Gesamtschau beim Vorsatz im Wehrdisziplinarverfahren (Urteil des BVerwG 2. Wehrdienstsenat)

BVerwG 2. Wehrdienstsenat, Urteil vom 25.06.2024, AZ 2 WD 15/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:250624U2WD15.23.0

Leitsatz

1. Bestreitet ein Soldat, einen für ein Dienstvergehen wesentlichen Umstand gekannt zu haben, ist über das Vorliegen des Vorsatzes aufgrund einer Gesamtschau aller subjektiven und objektiven Umstände zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 – 4 StR 266/20 – StV 2021, 487 Rn. 10).

2. Die Einstellung eines Strafverfahrens wegen Kindesmissbrauchs nach § 153a Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO, hindert das Wehrdienstgericht nicht, den Soldaten wegen dieser Tat im Disziplinarverfahren aus dem Dienst zu entfernen.

Verfahrensgang

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 29. August 2023, Az: S 3 VL 57/19, Urteil

Tenor

Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 3. Kammer des Truppendienstgerichts … vom 29. August 2023 wird zurückgewiesen.

Der Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen.

Tatbestand

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Das Berufungsverfahren betrifft den Vorwurf des Kindesmissbrauchs.

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1. Der … geborene Soldat verfügt über den Realschulabschluss und eine Kfz-Mechanikerausbildung. Er ist ledig und trat 1999 als Unteroffizieranwärter in die Bundeswehr ein, wurde zum Hubschraubermechaniker ausgebildet und im September … für die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zugelassen. Er absolvierte die Ausbildung zum Hubschrauber-Offizier Fachdienst und wurde … unter Verleihung der Eigenschaft eines Berufssoldaten zum Leutnant ernannt. Ab April … war er als SAR-Einsatzoffizier und Wachleiter in der SAR-Leitstelle Land in … eingesetzt. … wurde er zum Hauptmann befördert.

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In seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom 18. Februar 2016 wurden seine Leistungen mit einem Durchschnittswert von „6,20“ bewertet. Der Soldat sei ein lebenserfahrener und gestandener sowie sehr leistungsfähiger Offizier, der sich äußerst gewinnbringend in die SAR-Leitstelle einbringe. Der Soldat ist berechtigt, die Einsatzmedaille der Bundeswehr in Bronze für die Teilnahme am EUFOR-Einsatz der Bundeswehr in Bosnien und Herzegowina 2009 sowie das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Gold zu tragen. Die Auskunft aus dem Zentralregister sowie der Auszug aus dem Disziplinarbuch weisen keine Eintragungen auf.

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2. Wegen des Vorwurfs des Kindesmissbrauchs wurde am 27. Januar 2017 das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen den Soldaten eingeleitet. Gleichzeitig wurde er unter Kürzung seiner Bezüge um 30 Prozent vorläufig des Dienstes enthoben. Im sachgleichen Strafverfahren ging das Landgericht … davon aus, dass der von der Staatsanwaltschaft angeklagte schwere sexuelle Missbrauch eines Kindes wegen eines Irrtums des Soldaten über dessen Alter voraussichtlich nicht nachgewiesen werden könne. Das öffentliche Interesse an der Verfolgung des minder schweren Vergehens des sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen könne bei Zahlung von 4 000 € an die Geschädigte entfallen. Nach Überweisung des Betrages stellte es das Verfahren am 5. April 2019 gemäß § 153a Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO ein.

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3. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 14. Oktober 2019 und Nachtragsanschuldigung vom 9. August 2023 zwei Missbrauchshandlungen zur Last gelegt, die er am selben Tag begangen habe. Die durch die Nachtragsanschuldigung vorgeworfene erste Missbrauchshandlung soll am Morgen des 22. Januar 2017 vor 9:30 Uhr erfolgt sein. Die zweite Handlung, die den Gegenstand der ursprünglichen Anschuldigung bildet, habe nach einem gemeinsamen Frühstück am späteren Vormittag zwischen 9:30 Uhr und 11:00 Uhr stattgefunden. Die Anschuldigungen lauten:

„1. Der Soldat nahm am 22. Januar 2017 zu einer nicht näher ermittelbaren Uhrzeit, jedenfalls vor 9:30 Uhr im Gebäude der SAR-Leitstelle in …, …, …, während der Dienstzeit im Schichtbetrieb sexuelle Handlungen an der 13-jährigen Tochter des ebenfalls zur SAR-Leitstelle gehörenden und sich im Dienst befindlichen damaligen Hauptfeldwebel (jetzt Stabsfeldwebel) A., B., vor, indem er hinter ihr stehend ihr die Hose und Unterhose herunter zog und sie aufforderte, sich nach vorne zu beugen, was sie, da sie dem Soldaten vertraute, und nichts Böses ahnte, auch tat, woraufhin der Soldat unvermittelt mit seinem Glied in die Vagina der Zeugin B. eindrang, wobei ihm das Alter der Zeugin B. bekannt war, zumindest hätte bekannt sein können und müssen.

2. Der Soldat nahm am 22. Januar 2017 zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen 9:30 Uhr und 11:00 Uhr im Bereitschaftsraum der Offiziere im Keller des E-Traktes der SAR-Leitstelle in …, …, …, während der Dienstzeit im Schichtbetrieb sexuelle Handlungen an der 13-jährigen Tochter des ebenfalls zur SAR-Leitstelle gehörenden und sich im Dienst befindlichen damaliger Hauptfeldwebel (jetzt Stabsfeldwebel) A., B., vor, indem er ihr mit den Händen unter den Büstenhalter an die Brust fasste und anschließend mit einem Finger oder seinem Glied in ihre Scheide eindrang, wobei ihm das Alter der Zeugin B. bekannt war, zumindest hätte bekannt sein können und müssen.“

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4. Das Truppendienstgericht … hat den Soldaten mit Urteil vom 29. August 2023 aus dem Dienstverhältnis entfernt. Der Vorwurf des ersten Missbrauchs am Morgen des 22. Januar 2017 vor 9:30 Uhr sei zwar nicht erwiesen. Die Zeugin B. habe ihn erstmals mehr als sechs Jahre nach der Tat erhoben und in ihren früheren Vernehmungen nicht davon berichtet. Der Soldat habe dieses Geschehen bestritten, so dass gewichtige Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung bestünden. Hingegen hätte sich der Vorwurf des zweiten sexuellen Missbrauchs am späteren Vormittag bei der Beweisaufnahme bestätigt. Der Soldat habe das äußere Geschehen weitgehend eingeräumt. Eine eindeutige Klärung der Frage, ob der Soldat dabei mit dem Glied oder mit dem Daumen in die Scheide des Mädchens eingedrungen sei, habe die Hauptverhandlung nicht ergeben. Hingegen stehe aufgrund mehrerer Indizien fest, dass der Soldat das wahre Alter des Mädchens gekannt habe. Insbesondere sei davon am Tag zuvor bei der Einrichtung eines Smartphones die Rede gewesen. Der Missbrauch von Kindern sei nach § 176a StGB strafbar und verstoße darum gegen die Pflicht zum treuen Dienen. Zudem seien die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht und die Kameradschaftspflicht verletzt, weil der Soldat die Tochter eines Kameraden missbraucht habe. Der Missbrauch eines Kindes wiege in der Regel so schwer, dass die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme verwirkt sei. Angesichts der erheblich erschwerenden Umstände des vorliegenden Falles könne davon nicht abgewichen werden. Das Urteil wurde dem Soldaten am 22. September 2023 zugestellt.

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5. Mit seiner am 20. Oktober 2023 uneingeschränkt eingelegten Berufung beantragt der Soldat, das Urteil des Truppendienstgerichts aufzuheben und gegen ihn eine Dienstgradherabsetzung zu verhängen. Er habe die ihm zur Last gelegte zweite Dienstpflichtverletzung dem Grunde nach von Anfang an weitgehend eingeräumt. Er bestreite aber, zum Tatzeitpunkt das wahre Alter der Zeugin B. gekannt zu haben. Er sei davon ausgegangen, dass sie 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei. Soweit das Truppendienstgericht nach der Vernehmung zahlreicher Zeugen vom Gegenteil überzeugt gewesen sei, beruhe dies auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung. Es habe nicht berücksichtigt, dass bei den militärischen Zeugen eine Lagerbildung stattgefunden habe. Die Schichtkollegen des Vaters der Zeugin B. seien gemeinsam angereist und hätten im Zeugenzimmer ihre Aussagen abgestimmt. Ihre übereinstimmende Aussage vom kindlichen Erscheinungsbild widerspreche der Aussage der früheren Polizeibeamtin Be., die ihr das Aussehen einer 15- bis 16-Jährigen bescheinigt habe. Ferner widerspreche die Annahme des Gerichts, dass über das Alter des Mädchens noch am Tag zuvor bei der Installation ihres neuen Smartphones gesprochen worden sei, den protokollierten Aussagen der Zeugin B. und ihres Vaters. Die Rückschlüsse des Gerichts zu Lasten des Soldaten aus seiner Kenntnis der Klassenstufe und des Alters der Zeugin B. beim Tod ihrer Mutter seien gleichfalls nicht tragfähig und lebensfremd. Ihm könne daher allenfalls der Missbrauch einer Jugendlichen vorgeworfen werden. Dieser vom Landgericht … erwogene Straftatbestand sei genau genommen ebenfalls nicht erfüllt.

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6. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft hat die Zurückweisung der Berufung beantragt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren eingeführten Beweismittel sowie auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Da sie unbeschränkt eingelegt ist, hat der Senat über sämtliche mit der Anschuldigungsschrift und Nachtragsanschuldigung erhobenen Vorwürfe eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 1974 – 2 WD 23.74 – BVerwGE 46, 325 LS 1). Danach ist die vom Truppendienstgericht verhängte disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt.

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1. In tatsächlicher Hinsicht ist der mit der Anschuldigungsschrift dem Soldaten vorgehaltene Vorwurf in objektiver und subjektiver Hinsicht erwiesen.

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a) Hingegen kann nicht mit der für eine Verurteilung notwendigen Überzeugungsgewissheit festgestellt werden, dass der mit der Nachtragsanschuldigung geschilderte sexuelle Übergriff stattgefunden hat. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2020 – 2 WD 13.19 – NZWehrr 2020, 205 <207> m. w. N.)

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Im vorliegenden Fall bestehen vernünftige Zweifel daran, dass der angeschuldigte Geschlechtsverkehr am Sonntagmorgen des 22. Januar 2017 vor 9:30 Uhr stattgefunden hat. Der Soldat hat zwar erst- und zweitinstanzlich eingeräumt, dass er sich mit der Zeugin B. am Samstag, den 21. Januar 2017, nachmittags die Baustelle angesehen hat, dass sie miteinander gealbert hätten und dass es in diesem Zusammenhang zu intimen körperlichen Berührungen gekommen sei. Er habe ihr auch von hinten unter der Bluse an die Brüste gefasst. Es sei jedoch nicht zum angeschuldigten Sexualkontakt gekommen. Da die Baustelle von der Straße aus einsehbar gewesen sei, habe er nicht gewollt, dass es hier passiere.

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Soweit die Zeugin erstmals bei der truppendienstgerichtlichen Vernehmung am 9. August 2023 – mehr als sechs Jahre nach dem Geschehen – davon berichtet hat, dass der Soldat bei dieser Baustellenszene unvermittelt von hinten mit seinem Glied in ihre Scheide eingedrungen sei, bestehen daran gewichtige Zweifel. Die Zeugin hat in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt, dass sie den gesamten Vorgang, der sie bis heute schwer belastet, nicht ausreichend psychotherapeutisch aufgearbeitet hat. Aus diesem Grund war sie bei ihrer Vernehmung durch das Berufungsgericht nicht reflektiert-distanziert, sondern emotional stark aufgewühlt, weinte wiederholt und erlebte sich in ihren Erzählungen erneut in der Opferrolle. Nach ihren Schilderungen hat sie versucht, den gesamten Vorfall, den sie als 13-jähriges Mädchen erlebt hat, zu verdrängen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ihre aktuellen Erinnerungen an die Details des Vorfalls ungenau sind und dass es aufgrund des zeitlichen Abstands von Vernehmung und Erlebnis zu Verschiebungen und aufgrund ihrer Traumatisierung zu Verdoppelungen in ihrem Gedächtnis gekommen ist. Bei ihrer zeitnahen Vernehmung durch die Polizei hat die Zeugin jedenfalls nur von einem Sexualkontakt im Zimmer des Soldaten am späteren Sonntagvormittag berichtet, nicht von einem früheren sexuellen Übergriff auf der Baustelle. Dies spricht gegen die Richtigkeit der nunmehrigen Schilderung der Zeugin und dafür, dass der Soldat – wie von ihm vorgetragen – es aus Angst vor Entdeckung trotz sexuellen Begehrens auf der Baustelle nicht zum Geschlechtsverkehr kommen ließ. Er war daher nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ vom ersten Vorwurf freizustellen.

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b) Das zweite angeschuldigte Geschehen hat der Soldat dem äußeren Ablauf nach weitgehend eingeräumt. Er sei am späteren Sonntagmorgen in seinem Dienstzimmer gewesen und habe seine Sachen gepackt, um den Dienstschluss vorzubereiten, als die Zeugin gekommen sei. Einzelheiten, wie es zu den intimen und aus seiner Sicht einvernehmlichen körperlichen Berührungen gekommen sei, habe er nicht mehr in Erinnerung. Er hätte auf dem Bett hinter dem Mädchen gelegen, sie über 5 bis 10 Minuten an der Brust, an der Hüfte und am Intimbereich berührt und Geschlechtsverkehr gewollt, aber nicht gekonnt. Darum habe er seinen Daumen in die Scheide eingeführt. Die Zeugin B. hat die Szene im Berufungsverfahren in einigen Details anders geschildert. Der Soldat habe bei ihrem Kommen gesagt, er habe schon auf sie gewartet. Er habe sie überredet, sich auf das Bett zu knien. Sie habe nicht richtig realisiert, was geschehe, sei wie gelähmt gewesen und habe sich wie in einem Film gefühlt. Dann habe der Soldat sich hinter sie gestellt, ihren Schlüpfer nach unten gezogen und sie von hinten sexuell berührt. Sie habe noch das Öffnen eines Kondoms gehört und sein Glied gespürt. Es sei nicht der Daumen gewesen. Sie habe nicht „nein“ gesagt, sei aber überrumpelt worden, ohne es zu wollen.

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Der Senat glaubt der Zeugin, dass die Initiative zu den sexuellen Handlungen allein vom Soldaten ausging und dass sie lediglich aus Verblüffung, Überforderung und Unerfahrenheit sich dem sexuellen Geschehen nicht ausdrücklich widersetzt hat. Da sie das Kondom und das Glied des Soldaten nicht gesehen hat und aufgrund ihrer Stellung nicht sehen konnte, ist es objektiv betrachtet allerdings nicht zweifelsfrei erweislich, dass der Soldat seinen Penis in ihre Vagina eingeführt hat. Die späteren polizeilichen Untersuchungen des Körpers der Zeugin haben keine biologischen Nachweise von Spermaspuren erbracht. Das Gericht geht daher nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ von der für den Soldaten minder schweren Variante des Eindringens mit dem Daumen aus.

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c) In subjektiver Hinsicht hat der Soldat eingeräumt, die festgestellten sexuellen Handlungen in seinem dienstlichen Ruheraum wissentlich und willentlich vorgenommen zu haben. Es sei ihm allerdings nicht bewusst gewesen, dass die Zeugin erst 13 Jahre alt gewesen sei. Er hätte ihr Alter nach ihrem Äußeren auf 14 oder 15 Jahre geschätzt und darum nicht vorsätzlich mit einem Kind sexuell verkehrt.

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Bei der tatrichterlichen Beurteilung des Vorsatzes sind allerdings nicht allein die Angaben des Täters maßgeblich. Die Prüfung, ob bedingter Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivlage und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht zieht. Bedingter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter eine mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles Willen zumindest damit abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 – 4 StR 266/20 – StV 2021, 487 Rn. 9 f.).

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Nach diesen Maßstäben spricht eine Gesamtschau aller subjektiven und objektiven Umstände dafür, dass der Soldat sich des kindlichen Alters des Mädchens bewusst war oder es jedenfalls für möglich hielt, dies aber zur Erreichung des von ihm erstrebten Ziels der sexuellen Befriedigung in Kauf nahm. Hinsichtlich des Wissenselements spricht zwar zu Gunsten des Soldaten das Aussehen des damals 13-jährigen Mädchens. Die Inaugenscheinnahme des ca. zwei Monate nach der Tat gemachten Fotos des Mädchens hat die Aussage der früheren Polizeibeamtin Be. bestätigt, dass die Zeugin B. zur Tatzeit nicht mehr kindlich aussah. Wegen ihrer klar erkennbaren weiblichen Brustform wirkt sie auf Fremde optisch älter als 13 Jahre.

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Der Soldat war jedoch kein Fremder, sondern gehörte zum Kameraden- und Freundeskreis der Familie … Obwohl Vorgesetzter war er mit dem Vater des Mädchens per Du, traf sich mit ihm auf Festen, trank mit ihm Bier und half ihm in seiner Freizeit beim Ausräumen einer Scheune im Heimatort der Familie … in … Er wusste genauso wie die anderen Schichtkameraden, dass die Mutter des Mädchens kurz nach seinem Dienstantritt im Mai … gestorben und dass die Tochter damals erst 10 Jahre alt war. Mit Rücksicht darauf, dass es keine Mutter für die Betreuung des Kindes gab, gestattete er dem Stabsfeldwebel aus Freundschaft, entgegen einer eindeutigen Weisung seines Vorgesetzten, wiederholt und über mehrere Jahre das Mädchen am Wochenende mit in die Kaserne zu bringen. Sie durfte sich ganze Tage in der Einsatzzentrale aufhalten, in der Leitstelle übernachten und den Soldaten mit „X.“ ansprechen wie er sie mit „Y.“ ansprach.

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Soweit der angeschuldigte Soldat sich in der Berufungsverhandlung darauf hinausredete, dass er das Mädchen erst in den letzten drei Monaten kennengelernt und sie nur aufgrund einer unwahren Aussage des Vaters in die Kaserne gelassen habe, handelt es sich um unglaubhafte Schutzbehauptungen. Das Gericht folgt der gegenteiligen Einlassung des Zeugen Stabsfeldwebel A., dass er seine Tochter nach dem Tod seiner Frau sehr häufig am Wochenende mitgebracht hat und dass die Schichtkameraden eine Art Ersatzfamilie geworden sind. Diese Aussage des Stabsfeldwebels A. ist angesichts seiner Situation als Alleinerziehender schlüssig und nicht zuletzt deswegen glaubwürdig, weil er sich durch die Einräumung seines weisungswidrigen Verhaltens selbst belastet hat. Seine gesamte Zeugenaussage ist im Übrigen auch durch Selbstkritik und nicht durch Belastungseifer gegenüber dem Soldaten geprägt.

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Dass die Tochter des Stabsfeldwebels A. häufig an den Wochenendschichten ihres Vaters in der Leitstelle zu Gast war, wird auch durch die erstinstanzlichen Zeugenaussagen der Schichtkollegen des Stabsfeldwebels A. belegt. Sie berichteten übereinstimmend, dass sie abwechselnd dem Mädchen bei den Hausaufgaben geholfen hätten, dass sie das Kind nicht als Belastung empfunden und die Betreuung angesichts des Todes der Mutter im Jahr 2014 aus Kameradschaft gerne mitübernommen hätten. Sie seien nach dem Verhalten und Aussehen des Mädchens davon ausgegangen, dass das Kind im Januar 2017 noch keine 14 Jahre alt gewesen sei. An eine ausdrückliche Erwähnung des Alters vor dem Ereignis hat sich lediglich der Zeuge Stabsfeldwebel C. erinnert. Danach hat das Mädchen bei der Zubereitung eines Mittagessens die Nudeln anbrennen lassen und zu ihrer Entschuldigung vorgetragen, sie sei erst 13 Jahre alt und wisse nicht, wie das gehe.

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Die Glaubwürdigkeit dieser Aussagen kann nicht allein mit der Vermutung in Zweifel gezogen werden, dass es unter den Schichtkollegen des Stabsfeldwebels A. zu einer Lagerbildung zu Lasten des Soldaten gekommen sei. Es trifft zwar zu, dass bei mehreren miteinander in Beziehung stehenden Zeugen die Gefahr einer Absprache oder wechselseitigen Beeinflussung besteht (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017, Rn. 1456 ff., 1486a). Für eine solche Annahme bedarf es jedoch eindeutiger Indizien. Dass die Aussagen mehrerer Mitglieder einer Gruppe im Kern übereinstimmen, beruht häufig auf gleichen Wahrnehmungen und Eindrücken. Davon ist auch hier auszugehen. Konkrete Abreden im Zeugenzimmer oder bei der Anreise sind nicht belegt. Dass die meisten Schichtkollegen das Aussehen des Mädchens zur Tatzeit im Widerspruch zum vorgelegten Foto als „kindlich“ beschrieben haben, ist kein zwingendes Indiz für eine Absprache oder wechselseitige Beeinflussung. Denn die meisten Menschen haben kein fotografisches Gedächtnis. Abgesehen davon, dass Stabsfeldwebel C. nur das Verhalten des Mädchens als kindlich beschrieben hat, haben auch die übrigen Schichtkollegen diese Einordnung mit jeweils eigenen Erinnerungen belegt, z. B. kindisches Kichern (Hauptfeldwebel D.), „nicht geschminkt“, „nicht aufreizend gekleidet“, „nicht jeden Samstag auf der Rolle“ (Stabsfeldwebel E.), „wie eine Schülerin, keine Lolita“ (Oberstabsfeldwebel F.). Es sind damit keine stereotypen Erzählungen wiederholt, sondern individuelle Eindrücke geschildert worden.

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In den Aussagen der Schichtmitglieder ist auch in der entscheidenden Frage nach dem Wissen des Soldaten kein Belastungseifer erkennbar. Auch wenn sie durchgehend eine Kenntnis des Soldaten vermuteten oder behaupteten, wurde keine abgekartete Geschichte zum Beleg einer ausdrücklichen Erwähnung des Alters präsentiert. Insbesondere haben die Schichtkollegen ebenso wie der Stabsfeldwebel A. und seine Tochter nicht bezeugt, dass das Alter von 13 Jahren bei der Einrichtung des Smartphones am Tag vor dem Ereignis mit Sicherheit ausdrücklich erwähnt wurde. Auch der Stabsfeldwebel C., der sich an eine Erwähnung des Alters beim Nudelkochen erinnerte, hat auf Nachfrage nicht ausgesagt, dass er sich definitiv an die Anwesenheit des Soldaten bei dieser Szene erinnern könne.

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Für die bei der Feststellung des Vorsatzes maßgebliche Gesamtbetrachtung ist entscheidend, dass der Soldat aufgrund des über einen längeren Zeitraum gewachsenen Näheverhältnisses zur Zeugin B. den Wissensstand eines guten Bekannten, nicht eines allein auf das äußere Erscheinungsbild angewiesenen Fremden hatte. Wenngleich er aufgrund der überlappenden Schichteinteilung für Offiziere nicht seine gesamte Dienstzeit mit der Schichtgruppe des Stabsfeldwebels A. verbrachte, kannte er die persönlichen Verhältnisse von ihm und seiner Tochter aufgrund der mehrjährigen Zusammenarbeit und Freundschaft gut. Dass sich die anderen Schichtkollegen durchweg des Alters des Mädchens bewusst waren, ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass dies beim Soldaten nicht anders gewesen sein kann. Vor allem kannte er die Fakten, auf die alle anderen Zeugen ihr Wissen stützen. Er wusste nach eigenem Bekunden, dass das Mädchen sich erst in der Mitte des 8. Schuljahres befand und dass es nur zweieinhalb Jahre her war, dass das Mädchen kurz nach seinem Dienstantritt im Mai … seine Mutter verloren hatte. Nach den übereinstimmenden und glaubwürdigen Aussagen der Schichtkollegen war es auch damals Tagesgespräch und dem Soldaten bekannt, dass das Mädchen damals erst 10 Jahre alt war. Bei diesem Wissen bedurfte es keiner ausdrücklichen Erwähnung des Lebensalters, sondern nur einfacher Überlegungen für die Feststellung, dass das Mädchen zur Tatzeit noch keine 14 Jahre alt war.

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Soweit der Soldat angibt, sich keine Gedanken über das Alter des Mädchens gemacht zu haben, ist das unglaubhaft. Nach seiner eigenen Schilderung hatte das sexuelle Geschehen am Sonntagvormittag ein Vorspiel in der gemeinsamen Besichtigung der Baustelle am Samstagnachmittag. Da der Soldat schon an diesem Nachmittag den Wunsch nach Geschlechtsverkehr mit dem Mädchen hatte, ist es realitätsfern anzunehmen, dass er in den folgenden Stunden nicht darüber nachgedacht hat, ob der von ihm erwünschte Geschlechtsverkehr angesichts des geringen Alters des Mädchens erlaubt ist. Wenn er aber in der Nacht vom Samstag auf Sonntag über sein sexuelles Begehren und das Alter des Mädchens nachgedacht hat, kann es ihm nicht entgangen sein, dass ein beim Tod seiner Mutter 10-jähriges Kind zweieinhalb Jahre später keine 14 Jahre alt ist und dass ein mit 6 Jahren eingeschultes Mädchen nach Ablauf von 7 Schuljahren und einem halben 8. Schuljahr auch nicht 14 Jahre alt sein kann. Jedenfalls musste er schon bei kurzem Nachdenken über das Alter des Mädchens damit rechnen, dass die Zeugin B. im Januar 2017 noch keine 14 Jahre alt war. Angesichts seiner Intelligenz und seines Bildungsstands als Offizier ist davon auszugehen, dass er diese Möglichkeit erkannt hat.

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Nach der Überzeugung des Gerichts hat er dies zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs billigend in Kauf genommen. Soweit er beim Truppendienstgericht eingeräumt hat, am Sonntagvormittag „schwach geworden zu sein“, erweckt dies hinsichtlich der Rollenverteilung bei dem sexuellen Geschehen einen völlig falschen Eindruck. Das Gericht glaubt der Zeugin B., dass der 39-jährige Soldat im Verhältnis zur völlig unerfahrenen 13-jährigen Schülerin die treibende Kraft war, dass er sie zumindest in etwa mit den Worten „Ich habe auf Dich gewartet“ empfangen und dann aktiv, zielstrebig und überrumpelnd auf einen schnellen Sex vor dem Schichtwechsel hingearbeitet hat.

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Zwar bedarf die Aussage einer Belastungszeugin einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und das Gericht – wie im vorliegenden Fall – ihrer Schilderung wegen einer anderen Tat nicht folgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2019 – 2 WD 16.18 – juris Rn. 15 m. w. N.). Hier sprechen jedoch gewichtige Gründe für die Richtigkeit ihrer Erinnerung. Die emotionelle und sexuelle Unerfahrenheit der Zeugin B. lassen es ausgeschlossen erscheinen, dass sie den Sexualverkehr zielstrebig herbeigeführt hat. Auch der äußere Geschehensablauf eines schnellen, zwischen Frühstück und Schichtwechsel eingeschobenen Sexualverkehrs entspricht allein der sexuellen Bedürfnisbefriedigung des 39-jährigen Mannes, nicht den Traumvorstellungen eines 13-jährigen Schulmädchens. Der Soldat hat im Übrigen selbst nicht dezidiert behauptet, dass die Initiative für das sexuelle Geschehen von dem Mädchen ausging. Er hat lediglich in seiner Aussage betont, aus ihrem fehlenden Widerstand auf ein Einvernehmen zu den intimen Berührungen und dann auch zur nicht besprochenen Steigerung in Form des Geschlechtsverkehrs oder dessen Simulation geschlossen zu haben.

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Dabei war ihm das emotionale Empfinden der Zeugin B. letztlich gleichgültig. Er hat selbst nicht behauptet, dass er gegenüber dem Mädchen irgendwelche Liebesgefühle gehabt hätte. Vielmehr hat er das Vertrauen des Mädchens und ihren Wunsch nach emotionaler Nähe erkannt, ihre Naivität und Unerfahrenheit aber letztlich gefühlskalt allein dazu ausgenutzt, um sich bei der kurz vor Dienstschluss bietenden Gelegenheit sexuell zu befriedigen. Dass sich die Zeugin B. zum Objekt sexueller Begierde degradiert und missbraucht vorkommen musste, hat den Soldaten ebenso wenig abgehalten wie die absehbaren Vertrauens- und Ansehensverluste, die ein Bekanntwerden des Sexualverkehrs mit einer Minderjährigen in seinem Freundes- und Kameradenkreis auslösen würde. Dabei blendete er auch völlig aus, dass er als Offizier in seiner Dienststelle im Dienst war und dass er in dieser Zeit eigentlich verpflichtet war, in der Leitstelle die Aufsicht zuführen. Das lässt auf einen sehr weitgehenden Verlust emphatischer, moralischer und rechtlicher Hemmschwellen bei der Tatbegehung schließen. Dementsprechend fehlte es dem Soldaten nicht an dem für den bedingten Tatvorsatz erforderlichen Willenselement, sexuelle Handlungen unter Missachtung eines strafgesetzlichen Verbots an einem möglicherweise erst 13-jährigen Kind durchzuführen.

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2. In rechtlicher Hinsicht hat der Soldat mit dem erwiesenen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs der zum Tatzeitpunkt 13-jährigen Zeugin B. ein Dienstvergehen im Sinne von § 23 Abs. 1 SG begangen.

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a) Er hat seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) in der Ausprägung der Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung verletzt. Sein Handeln stellt einen schweren Missbrauch von Kindern im Sinne des zur Tatzeit geltenden Strafgesetzbuchs (StGB 2017) dar. Danach macht sich strafbar, wer sexuelle Handlungen an einer Person unter 14 Jahren (Kind) vornimmt (§ 176 Abs. 1 StGB 2017), selbst über 18 Jahre alt ist und mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche Handlungen an ihm vornimmt (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB 2017). Dabei zählt auch die Einführung eines Fingers in die Scheide als ähnlich schwer, weil dies die Opfer in vergleichbarer Weise psychisch belastet (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 2004 – 4 StR 134/04 – NStZ 2005, 152 <153>). Ob hier eine weniger gravierende Fallkonstellation des schweren Kindesmissbrauchs im Sinne von § 176a Abs. 4 StGB 2017 vorliegt, kann für die disziplinarrechtliche Würdigung offenbleiben. Selbst wenn man das unterstellt, wiegt der Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen aus § 7 SG extrem schwer (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2019 – 2 WD 15.18 – juris Rn. 22).

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Die Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Kindesmissbrauchs kann zwar entfallen, wenn der Täter über das kindliche Alter des Opfers irrt und damit einem Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB unterliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2008 – 5 StR 589/07 – NStZ-RR 2008, 238). Diese Voraussetzung liegt jedoch entgegen der Einschätzung des Landgerichts … nicht vor. Die nähere Prüfung des Falles hat ergeben, dass der Soldat das kindliche Alter der Zeugin B. für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Dass das Landgericht … das Strafverfahren nach § 153a Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO gegen Zahlung einer Wiedergutmachung eingestellt hat, lässt nur das öffentliche Interesse an der weiteren Strafverfolgung entfallen. Es entfaltet keine Bindungswirkung im gerichtlichen Disziplinarverfahren und hindert nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO die Verhängung einer reinigenden Disziplinarmaßnahme nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2022 – 2 WD 1.21 – NVwZ-RR 2022, 633 Rn. 41).

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b) Im vorliegenden Fall ist auch ein vorsätzlicher Verstoß gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) gegeben. Denn das Vergehen ist innerhalb der dienstlichen Liegenschaft der SAR-Leitstelle in … und während des Dienstes des Soldaten geschehen. Anstelle seiner Aufsichtspflicht als Schichtführer gerecht zu werden, hat der Soldat während seiner Dienstzeit ein Mädchen missbraucht. Dadurch hat er seine innerdienstliche Stellung als Vorgesetzter schwer beschädigt und seine Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit ernsthaft beeinträchtigt.

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c) Darüber hinaus hat der Soldat vorsätzlich gegen seine Kameradschaftspflicht verstoßen, da es sich bei der Geschädigten um die Tochter des ihm unterstellten Stabsfeldwebels A. handelte. Die Pflicht zur Kameradschaft ist nach § 12 Satz 1 SG für den Zusammenhalt der Bundeswehr wesentlich. Sie gilt daher innerhalb und außerhalb des Dienstes. Sie verpflichtet alle Soldaten gemäß § 12 Satz 2 SG, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten. Dazu gehört auch das Recht auf Achtung der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG). Der sexuelle Missbrauch eines Kameradenkinds ist damit unvereinbar. Eine solche Tat offenbart grundlegende charakterliche Mängel, einen Verlust des unverzichtbaren Respekts und der Achtung vor dem Kameraden und dessen Familie und beeinträchtigt die Vertrauenswürdigkeit, das Ansehen und die Autorität des Soldaten zutiefst (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 50).

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3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen, die Integrität, das Ansehen und die Disziplin in der Bundeswehr aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 – 2 WD 21.18 – NVwZ-RR 2019, 961 Rn. 23). Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde:

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a) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass ein Soldat durch den bereits einmaligen sexuellen Missbrauch eines Kindes für die Bundeswehr im Grundsatz untragbar wird. Dieser wiegt in der Regel so schwer, dass der Soldat das in ihn gesetzte Vertrauen seines Dienstherrn endgültig verloren hat und diesem bei objektiver Betrachtung eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann, der Soldat also aus dem Dienstverhältnis zu entfernen ist. Dies gilt beim schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes erst recht, mag auch eine weniger gravierende Fallkonstellation im Sinne des § 176a Abs. 4 StGB vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2019 – 2 WD 15.18 – juris Rn. 20 ff. m. w. N.).

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b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die es gebieten, von der im Regelfall vorgesehenen Höchstmaßnahme abzuweichen und – wie von der Verteidigung gefordert – eine mildere Maßnahme in Form der Degradierung zu ergreifen. Dies ist hier nicht der Fall, weil den für eine mildere Ahndung sprechenden Aspekten in wesentlich höherem Umfang erschwerende Umstände entgegenstehen.

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Für den Soldaten sprechen zwar insbesondere seine ordentlichen dienstlichen Leistungen, sein EUFOR-Einsatz 2009 sowie sein fachlicher und militärischer Werdegang mit dem Aufstieg in die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes. Des Weiteren ist zu seinen Gunsten zu werten, dass er im Hinblick auf den erwiesenen Vorwurf geständig gewesen ist und Reue gezeigt hat. Dass er dem betroffenen Mädchen im Strafverfahren 4 000 € als Schadensausgleich bezahlt hat, ist vorrangig zur Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens nach § 153a StPO erfolgt und hat ihn vor einschneidenden strafrechtlichen Sanktionen bewahrt. Es entlastet ihn darum im disziplinarrechtlichen Verfahren nicht erheblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2019 – 2 WD 15.18 – juris Rn. 26).

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Gegen ihn sprechen aber die besondere Schwere der Pflichtverletzung, die er vorsätzlich, eigennützig und voll schuldfähig begangen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist der sexuelle Missbrauch eines Kindes in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Denn der Täter greift damit in die harmonische Entwicklung eines Kindes sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft ein, weil Kinder wie Jugendliche wegen ihrer fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten können. Zugleich benutzt der Täter die Person eines Kindes als „Mittel“ zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs und verletzt dadurch dessen durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte unantastbare Menschenwürde (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2019 – 2 WD 15.18 – juris Rn. 21 m. w. N.).

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Das Dienstvergehen hatte auch hier schwere nachteilige Folgen für die psychische Entwicklung des Opfers. Die Zeugin B. hat glaubwürdig ausgesagt, dass sie unter dem Vorfall bis heute leidet, dass sie sich in psychotherapeutische Behandlung begeben musste und dass sie aufgrund des Ereignisses immer noch tiefsitzende Berührungs- und Beziehungsängste hat. Der sexuelle Übergriff des Soldaten hat somit hier – wie in anderen Fällen – zu einer gravierenden Störung der psychischen und sozialen Entwicklung des Tatopfers geführt.

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Die Tat wirft auch ein schlechtes Licht auf die Persönlichkeit des Soldaten, die nach § 38 Abs. 1 WDO bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen ist. Dabei ist zunächst festzustellen, dass in einem strafbaren sexuellen Missbrauch von Kindern stets erhebliche Mängel in der Persönlichkeit des Täters zum Ausdruck kommen (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2019 – 2 WD 15.18 – juris Rn. 21 m. w. N.). Im vorliegenden Fall tritt ein Moment des schweren Vertrauensbruchs hinzu. Der Soldat hat durch kameradschaftliches Verhalten im Dienst und freundschaftliche Aktivitäten außerhalb des Dienstes ein persönliches Vertrauensverhältnis zu Stabsfeldwebel A. und dessen Tochter aufgebaut. Er hat dieses Vertrauen missbraucht, indem er in einem unbeobachteten Moment sexuell übergriffig geworden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 49).

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In disziplinarrechtlicher Hinsicht wiegt besonders erschwerend, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrads als Hauptmann und aufgrund seiner Stellung als Schichtführer eine Vorgesetztenstellung innehatte. Er war an dem Sonntag der ranghöchste Soldat der Dienststelle und für die Disziplin verantwortlich. Ein Vorgesetzter soll nach § 10 SG in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben. Wer in dieser Stellung seine Dienstpflichten verletzt, gibt ein besonders schlechtes Vorbild ab (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. August 2018 – 2 WD 3.18 – BVerwGE 163, 16 Rn. 62 und vom 19. Juni 2019 – 2 WD 21.18 – NVwZ-RR 2019, 961 Rn. 28). Im vorliegenden Fall hat der Soldat seine Dienstpflichten in mehrfacher Hinsicht missachtet. Wer während der Dienstzeit das Kind eines ihm unterstellten Soldaten missbraucht, verliert das Vertrauen der Soldaten, die er führen soll, und disqualifiziert sich als Vorgesetzter.

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Zudem führte das Dienstvergehen dazu, dass der Soldat Ende Januar 2017 vorläufig des Dienstes enthoben werden musste, wodurch dem Bund ein erheblicher finanzieller Schaden entstanden ist. Denn er musste den Soldaten weiter alimentieren, erhielt für die um eine Drittel gekürzten Bezüge aber keine Dienstleistung. Die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung unterliegt jedenfalls für die ersten Jahre auch keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2020 – 2 WD 4.19 – juris Rn. 27 m. w. N.).

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All diese Umstände haben bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn geführt, so dass die Entfernung aus dem Dienst geboten erscheint. Ist die Höchstmaßnahme zu verhängen, kann auch eine überlange Verfahrensdauer keine maßnahmemildernde Wirkung mehr entfalten (BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2018 – 2 WD 15.17 – juris Rn. 56 m. w. N).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.

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