Urteil des BGH 5. Strafsenat vom 19.06.2024, AZ 5 StR 217/24

BGH 5. Strafsenat, Urteil vom 19.06.2024, AZ 5 StR 217/24, ECLI:DE:BGH:2024:190624U5STR217.24.0

Verfahrensgang

vorgehend LG Berlin, 20. Dezember 2023, Az: 528 KLs 22/23

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Dezember 2023 im Strafausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache, auch zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

– Von Rechts wegen –

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 433.455 Euro angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Sie hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte mit einem EncroChat-Mobiltelefon zwischen dem 29. März und 1. Juni 2020 in 19 Fällen mit Kokain (Wirkstoffgehalt von jeweils mindestens 80 % Kokainhydrochlorid) im Umfang von einem bis zwei Kilogramm pro Tat, insgesamt mit knapp 23 kg. Hierfür erzielte er Erlöse in Höhe von 433.455 Euro.

3

Das Landgericht hat die Einzelstrafen (zweimal zwei Jahre, fünfmal zwei Jahre und zwei Monate, viermal zwei Jahre und drei Monate, viermal zwei Jahre und sechs Monate, jeweils einmal zwei Jahre und zehn Monate sowie drei Jahre und zweimal drei Jahre und zwei Monate) dem jeweils nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG iVm § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen. Die Strafmilderung hat es damit begründet, dass der Angeklagte vor Eröffnung des Hauptverfahrens konkrete und detaillierte Angaben zu seinem bis dahin unbekannten Verkäufer in allen Fällen, dem EncroChat-Nutzer „s.       “, gemacht habe.

II.

4

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg. Es ist ausweislich der Revisionsbegründung (wirksam) auf den Strafausspruch mit den zur Aufklärungshilfe getroffenen Feststellungen beschränkt. Zu Recht bemängelt die Staatsanwaltschaft, dass die Ausführungen der Strafkammer die Voraussetzungen einer erfolgreichen Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG nicht hinreichend belegen.

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1. Eine Strafmilderung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG iVm § 49 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a BtMG, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte. Die Aufklärungshilfe muss vor Eröffnung des Hauptverfahrens geleistet werden (§ 31 Satz 2 BtMG iVm § 46b Abs. 3 StGB) und zu einem Aufklärungserfolg geführt haben, zu dem der Täter wesentlich beigetragen hat. Dieser Aufklärungserfolg und die ihm zugrunde liegende richterliche Überzeugung müssen im Urteil konkret und nachprüfbar dargestellt werden. Dazu gehört es, dass die Angaben des Angeklagten, jedenfalls in ihrem tatsächlichen Kern, der Erkenntnisstand der Ermittlungsbehörden und etwaige durch die Angaben veranlasste Strafverfolgungsmaßnahmen dargelegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 19. Mai 2011 – 3 StR 89/11, NStZ-RR 2011, 320; vom 9. Februar 2023 – 3 StR 440/22 Rn. 8).

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Die Annahme eines Aufklärungserfolgs durch Identifizierung setzt zwar weder den Erlass eines Haftbefehls gegen diese Person noch deren Verurteilung oder Festnahme voraus; erforderlich ist aber, dass der Täter die von ihm belastete Person so genau bezeichnet hat, dass diese identifiziert und zur Festnahme ausgeschrieben werden könnte (vgl. BGH, Urteile vom 20. Mai 2021 – 6 StR 406/20, NStZ 2021, 556; vom 16. Februar 2000 – 2 StR 532/99, StV 2000, 318; vom 27. Juni 1999 – 1 StR 189/89, BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 14; Beschluss vom 11. August 2001 – 4 StR 279/11 jeweils mwN). Angaben zur Identifizierung dürfen nicht nur eine Aufklärungsmöglichkeit eröffnen und einen Ansatz zur Aufnahme von Ermittlungen liefern, denn § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG belohnt nur die Aufdeckung selbst (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1999 – 1 StR 189/89, BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 14). Der vom Angeklagten benannte Hintermann muss deshalb schon anhand seiner Angaben identifizierbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 4. Oktober 1988 – 1 StR 483/88, NJW 1989, 1043 mwN).

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2. Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt.

8

a) Danach hat der Angeklagte vor Eröffnung des Hauptverfahrens folgende Angaben zu der den Strafverfolgungsbehörden bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannten Identität seines Kokain-Lieferanten „s.     “ gemacht: Dieser heiße mit Vornamen „L.     “, sei türkischer Herkunft, aber in B.    geboren und ca. 30 bis 35 Jahre alt sowie ledig und kinderlos und wohne in B.             im Bereich der A.    A.    . Der „L.     “ sei ca. 1,85 m groß, normal gebaut mit hellem Teint und schwarzen Haaren; er könne diesen auf Bildern wiedererkennen. Die Strafkammer hat sich davon überzeugt gezeigt, dass der „s.     “ aufgrund dieser glaubhaften konkreten Angaben des Angeklagten identifiziert und ein Ermittlungsverfahren gegen „s.      “ zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden könne.

9

b) Ob und in welchem Umfang anhand der Angaben des Angeklagten bereits Ermittlungsmaßnahmen zur Identifizierung und Ergreifung des „s.     “ vorgenommen werden konnten, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Wie „s.     “, dessen Mitwirkung an den Drogengeschäften des Angeklagten unabhängig von dessen Aussage schon durch die Auswertung der EncroChat-Inhalte bekannt war, anhand der Beschreibung des Angeklagten zur Festnahme ausgeschrieben werden könnte, liegt auf der Grundlage der Ausführungen der Strafkammer ebenfalls nicht ohne weiteres auf der Hand. Die Beschreibung des EncroChat-Nutzers „s.      “ durch den Angeklagten enthält zwar Umstände, die eine nähere Aufklärung seiner Identität durch die Ermittlungsbehörden möglich erscheinen lassen. Ein Aufklärungserfolg im Sinne von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist damit jedoch noch nicht belegt.

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3. Der Aufhebung der rechtsfehlerfreien Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO), da es sich um einen Wertungsfehler handelt und zur Frage des Aufklärungserfolges allenfalls ergänzende Feststellungen zu treffen sind, die den bisherigen nicht widersprechen. Insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg. Für die erneut vorzunehmende Prüfung eines Aufklärungserfolges ist auf den Zeitpunkt der neuen Hauptverhandlung abzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1999 – 4 StR 547/99).

III.

11

Im Überprüfungsumfang hat sich kein durchgreifender Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben (§ 301 StPO). Soweit der Generalbundesanwalt auf die mögliche Unverwertbarkeit kleinerer Vorstrafen wegen Tilgungsfähigkeit (vgl. § 51 Abs. 1 BZRG) hingewiesen hat, schließt der Senat aus, dass die angesichts der gehandelten Drogenmengen durchweg milde bemessenen Strafen auf deren strafschärfender Heranziehung beruhen, zumal die Strafkammer ausdrücklich relativierend berücksichtigt hat, dass die Vorstrafen nicht wegen einschlägiger Delikte verhängt wurden und lange zurückliegen.

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