BVerwG 3. Senat, Beschluss vom 14.06.2024, AZ 3 B 11/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:140624B3B11.23.0
Verfahrensgang
vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 9. März 2023, Az: 2 A 303/20
vorgehend VG Kassel, 9. März 2017, Az: 2 K 1337/15.KS
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seinen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis. Bei einer Verkehrskontrolle am 21. Oktober 2013 ergaben sich Hinweise auf Drogenkonsum, worauf die Polizei eine Blutentnahme veranlasste. Die Untersuchung erbrachte den Konsum von Cannabis mit einem THC-Wert von 5,1 ng/ml und einen THC-Carbonsäuregehalt von 150 ng/ml. Hierauf entzog ihm der Beklagte die Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 (alt). Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 17. Juni 2015 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
II
2
Der auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Antrag ist abzulehnen, denn die Beschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).
3
Der Rechtssache kommt die in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
4
1. Der Kläger wirft die Frage auf,
ob einem Verkehrsteilnehmer, der ohne Ausfallerscheinungen erstmalig nach Cannabiskonsum bei einer Routinekontrolle auffällig geworden ist, also bei einem erstmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot, auch bei Anhaltspunkten für einen regelmäßigen Cannabiskonsum ohne weitere Aufklärung die Fahrerlaubnis entzogen werden darf – oder ob bei einer derartigen Sachlage die Feststellung der fehlenden Fahreignung der weiteren Aufklärung bedarf, beispielsweise durch Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
5
Diese Frage ist bereits geklärt. Der Senat hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2009 – 3 C 1.08 – die hier maßgebliche Regelung in Nr. 9.2.1 der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung alter Fassung ausgelegt und nicht beanstandet. Danach war bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ohne Hinzutreten weiterer Umstände – etwa fehlenden Trennungsvermögens – im Regelfall zu verneinen (BVerwGE 133, 186 Rn. 13 ff.). Die Regelung galt bis zum Inkrafttreten der Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung durch das Cannabisgesetz am 1. April 2024, ist hier jedoch unverändert der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also der Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2015 ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 7. April 2022 – 3 C 9.21 – BVerwGE 175, 206 Rn. 13 und vom 30. August 2023 – 3 C 15.22 – NJW 2024, 1361 Rn. 8).
6
Eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung käme danach allenfalls in Betracht, wenn wesentliche, unerörtert gebliebene oder neue Gesichtspunkte die Durchführung eines weiteren Revisionsverfahrens erforderten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 1997 – 1 B 145.97 – NVwZ 1997, 1211 <1212> = juris Rn. 5). Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz) vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) bezieht sich die Rechtsfrage zudem auf nunmehr ausgelaufenes Recht. Eine solche Frage hat regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, weil § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dazu bestimmt ist, eine richtungsweisende Klärung für die Zukunft herbeizuführen und eine solche Klärung mit der Revision nicht mehr zu erreichen wäre (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. März 2024 – 6 B 64.23 – juris Rn. 10).
7
Die Beschwerde meint, ein erneuter Klärungsbedarf ergebe sich aus der beabsichtigten und mit dem Cannabisgesetz zwischenzeitlich erfolgten – begrenzten – Legalisierung des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum. Dem kann nicht gefolgt werden. Eine rechtspolitische Debatte über eine Rechtsänderung, ihre politische Vorbereitung und nachfolgende Umsetzung stellen die Richtigkeit der Auslegung und Anwendung geltenden Rechts als solches nicht in Frage. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die genannte Entscheidung des Senats rechtlich umstritten wäre und sich hieraus weiterer Klärungsbedarf ergeben hätte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Senats vom 11. April 2019 – 3 C 13.17 – (DAR 2019, 637). In diesem Urteil hat sich der Senat mit der Frage befasst, ob bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Fahrzeug geführt hat, ohne weitere Aufklärung von einer fehlenden Fahreignung ausgegangen werden darf. Er hat dies in Änderung seiner früheren Rechtsprechung in der Regel verneint. Dabei unterscheidet das Urteil jedoch zwischen gelegentlichem und regelmäßigem Konsum und gibt damit keinen Anlass, die bisherige Rechtsprechung zu regelmäßigem Cannabiskonsum in Frage zu stellen (a. a. O. Rn. 16, 28 und 34).
8
Die Beschwerde führt an, bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der regelmäßig Cannabis konsumiere, spreche der Umstand eines erstmaligen Verstoßes gegen das Trennungsgebot eher für dessen Trennungsvermögen. Denn sein Risiko, auffällig zu werden, sei gegenüber jenem eines gelegentlich Cannabis Konsumierenden bei regelmäßiger Teilnahme am Straßenverkehr wesentlich höher. Aus dieser Erwägung ergibt sich kein neuer Klärungsbedarf. Der Senat hat sich in dem genannten Urteil vom 26. Februar 2009 – 3 C 1.08 – mit der Differenzierung zwischen regelmäßigem und gelegentlichem Cannabiskonsum auseinandergesetzt. Er hat näher begründet, weshalb der Verordnungsgeber Fahrerlaubnisinhaber, die regelmäßig Cannabis konsumieren, bereits wegen der Konsumhäufigkeit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansehen durfte (BVerwGE 133, 186 Rn. 16 – 18).
9
2. Ein Klärungsbedarf ergibt sich auch nicht aus der Frage,
ob trotz der in der sogenannten Daldrup-Tabelle festgelegten Grenzwerte ohne weitere Aufklärung bereits bei einem THC-COOH-Wert von 150 ng/ml ein regelmäßiger Konsum unterstellt werden darf oder ob es für die Annahme eines regelmäßigen Cannabis-Konsums eines THC-COOH-Wertes von mehr als 150 ng/ml – sprich: mindestens 151 ng/ml – bedarf.
10
Diese Frage stellt sich nach neuem Recht nicht mehr, weil an die Stelle der regelmäßigen Einnahme von Cannabis der Missbrauch von Cannabis getreten ist, der bei Vorliegen von Anzeichen durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten abzuklären ist (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 und § 13a Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung in der Fassung des Cannabisgesetzes vom 27. März 2024). Die Frage würde sich aber auch unabhängig davon in einem Revisionsverfahren so nicht stellen. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat sich zunächst mit der aufgeworfenen Frage näher auseinandergesetzt, dann jedoch entscheidend auf die konkreten Umstände des Falles und nicht allein auf den festgestellten THC-Carbonsäuregehalt von 150 ng/ml abgestellt. Die noch nach einem Zeitraum von etwa 30 Stunden zwischen dem angegebenen Konsumende und der Blutentnahme festgestellten Werte von THC-COOH und aktivem THC wiesen auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum hin (BA S. 8).
11
3. Auch mit Blick auf das Vorbringen, der Rechtssache komme wegen einer überlangen Verfahrensdauer grundsätzliche Bedeutung zu, wird die Revision nicht zugelassen werden können. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung beurteilt sich – wie ausgeführt – nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Die Dauer des gerichtlichen Verfahrens ist insoweit ohne Belang. Im Übrigen hatte und hat der Kläger die Möglichkeit, die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zu beantragen.