der Tonträger an den streitgegenständlichen Musiktiteln des Künstlers Thomas Anders das nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 16 UrhG geschützte Vervielfältigungsrecht und das nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3, § 19a UrhG geschützte Recht der öffentlichen Zugänglichmachung zustehe und sie somit gemäß § 85 UrhG aktivlegitimiert sei. Diese Beurteilung wird von der Revision nicht angegriffen und lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.

10

II. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es bei der Inanspruchnahme des von der Beklagten zu 1 betriebenen Musikdienstes „f.      “ zu einem – für die Begründetheit sämtlicher Klageanträge nach § 97 Abs. 1 und 2 UrhG erforderlichen – Eingriff in das der Klägerin als Tonträgerherstellerin gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG zustehende, ausschließliche Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG) kommt. Das Berufungsgericht hat jedoch ebenfalls zu Recht angenommen, dass die Beklagten nicht Täter eines solchen Eingriffs sind.

11

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Speicherung der Musiktitel auf den Servern der Beklagten zu 1 eine Vervielfältigung im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 16 UrhG darstellt.

12

a) Als Vervielfältigung im Sinne des § 16 Abs. 1 UrhG ist jede körperliche Festlegung eines Werkes anzusehen, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen (BGH, Urteil vom 5. März 2020 –  ZR 32/19, GRUR 2020, 738 [juris Rn. 19] = WRP 2020, 861 –; Internet-Radiorecorder I; Urteil vom 28. Juli 2022 – I ZR 141/20, GRUR 2022, 1427 [juris Rn. 73] = WRP 2022, 1125 –; Elektronischer Pressespiegel II). Gemäß § 16 Abs. 2 UrhG ist eine Vervielfältigung auch die Übertragung des Werkes auf Vorrichtungen zur wiederholbaren Wiedergabe von Bild- oder Tonfolgen (Bild- oder Tonträger), gleichviel, ob es sich um die Aufnahme einer Wiedergabe des Werkes auf einen Bild- oder Tonträger oder um die Übertragung des Werkes von einem Bild- oder Tonträger auf einen anderen handelt. Danach stellt der Mitschnitt einer Rundfunksendung, für die ein Tonträger benutzt wird, eine Vervielfältigung des Tonträgers dar (Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl., § 85 Rn. 31).

13

b) Das Berufungsgericht hat – auf Grundlage des Vortrags der Beklagten – angenommen, dass das Speichern der Titel auf den Servern der Beklagten im dort für das Nutzerkonto des Zeugen L.     bereitgestellten Speicherplatz eine solche Vervielfältigung gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 16 UrhG darstellt. Diese Beurteilung erweist sich als rechtsfehlerfrei (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2009 – I ZR 216/06, GRUR 2009, 845 Rn. 14 = WRP 2009, 1001 –; Internet-Videorecorder I; BGH, GRUR 2020, 738 [juris Rn. 21] – Internet-Radiorecorder I) und wird von der Revision hingenommen.

14

2. Das Berufungsgericht nimmt weiter mit Recht an, dass Hersteller der Vervielfältigungsstücke nicht die Beklagten sind, sondern die Kunden der Beklagten zu 1 als Nutzer deren Internetdienstes.

15

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Beurteilung der Frage, wer Hersteller einer Vervielfältigung ist, zunächst allein auf eine technische Betrachtung an. Die Vervielfältigung ist als körperliche Festlegung eines Werks ein rein technisch-mechanischer Vorgang. Hersteller der Vervielfältigung ist daher derjenige, der diese körperliche Festlegung technisch bewerkstelligt. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob er sich dabei technischer Hilfsmittel bedient, selbst wenn diese von Dritten zur Verfügung gestellt werden (zu § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG vgl. BGH, GRUR 2009, 845 [juris Rn. 16] – Internet-Videorecorder I; GRUR 2020, 738 [juris Rn. 25] – Internet-Radiorecorder I; zustimmend Dreier in Dreier/Schulze aaO § 53 Rn. 14; Lüft in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 6. Aufl., § 53 UrhG Rn. 19; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel/Hentsch, Urheberrecht, 4. Aufl., § 53 UrhG Rn. 49; Grünberger, ZUM 2023, 309, 341; Lüghausen, Die Auslegung von § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG anhand des urheberrechtlichen Dreistufentests am Beispiel virtueller Privater Video Recorder, 2009, S. 132; Pech, On-Demand-Streaming-Plattformen, 2018, S. 71 f.; im Ergebnis zustimmend: v. Ungern-Sternberg, GRUR 2021, 1, 3; aA Haedicke, ZUM 2016, 594, 605; Stieper, jurisPR-WettbR 7/2020 Anm. 2 unter C; Müller, MMR 2020, 513, 515; Schaefer, GRUR 2020, 1248, 1250).

16

Danach ist allein der Kunde als Hersteller der Aufzeichnung eines Internet-Video- oder Radiorecorders anzusehen, wenn er eine Aufzeichnung unter Nutzung der vollständig automatisierten Vorrichtung des Anbieters des Internet-Recorders anfertigt, wobei seine Programmierung der Aufzeichnung einen Vorgang auslöst, der vollständig automatisiert ohne (menschlichen) Eingriff von außen abläuft. Die Aufzeichnung kann dem Anbieter des Internet-Recorders selbst dann nicht zugerechnet werden, wenn dieser sich nicht darauf beschränkt, seinen Kunden lediglich einen Speicherplatz für die Aufzeichnung der Vervielfältigung zur Verfügung zu stellen, sondern ein Gesamtpaket von Leistungen anbietet (BGH, GRUR 2009, 845 [juris Rn. 23] – Internet-Videorecorder I; Urteil vom 11. April 2013 – I ZR 152/11, GRUR 2013, 618 [juris Rn. 11] = WRP 2013, 793 –; Internet-Videorecorder II; GRUR 2020, 738 [juris Rn. 27] – Internet-Radiorecorder I).

17

b) Die Revision macht ohne Erfolg unionsrechtliche Bedenken gegen diese Maßstäbe geltend.

18

aa) Das in § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 16 UrhG geregelte Vervielfältigungsrecht setzt Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG um. Die Ausnahmen und Beschränkungen dieses Vervielfältigungsrechts sind in Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG erschöpfend aufgeführt (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-476/17, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 58] = WRP 2019, 1156 –; Pelham u.a., mwN). Gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG können die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Ausnahmen oder Beschränkungen hinsichtlich des in Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG verankerten ausschließlichen Vervielfältigungsrechts vorsehen, und zwar in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, wobei berücksichtigt wird, ob technische Maßnahmen gemäß Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG auf das betreffende Werk oder den betreffenden Schutzgegenstand angewendet wurden (EuGH, Urteil vom 24. März 2022 – C-433/20, GRUR 2022, 558 [juris Rn. 36] = WRP 2022, 582 –; Austro-Mechana; BGH, GRUR 2020, 738 [juris Rn. 30] – Internet-Radiorecorder I). Von dieser Befugnis hat der deutsche Gesetzgeber mit der Schutzschranke der Privatkopie gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG Gebrauch gemacht. Die Prüfung im Einzelfall auf der Grundlage der Kriterien des Unionsrechts ist Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten (EuGH, GRUR 2022, 558 [juris Rn. 40] – Austro-Mechana; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2022, 1777, 1786).

19

Der Begriff der „Vervielfältigung“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG ist weit zu verstehen, und zwar sowohl im Hinblick auf die im Erwägungsgrund 21 dieser Richtlinie zum Ausdruck gebrachte Anforderung, wonach die Definition der unter das Vervielfältigungsrecht fallenden Handlungen weit gefasst sein muss, um die Rechtssicherheit im Binnenmarkt zu gewährleisten, als auch im Hinblick auf den Wortlaut von Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG, der zur Beschreibung der Vervielfältigung Formulierungen wie „unmittelbare oder mittelbare“, „vorübergehende oder dauerhafte“ und „auf jede Art und Weise und in jeder Form“ enthält. Der Umfang eines solchen Schutzes der durch das Vervielfältigungsrecht geschützten Handlungen ergibt sich auch aus dem Hauptziel dieser Richtlinie, das darin besteht, ein hohes Schutzniveau zugunsten der Schutzberechtigten sicherzustellen (EuGH, GRUR 2022, 558 [juris Rn. 16] – Austro-Mechana; GRUR 2023, 1284 [juris Rn. 28] – Ocilion IPTV Technologies).

20

bb) Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG knüpft die Privilegierung an die Person, welche die Vervielfältigung vornimmt. Um sich auf die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG berufen zu können, ist indes nicht erforderlich, dass die betreffenden natürlichen Personen die Anlagen, Geräte oder Medien zur Vervielfältigung selbst besitzen. Sie können auch eine Vervielfältigungsdienstleistung durch einen Dritten in Anspruch nehmen, als notwendige tatsächliche Voraussetzung dafür, dass diese natürlichen Personen Privatkopien erhalten können (EuGH, Urteil vom 21. Oktober 2010 – C-467/08, Slg. 2010, I-10055 = GRUR 2011, 50 [juris Rn. 48] – Padawan; Urteil vom 29. November 2017 – C-265/16, GRUR 2018, 68 [juris Rn. 35] = WRP 2018, 48 –; VCAST). Der Begriff der „Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG umfasst dabei auch die Erstellung von Sicherungskopien urheberrechtlich geschützter Werke zu privaten Zwecken auf einem Server, auf dem der Anbieter von Rechner- oder Cloud-Computing-Dienstleistungen einem Nutzer Speicherplatz zur Verfügung stellt (EuGH, GRUR 2022, 558 [juris Rn. 33] – Austro-Mechana; GRUR 2023, 1284 [juris Rn. 29] – Ocilion IPTV Technologies). Dieser Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG entspricht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung von § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG.

21

cc) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben sich aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „VCAST“ (EuGH, GRUR 2018, 68) keine Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit dem Unionsrecht.

22

Gegenstand der Prüfung in dieser Rechtssache war die Dienstleistung eines Unternehmens, das seinen Kunden im Internet ein System zur Bildaufzeichnung in einem Datenspeicherbereich in der Cloud für terrestrisch ausgestrahlte Fernsehsendungen zur Verfügung stellt, die aus der Ferne aufgezeichnet werden können. Der Gerichtshof erkannte in der Gewährung des Zugangs zu den terrestrisch empfangenen Sendungen zum Zwecke der Vervielfältigung eine öffentliche Wiedergabe des Dienstleisters im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2001/29/EG, die durch die Privatkopieschranke nicht legalisiert werden könne (EuGH, GRUR 2018, 68 [juris Rn. 36 bis 52] – VCAST). Mit den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG befasst sich die Entscheidung nicht. Ihr kann deshalb – entgegen der Auffassung der Revision und der von ihr angeführten Literatur (Stieper, jurisPR-WettbR 7/2020 Anm. 2 unter C; ders., ZUM 2022, 455; ders. ZUM 2023, 832, 833; Brüß in Developments and Directions in Intellectual Property Law, 2023, S. 314, 325 f.) – insbesondere nicht die Aussage entnommen werden, der Gerichtshof erachte die in dieser Fallkonstellation vorgenommene Vervielfältigungshandlung als eine solche des Dienstleisters und nicht des privaten Nutzers. Der Gerichtshof weist vielmehr ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, dass die betreffenden natürlichen Personen zur Berufung auf Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG die Anlagen, Geräte oder Medien zur Vervielfältigung nicht selbst besitzen müssen, sondern auch eine Vervielfältigungsdienstleistung durch einen Dritten in Anspruch nehmen können (EuGH, GRUR 2018, 68 [juris Rn. 35] – VCAST).

23

dd) Entgegen der Auffassung der Revision lässt das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „Ocilion IPTV Technologies“ (EuGH, GRUR 2023, 1284) ebenfalls keine vernünftigen Zweifel an der Vereinbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit dem Unionsrecht aufkommen.

24

Danach sind Art. 2 und Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG dahin auszulegen, dass ein von einem Online-Fernsehübertragungsbetreiber kommerziellen Kunden angebotener Dienst, der es über eine Cloud-Hosting-Lösung oder mittels der vor Ort zur Verfügung gestellten erforderlichen Hard- und Software und jeweils auf Initiative seiner Endnutzer ermöglicht, Sendungen fortlaufend oder gezielt aufzunehmen, nicht unter die Ausnahme vom ausschließlichen Recht der Urheber und Sendeunternehmen, die Vervielfältigung geschützter Werke zu erlauben oder zu verbieten, fällt, wenn die von einem ersten Nutzer, der eine Sendung ausgewählt hat, erstellte Kopie vom Betreiber einer unbestimmten Zahl von Nutzern, die denselben Inhalt ansehen möchten, zur Verfügung gestellt wird (EuGH, GRUR 2023, 1284 [juris Rn. 50] – Ocilion IPTV Technologies).

25

Der Gerichtshof hebt hervor, dass es der (erste) Nutzer ist, der zunächst eine Kopie erstellt, die erst anschließend mit den Mitteln des Diensteanbieters anderen Endnutzern, die den Inhalt ansehen möchten, zur Verfügung gestellt wird (EuGH, GRUR 2023, 1284 [juris Rn. 44]). Der Umstand, dass die so erstellte Kopie keineswegs ausschließlich dem ersten Nutzer zur Verfügung stehe, sondern über das vom Anbieter offerierte System einer unbestimmten Zahl von Endnutzern zugänglich sein solle, die ihrerseits Kunden der Netzbetreiber seien, denen der Anbieter diese Technik zur Verfügung stelle, könne die berechtigten Interessen der Rechtsinhaber ungebührlich verletzen, so dass die Anwendung der sogenannten „Privatkopieausnahme“ auf einen solchen Dienst das Ziel beeinträchtigen könne, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheberrechtsinhaber und denen der Nutzer zu wahren (EuGH, GRUR 2023, 1284 [juris Rn. 45 und 49] – Ocilion IPTV Technologies).

26

Maßgeblich ist also, dass – im Unterschied zum Streitfall – nicht jeder Endnutzer ein eigenes Vervielfältigungsstück der fraglichen Programminhalte erstellt, sondern der Diensteanbieter allen Endnutzern, welche die betreffende Aufnahme programmiert haben, Zugang zu derselben Kopie gewährt (vgl. Rauer/Bibi, GRUR 2023, 1284, 1289; aA Stieper, ZUM 2023, 832, 833). Soweit der Generalanwalt noch dafürgehalten hat, es sei ohne Belang, ob nur eine Kopie existiert oder für jeden Nutzer eine individuelle Kopie bereitgehalten wird (Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-426/21 vom 15. Dezember 2022, juris Rn. 33, 37), hat dies im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union keinen Niederschlag gefunden (vgl. Heine, GRUR-Prax 2023, 608).

27

c) Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze haben – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – nicht die Beklagten, sondern die Kunden des Internet-Musikdienstes der Beklagten zu 1 die Vervielfältigungsstücke im Sinne des § 16 UrhG hergestellt.

28

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, in zweiter Instanz sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unstreitig, dass Hersteller der Vervielfältigungsstücke die Kunden der Beklagten, nicht die Beklagten, seien. Die Klägerin habe in zweiter Instanz nicht mehr an ihrem erstinstanzlichen Vortrag festgehalten, dass die Beklagte zu 1 zunächst Masterkopien auf ihrem Server aufspiele und diese dann nach Anfrage ihren Kunden zugänglich mache, sondern zugestanden, dass die Beklagten tatsächlich keine zentrale Kopie der Musikstücke vorhielten. Diese Beurteilung wird von der Revision hingenommen und lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.

29

bb) Da im Streitfall der Nutzer durch die Aufnahme der Musiktitel in die Wunschliste allein darüber entscheidet, welche Musikstücke mithilfe der von den Beklagten bereitgestellten Software aufgezeichnet und in dem ihm zugewiesenen Speicherplatz abgelegt werden, ist er auch in Ansehung des von der Beklagten zu 1 erbrachten Gesamtpakets an Leistungen als Hersteller der Vervielfältigung anzusehen (vgl. BGH, GRUR 2020, 738 [juris Rn. 33, 35 und 38] – Internet-Radiorecorder I). Der Nutzer löst den Aufnahmevorgang aus, der dann – ohne Eingriffe der Beklagten – vollkommen automatisiert abläuft. Die Beklagte zu 1 stellt ihren Kunden lediglich die für die Aufzeichnung einer Privatkopie erforderlichen Gerätschaften zur Verfügung.

30

III. Die Revision wendet sich nicht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagten hafteten weder als mittelbare Täter noch – gemeinsam mit den Nutzern des Internetdienstes – als Mittäter, noch als Störer. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich (zu den Voraussetzungen dieser Haftungstatbestände vgl. BGH, GRUR 2020, 738 [juris Rn. 42] – Internet-Radiorecorder I).

31

IV. Das Berufungsgericht hat zu Recht eine Haftung der Beklagten als Gehilfen einer rechtswidrigen Vervielfältigungshandlung der Nutzer des Internetdienstes der Beklagten verneint.

32

1. Die Gehilfenhaftung setzt neben einer beihilfefähigen Haupttat eine objektive Beihilfehandlung und einen zumindest bedingten Vorsatz in Bezug auf die Haupttat voraus, der das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit einschließen muss (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2018 – I ZR 136/17, GRUR 2019, 79 [juris Rn. 25] = WRP 2019, 73 –; Tork, mwN; BGH, GRUR 2020, 738 [juris Rn. 45] – Internet-Radiorecorder I; GRUR 2021, 1304 [juris Rn. 34] – Die Filsbacher).

33

Eine beihilfefähige rechtswidrige Haupttat (§ 27 Abs. 1 StGB) liegt vor, wenn der die Vervielfältigung vornehmende Nutzer eines Musikdienstes eine rechtswidrige Urheber- oder Leistungsschutzrechtsverletzung gemäß § 97 Abs. 1 und 2 UrhG begeht und sich nicht auf die Schutzschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG berufen kann (BGH, GRUR 2020, 738 [juris Rn. 46] – Internet-Radiorecorder I). Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG sind einzelne Vervielfältigungen eines Werks durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern zulässig, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen und soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird.

34

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass es im Streitfall an einer rechtswidrigen Haupttat fehlt, weil die Nutzer des Internet-Radiorecorders der Beklagten zu 1 zwar Vervielfältigungen herstellen, sie sich hierbei jedoch auf die Privatkopieschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG berufen können.

35

a) Von der Revision unbeanstandet und rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht festgestellt, dass es sich bei dem Internet-Radiorecorder der Beklagten zu 1 um einen Musikdienst für Privatpersonen handelt, dessen Nutzer als natürliche Personen zum privaten Gebrauch einzelne Vervielfältigungen fertigen.

36

b) Ob die Anwendung der Privatkopieschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG im Streitfall – wie die Revision geltend macht – deshalb ausgeschlossen ist, weil die Rechtsinhaber für die Kopie des jeweiligen Musikstücks, die dem Nutzer auf dem ihm zugewiesenen Speicherplatz in der Cloud zur Verfügung gestellt wird, keinen gerechten Ausgleich erhalten, kann offenbleiben. Denn das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass ein gerechter Ausgleich durch das bestehende Vergütungssystem gewährleistet ist.

37

aa) Nach § 54 Abs. 1 UrhG hat der Urheber, wenn die Art des Werks eine nach § 53 Abs. 1 oder 2 oder den §§ 60a bis 60f UrhG erlaubte Vervielfältigung erwarten lässt, gegen den Hersteller von Geräten und von Speichermedien, deren Typ allein oder in Verbindung mit anderen Geräten, Speichermedien oder Zubehör zur Vornahme solcher Vervielfältigungen benutzt wird, Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung. Nach § 54b Abs. 1 UrhG haftet neben dem Hersteller als Gesamtschuldner, wer die Geräte oder Speichermedien in den Geltungsbereich des Urheberrechtsgesetzes gewerblich einführt oder wiedereinführt oder wer mit ihnen handelt. Die Vorschrift des § 54f Abs. 1 Satz 1 UrhG sieht vor, dass der Urheber von dem nach § 54 oder § 54b UrhG zur Zahlung der Vergütung Verpflichteten Auskunft über die Art und Stückzahl der im Geltungsbereich des Gesetzes veräußerten oder in Verkehr gebrachten Geräte und Speichermedien verlangen kann. Der Zahlungsanspruch steht dem Urheber zu, der ihn gemäß § 54h Abs. 1 UrhG aber nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend machen kann. Jeder Berechtigte hat jedoch gemäß § 54h Abs. 2 Satz 1 UrhG Anspruch auf einen angemessenen Anteil an den gezahlten Vergütungen.

38

Über den Verweis in § 85 Abs. 4 UrhG auf die Vorschriften des Teils 1 Abschnitt 6 kommen sämtliche für Urheber geltende Schrankenbestimmungen der §§ 44a ff. UrhG, einschließlich der dort geregelten gesetzlichen Vergütungsansprüche, auch für Tonträgerhersteller zur Anwendung (vgl. BeckOK. Urheberrecht/Stang, 40. Edition [Stand: 15. Januar 2022], § 85 Rn. 36).

39

bb) Die im deutschen Urheberrechtsgesetz vorgesehenen Regelungen über die Zahlung der Gerätevergütung entsprechen den unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2022 – I ZR 10/22, GRUR 2023, 479 [juris Rn. 25 ff.] = WRP 2023, 461 –; rakuten.de).

40

(1) Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG bringt – wie den Erwägungsgründen 35 und 38 zu entnehmen ist – den Willen des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, ein besonderes Ausgleichssystem zu schaffen, das eingreift, wenn den Rechtsinhabern ein Schaden entsteht, der grundsätzlich eine Verpflichtung zur Vergütung oder zum Ausgleich begründet (EuGH, Urteil vom 23. November 2023 – C-260/22, GRUR 2024, 51 [juris Rn. 32] = WRP 2024, 49 –; Seven.One Entertainment Group; EuGH, GRUR 2022, 558 [juris Rn. 37] – Austro-Mechana). Das System, welches dem gerechten Ausgleich zugrunde liegt, und seine Höhe müssen deshalb einen Bezug zu dem Schaden haben, der den Rechtsinhabern aufgrund der Herstellung der Privatkopien entstanden ist (EuGH, GRUR 2024, 51 [juris Rn. 37, 44] – Seven.One Entertainment Group).

41

(2) Da die Bestimmungen der Richtlinie 2001/29/EG keine genaueren Angaben zu den verschiedenen Elementen der Regelung des gerechten Ausgleichs enthalten, verfügen die Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Elemente über ein weites Ermessen. Insbesondere bestimmen die Mitgliedstaaten, welche Personen diesen Ausgleich zu zahlen haben, und legen dessen Form, Einzelheiten und Höhe fest (EuGH, GRUR 2024, 51 [juris Rn. 35] – Seven.One Entertainment Group; GRUR 2022, 558 [juris Rn. 41] – Austro-Mechana). Grundsätzlich ist die Person, welche die Privatkopie erstellt, zum Ersatz des damit verbundenen Schadens verpflichtet, indem sie den Ausgleich finanziert, der an den Rechtsinhaber gezahlt wird. Wird also im Rahmen des Cloud-Computing eine Speicherdienstleistung angeboten, so hat grundsätzlich der Nutzer dieser Dienstleistung den Ausgleich zu finanzieren, der an den Rechtsinhaber gezahlt wird (EuGH, GRUR 2011, 50 [juris Rn. 45] – Padawan; EuGH, Urteil vom 5. März 2015 – C-463/12, GRUR 2015, 478 [juris Rn. 22] = WRP 2015, 706 –; Copydan Båndkopi; Urteil vom 22. September 2016 – C-110/15, GRUR 2017, 155 [juris Rn. 30] = WRP 2016, 294 –; Microsoft Mobile Sales International; EuGH, GRUR 2022, 558 [juris Rn. 43] – Austro-Mechana).

42

(3) Den Mitgliedstaaten steht es allerdings frei, zur Finanzierung des gerechten Ausgleichs eine Abgabe für Privatkopien einzuführen, die nicht die betreffenden Privatpersonen, sondern diejenigen belastet, die über Anlagen, Geräte und Medien zur digitalen Vervielfältigung verfügen und sie zu diesem Zweck Privatpersonen rechtlich oder tatsächlich zur Verfügung stellen oder ihnen die Dienstleistung einer Vervielfältigung erbringen. Im Rahmen eines solchen Systems haben die über diese Anlagen verfügenden Personen die Abgabe für Privatkopien zu leisten. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es mit praktischen Schwierigkeiten behaftet ist, die privaten Nutzer zu identifizieren und sie zu verpflichten, den Inhabern des ausschließlichen Vervielfältigungsrechts den ihnen zugefügten Schaden zu vergüten. Der Schaden, der sich aus jeder privaten Nutzung ergeben kann, kann sich zudem – einzeln betrachtet – möglicherweise als geringfügig erweisen und deshalb keine Zahlungsverpflichtung begründen. Diese Regelung erlaubt es den Schuldnern der Abgabe für Privatkopien, deren Betrag in den Preis für die Überlassung dieser Anlagen, Geräte oder Medien zur Vervielfältigung oder in den Preis für die erbrachte Vervielfältigungsleistung einfließen zu lassen. Die Belastung durch die Abgabe wird letztlich vom privaten Nutzer getragen, der diesen Preis zahlt (EuGH, GRUR 2017, 155 [juris Rn. 34 f.] – Microsoft Mobile Sales International; GRUR 2022, 558 [juris Rn. 44 f., 47] – Austro-Mechana).

43

(4) Da das Hoch- und Herunterladen urheberrechtlich geschützter Inhalte bei der Nutzung von Cloud-Computing-Dienstleistungen als ein einheitliches Verfahren zum Zweck des privaten Kopierens angesehen werden kann, können die Mitgliedstaaten im Licht des weiten Ermessens, über das sie verfügen, ein System einführen, in dem ein gerechter Ausgleich nur in Bezug auf Geräte oder Speichermedien gezahlt wird, die einen notwendigen Teil dieses Verfahrens darstellen, sofern angenommen werden kann, dass dieser Ausgleich dem sich für die Inhaber des Urheberrechts ergebenden etwaigen Schaden entspricht. In diesem Zusammenhang steht es den Mitgliedstaaten zwar frei, bei der Festlegung der Abgabe für Privatkopien den Umstand zu berücksichtigen, dass bestimmte Geräte und Speichermedien im Rahmen des Cloud-Computing zum Erstellen von Privatkopien genutzt werden können. Sie haben sich jedoch zu vergewissern, dass die so gezahlte Abgabe, soweit im Rahmen dieses einheitlichen Prozesses mehrere Geräte und Speichermedien von ihr betroffen sind, nicht über den sich für die Rechtsinhaber durch die betreffende Handlung ergebenden etwaigen Schaden hinausgeht (EuGH, GRUR 2022, 558 [juris Rn. 52 f.] – Austro-Mechana).

44

(5) Die im deutschen Urheberrechtsgesetz vorgesehenen Regelungen über die Vergütungspflichten als gerechter Ausgleich für Privatkopien (§§ 54 ff. UrhG) entsprechen diesen unionsrechtlichen Vorgaben (aA Brüß aaO S. 314, 327 f.; Schaefer, GRUR 2020, 1248, 1253). Unionsrechtlich ist es – entgegen der Auffassung der Revision – angesichts des weiten Ermessens der Mitgliedstaaten nicht geboten, Musikaufnahmedienste, welche über eine hoch entwickelte Aufnahmesoftware privaten Nutzern ermöglichen, digitale Kopien von Musikstücken zu erstellen und diese auf (ausgelagerten) Datenspeichern über das Internet abzulegen, in den Kreis der Schuldner der Gerätevergütung (§ 54 Abs. 1, § 54b Abs. 1 und 2 UrhG) aufzunehmen. Der unionsrechtlich geforderte gerechte Ausgleich für den infolge der Vervielfältigung erlittenen Schaden der Rechtsinhaber wird auch im Fall der in die Cloud ausgelagerten Speicherung durch einen Musikaufnahmedienst sichergestellt, indem beim Erwerb der für die Nutzung eines Musikaufnahmedienstes erforderlichen Geräte (z.B. Smartphones, Tablets oder Computern) die Vergütung für Privatkopien anfällt.

45

c) Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass bei den im Streitfall von den Nutzern des Musikdienstes der Beklagten zu 1 vorgenommenen Vervielfältigungen keine (offensichtlich) rechtswidrig hergestellten oder öffentlich zugänglich gemachten Vorlagen verwendet wurden.

46

aa) Rechtswidrig hergestellt im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG ist eine Vorlage, wenn sie unter Verletzung der Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers oder sonstigen Berechtigten erstellt worden ist, wenn also der für die Herstellung Verantwortliche über kein entsprechendes Nutzungsrecht verfügt und auch keine gesetzliche Schrankenbestimmung eingreift (Loewenheim/Stieper in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Aufl., § 53 UrhG Rn. 18; Reinbacher, GRUR 2008, 394, 395). Die Darlegungs- und Beweislast für die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Vorlagenerstellung trägt der Rechtsinhaber (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts, BT-Drucks. 16/1828, S. 26; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE u.a., Drucks. 18/195, BT-Drucks. 18/246, S. 2 f.; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel/Hentsch aaO § 53 UrhG Rn. 135).

47

Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht schlüssig dargelegt und mit geeigneten Mitteln unter Beweis gestellt, dass die Vorlagen rechtswidrig gewesen seien. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände spreche im Gegenteil eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Aufnahmen aus legalen Quellen, nämlich legalen Internet-Radiosendungen, stammten. Gegen diese Beurteilung erhebt die Revision keine gesonderten Rügen; sie ist auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

48

bb) Ob eine Vorlage im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG mit Blick auf das Recht des Tonträgerherstellers gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 UrhG rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht ist, beurteilt sich nach § 19a UrhG (vgl. Loewenheim/Stieper in Schricker/Loewenheim aaO § 53 UrhG Rn. 18).

49

(1) Gemäß § 19a UrhG ist das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist. Bei dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung handelt es sich um ein besonderes Recht der öffentlichen Wiedergabe (vgl. § 15 Abs. 2 und 3 UrhG). Die im Streitfall in Rede stehende öffentliche Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung fällt in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG. Da es sich um harmonisiertes Recht handelt, sind die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Urheberrechtsgesetzes richtlinienkonform auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 – I ZR 228/14, BGHZ 206, 365 [juris Rn. 30 bis 41] – Ramses; Urteil vom 11. Januar 2018 – I ZR 85/17, GRUR 2018, 608 [juris Rn. 22] – Krankenhausradio; BGH, GRUR 2020, 1297 [juris Rn. 11] – Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen, jeweils mwN).

50

(2) Der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG hat zwei Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe und die Öffentlichkeit dieser Wiedergabe, und erfordert eine individuelle Beurteilung. Im Rahmen der individuellen Beurteilung sind eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbständig und miteinander verflochten sind. Da diese Kriterien im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können, sind sie einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden (st. Rspr.; vgl. nur EuGH, Urteil vom 20. April 2023 – C-775/21 und C-826/21 GRUR 2023, 717 [juris Rn. 47 f.] = WRP 2023, 681 –; Blue Air Aviation/UCMR – ADA u.a., mwN; EuGH, GRUR 2023, 1284 [juris Rn. 56 und 58] – Ocilion IPTV Technologies).

51

(3) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff der Öffentlichkeit nur bei einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt. Mit dem Kriterium „recht viele Personen“ ist gemeint, dass der Begriff der Öffentlichkeit nur bei Überschreitung einer bestimmten Mindestschwelle erfüllt ist und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Zur Bestimmung dieser Zahl von Personen ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergibt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben (vgl. EuGH, Urteil vom 31. Mai 2016 – C-117/15, GRUR 2016, 684 [juris Rn. 40 bis 44] – Reha Training/GEMA; GRUR 2023, 717 [juris Rn. 54] – Blue Air Aviation/UCMR – ADA u.a., jeweils mwN; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2024 – I ZR 34/23, GRUR 2024, 381 [juris Rn. 22 f.] = WRP 2024, 476 –; Seniorenwohnheim).

52

(4) Eine Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG setzt voraus, dass Werke oder Schutzgegenstände in einer Weise für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, umfasst also nur „interaktive Übertragungen auf Abruf“ (EuGH, Urteil vom 26. März 2015 – C-279/13, GRUR 2015, 477 [juris Rn. 25 f.] = WRP 2015, 704 –; C More Entertainment).

53

(5) Im Fall von Funksendungen, die als kundenindividuelle Vervielfältigungen gespeichert werden, liegt keine Zugänglichmachung einer Funksendung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2, § 15 Abs. 3, § 19a UrhG an eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit vor, wenn jede einzelne Aufzeichnung nur jedem einzelnen Kunden zugänglich ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kunden, welche die Vervielfältigung einer bestimmten Sendung aus dem Programm des Sendeunternehmens bestellt und erhalten haben, in ihrer Gesamtheit eine Öffentlichkeit im Sinne des § 15 Abs. 3 UrhG bilden. Denn das in § 19a UrhG geregelte Recht der öffentlichen Zugänglichmachung bezieht sich auf die Bereithaltung eines bestimmten Werks zum Abruf durch Mitglieder der Öffentlichkeit von Orten und Zeiten ihrer Wahl. In dem an jedermann gerichteten Angebot zur Aufzeichnung und zum Abruf künftig ausgestrahlter und gespeicherter Sendungen kann kein öffentliches Zugänglichmachen gesehen werden, weil sich das betreffende Werk zur Zeit des Angebots nicht in der Zugriffssphäre des Vorhaltenden befindet (BGH, GRUR 2009, 845 [juris Rn. 26 f.] – Internet-Videorecorder I; BGH, GRUR 2013, 618 [juris Rn. 22] – Internet-Videorecorder II; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. April 2019 – I ZR 113/18, GRUR 2019, 725 [juris Rn. 15] = WRP 2019, 890 –; Deutsche Digitale Bibliothek I; aA Schack, GRUR 2007, 639, 642; Wiebe, CR 2007, 28, 33).

54

Diese Maßstäbe sind – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – auf die im Streitfall betroffenen Tonaufnahmen von Musikstücken übertragbar. Entscheidungserhebliche Unterschiede zur Behandlung von Funksendungen sind nicht erkennbar. Auch im Streitfall stellt die Beklagte zu 1 Mitschnitte der vom jeweiligen Nutzer ausgewählten Musiktitel aus Sendungen einer Vielzahl von Internet-Radios auf einem cloud-basierten individuellen Speicherplatz der jeweiligen Kunden bereit.

55

(6) Danach hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, im Streitfall fehle es an einer öffentlichen Zugänglichmachung, weil sich die jeweils neu auf Anfrage in einem vollständig automatisierten Verfahren gefertigten, nicht auf eine „Masterkopie“ zurückgreifenden Tonaufzeichnungen auf einem individuellen Speicherplatz befänden, so dass die Beklagte zu 1 sie nicht für eine Öffentlichkeit zum Abruf bereithalte.

56

(7) Offenbleiben kann danach, ob – wie die Revision geltend macht – das in § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG vorgesehene Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit der Vorlage mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG vereinbar ist.

57

d) Frei von Rechtsfehlern ist weiter die Beurteilung des Berufungsgerichts, der sogenannte Dreistufentest gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG stehe der Anwendung der Schutzschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG im Streitfall nicht entgegen.

58

aa) Nach Art. 5 Abs. 5 in Verbindung mit Erwägungsgrund 44 der Richtlinie 2001/29/EG dürfen die in Art. 5 Abs. 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen – wie hier die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG genannte und mit § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG umgesetzte Beschränkung – (erste Stufe) nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen (zweite Stufe) die normale Verwertung des Werks oder sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und (dritte Stufe) die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden. Diese Regelung enthält in erster Linie eine Gestaltungsanordnung gegenüber dem nationalen Gesetzgeber in Bezug auf die im Einzelnen zu konkretisierenden Schranken des Urheberrechts. Darüber hinaus ist der Dreistufentest Maßstab für die Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes im Einzelfall (BGH, Urteil vom 28. November 2013 – I ZR 76/12, GRUR 2014, 549 [juris Rn. 46] = WRP 2014, 699 –; Meilensteine der Psychologie, mwN; Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 228/15, GRUR 2020, 859 [juris Rn. 69 f] = WRP 2020, 1050 –; Reformistischer Aufbruch II).

59

bb) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, das Erfordernis der Beschränkung auf bestimmte Sonderfälle (erste Stufe) sei erfüllt.

60

(1) § 53 UrhG regelt einen bestimmten Sonderfall und ist daher auch immer nur in diesem bestimmten Sonderfall anwendbar. Diese Vorschrift beschränkt das Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers und erklärt Vervielfältigungshandlungen zu privaten Zwecken in bestimmten Grenzen für zustimmungsfrei. Die erste Stufe im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG verlangt dagegen nicht, dass die einen Sonderfall regelnde Ausnahme oder Beschränkung ihrerseits nur in einem – bezogen auf die Schrankenregelung – Sonderfall angewendet wird (BGH, GRUR 2020, 859 [juris Rn. 71 mwN] – Reformistischer Aufbruch II). Entscheidend ist vielmehr, welchem Zweck die jeweilige Schrankenregelung dient (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – C-360/13, GRUR 2014, 656 [juris Rn. 55] = WRP 2014, 825 –; PRC/NLA). § 53 UrhG trägt dem Interesse der Allgemeinheit Rechnung, für private Vervielfältigungen von geschützten Werken keine Zustimmung des Rechtsinhabers einholen zu müssen; das Vergütungsinteresse des Rechtsinhabers wird durch die Vergütungspflicht nach § 54 ff. UrhG gewahrt (vgl. Loewenheim/Stieper in Schricker/Loewenheim aaO § 53 UrhG Rn. 1). Es kommt hinzu, dass es für den Rechtsinhaber schwierig ist, die Nutzung der geschützten Werke durch Personen, die über einen rechtmäßigen Zugang verfügen, zu kontrollieren. Außerdem könnte eine solche Kontrolle einen unzulässigen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Privatleben der Nutzer darstellen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-265/16 vom 7. September 2017 Rn. 61 – VCAST zu Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG).

61

(2) Diese Zwecke der Privatkopieausnahme sind entgegen der Auffassung der Revision auch im Streitfall erfüllt. Der Dienst der Beklagten zu 1 gibt dem Nutzer lediglich die Möglichkeit zur erleichterten Nutzung von Werken, auf die er bereits Zugriff nehmen kann. Die Beklagte zu 1 hat demgegenüber keine Kenntnis davon, ob, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Internet-Radio die jeweiligen Musiktitel abgespielt werden. Die zu vervielfältigenden Titel sind der Beklagten zu 1 zuvor nicht bekannt, so dass die Einholung einer Gestattung bei den Rechtsinhabern im Vorfeld ausscheidet. Die Auswahl der gewünschten Titel und die Nutzung der Schutzgegenstände erfolgt in der Privatsphäre der Nutzer. Die Existenz vorbestehender Titellisten, aus denen sich der Nutzer eine Wunschliste zusammenstellen kann, steht dem nicht entgegen, sondern erleichtert lediglich die Nutzung. Die Schutzschranke bleibt auf die Herstellung einer Kopie mittels eines automatisierten Internet-Radiorecorders und damit auf einen Sonderfall beschränkt.

62

cc) Weiterhin ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass eine Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes (zweite Stufe) nicht vorliegt.

63

(1) Voraussetzung einer solchen Beeinträchtigung ist, dass die fragliche Nutzung zur herkömmlichen Nutzung in unmittelbaren Wettbewerb tritt, also in die Primärverwertung eingegriffen wird (vgl. BGH, GRUR 2014, 549 [juris Rn. 50 und 52] – Meilensteine der Psychologie; GRUR 2020, 859 [juris Rn. 72] – Reformistischer Aufbruch II; Bornkamm in Festschrift Erdmann, 2002, S. 29, 46 f.).

64

(2) Das Berufungsgericht hat angenommen, im Streitfall sei nicht zu besorgen, dass die Anwendung der Privatkopieschranke den Umfang an Verkäufen oder anderen rechtmäßigen Transaktionen im Zusammenhang mit geschützten Werken verringern werde. Die Vervielfältigung der Musikwerke in Form einer Privatkopie ziele allein auf den Genuss und das Anhören der Werke, nicht auf eine wirtschaftliche Verwertung. Da die Erstellung der betreffenden Kopien einen Bestandteil des Anhörens der Werke bilde, könne eine solche die Verwertung der Werke nicht beeinträchtigen. Der Nutzer trete mit der Vervielfältigung zum Werkgenuss gerade nicht in einen unmittelbaren Wettbewerb zur herkömmlichen Nutzung durch die Klägerin; er konkurriere weder auf dem Werbemarkt noch auf einem sonstigen Markt mit der Klägerin als Inhaber der Verwertungsrechte an den streitgegenständlichen Musiktiteln. Diese Beurteilung weist keinen Rechtsfehler auf.

65

(3) Die Revision macht vergeblich geltend, der Dienst der Beklagten zu 1 stehe in unmittelbarer Konkurrenz zu den vorhandenen, lizenzierten Plattformen. Es unterliegt keinem unionsrechtlichen Zweifel, dass bei der Vornahme des Drei-Stufen-Tests auf den durch die jeweilige Schranke begünstigten Nutzer abzustellen ist (vgl. EuGH, GRUR 2023, 1284 [juris Rn. 33] – Ocilion IPTV Technologies; Grünberger, ZUM 2021, 257, 275; aA Schäfer, GRUR 2020, 1248, 1252), im Streitfall also nicht die Beklagte zu 1, sondern ihre privaten Kunden (s. vorstehend Rn. 27 bis 29). Deren Möglichkeit, mithilfe des Dienstes der Beklagten zu 1 zahlreiche Musiktitel auch außerhalb des Zeitfensters der jeweiligen Internet-Radiosendungen wiederholt anzuhören, zählt zum normalen Werkgenuss, den die Privatkopie gerade ermöglichen soll (zu Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vgl. EuGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – C-360/13, GRUR 2014, 654 [juris Rn. 61] = WRP 2014, 825 –; Public Relations Consultants Association). Dass die akustische Qualität einer digitalen Kopie gegenüber derjenigen eines analogen Mediums – wie einer Tonbandkassette – verbessert ist, trägt der technischen Entwicklung Rechnung und soll den Nutzern geschützter Werke, die eine Schrankenregelung in Anspruch nehmen, gerade zugutekommen (vgl. EuGH, GRUR 2022, 558 [juris Rn. 26 ff.] – Austro-Mechana).

66

dd) Schließlich wendet sich die Revision ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es an einer ungebührlichen Verletzung der berechtigten Interessen des Rechtsinhabers (dritte Stufe) fehle.

67

(1) Ob eine solche Verletzung vorliegt, ist durch eine im Wege der Interessenabwägung vorzunehmende Gebotenheitsprüfung und die Feststellung zu ermitteln, ob das Bedürfnis an einem Zugänglichmachen die Beeinträchtigung des Rechtsinhabers überwiegt (vgl. BGH, GRUR 2014, 549 [juris Rn. 56] – Meilensteine der Psychologie; GRUR 2020, 859 [juris Rn. 73] – Reformistischer Aufbruch II).

68

(2) Das Berufungsgericht hat angenommen, der von der Beklagten zu 1 angebotene Musikdienst beschränke sich im Gegensatz zum dem von „VCAST“ angebotenen Dienst auf die Privatsphäre der Nutzer. Für die Rechtsinhaber sei es – ebenso wie bei der Verwendung analoger Aufnahmegeräte – nahezu unmöglich, die Nutzung der geschützten Werke durch die Kunden der Beklagten zu kontrollieren. Diese verfügten mittels des Internets über einen rechtmäßigen Zugang zu den Internet-Radios. Die Beklagte zu 1 werde aufgrund des nach einer „Bestellung“ vollautomatisiert ablaufenden Prozesses lediglich als Werkzeug ihrer Nutzer tätig und übernehme gerade keine gezielte Beschaffung der Vervielfältigungsvorlage in einem öffentlichen Bereich. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision stand.

69

(3) Die Vervielfältigung der Musiktitel im Rahmen der Nutzung des Internetdienstes der Beklagten zu 1 trägt dem Zweck der Privatkopieschranke in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise Rechnung. Die Revision vermag eine Gefährdung des angemessenen Gleichgewichts zwischen den berechtigten Interessen der Nutzer und der Rechtsinhaber nicht aufzuzeigen. Der Internetdienst der Beklagten dient lediglich als Hilfsmittel, das es – ähnlich wie ein analoger Kassettenrecorder – dem einzelnen Nutzer ermöglicht, eine Sendung individuell zeitversetzt zu hören. Soweit die Revision geltend macht, es fehle an einem Ausgleich für den Eingriff in die Rechte der Klägerin, übersieht sie die durch die Gerätevergütung nach den §§ 54 ff. UrhG erfolgende Kompensation der Privatkopieausnahme.

70

V. Die Revision bleibt schließlich aus den bereits vorstehend (Rn. 48 bis 56) dargelegten Gründen erfolglos, soweit sie sich gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts wendet, die Beklagten hätten nicht als Täter rechtswidrig in das der Klägerin gemäß § 19a, § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 UrhG zustehende Recht der öffentlichen Zugänglichmachung eingegriffen.

71

VI. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – 283/81, Slg. 1982, 3415 [juris Rn. 21] = NJW 1983, 1257 –; Cilfit u.a.; Urteil vom 1. Oktober 2015 – C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 [juris Rn. 43] – Doc Generici; Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 32 f.] – Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi). Im Streitfall stellt sich – wie ausgeführt (vgl. Rn. 17 bis 26; 39 bis 44; 56) –  keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist.

72

C. Danach ist die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

  • Koch
  • Schwonke
  • Feddersen
  • Schmaltz
  • Odörfer
Kategorien: Allgemein